27. Februar 1994
Jesus, Sieger über die Welt
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Schon mehrfach habe ich darauf hingewiesen, daß im Christentum alles von Christus abhängt. Wenn man nach dem Wesen des Christentums fragt, muß man sagen: Das Wesen des Christentums ist Jesus Christus. Deswegen ist auch alles daran gelegen, daß wir Jesus Christus kennen, daß wir seine Natur erfassen und daß wir in ein persönliches Verhältnis zu ihm gelangen. Nichts ist erreicht, wenn man nicht ein persönliches Verhältnis zu Christus gewonnen hat.
Um in ein solches Verhältnis zu gelangen, müssen wir ihn kennen. Wir sind deswegen dabei, uns sein Wesen deutlich zu machen, soweit das menschlichem Bemühen gelingen kann. Wir haben gesagt: Wenn man in einem Wort ausdrücken will, was Jesus für uns ist, dann kann man das mit dem Worte Mittler. Er steht in der Mitte zwischen Gott und den Menschen und vermittelt zwischen ihnen. Diese Vermittlung vollzieht sich in mannigfacher Weise. Wir haben sie an den vergangenen Sonntagen als Sieg über Sünde, Tod, Teufel und Gesetz kennengelernt. Aber es steht noch eines aus, das ausgesagt werden muß, um den Sieg Christi vollständig zu beschreiben. Er hat nämlich auch überwunden die Welt. Er hat die vergänglichen Formen der Welt überwunden. In einer wichtigen Stunde seines Lebens sagte der Herr seinen Jüngern: „In der Welt habt ihr Drangsal, aber seid gewiß und zuversichtlich: Ich habe die Welt besiegt!“
Es fragt sich: Was bedeutet diese Äußerung des Herrn? Was meint er, wenn er sagt: „Ich habe die Welt besiegt“? Wer ist denn diese Welt, von der er spricht? Die Welt wird im Evangelium in vierfachem Sinne gebraucht. Die Welt ist einmal die Schöpfung Gottes. Die Welt ist zweitens die Wirkstätte und der Aufenthaltsort der Menschen. Die Welt ist drittens die von der Sünde gestörte und zerstörte Welt. Und die Welt ist viertens die wegen der Sünde der Nichtigkeit, also der Vergänglichkeit überantwortete Stätte. Wenn Christus sagt, er habe die Welt überwunden, dann meint er „Welt“ in den beiden letzten Bedeutungen: die Welt, insofern sie von der Sünde beherrscht und insofern sie wegen der Sünde der Nichtigkeit überantwortet wird. Christus hat die Welt überwunden, und alle, die sich gläubig ihm anschließen, nehmen an diesem Siege teil.
Die Überwindung der Welt ist eng mit dem Schicksal des Menschen verknüpft. Der Mensch ist das Schicksal der Welt, im Guten wie im Bösen. Die Welt war den Menschen anvertraut zur Bebauung und zur Pflege. Aber durch seine Sünde hat der Mensch die Welt ins Unheil hineingerissen. Die Natur nimmt Anteil am menschlichen Schicksal, und sie schlägt auch wieder auf den Menschen zurück. Durch die Sünde ist die Natur verwüstet worden; sie ist jetzt feindselig gegen den Menschen. Sie ist voll Grauen und Unheimlichkeit, voll Grausamkeit und Zerstörung, voll Tücke und Trug, voll Täuschung und Sinnlosigkeit. Sie vollstreckt das Todesschicksal des Menschen am Menschen. Sie wirft Eisen und Feuer und Wasser über den Menschen, in Erdbeben, in Vulkanausbrüchen, in gewaltigen Sturmkatastrophen. Die Welt ist der Vergänglichkeit unterworfen. Sie nimmt am Todesschicksal des Menschen teil. Sie vermag dem Menschen kein ewiges Leben zu gewähren. Es ist eine lächerliche Lüge, ein Paradies auf Erden zu versprechen. Nein, die Welt ist dem Tode verfallen und trägt alle Anzeichen des Todes an sich.
Aber es soll nicht immer so bleiben, die Feindseligkeit der Welt soll einmal behoben werden. Die Welt sehnt sich nach der Befreiung von der Todesverfallenheit. Sie stöhnt, aber dieses Stöhnen ist das Stöhnen einer Gebärenden. Sie liegt in Wehen. Sie sehnt sich nach der Vollendung durch die Herrschaft Gottes. Kein anderer als der Apostel Paulus hat das mit ergreifenden Worten ausgedrückt: „Ich halte dafür, daß die Leiden dieser Zeit nicht zu vergleichen sind mit der künftigen Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll; denn das Harren der Schöpfung ist ein Harren auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Denn der Vergänglichkeit ist die Schöpfung unterworfen, nicht freiwillig, sondern um dessentwillen, der sie unterworfen hat, in der Hoffnung, daß auch die Schöpfung selbst befreit wird von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Wir wissen, daß die ganze Schöpfung mitseufzt und in Wehen liegt bis jetzt, aber nicht nur sie, sondern auch wir selbst.“
Die Sehnsucht der Schöpfung wird nicht vergeblich sein. Es wird einmal ein Zustand eintreten, wo die Schöpfung verwandelt wird, wo Gottes Herrlichkeit durch alle Schichten der Natur hindurchdringt, sichtbar und spürbar, wo die Herrlichkeit Gottes in der Schöpfung offenkundig wird. Dieser Zustand hat seinen Anfang genommen im Christusereignis. Als Jesus auf Erden wandelte, hat er nicht nur gepredigt und nicht nur Kranke geheilt. Er war nicht nur Therapeut und Exorzist. Christus hat auch gewaltige Machttaten an der Schöpfung gewirkt. Und ob auch Herr Kasper in Rottenburg und seine Gefolgsleute ihm die Wunder in der Natur absprechen, diese Wunder sind wesentlicher Bestandteil seines Wesens und seines Wirkens. Denn in diesen Naturwundern kündigt sich die Verwandlung der Welt an durch den Schöpfer, der unter uns erschienen ist.
Wenn Christus den Seesturm stillt, dann ist das nicht nur eine Hilfe in einer bestimmten Notlage, auch nicht nur ein Erweis seines göttlichen Wesens, sondern das ist ein zeichenhafter Vorgang, der andeutet, welchem Zustand die Welt einmal entgegengeführt wird, wo sie nämlich nicht mehr die Feindin des Menschen, sondern seine Freundin und Dienerin ist. Wenn er über den See wandelt, dann ist das nicht nur ein Zeichen dafür, daß er der Herr der Elemente ist, sondern daß die Schöpfung einem neuen Zustand totaler Verwandlung entgegengeht. Und wenn er die Jünger zu einer großen Abendeinladung zusammenruft und das Volk in großer Menge daran teilnimmt und viele Körbe dabei übrigbleiben, dann war das wiederum nicht nur Hilfe in einer konkreten Notlage, sondern ein Zeichen, ein Zeichen für eine Zukunft, in der die Welt dem Menschen nicht mehr Widerstand und Kampf entgegensetzt, sondern wo sie dem Menschen Reichtum und Fülle gewährt. Wer diese Naturwunder aus der Wirklichkeit und dem Leben Jesu entfernt, wie es Herr Kasper in Rottenburg tut, der zerstört die Persönlichkeit Jesu und sein Wirken in der Wurzel. Er vergreift sich an der Hoffnung, die Jesus durch sein Wirken den Menschen gemacht hat, nämlich daß die Welt einmal einem Zustand der Verklärung und der Verwandlung entgegengeht.
Durch seinen Tod hat Christus die Vergänglichkeit der Welt im Grunde und grundsätzlich überwunden. Die Menschen, die sich ihm im Glauben und in den Sakramenten nahen, nehmen an diesem Sieg teil, in sie werden gleichsam Verwandlungskräfte eingesenkt. Der Tod Christi war der Preis für diese neue Welt, für diese Verheißung einer neuen Welt. „Ihr seid nicht mit vergänglichem Gold oder Silber erkauft,“ sagt der Apostel Petrus in seinem ersten Brief, „sondern mit dem kostbaren Blute Christi, des makellosen und unbefleckten Lammes.“ Jetzt, durch die Überwindung der Welt ist der Mensch mit Gott versöhnt. Das Einvernehmen mit Gott ist wiederhergestellt, der Zugang zu Gott ist offen. Das Zorngericht Gottes über den Menschen ist hinweggefallen. Der Mensch hat Friede mit Gott. Friede ist ein Inbegriff des Heiles. Das ist nicht nur die Abwesenheit von Unfrieden, sondern Friede im biblischen Begriff ist Heil, also der Zustand der völligen Freude, der Vollendung, des Glückes, des Reichtums, der Fülle, der Seligkeit. Und dieser Friede wird von Paulus in zahllosen Stellen seiner Briefe den Menschen verheißen und verkündigt. Ja, er geht sogar so weit, daß er das Neuwerden der Welt, das Christus bewirkt, als eine „neue Schöpfung“ bezeichnet. Im Galaterbrief spricht er davon, es komme heute nicht mehr auf Beschnittensein oder Unbeschnittensein an, wie das die Juden meinen, sondern es komme darauf an, daß man eine neue Schöpfung ist. „Kainä ktisis“, so heißen die griechischen Worte, eine neue Schöpfung. Und sie ist herrlicher als die alte Schöpfung. Ihr Erstgeborener heißt Jesus Christus. Aber er ist nur der Anfang, er ist nur der Stammvater, und ihm sollen alle folgen, die sich ihm in Glaube und Taufe zu eigen geben.
Durch diese neue Schöpfung wird der Mensch in ein Kindesverhältnis zu Gott gesetzt. Jesus ist der einzige natürliche Sohn des Vaters, aber er hat viele Brüder und Schwestern, Adoptivkinder, die von Gott zu Kindern angenommen sind. Und diese Kindschaft Gottes ist eine Wirklichkeit, wenn auch noch nicht in Vollendung. Die Vollendung steht noch aus, sie wird geschenkt werden bei der Wiederkunft Christi. Aber damit wir nicht an der Vollendung zweifeln, hat Gott uns ein Angeld gegeben. „Arrhabon“ heißt der griechische Ausdruck, ein Angeld, eine Anzahlung gewissermaßen. Und was ist dieses Angeld? Dieses Angeld ist der Heilige Geist, der uns gegeben ist. Der Heilige Geist, der in unsere Seele eingesenkt wurde bei der heiligen Taufe, die immer dann erneuert wird, wenn wir aus Sündern zu Gerechten werden. Dieser Heilige Geist ist das Angeld des Vaters für die große Heilsernte am Ende der Tage.
Man kann an dem Wirken des Geistes feststellen, daß er tatsächlich uns gegeben ist. Er ruft nämlich in uns „Abba“ – guter Vater. Indem er uns beten lehrt zu Gott „Vater“, „Vater unser“, bezeugt er uns, daß wir Kinder Gottes sind, Söhne und Töchter des Vaters im Himmel.
Die Überwindung des Alten, Verbrauchten zeigt sich auch in der Stiftung eines Neuen Bundes. Es gab einen Alten Bund, aber er ist zu Ende gegangen mit Jesus Christus. Der Alte Bund wurde von Gott durch Moses gestiftet am Fuße des Berges Sinai. Da übergab Moses dem Volke das Bundesbuch, das uns wahrscheinlich erhalten ist in Kapitel 20 bis 23 des Buches Exodus. Dann beauftragte er junge Männer; sie mußten Rinder schlachten als Opfer. Er nahm die Hälfte des Blutes und schüttete es aus am Altar, die andere Hälfte nahm er und besprengte damit das Volk, und dabei sprach er: „Das ist das Blut des Bundes, den Gott mit euch geschlossen hat.“ Auch der Neue Bund wird mit Blut begründet und besiegelt. Aber das ist nicht das Blut von Rindern, sondern das ist das Blut des eingeborenen Sohnes Gottes. Jesus sagt es ja beim Letzten Abendmahl: „Das ist das Blut des Neuen Bundes, das für euch vergossen wird.“ Auch der Neue Bund ist also im Blute gestiftet, aber nicht im Blute von Tieren, sondern im Blute Jesu Christi, des Sohnes des himmlischen Vaters. Dieses Blut wird vergossen „für euch“. Das Wort „für“ bedeutet zweierlei. Es bedeutet „anstelle“ von euch und „zugunsten“ von euch. Eigentlich hätten wir sterben müssen, aber er stirbt für uns, deswegen „anstelle“, und weil es den Menschen zugute kommt, deswegen „zugunsten“ von euch. Deswegen gebe ich mein Blut für euch hin.
In diesen Bund müssen alle eintreten, die Anteil gewinnen wollen an der Segenskraft des Blutes Christi. Sie tun das im Glauben und im Sakrament. Wenn sie sich im Glauben und im Sakramente Christus verbinden, dann werden sie teilhaft der Wirkkraft des Blutes Jesu. Wenn sie eingegliedert sind in die neue Ordnung Gottes, die Christus gestiftet hat, dann wird Gottes Herrschaft in ihnen mächtig, dann setzt sich Gottes Herrschaft in ihnen durch, dann werden sie dem Königtum Gottes untertan.
Jetzt begreifen wir, meine lieben Freunde, was wir tun, wenn wir hier auf diesem Altar das Opfer Christi gegenwärtigsetzen. Wir setzen es gegenwärtig, damit wir in es eingehen können, damit wir Glieder des Neuen Bundes werden können, damit sich an uns auswirken kann, was der Herr gesagt hat, nämlich daß es „für euch“, also auch für uns vergossen wird, und damit durch dieses Eingehen in das Opfer Christi das Königtum Gottes sich in uns durchsetzt.
Meine lieben Freunde, welches Glück, daß wir an diesem Opfer teilnehmen können! Welches Glück, daß wir die Wirkkraft des Blutes Christi an uns erfahren können! „Selig, selig, die ihre Kleider im Blute des Lammes gewaschen haben!“
Amen.