Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. Dezember 1993

Die Ehrung Gottes durch die Kirche

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch,“ hat unser Heiland zu seinen Aposteln gesprochen. Er hat eine Sendung gehabt, und diese Sendung hat er ihnen vermacht. Sie sollen die Sendung, die ihm anvertraut war, fortsetzen.

Nun ist es nicht so, als ob die Apostel bei der Fortsetzung der Sendung Jesu allein auf sich angewiesen wären. Der Herr, der ihnen die Sendung vermittelt hat, der die Kirche gestiftet hat, bleibt auch dieser Sendung und seiner Kirche treu. Er ist das Haupt dieser Kirche, und er ist in dieser Kirche tätig, und er wirkt mit den Aposteln mit, und das nicht nur am Anfang, sondern die ganze Zeit der Kirche bis zu seiner eigenen Wiederkunft.

Die Sendung Christi war eine einheitliche. Aber sie hat zwei Aspekte. Er sollte nach dem Willen des Vaters im Heiligen Geiste das Reich Gottes aufrichten. Es war seine Aufgabe, die Ehre Gottes, die durch die Menschen, die Sünde der Menschen verdunkelt war, wiederherzustellen. Gleichzeitig sollte er damit das Heil der Menschen wirken; denn die Ehre Gottes und das Heil der Menschen sind untrennbar aneinander geknüpft. Nur wo der Mensch Gott die Ehre gibt, ist das Heil der Menschen gesichert. Ehre Gottes und Heil der Menschen sind so aneinander geknüpft, daß das eine nur mit dem anderen zustande kommen kann. Es gibt nur da eine menschenwürdige Existenz, wo Gott die Ehre gegeben wird. Und nur wo die Anbetung Gottes geschieht, ist das Heil der Menschen gesichert. Die Kirche kann nichts anderes tun als Gott zu ehren und dadurch das Heil der Menschen zu bewirken. Eine andere Aufgabe ist ihr nicht zuteil geworden.

Wir wollen am heutigen Sonntag den ersten Aspekt dieser einheitlichen Sendung betrachten, nämlich die Ehrung Gottes. Die Ehrung Gottes durch die Kirche und in der Kirche vollzieht sich in doppelter Weise: Gott wird einmal geehrt durch die bloße Existenz der Kirche, ihr ganzes Wesen. Er wird aber auch geehrt durch die kultische Tätigkeit der Kirche, durch den Gottesdienst.

Schon und allein die Existenz der Kirche ist eine Ehrung Gottes. Daß es ein heiliges Volk gibt, ein auserwähltes Volk, ein aus allen Stämmen zusammengerufenes Volk, ist eine Ehrung Gottes. Gott hat sich ein besonderes Volk geschaffen, das seine Ehre hinaustragen und in seiner Ehrung sein Heil finden soll. In ganz ergreifender Weise ist das im Epheserbrief vom Apostel Paulus beschrieben: „Preiswürdig ist der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns in Christus gesegnet hat mit allem geistlichen Segen vom Himmel aus. In ihm hat er uns ja auserwählt vor Grundlegung der Welt, daß wir heilig und untadelhaft vor ihm seien. In Liebe hat er uns vorherbestimmt, daß wir in ein Kindesverhältnis zu ihm treten sollten durch Christus Jesus, nach seinem gnädigen Willensentschluß, zum Preis seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadigt hat. So sollten wir zum Lobe seiner Herrlichkeit dienen, nachdem wir zuvor unsere Hoffnung gesetzt haben auf Christus. In ihm seid auch ihr, nachdem ihr das Wort der Wahrheit gehört habt und gläubig geworden seid, besiegelt durch den Heiligen Geist. Dieser ist das Angeld unseres Erbes zur Erlösung seines Eigentums, zum Lobe seiner Herrlichkeit.“

Es gibt also ein Volk, von Gott erwählt, dessen Daseinssinn darin besteht, Gott zu verherrlichen. Und alle Schätze, die Gott diesem Volk anvertraut hat, alle Wesenseigentümlichkeiten, die er ihm eingeschaffen hat, dienen seiner Verherrlichung, an der Spitze die Gnade und die Wahrheit. Die Gnade ist in der Kirche wirklich und wahrhaftig vorfindlich. Wenn ein Priester ein Kind tauft, dann besteht absolute Gewißheit, daß, wenn er die Taufformel richtig anwendet, das Kind von der Erbsünde befreit und mit der Gnade erfüllt wird. Es mag Gnade geben auch außerhalb des Bereiches der Kirche, aber diese Begnadung ist mit Unsicherheiten behaftet, sie ist in keiner Weise eine Fülle der Gnade, es fehlt der Reichtum der Gnadenmittel, und es bleibt immer eine letzte Ungewißheit, ob die Begnadung tatsächlich erfolgt ist. Die Kirche aber ist der Hort und die Heimat der Gnade. In den heiligen Sakramenten teilt sie die Gnade aus, weiht die Menschen durch sie ein für die Ehrung Gottes, für den Dienst Gottes. Im heiligen Meßopfer, das ihr der Herr eingestiftet hat, führt der Herr seine Gnadenmitteilung auf den Gipfel.

Aber auch die Wahrheit ist der Kirche eigen. Die Kirche ist der Hort und die Heimat, ja die Grundfeste, die Grundsäule der Wahrheit. So wie eine Säule ein ganzes Haus trägt, so trägt gleichsam die Wahrheit das Haus Gottes. Es gibt Keime der Wahrheit auch außerhalb der Kirche. Es mögen da und dort auch Tümpel und Bäche blinken, aber die Kirche allein ist der Strom, der Strom der Wahrheit, in dem die ganze Wahrheit, die ungeteilte und die unverfälschte Wahrheit geborgen ist. Was aus der Wahrheit wird, wenn man sich vom Hort der Wahrheit löst, das zeigen uns die nichtkatholischen Religionsgemeinschaften. Sie gestalten die Wahrheit nach dem Gelüste der Menschen, nach den Bedürfnissen der Zeit. Wenn die Zeiten so sind, daß die Gesetze der geschlechtlichen Sittlichkeit peinlich und lästig werden, dann läßt man sie fallen. Nicht so die Kirche als die Säule und Grundfeste der Wahrheit. Sie hält an der Wahrheit fest, ob gelegen oder ungelegen, weil der Heilige Geist sie in der Wahrheit hält.

Die Kirche mit ihrer Gnade und Wahrheit ist kraft ihres Wesens eine Darstellung der Herrlichkeit Gottes. In der Gestalt der Kirche kann man in menschlich-verhüllter Weise eine Offenbarung der Größe, der Herrlichkeit, der Weisheit, der Barmherzigkeit, der Treue, der Macht Gottes finden. Die Kirche ist in gewissem Sinne eine Epiphanie Gottes.

Selbstverständlich existiert die Kirche jetzt noch nicht in der Daseinsform der Verherrlichung. Sie existiert noch in der Daseinsform des Kreuzes. Es ist bei ihr ähnlich wie bei Jesus Christus, dem Ursakrament. Auch er lebte in seinem irdischen Leben in der Daseinsweise des Kreuzes. Die Herrlichkeit Gottes war verhüllt. Erst in der Auferstehung ist sie hervorgebrochen, in der Verklärung auf dem Berge Tabor angedeutet worden. So ist es auch mit der Kirche. Sie ist eine Enthüllung Gottes in der Verhüllung. Die Verhüllung ist so stark, daß die Feinde der Kirche spotten können über ihren Anspruch, von Gott gestiftet und von Gott gelenkt zu sein. Die Heimsuchung der Kirche durch Sünde und Leid ist so stark, daß die Ungläubigen fragen: „Wo ist denn ihr Gott?“

Aber die Kirche weiß, und die Gläubigen wissen es, daß in der Verborgenheit, die allem irdischen Wesen eigen ist, die Kräfte des Heiles, die Kräfte der Verherrlichung, die Kräfte der Verklärung am Wirken sind. Wer auf die schlechten Christen verweist, um zu sagen: Die Kirche kann nicht das Geschöpf Gottes sein, der vergißt hinzuzufügen, daß die schlechten Christen schlecht sind, weil sie sich nicht an die Lehre der Kirche halten, weil sie die Wahrheit mißachten und weil sie die Gnade verschmähen. Die Ehrung Gottes durch die Kirchenglieder kommt eben nur zustande, wenn diese Menschen sich in diese objektive Verherrlichung Gottes eingliedern. Die Ehrung Gottes durch die Menschen in der Kirche ist kein naturhafter Vorgang, wie das Aufleuchten eines Blitzes oder das Wüten eines Sturmes, nein, die Ehrung Gottes durch die Existenz der Kirche muß vom Menschen mit seinem Willen aufgenommen werden, und nur dann klingt die objektive Verherrlichung durch das Wesen der Kirche mit dem Tun der Menschen zusammen.

In besonderer Weise wird die Ehrung Gottes durch die Kirche vollzogen in ihrem Gottesdienst. Der Gottesdienst ist Lob, Dank, Verherrlichung Gottes. In jeder heiligen Messe kommt im Kanon das Wort sacrificium laudis vor, d.h. Lobopfer. Die heilige Messe ist immer ein Lobopfer. Sie ist ein Lobopfer auch, wenn wir noch so ernste Anliegen vortragen. Sie ist ein Lobopfer auch dann, wenn wir eine Totenmesse halten. Die Messe ist immer objektive Verherrlichung Gottes, weil in ihr jenes Lob und jene Ehrung gegenwärtiggesetzt wird, die Christus am Kreuze vollbracht hat. Die Messe ist nichts anderes als das in sakramentaler Form erscheinende Kreuzesopfer. Das Kreuzesopfer aber ist die höchstmögliche Form der Ehrung Gottes. Da hat Christus in Liebe und Hingabe den Vater im Himmel in einer Weise verehrt, wie es nur ein Gottmensch tun konnte, nämlich bis zur Hingabe seines kostbaren Blutes. Eben diese Ehrung Gottes wird in der heiligen Messe aufgenommen. Da preisen wir Gott ob seiner großen Herrlichkeit.

Der Lobpreis Gottes bezieht sich immer auf zwei Gegenstände, nämlich erstens auf seine geschichtlichen Taten. Wir preisen ihn einmal, weil er der Schöpfer ist. Er hat diese herrliche Welt geschaffen, deren Weisheit und deren Harmonie wir nicht genügend bewundern können. Und wir preisen ihn sodann ob seiner geschichtlichen Taten im Alten und im Neuen Bund, daß er sein Volk geführt hat, daß er die Propheten gesandt hat, um das Volk aufzurütteln, und daß er in der letzten Stunde zu uns gesprochen hat durch seinen Sohn, den Erben von allem, daß er diesen seinen Sohn wandern ließ auf dieser Erde, um uns Belehrung zuteil werden zu lassen, und daß er ihn ans Kreuz sandte, um uns zu erlösen von allen Sünden. Deswegen preisen wir Gott. Wir preisen ihn wegen seiner wunderbaren Taten.

Wir preisen ihn aber auch ob seines Wesens. Wir wissen, daß die Taten Gottes aus seinem heiligen Wesen hervorgehen. Deswegen zielt unser Lobpreis auch, unabhängig von seinen Taten, auf sein Sein und seine Eigenschaften. „Wir preisen dich ob deiner großen Herrlichkeit!“ So bekennen wir im Gloria der Messe. „Ob deiner großen Herrlichkeit“ – weil du so herrlich bist! Und in jeder heiligen Messe fassen wir diesen Preis Gottes zusammen in der ergreifenden Doxologie am Schluß des Kanons: „Durch ihn – nämlich Christus – durch ihn und mit ihm und in ihm wird dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes, alle Ehre und Verherrlichung.“ Ja, unser Lobpreis Gottes vollzieht sich in Gemeinschaft mit Christus. Wir haben die wirksamste Bürgschaft dafür, daß unser Lobpreis ankommt, weil wir uns nämlich mit dem Opfer Christi vereinen. Unsere Opfergesinnung wird ein Bestandteil des gegenwärtiggesetzten Kreuzesopfers. Und darin liegt der Lobpreis Gottes, daß wir uns vereinen mit der Opfergesinnung, die Christus am Kreuze bewiesen hat.

Es wäre ein völliges Mißverständnis, meine lieben Freunde, das aber heute nicht fernliegt, wenn man meinen sollte, die Kirche sei vor allem nützlich für die Unterhaltung von Kinderhorten, Seniorenheimen und Krankenhäusern, für Entwicklungshilfe und das Graben von Brunnen in der Sahel-Zone. Das wäre ein völliges Mißverständnis. Die Kirche hat die erste, oberste und unerläßliche Aufgabe, Gott anzubeten. Die Anbetung Gottes ist ihr Daseinssinn, und wenn die Bischöfe bemüht sind, die Beibehaltung der Kirchensteuer damit zu begründen, daß sie auf die soziale Tätigkeit der Kirche hinweisen, auf die Unterhaltung von Wohlfahrtsanstalten, dann heben sie einen ganz sekundären Aspekt hervor. Natürlich müssen die Menschen, die von Gott umgewandelt sind, sich im Leben als solche Verwandelte erweisen, natürlich müssen sie sich der Not annehmen, natürlich müssen sie Entwicklungshilfe leisten, aber die Aufgabe der Kirche ist es, Gott zu ehren, indem eben neue Menschen geschaffen werden, die dann die Herrlichkeit Gottes hinaustragen durch ihr reines, hingebendes, selbstloses Wesen. Deswegen wäre es auch ein Mißverständnis, wenn man die beschaulichen Orden der Kirche als überflüssig ansähe, wenn man etwa meinte, sie würden besser ihre Zeit für andere, „nützlichere“ Dinge verwenden. Nein, meine lieben Freunde, was die beschaulichen Orden tun, die das Gebet zu ihrem Lebensinhalt machen, ist die unerläßliche Aufgabe der Kirche. Sie tun stellvertretend in außerordentlichem Maße das, was die ganze Kirche tun muß, wenn sie Kirche bleiben will. Sie tun mit einer besonderen Intensität und Ausschließlichkeit, was die eigentliche Sendung der Kirche ist.

So sehen wir also, welche Aufgabe der Kirche von Gott dem Herrn übertragen ist: Die Kirche hat Gott zu ehren. Sie ehrt ihn durch ihr Wesen und durch ihr Tun. Aber diese Ehrung Gottes ist auch in unsere schwachen Hände gelegt, und es hängt von uns ab, wie laut der Jubelruf über Gottes Großtaten in die Welt dringt. Es ist unsere ungeheuere Verantwortung, daß wir nicht mit unseren Missetaten die Ehre Gottes trüben, daß wir nicht die Herrlichkeit der Kirche verdunkeln, daß die Menschen nicht sagen: Mit der Kirche, zu der dieser Mensch gehört, möchte ich nichts zu tun haben. Das ist unsere Verantwortung! Diese Verantwortung kann gar nicht ernst genug genommen werden. Sie muß jeden Tag neu bedacht werden, und für diese Verantwortung werden wir einmal Rechenschaft ablegen müssen.

Und es ist auch nicht so, meine lieben Freunde, wie zum Beispiel Herr Deschner meint in seinem Buche „Die Kriminalgeschichte des Christentums“, als ob in der Geschichte der Kirche nur Versagen, Schuld, Irrtum und Sünde sei. Nein, so ist es nicht. Es gibt auch unendlich viel Heiligkeit, unendlich viel Liebe, unendlich viel Streben, unendlich viel stilles Heldentum, unendlich viel Gutes, das von Menschen der Kirche getan und hervorgebracht wird. Wenn jemand antritt, um zu sagen: Die Christen sind auch nicht besser, dann werde ich aufstehen und sagen: Ich höre seit 43 Jahren Beichte, und ich weiß, daß die Christen besser sind, ich kenne ihr Gewissen, ich kenne ihre Anstrengungen, die Sünde zu überwinden, ich kenne ihr heißes Sehnen, besser zu werden, und diese Überzeugung kann mir niemand nehmen, denn sie ist aus Erfahrung erwachsen.

Deswegen, meine lieben Freunde, lassen wir uns nicht irremachen in unserem Glauben, daß die Kirche, das Geschöpf Gottes, zur Ehrung Gottes bestimmt ist und daß sie diesem Auftrag auch immer nachgekommen ist, aller Schwäche, aller Schuld, aller Sünde zum Trotz. Sie wird auch heute dieser Aufgabe gerecht, soweit es die Sünden der Menschen, die nicht geleugnet werden, und das Versagen ihrer Hirten, das wir nur allzu schmerzlich empfinden, zulassen.

Unsere Aufgabe ist es, mit großer Kraft, mit letztem Einsatz und mit steter Intensität dieser Aufgabe nachzugehen. Über unserem Leben muß das stehen, was Joseph Haydn, der fromme Komponist, über seine großen Symphonien geschrieben hat: „Allein zur Ehre Gottes! Gott sei Lob und Dank!“

Amen.

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