31. Oktober 1993
Die Engel als Diener Gottes und Freunde der Menschen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Existenz der Engel ist uns nicht geoffenbart, um unser Wissen über die Weltordnung zu bereichern, sondern die Existenz der Engel ist uns geoffenbart, damit wir daraus Antriebe für unser Heil schöpfen. An den Engeln kann man erkennen, welchem Zustand wir einmal entgegengehen, nämlich jener Existenzform, in der sich unser Leben verströmt in der Liebe zu Gott.
Gleichzeitig erkennen wir, daß wir ein Teil der Schöpfung und mit allen anderen, also auch mit den Engeln verbunden sind. Sie dienen nicht nur Gott, sondern sie dienen auch uns; sie stehen in inniger Verbindung mit uns, sie üben einen heilenden und heiligenden Einfluß auf uns aus – wenn wir uns ihnen öffnen.
Im Hebräerbrief werden die Engel als „dienende Geister“ bezeichnet, bestellt zum Dienst an jenen, welche das Heil erben sollen. Die Engel haben eine bestimmte Funktion im Heilsplan Gottes, sie sind Christus zugeordnet, sie sind Werkzeuge und Gehilfen bei seinem Heilswerk. Schon im Alten Testament waren die Engel Gottes Helfer bei dem Bemühen, die Menschen zum Heile zu führen. Sie waren auf Christus schon im Alten Testament hingeordnet. Sie waren die Verkünder des kommenden Heiles, welche das Sündenbewußtsein und die Erlösungssehnsucht der Menschen wachhalten sollten.
Wir sehen sie im Alten Testament als die geheimnisvollen, gütigen, mächtigen Geister, welche Gottes Befehle vollstrecken. Sie gehorchen Gottes Willen; sie sind nichts anderes als Geister, die der Weisungen Gottes gewärtig sind und den Menschen heilsame Botschaften bringen, sie durch Fährnisse hindurchführen. Sie erscheinen den Menschen manchmal in leiblicher Gestalt, dann in ganz eigenartiger Erscheinungsweise als Lichtträger, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie tragen die Gebete der Menschen zu Gott, sie treten für die Menschen bei Gott ein mit ihrer Fürbitte.
Sie sind auch Strafengel. Sie vollstrecken die Strafen, die Gott verhängt hat, und es gehört zu den schrecklichsten Begebnissen der nachkonziliaren Zeit, meine lieben Freunde, daß man nichts mehr hören kann und nichts mehr wissen will davon, daß die Sünde Strafe verdient. Das ist eine furchtbare Auslassung, und wir sollten uns angesichts der Strafgerichte, welche die Engel im Alten Testament nach Gottes Willen vollstrecken, daran erinnern, daß wir durch unsere Sünden Strafen verdient haben.
Im Alten Testament waren die Engel die Boten und Bürgen des verheißenen Heiles. Im Neuen Testament sind sie die Werkzeuge des in Christus erschienenen Heiles. Sie stehen Christus mit ihrer Macht und mit ihrer Kraft zur Verfügung. Sie spielen eine große Rolle im Leben, Leiden und Sterben Christi. Sie sind die Vorausverkündiger, die Zeugen und die Mitwirker am Leben und Leiden und Auferstehen Christi. An den entscheidenden Punkten seines Lebens treten immer Engel auf, bei der Menschwerdung, bei der Versuchung, auf dem Ölberge, bei seiner Auferstehung, bei seiner Himmelfahrt. Man wird nicht sagen können, daß das Leben Jesu von himmlischen Boten durchwoben sei, aber ich sage noch einmal: Immer an den entscheidenden Punkten seines Lebens, da werden Engel als himmlische Boten vom Vater gesandt, gewärtig seines Wortes und seiner Weisung, ihm bestellt als Mitwirker an seinem Heilswerk.
Die Verantwortung für das Heil ist im Neuen Testament größer als im Alten, weil das Heil im Neuen Testament gewaltiger ist als im Alten Testament; und deswegen ist auch die Dringlichkeit, mit der die Engel an dem Heilswerke mitarbeiten im Neuen Testament bedeutender als im Alten Testament; und deswegen ist auch unsere Verpflichtung, uns an die Engel zu halten, ihren Schutz zu begehren, ihren Wohltaten Dank zu zollen, dringender als im Alten Testament.
Gott hat die Engel nicht nur seinem Sohne zur Seite gestellt, sondern auch seiner Kirche. Sie sind Boten, welche der Kirche Gottes Willen vermitteln. Man muß sie nur hören! Man darf nicht auf das Gezischel der Welt hören, sondern man muß auf die Eingebungen der Engel hören, dann vernimmt man schon ihre Botschaft. Sie ist sehr eindeutig.
Sie sind auch Tröster, welche die Kirche in ihren Drangsalen trösten und aufrichten. Die Engel stehen der Kirche bei ihren Kulthandungen bei. Wir dürfen überzeugt sein, daß, wenn eine Ehe geschlossen wird, daß, wenn eine Taufe gespendet wird, daß, wenn das eucharistische Opfer vollzogen wird, Engel uns beistehen, daß sich der Himmel gleichsam öffnet und Engel herniederschweben, um an diesem Geschehen, das ja Gott verherrlicht, Anteil zu nehmen.
Der Schutz, den die Engel der Gesamtkirche gewähren, setzt sich auch fort an den Teilgemeinschaften der Kirche. Ein Bistum, eine Pfarrei darf mit Gewißheit hoffen, daß Engel ihnen beistehen, daß Engel von dem heißen Wunsche beseelt sind, den Dienst dieses Bistums, den Dienst dieser Pfarrei zu einem Gott wohlgefälligen zu machen. Ja noch mehr: Ein jeder Christ, ein jeder Christgläubige hat seinen eigenen Engel an der Seite, von Gott bestellt. Die entscheidende Stelle dafür ist das 18. Kapitel im Matthäusevangelium. Da fragen die Jünger Jesus, wer denn der Größte im Himmelreich sei. Er gibt ihnen zur Antwort, daß sie überhaupt nicht ins Himmelreich hineinkommen, wenn sie nicht werden wie Kinder. Sie brauchen also gar nicht erst nach dem Rang im Himmelreich zu fragen, sondern sie müssen sich bekehren und werden wie Kinder, dann werden sie in das Himmelreich eingehen; und dann kann man sich auch unterhalten über die Rangfolge im Himmelreich. Ja, aber wie sind denn die Kinder? Die Kinder sind offen und ehrlich und vertrauend; denn sie wissen noch nicht um die Tücken und Hinterhalte des Lebens. Weil sie aber offen und ehrlich und vertrauend sind, deswegen sind sie auch wehrlos. Sie sind wehrlos der Bosheit preisgegeben. Und weil sie wehrlos sind, dürfen sie nicht schutzlos sein. So hat Gott zu ihrem Schutze Engel bestellt, Engel, welche das Antlitz des Vaters im Himmel schauen, Engel, welche über dem Leben der Kinder wachen. Wer also in böser, zerstörerischer Absicht auf ein Kind zugeht, der trifft nicht nur auf dieses hilflose Geschöpf, der trifft auch auf einen mächtigen Engel, der trifft auf einen Engel, der mit der Allmacht Gottes und mit der Liebe Gottes verbunden ist; denn diese Engel schauen allezeit das Antlitz des Vaters im Himmel. Sie sind also mit der allmächtigen Liebe und mit der liebenden Allmacht verbunden.
Das wird sich eines Tages zeigen. Zunächst freilich schweigt der Engel. Dein Haus brennt nicht ab, wenn du in böser, zerstörerischer Absicht auf ein Kind zugehst, dein Geschäft geht nicht zugrunde, dein Wagen verunglückt nicht, aber alles ist aufbewahrt in der schweigenden Allwissenheit Gottes, und eines Tages wirst du erfahren, was für einen Feind du dir geschaffen hast, als du gegen den Engel des Kindes vorgingst (Guardini).
Auch die Völker haben ihre Engel. Wir wissen aus der Offenbarung des Propheten Daniel, daß die Völker ihre Engel haben. Da ist die Rede vom Engel des Volkes der Perser und vom Engel des Volkes der Griechen. Ein Volk ist ja ein einheitliches Ganzes mit einem bestimmten Grundcharakter und einer eindeutigen Gestalt. Der Engel des Volkes ist gleichsam der Repräsentant dieses Volkes bei Gott. Inbildlich und sinnbildlich steht er für dieses Volk vor Gott, tritt für es ein, vermittelt ihm Botschaften Gottes, schützt das Volk in seinen notwendigen Kämpfen und will es zum Heile führen.
Unsere Väter haben im Mittelalter Michael ausdrücklich zum Patron des deutschen Volkes ernannt, und wir dürfen darauf vertrauen, daß Michael diese Berufung angenommen hat. Wir sollten also, wenn wir um unser Volk zittern, wenn wir an die Wahlen denken, wenn wir an die korrupten Politiker denken, wir sollten also die Engel anrufen, die Engel unseres Volkes, damit sie sein Schicksal in ihre Hände nehmen und zum Heile führen.
Die Antwort auf die Offenbarung von den heiligen Engeln muß Dankbarkeit und vertrauter Umgang mit den Engeln sein, Dankbarkeit für die zahllosen Wohltaten, die sie uns erwiesen haben. Meine lieben Freunde, es gibt Erfahrungen, die läßt man sich nicht nehmen. Wer mit den Engeln auf vertrautem Fuße steht, der kann davon zeugen, daß er ihren Beistand und ihren Schutz erfahren hat, der kann davon zeugen, daß sie ihn bewahrt haben vor dem Fall und vor der schweren Sünde. Er muß ihnen also dankbar sein, den heiligen Engeln, daß sie ihn geführt haben. Von dieser Führung darf man sich freilich keine falschen Vorstellungen machen. Die Engel sind keine Gouvernanten, die den Menschen vor allem, was nach Gottes Willen über ihn kommen soll, bewahren, sie führen den Menschen zum Heil! Und da normalerweise der Weg zum Heil durch das Leiden führt, sind die Engel auch beim Leiden dabei. Sie ersparen dem Menschen nicht die Leiden, sondern sie geleiten ihn hindurch.
Der vertraute Umgang mit den Engeln muß sich dann vor allem im Gebet äußern. In den offiziellen Gebeten der Kirche, die wir Priester ja beten dürfen, jeden Tag, sind so viele wunderbare Hymnen an die Engel und über die Engel enthalten. Beim Schutzengelfest betet die Kirche, ins Deutsche übersetzt: „Euch, ihr Hüter der Menschen, feiern im Liede wir, die dem Gebrechlichen sorglich der Vater zur Seite gab, ihn zu geleiten, auf daß den Ränken der Feinde er schutzlos nimmer erliegen möge. Darum schwebe herzu, wachsamer Hüter, du; wende ab von dem Land, das deinen Schutz genießt, all der Seele Gebrest und was die Sicherheit, Ruh' und Friede dem Pilger raubt!“ Und am Feste des Erzengels Michael, da beten wir Priester, wiederum übersetzt: „Michael, steige, der Engel des Friedens, hernieder in unsere Hütten, bringe uns Segen und Frieden, stürze zum höllischen Abgrund die tränenbeschwerten, leidvollen Kriege!“ Eebenso beten wir Priester im Abendgebet jeden Abend, Gott möge seinen heiligen Engel senden, damit er dieses Haus, in dem wir leben, behüte und schirme. Und schließlich gibt es auch wunderbare Gebete, wenn die Seele aus dem Leibe scheidet. In den Sterbegebeten heißt es: „Nimm, o Gott, deinen Diener in dein Reich! Aufnehmen möge ihn der heilige Michael! Er möge ihm entgegenkommen! Die heiligen Engel mögen ihn zur himmlischen Heimat geleiten! Der jetzt aus dem Leibe scheidenden Seele möge die leuchtende Schar der Engel entgegenschreiten!“ Und wenn das REQUIEM gehalten wird für den Verstorbenen – und das werden wir hier ja am kommenden Dienstag wieder tun – wenn das REQUIEM gehalten wird, da heißt es im Offertorium der Totenmesse: „Der heilige Bannerträger Michael führe die Seelen der abgestorbenen Gläubigen hin in das heilige Licht!“
Diese wunderbaren Gebete, meine lieben Freunde, sollten uns motivieren, um mehr als bisher die Verehrung der heiligen Engel zu pflegen. Es dürfte kein Tag vergehen, an dem wir nicht den Engel um seinen Rat und um seine Führung bitten. Es dürfte kein Tag vergehen, an dem wir dem Engel nicht danken für sein Geleit. Es dürfte kein Tag vergehen, in dem wir nicht unser armes Leben in den Schutz der heiligen Engel befehlen, damit sie uns geleiten zur ewigen Heimat.
Amen.