Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
8. November 1992

Der Fall Galilei

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Die Inquisistion! Galilei!“ Das sind die Standardvorwürfe, die man zu hören bekommt, wenn man der Kirche, unserer Kirche, etwas auswischen will. Die Verbrechen, die begangen worden sind im Namen der Religion, die Feindschaft gegen die Wissenschaft wiederum im Namen des Glaubens! Diese Vorgänge sind in jüngster Zeit wieder in das Bewußtsein der Öffentlichkeit getreten durch die Ansprache, die der gegenwärtige Papst vor der Akademie der Wissenschaften gehalten hat, wo er den Fall Galilei als endgültig abgeschlossen bezeichnet hat. Er wird sich täuschen. Dieser Fall wird der Kirche so lange um die Ohren geschlagen werden, wie die Welt besteht.

Die Kirche hat die Aufgabe, die Botschaft Christi durch die Zeiten zu tragen. Ihr sind die Verkündigung, die Erklärung und der Schutz des Glaubens aufgetragen. Zu diesem Zweck verwendet sie verschiedene Mittel. Von Anfang an haben gelehrte Theologen durch Schriften den Glauben zu schützen und zu verteidigen gesucht. Gegen Christen, die Falsches lehrten, schritt die Kirche mit geistlichen Zuchtmitteln ein: Ausschluß aus der Gemeinde, Exkommunikation. Als dann das Christentum aus den Katakomben stieg und bald zur Staatsreligion erhoben wurde, hatten auch die Herrscher ein Interesse daran, daß in einem Reiche ein Glaube bekannt werde. Die Reichseinheit sollte durch die Glaubenseinheit geschützt und befestigt werden. Und so haben schon am Ende des 4. Jahrhunderts Kaiser wie Gratian Strafen, auch weltliche Strafen, gegen Glaubensabtrünnige verhängt, gegen Arianer und Donatisten. Kaiser Theodosius ist auf dieser Bahn weitergeschritten. Die theoretische Unterbauung dieser Maßnahmen erfolgte durch den heiligen Augustinus. Dieser war zunächst ein Gegner von Strafen gegen vom katholischen Glauben Abgewichene. Aber er beobachtete dann, daß diese Leute mit allen Mitteln, mit Verlockung und Drohung, auch mit Gewalt, die gläubigen Christen vom Glauben abzubringen versuchten, und so kam er dahin, daß er auch äußere Strafmittel, weltliche Strafen, gegen die Häretiker, gegen die Ketzer, gegen die vom Glauben Abgewichenen angewandt wissen wollte. Er stützte sich dabei auf eine Stelle aus dem Lukasevangelium. Wir kennen alle diese Perikope, wo der Herr von einem Hausvater erzählt, der seine Gäste zu einem Festmahl einlädt, aber die Gäste wollen nicht kommen. Daraufhin sucht er Ersatz. „Geh an die Wegkreuzungen“, sagt er dem Knecht, „und bringe herein, wen immer du findest!“ Und zwar „compelle intrare“ – veranlasse sie, ja zwinge sie, hereinzukommen. Diese Stelle wandte Augustinus auf die vom katholischen Glauben Abgeirrten an, und seine Lehre wurde für das ganze Mittelalter maßgebend.

Die Kirche und die weltlichen Herrscher waren sich einig darin, daß Abweichungen vom katholischen Glauben für die Religion, aber auch für das Reich nachteilig seien. Und sie fingen an, solche Abgewichenen zu bestrafen. Der französische König Robert zum Beispiel hat schon im 11. Jahrhundert damit begonnen, Häretiker zum Tode zu verurteilen und zu verbrennen. Und der deutsche Kaiser Heinrich III. ließ um die Mitte des 11. Jahrhunderts in Goslar eine Reihe von Häretikern mit dem Tode bestrafen unter dem großen Beifall, so wird uns berichtet in den Chroniken, der Menschen. Die Päpste haben dann die sogenannte Inquisition eingeführt. Inquisition heißt Untersuchung, Untersuchung nämlich von Leuten, die sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben. Das Inquisitionsverfahren beruhte auf zwei Grundsätzen, nämlich erstens der Offizialmaxime und zweitens der Instruktionsmaxime. Die Offizialmaxime besagt, daß man nicht wartet, bis eine Anklage erfolgt, sondern daß man von Amtes wegen Nachforschungen anstellt, um Übeltäter aufzufinden. Die Instruktionsmaxime bedeutet, daß der Richter gehalten ist, die Beweise aufzusuchen, die für die Schuld oder auch für die Unschuld des Betreffenden sprechen. Die Inquisition war, prozessual gesehen, ein großer Fortschritt und fand grundsätzlich bei Verbrechen jeglicher Art Anwendung, also auch bei Glaubensabfall. Dabei arbeiteten Kirche und Staat zusammen. So ist es im 12. Jahrhundert zu Verabredungen gekommen zwischen Papst und Kaiser, z.B. 1183. Papst Luzius III. und Kaiser Friedrich Barbarossa schlossen einen Vertrag, wonach gegen die Glaubensabtrünnigen die Reichsacht verhängt wird und entsprechende Strafen über sie ausgesprochen werden. Papst Innozenz III. hat dann die Häresie, also den Glaubensabfall, als Majestätsverbrechen gekennzeichnet. Er ging von dem Gedanken aus: Wenn man gegen einen weltlichen Herrscher etwas unternimmt, dann verfehlt man sich gegen seine Majestät. Um wieviel mehr muß ein Vergehen bestraft werden, das sich gegen die göttliche Majestät richtet! Das Inquisitionsverfahren wurde dann von seinem Nachfolger Gregor IX. ausgebaut. Bei der Bestrafung der Ketzer ging wiederum die weltliche Macht voran, diesmal Kaiser Friedrich II. Er hat zuerst für die Lombardei, also Norditalien, die Verbrennung von Ketzern angeordnet, dann für Sizilien und schließlich für das ganze deutsche Reich. Er hat eine staatliche Inquisition aufgebaut, welche die Ketzer aufspüren sollte. Dann wurden die Betreffenden einem kirchlichen Richter vorgeführt, damit er nachprüfe, ob tatsächlich eine Glaubensabweichung vorhanden sei. Und wenn das festgestellt wurde, dann hat man den Betreffenden wiederum dem weltlichen Arm ausgeliefert zur Bestrafung.

Gregor IX. hat auch eigene kirchliche Inquisitoren aufgestellt, Untersuchungsbeamte, vor allem Dominikaner und Franziskaner. Sie hatten die Aufgabe, auszuforschen, ob Glaubensabtrünnige vorhanden waren; diese wurden dann vorgeladen und verhört. Die Inquisitoren bemühten sich, sie von ihrem Unrecht zu überzeugen. Ich, meine lieben Freunde, habe solche Protokolle gelesen. Wir sind nämlich dank glücklicher Funde in der Lage, manche Verhöre und Verurteilungen minuziös zu verfolgen, weil uns die Protokolle erhalten geblieben sind. Und ich kann nur sagen, was ich da gelesen habe, geht darauf hin: Die Inquisitoren waren im Grunde wohlwollend. Sie wollten die Betreffenden schonen. Sie versuchten ihnen goldene Brücken zu bauen, indem sie ihnen bestimmte Formulierungen in den Mund legten. Und vor allen Dingen gaben sie sich die größte Mühe, sie von ihren verkehrten Absichten abzubringen. Ich habe in den Protokollen, die ich gelesen habe, nicht einen einzigen Fall gefunden, wo von vornherein eine böse Absicht gegen die Ergriffenen gewaltet hätte.

Freilich, wenn einer unbeugsam blieb, dann wurde er für schuldig befunden und dem weltlichen Arm ausgeliefert. Der weltliche Arm hat ihn bestraft, manchmal mit Gefängnis, manchmal auch mit der Todesstrafe. Die Verbrennung wurde in zweifacher Form vorgenommen, entweder daß man den Betreffenden vorher tötete und also seinen leblosen Leib verbrannte oder, auch das ist vorgekommen, daß man ihn bei lebendigem Leibe verbrannte. Aber die Strafen waren im ganzen Mittelalter sehr hart. Leibes- und Lebensstrafen waren sehr häufig. Das galt auch für viele andere Vergehen. Vor allem darf man nicht vergessen, daß die Inquisition nicht nur Glaubensdelikte verfolgt hat, sondern auch gemeine Kriminalfälle. Also zum Beispiel wurden den Inquisitionsrichtern die Fälle von Kindstötung zugewiesen, Aberglauben, Alchemie, Zauberei, Unzucht mit Tieren. Auch solche Fälle haben die Inquisitoren abgeurteilt, also Vergehen, die auch der Staat, unabhängig vom Glauben, verfolgt und verurteilt hat. In dieser Hinsicht haben die Inquisitoren auch für den Staat nützliche Arbeit geleistet, weil sie eben gemeine Verbrechen verfolgten.

In diesen Rahmen nun, meine lieben Freunde, fällt auch der Prozeß gegen Galilei. In der ganzen Zeit des Altertums und im Mittelalter war man überzeugt, daß die Erde im Mittelpunkt des Weltalls steht und daß sich die Sonne um die Erde dreht. Wir sprechen ja heute noch so, wenn wir sagen: Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Der Anschein spricht für dieses ptolemäische Weltbild, nicht wahr? Aber da erschien eines Tages ein kluger Mann namens Nikolaus Kopernikus. Er war Domherr in Ostpreußen. Er hat gewirkt in Heilsberg, Frauenburg, Melsack und Allenstein. Und dieser Mann, der ein hochgebildeter Gelehrter war, Mediziner, Jurist, Philosoph, Naturwissenschaftler, hat nun im Jahre 1531 zum erstenmal die These vertreten: Nein, nicht die Sonne dreht sich um die Erde, sondern die Erde dreht sich um die Sonne. Und diese Gedanken hat er dann 1543 in seinem großen Werk „De revolutionibus orbium coelestium“ entwickelt. Dieses Werk wurde dem Papst übersandt. Kein Mensch im katholischen Bereich hat gegen Kopernikus etwas unternommen bis zum Jahre 1616. Also viele Jahr und Jahrzehnte blieb diese Hypothese unbeanstandet. Um so heftiger haben dagegen Stellung genommen Luther, Melanchthon, Calvin, theologische Fakultäten, weil sie dachten: Das Weltbild des Kopernikus steht mit der Bibel im Widerspruch, es zerstört die Glaubwürdigkeit der Heiligen Schrift.

Im 17. Jahrhundert aber trat nun Galilei auf, und er hat sich die Ansichten des Kopernikus zu eigen gemacht, hat sie vorgetragen, und zwar mit Schärfe und mit Leidenschaft. Er hat aber außerdem einen bedeutenden Fehler gemacht, nämlich er war der Meinung, daß, was die Naturwissenschaft erkannt hat, maßgebend ist für die Religion. Er wollte also das Buch der Natur zur norma normans der Offenbarung machen. Das war die Überschreitung der ihm gesetzten Grenzen. Außerdem konnte er dieses neue Weltbild nicht überzeugend dartun. Weder Kopernikus noch Galilei waren in der Lage, ihre richtige Behauptung zu beweisen, und es gab auch damals große Astronomen, die gegen dieses neue Weltbild Stellung bezogen. In dieser Lage haben dann römische Richter, nicht der Papst selbst, sondern ein von ihm eingesetztes Tribunal, den Galilei zum Widerruf aufgefordert, den er gegen seine Überzeugung im Jahre 1633 leistete. Übrigens ist Galilei als frommer Katholik gestorben. Den Beweis für dieses Weltbild haben erst viel später andere Astronomen erbracht, Kepler, Newton und Bradley. Kepler hat die berühmten drei Gesetze der Planetenbewegungen aufgestellt: Die Planeten bewegen sich um die Sonne in Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. Der Radiussektor überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen, und die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten verhalten sich wie die Kuben ihrer mittleren Entfernung. Das waren die drei Keplerschen Gesetze, die die Planetenbewegungen in Naturgesetze einzufangen versuchten. Aber auch er konnte eine Erklärung, warum sich nun die Erde um die Sonne dreht, nicht geben. Das ist erst Newton gelungen. Newton hat das Gravitationsgesetz entdeckt, daß sich Massen anziehen und daß die Massenanziehung bestimmten Gesetzen gehorcht. Die Massenanziehung ist das Produkt der Massen und ist umgekehrt proportional den Entfernungen. Das ist das Gravitationsgesetz von Newton. Aber auch er konnte den letzten Beweis nicht führen, den hat erst Bradley, James Bradley, im Jahre 1728 geführt. Er hat die Aberration des Lichtes durch Beobachtung gefunden. Also erst seit 1728 können wir einen mathematisch und physikalisch einwandfreien Beweis für die Bewegung der Erde um die Sonne führen.

Zweifellos haben die Richter Galilei zu Unrecht verurteilt. Die Erde bewegt sich tatsächlich um die Sonne. Aber ihr Versehen ist entschuldbar. Sie meinten, daß das ptolemäische Weltbild, also daß sich die Sonne um die Erde dreht, zum Aussageinhalt der Heiligen Schrift gehört. Sie haben nicht unterschieden, daß die Heilige Schrift kein naturwissenschaftliches Buch ist, sondern daß sie in diesen Dingen die Redeweise übernimmt, wie sie eben in der Umwelt der Autoren üblich war. Die Heilige Schrift will uns belehren über das Heil, über Gott und die Religion, aber nicht über naturwissenschaftliche Fragen. Das war ihnen entgangen. Diese Unterscheidung haben sie nicht getroffen. Und so kamen sie zu der bedauerlichen Fehlentscheidung. Aber eines muß bei allem Respekt vor der Leistung der genannten Gelehrten gesagt werden. Der Kirche bleibt die Aufgabe, den Glauben zu schützen. Daß dabei gelegentlich Fehlentscheidungen vorkommen, wen sollte das wundern? Der Mensch ist nun einmal fehlbar; und die Sorge der Kirche, den Glauben zu erhalten, kann zum Überschreiten von Grenzen führen, die auch den Glaubenswächtern gesetzt sind. Die hohe und hehre Aufgabe, die Offenbarung zu schützen, den Glauben den Menschen zu vermitteln als die Grundlage des Heiles, wird dadurch nicht berührt.

Inquisition und Galilei-Fall sind von unseren heutigen Gesichtspunkten zu bedauern und in mancher Hinsicht zu verurteilen, aber es wäre ganz falsch, deswegen der Kirche die heilige Pflicht abzusprechen, für den Glauben zu sorgen und für die Erhaltung des Glaubens mit den ihr eigenen Mitteln besorgt zu sein. Denn am Glauben hängt buchstäblich alles. Wer nicht glaubt, der kann auch nicht richtig handeln, und wer nicht richtig handelt, der wird nicht das Reich Gottes erwerben.

Amen.

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