Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. August 1992

Katholische Eigentumslehre

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wesley war ein berühmter Prediger. Als er eines Tages in einer Gemeinde erschien, da beschloß ein Bauer, seiner Predigt beizuwohnen. Er war freudig erregt, als er den ersten Punkt der Predigt vernahm: „Erwirb, soviel du kannst!“ Ja, dachte er bei sich, das habe ich immer getan, so habe ich es gehalten, und so soll es bei mir bleiben. Dann kam der zweite Punkt: „Erspar, soviel du kannst!“ Der Bauer war ganz erregt vor Freude und sprach seinen Nachbarn an: „Hat man jemals so etwas gehört?“ Und schließlich kam Wesley auf den dritten Punkt zu sprechen, der lautete: „Gib, soviel du kannst!“ Da war der Bauer betrübt und schlich von dannen.

Die Kirche hat eine Eigentumslehre. Diese Eigentumslehre ist aufgebaut auf Elementen, die aus zwei Quellen stammen, einmal der Heiligen Schrift und zum anderen aus der kirchlichen Tradition, wobei die Tradition Elemente des Naturrechtsdenkens in sich aufgenommen hat. Am Anfang war alles, was auf Erden existiert, allen gemeinsam. Es läßt sich nicht feststellen, daß irgendwelche Güter dem einzelnen zugewiesen gewesen wären. Wenn man will, kann man das als negativen Kommunismus bezeichnen, wie es die Stoa und auch manche Kirchenväter getan haben. Aber die Güter der Erde müssen den einzelnen zum Gebrauch dienen, und das gegebene Mittel dafür ist das Privateigentum. Unter Eigentum versteht man die dem einzelnen zustehende Gewalt, über Gegenstände als ihm zugehörig frei innerhalb der gerechten gesetzlichen Schranken zu verfügen. Eigentum ist also die Besitz-, Verfügungs- und Nutzungsmacht über bewegliche und unbewegliche Gegenstände. Die Kirche hat immer die Institution, die Einrichtung des Privateigentums verteidigt. Sie führt für die Notwendigkeit des Privateigentums wirtschaftliche, soziale, kulturelle und sittliche Gründe an.

Das Privateigentum ist notwendig aus wirtschaftlichen Gründen. Der Mensch, wie er nun mal ist, ist verantwortungsbewußter, ist sparsamer, ist tätiger, ist fleißiger und eifriger, wenn er für sich arbeitet, für sich erwirbt. Wenn dagegen alles, was er tut und was er unternimmt, dem Staat, dem anonymen Wesen, dem nicht greifbaren Volksvermögen zugute kommt, dann schleichen sich leicht Trägheit und Verantwortungslosigkeit ein. Ich habe in den fünf Jahren, die ich der früheren DDR Dienst getan habe, erlebt, wie die Menschen mit dem sogenannten Volkseigentum außerordentlich großzügig oder, besser gesagt, nachlässig umgingen. „Volkseigentum gehört allen und niemandem“, so sagten sie und haben sich dementsprechend auch schadlos gehalten.

Das Privateigentum ist auch aus sozialen Gründen notwendig. Es ist leichter geeignet, Streit und Egoismus zu verhüten, als das Gemeineigentum, das eben, wie gesagt, allen und niemandem gehört. Das Privateigentum hat auch die großen kulturellen Leistungen vollbracht in Wissenschaft und Technik und Kultur. Die größten Leistungen sind durch die Aussicht, daß man selbst Vermögen erwerben kann, hervorgebracht worden. Auch begünstigt das Privateigentum viele sittliche Eigenschaften, trägt zum Aufbau der sittlichen Persönlichkeit bei. Denn wer Eigentum erwerben will, muß eben rastlos tätig sein, muß sparsam sein, muß Ordnungssinn haben, muß Mäßigung beweisen und sich von den Lastern, die mit Unverantwortlichkeit verbunden sind, fernhalten.

Selbstverständlich kann jede Eigenschaft und jeder Wert mißbraucht werden. So kann auch das Eigentum schlecht angewendet werden. Dem Mißbrauch wirkt entgegen, daß dem Eigentum eine Sozialbindung anhaftet. Das Eigentum ist so zu gebrauchen, daß es auch dem Wohle der Allgemeinheit dient. Es ist ein christlicher Satz, den die Väter des Grundgesetzes in Artikel 14 unserer Verfassung hineingeschrieben haben: „Eigentum verpflichtet.“ Eigentum soll dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Das ist ein christlicher Satz in unserer Verfassung. Man kann mit dem Eigentum nicht tun, was man will, sondern der Gebrauch hat sich auszurichten auch an den Bedürfnissen und dem Nutzen der Gemeinschaft. Es gibt eine Sozialbindung des Eigentums, und der Staat ist dazu verpflichtet, dieser Sozialbindung Rechnung zu tragen.

Aus der Eigentumsinstitution ergibt sich das Recht des einzelnen, Privateigentum zu erwerben. Wenn nämlich die Institution ethisch und sozialethisch berechtigt und notwendig ist, dann ist auch das Recht des einzelnen gegeben, sich Eigentum zu erwerben. Die Erwerbstitel sind Aneignung herrenlosen Guts, Arbeit und Verjährung. Das Recht des einzelnen ist eng mit der Pflicht verkoppelt, Eigentum zu erwerben. Der Mensch ist vernünftig, und das heißt, er vermag mit seiner Vernunft zwischen den Mitteln, die notwendig sind und die überflüssig sind, zu unterscheiden und zu wählen. Er vermag in die Zukunft hinauszuschauen und die Bedürfnisse der Zukunft zu berechnen. Er hat das Vermögen. nicht für sich allein, sondern auch für seine Familie zu sorgen. Alle diese im Menschen angelegten Kräfte dienen dazu, das Recht auf Eigentum zu begründen. Auch die natürliche Freude am Besitz, die ganz unbefangene Freude am Besitz, ist ein Indiz dafür, daß dem Menschen das Recht zukommt, Eigentum zu besitzen.

Eigentum dient auch der Entwicklung der Persönlichkeit, denn Eigentum macht frei. Man wird ein unabhängiger Mensch, wenn man nicht für alles und jedes bei einem anderen oder bei ener anonymen Gesellschaft um Leihe und um Benutzung bitten muß. Eigentum macht frei, und auch das war ein christlicher Gedanke, der vor allem von der Regierung Adenauer in die Öffentlichkeit getragen wurde: Eigentum schaffen, den Menschen zu Eigentum verhelfen, vor allem zu Wohneigentum. Und so wurde das großartige Wohneigentumsgesetz, eine ideale Erfindung des menschlichen Geistes, im Jahre 1951 vom Bundestag angenommen. Eigentum macht frei, frei von Zwängen, frei von Abhängigkeiten.

Eigentum ist auch notwendig zur Erfüllung der menschlichen Aufgaben. Wie könnte ein Handwerksmeister seinen Beruf ausüben, wenn er nicht über die Geräte und die Maschinen verfügt, die er benötigt? Wie könnte ein Zahnarzt arbeiten, wenn er nicht die Medikamente, die Apparate und die Instrumente zur Verfügung hat, die nun einmal für eine solche Praxis erforderlich sind? Es darf also am Sinn, am Nutzen und an der Notwendigkeit des Privateigentums für einen Katholiken ein Zweifel nicht bestehen.

Unbenommen bleibt es dem einzelnen, um höherer Ideale willen auf Eigentum zu verzichten. Das tun manche unserer Ordensgemeinschaften. Ihre Angehörigen verzichten auf persönliches Eigentum, weil alles, dessen sie bedürfen, von der Gemeinschaft gestellt wird. In diesem Sinne ist auch der sogenannte Urkommunismus der Gemeinde in Jerusalem zu verstehen. Diese Gemeinde, so heißt es, hatte alles gemeinsam. Nun, das ist in kleinen Verhältnissen möglicherweise zu verwirklichen. Wenn es nur fünfzig oder hundert Leute sind, die ideal eingestellt und von dem Neuheitserlebnis des Christentums ergriffen sind, dann kann so etwas schon einmal verwirklicht werden. Aber wir wissen auch, daß es schon in der Urgemeinde den ersten Abfall von diesem Ideal gab. Ananias und Saphira sagten, sie hätten ihr ganzes Vermögen veräußert und brächten jetzt den Erlös den Aposteln. In Wirklichkeit hatten sie nur einen Teil veräußert. Die Strafe trat auf der Stelle ein, sie fielen tot vor Petrus nieder.

Eigentum verpflichtet. Wir dürfen Eigentum erwerben. Wir dürfen auch mehr Eigentum erwerben, als für den Tag oder auch für unser individuelles Leben oder auch für die Familie notwendig ist. Eine Grenze läßt sich nicht leicht ziehen. Die Kirche hat den Reichtum nie verworfen, sie hat nur auf die Gefahren des Reichtums hingewiesen, auf Mammonsdienst, Habsucht, Eigennutz, Geiz. Die Gefahren des Reichtums sind freilich sehr deutlich, aber die Gefahren der Armut sind nicht geringer, Begehrlichkeit, Neigung zur Rebellion, Gemeinheit und Niederträchtigkeit. Auch die erzwungene Arbeit birgt Gefahren in sich. Der Reichtum gibt die Möglichkeit, Gutes zu tun, freigebig zu sein, generös, großzügig zu sein. Deswegen hat zum Beispiel der heilige Thomas von Aquin immer den Wert des Reichtums herausgestellt, freilich eines Reichtums, der in sittlichem Sinne verwaltet wird.

Der große christliche rheinische Industrielle August Thyssen hat einmal gegen Ende seines Lebens über seine Arbeit und sein Bemühen geschrieben. In dieser Äußerung heißt es etwa so: „Man wird mich ja zu den Kapitalisten rechnen. Aber ich habe mehr Sorgen und mehr Kämpfe mitgemacht als der letzte meiner Arbeiter in meinen großen Werken. Ich habe so viele schlaflose Nächte gehabt wegen meines Vermögens und wegen der Zukunft meiner Werke wie kaum einer meiner Angestellten.“ Das ist der Preis, den durch eigene Kraft und das Wirken anderer reich gewordene Menschen zu zahlen haben. Der Reichtum fordert auch seinen Preis. „Wir bauen hier so feste und sind nur arme Gäste. Und wo wir sollen ewig sein, da bauen wir so wenig ein“, heißt ein schöner Spruch katholischer Volkstheologie. Er will daran erinnern, daß wir eigentlich nur Verwalter sind. Wir sind Verwalter dessen, was wir erworben haben, weil der Obereigentümer Gott ist. Und der Obereigentümer fordert aus unseren Händen alles zurück, spätestens in der Stunde des Todes. Das Totenhemd hat keine Taschen. So verstehen wir die Mahnung des Apostels, zu kaufen, als ob man nicht kaufte, zu besitzen, als ob man nicht besäße.

An der italienischen Riviera ist in einem schönen Park ein Landhaus gelegen, das sicher schon viele Neider gefunden hat ob seiner herrlichen Lage und Ausstattung. Aber der Eigentümer dieses Landhauses war sich der Vergänglichkeit seines Besitzes bewußt. Er hat nämlich auf die Stirnseite seines Hauses geschrieben: „Linquenda“ – das heißt zu deutsch: Das muß einmal verlassen werden, das bleibt hier. Linquenda – das steht über all unserem Besitz, das steht über all unserem Eigentum und erinnert uns daran, daß wir uns Freunde mit dem ungerechten Mammon machen sollen.

Amen.

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