31. Mai 1992
Die Unmäßigkeit als Wurzelsünde
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Am 19. November 1942 brach die russische Offensive gegen die 6. deutsche Armee los. Am 21. November traf sich der südliche Stoßkeil mit dem nördlichen, die 6. Armee war eingeschlossen. Der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, versicherte dem Staatschef, die Luftwaffe werde die 6. Armee versorgen. Jedermann in seiner Umgebung wußte, daß das ein unhaltbares Versprechen war. Jedermann war entsetzt über dieses unhaltbare Versprechen. Aber wie kam der Oberbefehlshaber der Luftwaffe dazu, ein solches unhaltbares Versprechen zu geben? Er war ein Morphinist, er nahm also regelmäßig Morphium, und das versetzt den Menschen in eine gesteigerte Stimmung, in der er die Realitäten, die Wirklichkeit, nicht mehr voll in den Blick nimmt. In dieser Euphorie gab er das unhaltbare Versprechen, ein Versprechen, das unermeßliche Auswirkungen hatte, denn die 6. Armee wurde, wie wir wissen, völlig vernichtet. Von den etwa 280.000 Mann kamen noch 90.000 in Gefangenschaft, und derer, die aus der Gefangenschaft zurückkehrten, waren nur 6.000 Mann.
Dieses Beispiel, meine lieben Freunde, zeigt, eine wie gefährliche Sünde, eine wie gefährliche Wurzelsünde die Unmäßigkeit ist, die Unmäßigkeit, die das Mittel zum Zweck macht, die den Menschen seiner Verstandeskraft beraubt, die seine Gesundheit schädigt, die sein körperliches und seelisches Leben zerrüttet und furchtbare Auswirkungen für die Gesellschaft, ja, wie das Beispiel zeigt, für eine ganze Armee und ein ganzes Volk hat.
Die Unmäßigkeit tritt in vielfacher Gestalt auf. Es gibt die Unmäßigkeit im Essen. Wir wissen, daß übermäßiges Essen Schäden geistiger und körperlicher Art nach sich zieht. Denn ein Mensch, der seinen Genuß ins Essen verlegt, wird leicht für jedes höhere geistige Leben blind. Er versinkt im Materiellen. Die körperlichen Schäden des übermäßigen Essens sind offensichtlich. Viele unserer Zivilisationskrankheiten wie Rheuma, Gicht und Krebs sind auf falsche Eßgewohnheiten zurückzuführen.
Noch schlimmer ist das übermäßige Trinken. Alkoholische Getränke sind eine große Gefahr. Man hat vor einiger Zeit an 32.837 Gefangenen in 120 deutschen Gefängnissen eine Untersuchung angestellt. Dabei ergab es sich, daß bei Mord 46%, bei Totschlag 63%, bei schwerer Körperverletzung 74%, bei leichter Körperverletzung 63%, bei Widerstand gegen die Staatsgewalt 76%, bei Hausfriedensbruch 54%, bei Verbrechen gegen die Sittlichkeit 77% der Straftaten dem Alkohol zur Last zu legen waren. Es gibt die Volltrunkenheit, es gibt aber auch die unvollständige Trunkenheit. Die Volltrunkenheit beraubt den Menschen der Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Die Volltrunkenheit ist immer schwere Sünde. Die unvollständige Trunkenheit birgt auch ihre Gefahren in sich. Wir wissen, wie der Alkohol die Zunge löst, wie der Mensch geschwätzig wird, verwerfliche Unterhaltungen führt, ungehöriges Betragen an den Tag legt. Die Folgen der Trunksucht sind sowohl für das Individuum wie für die Gesellschaft verheerend. Der einzelne verliert allmählich seine Kontrolle, zerrüttet sein seelisches und körperliches Leben. Ich besuchte einmal vor einiger Zeit in Budenheim eine alte Mutter, die mit ihrem Sohn zusammenlebte. Der Sohn war mit 46 Jahren in Rente geschickt worden wegen unheilbarer Trunksucht. Er saß am Tisch, hatte ein Schnapsflasche vor sich und sagte zu mir: „Ich brauche nur einen Bestatter.“ Auch die sozialen Folgen sind verheerend. Das Familienleben wird zerrüttet, der Friede der Familie gestört, die Kindererziehung leidet, die materielle Grundlage des Familienlebens wird vergeudet, die Grundlage für die Armut gelegt. In die Trunksucht, meine lieben Freunde, kann man verhältnismäßig leicht hineinkommen. Es beginnt mit ganz harmlosen Dingen, und die Dosen steigern sich, bis man ein Alkoholkranker geworden ist. Im vorigen Jahre traf ich einen Priester, der ein halbes Jahr in einer Heilanstalt gewesen war. Er hatte, wie er sagte, täglich, um 17 Uhr beginnend, eine ganze Flasche hochprozentigen Alkohols ausgetrunken. Er mußte in einem mühsamen Verfahren in der Heilanstalt von diesem Laster befreit werden.
Leichtbetrunkenheit bringt auch große Schäden für die Gemeinschaft mit sich. Wir wissen, wie viele Verkehrsunfälle dadurch verschuldet werden. Deswegen, meine lieben Freunde, kann auch die unvollständige Trunkenheit schwere Sünde sein, weil sie eben die Fesseln löst, die heilsamen Fesseln, weil sie den Menschen entfesselt und weil sie Gefahren besonderer Art herbeiführt. Im Alten Testament ist die Warnung vor Eßlust und Trinklust deutlich ausgesprochen. „Mein Sohn, prüfe dich hinsichtlich deiner Lebensweise und sieh zu, was dir schädlich ist, und gestatte es dir nicht! Denn nicht alles ist allen zuträglich, nicht jeder Natur sagt alles zu. Sei bei keinem Genuß unmäßig und stürze dich nicht gierig auf leckere Speisen, denn im vielen Essen nistet Krankheit, und die Unmäßigkeit führt zum Erbrechen. Durch Unmäßigkeit sind schon viele zugrunde gegangen.“ Von der berauschenden Wirkung des Weines hat die Heilige Schrift erschütternde Beispiele aufbewahrt. Lot war ein rechtschaffener Mann. Er verließ das sündhafte Sodom, um nicht in die Laster dieser Bewohner hineingezogen zu werden. Lot zog von Segor hinauf und ließ sich mit seinen Töchtern im Gebirge nieder. Er wohnte mit seinen beiden Töchtern in einer Höhle. Da sagte die ältere zu der jüngeren: „Unser Vater ist alt, und es gibt keinen Mann mehr im Lande, der Umgang mit uns haben möchte, wie es in aller Welt Brauch ist. Komm, wir wollen unserem Vater Wein zu trinken geben und uns zu ihm legen, damit wir durch unseren Vater Kinder bekommen.“ Sie gaben ihrem Vater in jener Nacht Wein zu trinken. Dann ging die Ältere hin und legte sich zu ihrem Vater. Er aber merkte nicht, wie sie sich hinlegte, noch wie sie aufstand. Am anderen Morgen sagte die Ältere zu der Jüngeren: „Sieh, ich lag heute nacht bei meinem Vater. Wir wollen ihm auch diese Nacht Wein zu trinken geben, dann geh hinein und lege du dich zu ihm, damit wir durch unseren Vater Kinder bekommen.“ Die zweite Tochter verfuhr wie die erste. Auch hier also Inzest, Blutschande, unter dem Einfluß des Alkohols.
Verheerend können auch die Folgen von Nikotin sein. Man kann zum Sklaven der Zigarette werden, und der Nikotinmißbrauch ist auch für die körperliche Gesundheit von großer Gefahr. Es kam einmal vor einiger Zeit ein Kettenraucher zu einem Arzt, zu einem Arzt, der auch mit Naturheilmethoden behandelte. Der Arzt legte diesem Kettenraucher Blutegel an, dreimal einen Blutegel. Dreimal fiel der Blutegel ab und starb. Er hatte sich vergiftet am Nikotin im Blute dieses Mannes. Das zeigt, wie die Leidenschaft zur Abhängigkeit führt und die Abhängigkeit zum Schaden. Wir Nichtraucher, sagt man, haben leicht reden. Gewiß, meine lieben Freunde, aber es ist möglich, die Neigung zu überwinden; ich habe es erlebt, wie einer meiner Kollegen, der einen Herzinfarkt erlitt und der vorher ein starker Raucher war, nach diesem Herzinfarkt nicht mehr eine einzige Zigarette angerührt hat. Über Nacht hatte er die Kraft aufgebracht, dieser Leidenschaft zu entsagen.
Eine furchtbare Gefahr hat sich erst seit ungefähr 30 Jahren erhoben, das sind die Rauschgifte. Man wußte auch früher um die Wirkung der Drogen, und man hat sie auch früher angewendet, etwa bei Narkosen zur Linderung von großen Schmerzen. Dieser Gebrauch ist erlaubt. Aber seit den 60er Jahren hat sich der Drogenmißbrauch ausgebreitet. Vor allem Jugendliche, die keinen inneren Halt mehr haben, die innerlich leer und unausgefüllt sind, die nach schönen Stimmungen und erhöhter Lebensqualität streben, greifen zu Drogen wie Haschisch und Heroin; die Dosen werden immer stärker. Sie verlieren immer mehr die Kontrolle über sich selbst und schließlich sind sie in einer Weise abhängig, daß sie als unheilbar Kranke angesehen werden. Der Weg zurück ist von verzweifelter Schwierigkeit. Es ist ganz selten einmal gelungen, einen, der auf diese abschüssige Straße sich begeben hat, zurückzuholen. Es sind verschiedene Gründe, die zu diesem Laster führen, Verlust der Religion, die permissive Gesellschaft, in der alles erlaubt ist, Verharmlosung der Drogen, aber auch Konformitätsdruck. Die anderen machen es, dann will ich es auch machen, ich will es probieren, Neugier, die dabei mitspielt. Unser Volk, meine lieben Freunde, verliert jedes Jahr Milliarden über Milliarden durch Mißbrauch von Getränken, von Nikotin, von Drogen.
Viel schlimmer als der materielle Schaden ist der ideelle Schaden, daß Menschen, wertvolle Menschen, sich dadurch zugrunde richten, der Gesellschaft verloren gehen und in ihrer Familie Trostlosigkeit und Jammer bereiten.
Wir wollen uns zusammenfinden, um gegen den Drogenmißbrauch, gegen Unmäßigkeit im Essen und Trinken, gegen Nikotinmißbrauch aufzustehen. Es gibt viele Gründe, die uns in diesem Kampfe zur Seite stehen. Der berühmte Erfinder Edison sagte einmal: „Ich trinke keinen Alkohol. Alkohol trinken bedeutet soviel wie Sand ins Getriebe einer Maschine werfen. Das zerstört die Maschine.“ Wir können darauf hinweisen, daß die Beherrschung möglich ist. Es ist für manchen leichter, total abstinent zu sein, als nur mäßig mit alkoholischen Getränken umzugehen. Vor allem der Alkoholkranke darf überhaupt keinen Tropfen Alkohol mehr trinken. Wir können hinweisen auf die Festigung des Willens, die notwendig ist. Denn der Wille ist eben ausschlaggebend, ob ich mich den mißbräuchlichen Praktiken ausliefere oder nicht. Wir müssen gegen die Trinksitten angehen, die andere verführen. Wein, Weib, Gesang wird ja angepriesen, wurde sogar von Luther empfohlen. Wir müssen uns gegen diese verführerischen Parolen wehren, in unserem Leben ein Beispiel der Einfachheit, der Bedürfnislosigkeit, der Anspruchslosigkeit geben, den Menschen die Folgen klarmachen, die schlechte Angewohnheiten haben und selbstverständlich durch eifriges Gebet für die mit diesen Lastern behafteten Menschen ihnen die göttliche Gnade erbitten, daß sie Herr werden über diese Leidenschaften. Denn die Unmäßigkeit ist eine Wurzelsünde. Aus ihrer vergifteten Wurzel steigen viele andere Verfehlungen auf. Wir wollen uns bemühen, sie bei uns und bei anderen zu bekämpfen, ja auszurotten.
Amen.