Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. November 1991

Die Eigenschaften des Gebetes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Dieser Tage wurde ich angerufen von einem Professor der Mathematik an der Universität Münster. Dieser Kollege berichtete mir von einem Erlebnis, das er jüngst gehabt habe. Es erschien aus dem Lehrkörper der Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt der Jesuitenpater Knauer in Münster und verkündete den erstaunten Zuhörern, daß das Gebet nur psychologische Wirkung habe, also eine Selbstberuhigung des Menschen sei, aber ohne jeden Einfluß auf Gottes Wirken und Gottes Handeln. Eine solche Meinung ist von der Kirche stets und von Anfang an als eine Irrlehre bezeichnet worden. Die Kirche hat immer an der Notwendigkeit und an der Wirksamkeit des Gebetes festgehalten. Sie hat die Notwendigkeit des Gebetes begründet mit unserer Geschöpflichkeit. Ein Geschöpf muß sich dem Schöpfer unterwerfen, und die Unterwerfung geschieht im Gebet, sowohl im Lob- und Dank- als auch im Bittgebet.

Das Gebet ist geheiligt durch das Vorbild Christi. Wir wissen von ihm, daß er gebetet hat, ja daß er eine ganze Nacht – und wahrscheinlich nicht die einzige Nacht – im Gebete ausgeharrt hat. Wir wissen von seinem Beten im Ölgarten und von seinen Sterbegebeten am Kreuze. Dieses hehre Vorbild zeigt uns die Notwendigkeit zu beten. Die Kirche und ihre großen Lehrer sind nicht müde geworden, Nutzen, Wert und Notwendigkeit des Gebetes hervorzuheben. „Wer nicht betet, sagt der Kirchenlehrer Petrus Chrysologus, „der geht geradewegs in die Versuchung.“ Das Gebet ist von Gott nicht bloß gewünscht, sondern vorgeschrieben. Wir haben die Pflicht zu beten. Diese Pflicht drängt oft im Leben. Es darf kein Tag vorübergehen ohne Gebet, denn jeder Tag muß Gott geweiht sein; am Anfang des Tages müssen wir beten, daß wir ihn vor Gottes Angesicht verbringen können, und am Abend müssen wir Dank sagen für das, was Gott uns gewährt hat, und ihn um Verzeihung bitten für unsere Fehler, Schwächen, Nachlässigkeiten. Das Gebet ist vor allem notwendig in Versuchung. Versuchungen sind nur zu überwinden durch das Gebet. Wir brauchen das Gebet so notwendig wie das Atmen; das Gebet ist der Atem der Seele.

Die Wirksamkeit des Gebetes ist nicht eine bloß psychologische, wie der Pater Knauer meint, sondern die Wirksamkeit des Gebetes ist eine echte, erhörende bei Gott. Durch das Gebet werden die Hindernisse in unserer Seele beseitigt, die der Erhörung entgegenstehen. Durch das Gebet wird der Wille des Gebers alles Guten uns erschlossen. Durch das Gebet wird die Bedingung erfüllt, die Gott gesetzt hat, um uns etwas zu schenken. Gott will eben Zweitursachen – und  im Gebet werden wir Zweitursachen –, an seinem Wirken beteiligen. Er will uns bestimmte Dinge nur geben, wenn wir beten, und er gibt sie uns nicht ohne Gebet. Deswegen ist das Gebet von einer echten göttlichen Wirksamkeit. Nicht als ob Gott umgestimmt würde, nicht als ob sein ewiger Plan abgeändert würde, das natürlich nicht. Aber in seinem ewigen Plan, in seinem heiligen Willen ist unser Gebet von Ewigkeit her einbezogen. Gott hat unsere Gebete vorausgesehen und danach den Weltenplan bestimmt.

Wir haben also allen Anlaß,  meine lieben Freunde, zu beten und nicht aufzuhören zu beten. Vor allem das große Gut der Beharrlichkeit, der Beharrlichkeit im Guten wird uns von Gott nur gegeben, wenn wir beten. Die Anfangsgnade gibt er uns ohne Gebet, aber um im Guten fortzuschreiten, um im Guten zu verharren, bedarf es des Gebetes. Freilich muß es ein rechtes Gebet sein. Macht es nicht wie die Heiden, die da plappern und meinen, wenn sie viele Worte machen, dann würden sie erhört. „Deus non vocis, sed cordis auditor“, sagt der heilige Cyprian – Gott hört nicht auf die Worte, sondern auf das Herz.

Und da sind wir gleich bei der ersten Eigenschaft, die ein gutes Gebet haben muß: Es muß Devotion besitzen. Was heißt dieses lateinische Wort Devotion? Es ist nicht richtig übersetzt, wenn man sagt: Andacht. Nein, Devotion ist mehr; Devotion bedeutet Hingabe. Da steckt das Wort vovere (weihen) darin. Also wer Devotion hat, der hat sich Gott geweiht, der hat sich Gott übergeben. Devotion ist die erste Eigenschaft des Gebetes, deutsch am besten zu übersetzen mit Hingabe. Die Hingabe ist der dauernde auf Gott gerichtete Wille. Sie ist die demütige Bereitschaft, Gott als den höchsten Herrn zu ehren und sich ihm zu übergeben. Diese Eigenschaft ist die grundlegende, die bei keinem Gebet fehlen darf. Irdischer Sinn, Nachlässigkeit, Gottvergessenheit können zu Gebeten veranlassen, in denen die Devotion fehlt. Solche Gebete sind wertlos. Deus non vocis, sed cordis auditor – Gott hört nicht auf die Worte, sondern auf das Herz. Das Herz spricht zu ihm.

Zweitens soll das Gebet aufmerksam sein. Attentio ist das lateinische Wort dafür; das heißt, wir sollen unseren Geist hinlenken auf Gott und ablenken von anderen Dingen. „Wer mit Gott sich will befassen, muß die Welt heraußen lassen“, so haben wir als Kinder gelernt, und das ist richtig. Man kann nicht zwei Herren dienen, auch nicht im Gebet. Deswegen muß das Gebet aufmerksam sein. Der heilige Thomas unterscheidet drei Arten der Aufmerksamkeit: auf die Worte, auf den Sinn und auf das Ziel des Gebetes. Die Aufmerksamkeit auf die Worte nimmt jedes einzelne Wort gewissermaßen auf die Zunge und läßt es darauf zergehen. Meinetwegen „Vater unser“. Schon da kann man lange verharren und muß nicht gleich weitereilen. Die Aufmerksamkeit auf den Sinn ist die Achtung auf den Zusammenhang der Worte, auf die Sätze. „Der du bist in deinem Himmel.“ Da ist die souveräne Macht Gottes ausgedrückt, er ist ein anderer Vater als der irdische Vater. Und schließlich die Aufmerksamkeit auf das Ziel ist die Absicht, die man mit dem Gebet verfolgt: um Gott zu ehren, zu preisen, zu loben, zu danken, Genugtuung zu leisten, zu sühnen, zu bitten. Das ist das Ziel des Gebetes.

Die dritte Eigenschaft des Gebetes: Es muß vertrauensvoll sein. Wir wissen, daß Gott der Gott der Güte und der Macht ist. Er kann helfen, und er will helfen, und deswegen müssen wir Vertrauen auf ihn haben. Wir müssen Zuversicht haben, daß unser Gebet erhört wird. Wenn wir schon zweifeln, ob Gott überhaupt will, dann ist das Gebet nicht vertrauensvoll. Seine Weisheit wird wissen, wie das Gebet zu erhören ist, aber wir müssen das Vertrauen haben, daß er uns erhören kann und daß er uns erhören will.

Das Gebet muß gottergeben sein. Das ist die vierte Eigenschaft. Das heißt, wir müssen es ihm überlassen, wie und wann er unser Gebet erhört. Er ist der gute Arzt, er weiß, was uns nottut und was uns Heil bringt. Wir müssen ergeben sein im Gebete. Gott läßt sich nicht zwingen.

Fünftens, unser Gebet muß beharrlich sein. Wenn wir nicht gleich erhört werden, müssen wir Geduld haben. Gott weiß, wann unser Herz so beschaffen ist, daß es die Erhörung annehmen kann. Er weiß, wann die Stunde schlägt. Gottes Zeiger geht anders als der Zeiger unserer Uhr. Wir müssen also beharrlich beten, d. h. im Gebet ausharren.

Sechstens, unser Gebet muß wohlgeordnet sein. Das heißt, wir dürfen nicht die unwichtigen Dinge vor den wichtigen begehren. Wir müssen zuerst nach dem Himmelreich streben, und dann wird uns alles andere hinzugegeben werden, wie der Herr sagt. Also nicht das Irdische dem Himmlischen voranstellen, die Ordnung im Gebet bewahren, die große Ordnung, wie sie von Gott festgesetzt ist.

Und schließlich siebtens, das Gebet muß demütig sein. Das heißt, wir müssen uns unserer Unwürdigkeit bewußt sein. Wir müssen uns darüber klar sein, daß der Herr in seiner souveränen Macht unser Leben, unser Denken und unser Reden bestimmt und daß wir, wenn wir alles getan haben, was wir können, immer noch sagen müssen: Wir sind unwürdige Knechte. Was wir getan haben, das war unsere Pflicht, wir haben keinen Anspruch, du bist der Herr in souveräner Herrlichkeit.

Das also sind die Eigenschaften des Gebetes. Nun beten wir in doppelter Richtung,  meine lieben Freunde. Wir kennen die Anbetung und die Verehrung. Angebetet wird Gott und nur Gott. Die Anbetung ist in äußeren Formen dargebrachte Unterwerfung unter Gott. Als Gott ist hier zu bezeichnen die Dreifaltigkeit, jede einzelne Person, Christus, Christus auch in den eucharistischen Gestalten. Deswegen treiben wir nicht, wie die Protestanten angesichts des Katholikentages in München schrieben, Brotanbetung. Wir beten unseren Herrn im Sakrament an. Anbetung geziemt nur Gott. Verehrung geziemt den Heiligen, denen, die vollendet sind. Sie stehen in Beziehung zu Gott, und wegen dieser Beziehung sind sie verehrungswürdig. Es würde unserer Anbetung Gottes etwas fehlen, wenn wir die, die mit ihm in Gemeinschaft sind und die nach seinem Willen seine Herrlichkeit teilen, von der Verehrung aussparen würden. Ich meine, es gibt eine Pflicht, die Heiligen, vor allem die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria, zu verehren. Gott hat sich in ihnen groß erwiesen, und deswegen verehren wir sie. Aber zwischen Anbetung und Verehrung ist ein nicht zu überbrückende Kluft. Wir unterwerfen uns nicht den Heiligen, wie wir uns Gott unterwerfen, wir opfern nicht den Heiligen, wie wir Gott opfern. Der Vorwurf ist alt. Schon der heilige Augustinus hat in seiner Schrift gegen Faustinus geschrieben: „Wir sagen nicht: Offerimus tibi, Petre aut Paule, wir sagen nicht: Wir opfern dir, Petrus oder Paulus.“ Nein, wir opfern Gott und Gott allein. Wir erinnern uns dabei freilich der Großtaten Gottes in seinen Heiligen. Deswegen feiern wir Messen zu Ehren der Heiligen, indem wir dabei ihrer Taten, die ja Gottes Werke sind, gedenken.

Das also,  meine lieben Freunde, ist der Sinn, sind die Eigenschaften und Wirkungen und ist die Unterscheidung im Gebet. Wir können nur von neuem jenes wunderbare Wort sprechen, das in jeder heiligen Messe laut wird: Betet, Brüder, daß mein und euer Opfer wohlgefällig werde bei Gott, dem allmächtigen Vater.

Amen.

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