Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
10. November 1991

Die öffentliche Gottesverehrung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im Büro einer Gärtnerei in Kastel habe ich an der Wand den Spruch gelesen: „Du meinst, der Jäger sei nicht fromm, weil selten er zur Kirche geht. Im grünen Wald ein Blick zum Himmel ist besser als ein falsch' Gebet.“ Dieser Spruch dient der Rechtfertigung jener, die den Gottesdienst selten oder gar nicht besuchen. Und gleichzeitig wird dabei ein schwerer Vorwurf erhoben gegen diejenigen, die den Gottesdienst besuchen, nämlich daß ihr Gebet falsch sein kann. Diese Weise zu denken ist weit verbreitet. Man kann es im Verkehr mit den Menschen, mit Arbeitskollegen immer wieder hören: Es ist gar nicht notwendig, daß man in die Kirche geht und betet; Hauptsache, man ist ein anständiger Mensch. Diese ordinäre Auffassung ist sogar von Philosophen vertreten worden. Ich erinnere etwa an den Königsberger Philosophen Immanuel Kant. Er ist als Mann – er war evangelischer Christ – niemals in eine Kirche gegangen, er hat niemals einen Gottesdienst besucht. Er hat die Kirche selbst dann nicht betreten, wenn er als Rektor der Universität hätte zu einem offiziellen Anlaß hingehen müssen. Er sah nämlich den Gottesdienst als Afterdienst Gottes an. Das einzige, was man tun könne, um die Gottheit zu Ehren, war nach seiner Meinung ein einwandfreies Leben.

Gegen diese Auffassung,  meine lieben Freunde, steht der Ruf, mit dem wir Priester unser Nachtgebet, unser Stundengebet in der Nacht beginnen: „Venite adoremus dominum, quoniam ipse fecit nos“ – Kommt, lasset uns den Herrn anbeten, denn er hat uns geschaffen. In dieser kurzen Form ist die Aufforderung enthalten, zur Anbetung Gottes anzutreten, und gleichzeitig die Begründung geliefert, warum wir ihn anbeten sollen, dürfen und müssen, nämlich er hat uns geschaffen. Das Geschaffensein ist der Grund dafür, warum wir Gott anbeten, denn er ist unser Herr, und dieses Herrsein muß vom Menschen anerkannt werden. Wenn er dieses Herrsein nicht anerkennt im Gebet, in der Anbetung, im Opfer, dann verfehlt er sich gegen seine Natur, dann tut er so, als ob er nicht abhängig wäre, während er doch in Wirklichkeit abhängig ist. Gott ist der Schöpfer, und das Geschöpf hat die heilige Pflicht, den Schöpfer als seinen Herrn anzubeten, ihm zu danken, ihn zu bitten und ihn zu loben. Venite adoremus dominum – Kommt, laßt uns den Herrn anbeten, quoniam ipse fecit nos – denn er hat uns geschaffen.

Nun könnte einer sagen: Diese Anbetung des Herrn, die kann ich im stillen Kämmerlein, in meiner Brust halten, indem ich meine Gedanken zu Gott erhebe. Und tatsächlich gibt es das stille Gebet, von dem niemand etwas merkt, gibt es das Sich-Ausrichten auf Gott im Herzen, ohne daß irgendwelche körperlichen Zeichen davon sichtbar werden. Die Innerlichkeit ist ja die Seele des Gebetes. Ein Gebet, das nicht innerlich wäre, das nicht im Herzen sich vollzöge, ein solches Gebet wäre wertlos. Aber es genügt nicht, das innere Gebet. Das Gebet muß sich auch nach außen bekunden. Der Mensch ist Geist und Fleisch, er hat eine Seele und einen Körper, und deswegen muß, was im Geiste sich vollzieht, im Körper sich ausdrücken. Das Gebet muß sichtbar und hörbar sein, etwa indem man laut betet, mit dem Munde, oder indem man Gesten des Gebetes setzt wie die Kniebeuge oder die Verneigung oder das Kreuzzeichen. Ist es genug, wenn man auch äußerlich  das Gebet mit diesen Gesten und Worten bezeugt? Nein, es ist immer noch nicht genug. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen, also ein Gemeinschaftswesen. Er muß das, was er im einzelnen fühlt, auch in der Gemeinschaft vollziehen, denn die Gemeinschaft ist ebenfalls von Gott geschaffen, eine Familie, eine Gesellschaft, ein Ort, ein Volk, und so muß auch diese Gemeinschaft vor Gott knien und Gott anbeten. Deswegen gibt es eine Pflicht zum gemeinsamen Gottesdienst.

Dieser gemeinsame Gottesdienst wiederum darf sich nicht bloß hinter verschlossenen Türen vollziehen, er muß in die Öffentlichkeit treten, denn es ist kein Geheimnis, daß Gott die Welt geschaffen hat, sondern es ist eine offenkundige Tatsache. Deswegen muß die Kirche verlangen, daß sie ihren Gottesdienst in der Öffentlichkeit feiern kann, sei es, daß die Kirche, das Kirchengebäude, allgemein zugänglich ist, sei es, daß sie in Prozessionen und Wallfahrten hinauszieht auf die Fluren und durch die Straßen, um so in der Öffentlichkeit zu bezeugen: Kommt, laßt uns den Herrn anbeten, denn er hat uns geschaffen.

„Hauptsache, daß man ein anständiger Mensch ist.“ So sagen die Kirchenfremden und Kirchenfeinde. Doch woher weiß man denn, was anständig ist, wenn man nicht in die Kirche geht? In der Kirche wird einem ja gesagt, was Anstand ist, was Anständigkeit ist. In der Kirche wird in der Verkündigung der Wille Gottes kundgetan, da werden die Gebote gepredigt. Man kann sich doch nicht selbst zurechtmachen einen Begriff von Anständigkeit, sondern muß den übernehmen, den Gott hat. Und diesen Begriff von Anständigkeit verkündet die Kirche. Wer also nie in die Kirche geht, wer nie eine Predigt hört, ist in der größten Gefahr, sich einen falschen, verzerrten Begriff von Anständigkeit zu machen.

Im Jahre 1943 hielt der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, in Posen eine große Rede vor SS-Leuten. In dieser Rede sagte er ungefähr so: „Wir alle wissen, was es bedeutet, wenn da tausend und zehntausend Erschossene liegen. Aber dabei anständig geblieben zu sein, das ist unsere Ehre.“ Nach Himmler konnte man also anständig bleiben, auch wenn man Tausende oder Zehntausende von wehrlosen Menschen umbrachte. Er hatte sich einen Begriff von Anständigkeit zurechtgelegt, der mit dem Massenmord vereinbar ist. An diesem extremen Beispiel sieht man, wie gefährlich es ist, sich auf die eigene Vorstellung von Anständigkeit zu verlassen, auf die Kirche und ihre Verkündigung zu verzichten. Die Kirche hat die Pflicht zur Anbetung in das Sonntagsgebot gefaßt: „Du sollst an jedem Sonntag eine heilige Messe andächtig mitfeiern.“ Und das ist richtig so, darin spricht sich der Wille Gottes aus. Es gibt einen Tag des Herrn, und an diesem Tag des Herrn können wir nicht ohne das Opfer sein; wir müssen dem Einladungsruf Folge leisten: Kommt, laßt uns den Herrn anbeten, denn er hat uns geschaffen.

Wir sind also,  meine lieben Freunde, auf dem rechten Wege, wenn wir treu und zuverlässig Sonntag für Sonntag unsere Schritte in die Kirche lenken, wenn wir gemeinsam und öffentlich unseren Gott und Herrn anbeten. Auch der Versuch, die Kirchenbesucher, die Gottesdienstbesucher zu diffamieren, gelingt nicht. Es gibt wohl keine Statistik, wie oft diejenigen, die als Schwerverbrecher in den Haftanstalten sitzen, in die Kirche gegangen sind. Ich fürchte, daß diese Statistik sagen würde, ihr Gottesdienstbesuch war null komma null. Wer sind denn diejenigen, welche die meisten Spenden für Arme, Kranke, Hungernde und Unterdrückte erbringen? Das sind die Kirchenbesucher, die Gottesdienstbesucher, die hier die Pflicht der Gottes- und der Nächstenliebe lernen und sie beherzigen, die jeden Sonntag ihr Scherflein in die Büchse werfen, um beizutragen nicht nur für die Gottesdienstbedürfnisse, sondern auch für Nöte in der Welt. Lassen Sie sich,  meine lieben Freunde, nicht irremachen. Wir, die wir den Gottesdienst hochschätzen, die wir den Gottesdienst mit Herz und mit Leib begehen, in Gemeinsamkeit und in Öffentlichkeit, wir sind auf dem rechten Weg. Wir erfüllen Gottes Willen. Wir wollen freilich durch diesen Gottesdienstbesuch nicht menschliches Rühmen vollbringen, sondern einfach zeigen, daß wir verstanden haben, was Gott von uns will, wollen uns bemühen, immer inniger und tiefer in den Sinn des Gottesdienstes einzudringen, wollen uns anstrengen, aus dem Gottesdienstbesuch die Kraft zu ziehen, ein Leben in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu führen. Aber eines wollen wir niemals tun, den Gottesdienst als „Afterdienst Gottes“ zu bezeichnen.

Amen.

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