Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Gebet
3. November 1991

Über Zweck und Bedeutung des Betens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die heilige Theresia hat einmal das Wort gesagt: „Ein Wesen, das nicht betet, ist entweder ein Tier oder ein Teufel.“ Das Tier kann nicht beten, und der Teufel will nicht beten. Das Gebet baut auf der Würde des vernünftigen Geschöpfes auf. Engel und Menschen dürfen beten, das ist ihre Würde und ihre Hoheit. Sie dürfen in das große Gespräch mit Gott eintreten, denn das ist das Wesen des Gebetes, „locutio ad deum“, wie Augustinus sagt, das Sprechen mit Gott, „die Erhebung des Geistes zu Gott“, wie Johannes von Damaskus das Gebet definiert.

Das Gebet geht hervor aus der Religiosität. Religiosität ist jene Tugend, die uns mit Gott verknüpft. In der Religiosität unterwerfen wir uns Gott und anerkennen ihn, und diese Unterwerfung und Anerkennung muß der Mensch aussprechen, wenn immer er seinsgerecht leben will. Er würde sich gegen seine Abhängigkeit von Gott, gegen sein Geschaffensein vergehen, wenn er Gott nicht anerkennen würde im Gebet. Auch die drei göttlichen Tugenden drängen zum Gebet, Glaube, Hoffnung und Liebe. Glaube, Hoffnung und Liebe wirken sich aus im Gebet; denn das Gebet stammt aus dem Glauben, ist ein Element unserer Hoffnung und wächst aus Wurzel der Liebe empor.

Wir unterscheiden drei Arten des Gebetes, nämlich das Lobgebet, das Dankgebet und das Bittgebet. An erster Stelle steht und muß stehen das Lobgebet. Wir müssen Gott loben, nicht als ob er auf das Lob angewiesen wäre, das ist eine irrige Vorstellung, aber wir sind darauf angewiesen, daß wir Gott loben. Wir müssen das aussprechen, was die Wirklichkeit ist, nämlich daß Gott der allmächtige Herr Himmels und der Erde ist, daß wir alles ihm verdanken. Das muß der Mensch aussprechen, deswegen ist ein Muster des Lobgebetes in jeder heiligen Messe enthalten, nämlich das Gloria. Das Gloria ist das Lobgebet, von dem wir lernen können, wie wir Gott loben sollen.

Mit dem Lob muß sich der Dank verbinden, der Dank für die Wohltaten, die wir von Gott empfangen. Wir haben das Leben von ihm und alles, was zum Leben dient. Wir empfangen seine Gnade, die Vergebung der Sünden. Dafür müssen wir ihm danken. Auch hier hat die Kirche in ihrer Weisheit uns ein Mustergebet bereitgestellt, nämlich die Präfation. Die Präfation in der heiligen Messe ist das Muster eines Dankgebetes. Da wird mit vier Adjektiven geschildert, daß es würdig und recht, billig und heilsam ist, Gott zu danken immer und überall. Und da wird ein Grund des Dankes genannt, nämlich zum Beispiel zu Weihnachten, daß Gott uns seinen Sohn geschickt hat, oder zu Ostern, daß er ihn durch Kreuz und Leid in die Auferstehungsherrlichkeit geführt hat, oder zu Pfingsten, daß er seinen Geist über uns ausgegossen hat. Das alles sind Gegenstände des Dankes.

Und schließlich das Bittgebet. Auch das Bittgebet ehrt Gott, denn wir nehmen ihn darin ernst als den, von dem wir etwas erbitten dürfen. Wir nehmen ihn ernst als den, der seine Gaben uns zukommen läßt. Das Bittgebet dient nicht dazu, unsere Bedürfnisse Gott bekannt zu machen, die kennt er ja, sondern das Bittgebet dient dazu, unsere Seele auf Gott zu richten als den, von dem jede Gabe kommt und der in seiner Weisheit schon vorausbestimmt hat, daß er bestimmte Gaben nur geben will, wenn sie erbeten werden. Wenn also ein Jesuitenpater aus Frankfurt in Münster erscheint und sagt, das Gebet habe nur psychologische Wirkung, dann ist er auf dem Holzweg. Gott hat in seiner Weisheit bestimmt, daß wir beten sollen, und er hat seine Erhörung an unser Gebet geknüpft. Unser Gebet ist die Voraussetzung für seine Erhörung. Also nicht eine psychologische Beruhigung ist der Zweck des Bittgebetes, sondern die Erlangung dessen, worum wir beten.

Worum beten wir denn? Was ist denn der Gegenstand unseres Bittgebetes? Wir dürfen um alles beten, was wir ersehnen dürfen. Was wir mit Recht nach Gottes Willen ersehnen dürfen, darum dürfen wir auch bitten. Natürlich steht an erster und oberster Stelle unsere ewige Seligkeit. Das ist ja das Ziel, dem wir zustreben, ein Ziel, das jede andere Absicht überragt. Und deswegen müssen wir zuerst und zuoberst um die ewige Seligkeit bitten, daß uns Gott in seinen Himmel aufnimmt. Daneben aber dürfen wir um alles andere bitten, was diesem Ziel jedenfalls nicht entgegensteht. Wir dürfen auch um irdische, um zeitliche Dinge bitten. Und auch darin ehren wir Gott, denn wir tun kund, daß nicht bloß die Naturgesetze uns die Früchte des Feldes bescheren, sondern der gnädige Wille Gottes.

Wir dürfen und sollen auch für andere beten. Die Liebe verpflichtet uns zum Gebet für unsere Nächsten, zumal für die, welche uns anvertraut sind, unsere Familienangehörigen, unsere Freunde und Nachbarn, die Mitglieder unserer Gemeinde, das sind die ersten Personen, für die wir beten sollen, wenn es um den Nächsten geht. Aber darüber hinaus dürfen wir auch die Menschen in der Ferne nicht vergessen. Wie sagt Pius XII. in seiner Enzyklika „Mediator Dei“: „Das Heil vieler Menschen hängt von der Buße und dem Gebet der Gläubigen ab.“ Das Heil vieler Menschen hängt von der Buße und dem Gebet der Gläubigen ab. Welche Verantwortung haben wir also in unserem Gebet! Wir sollen auch beten für die Verstorbenen. Das Konzil von Trient hat es lichtvoll hervorgehoben, daß wir verpflichtet sind, für die Verstorbenen zu beten. Wir haben das Glück, ihnen mit unseren Gebeten Hilfe bringen zu können. Welche Freude ist es, daß wir selbst denen, die abgeschieden sind, mit unserem Gebet noch zu Hilfe kommen können!

Das Gebet hat eine dreifache Wirksamkeit. Die erste ist Genugtuung. Das Gebet hat genugtuende Wirksamkeit, d. h. es dient dazu, Vergangenes wiedergutzumachen, Schaden, den wir angerichtet haben, zu beseitigen, von Gott Nachlaß unserer Sünden zu erhalten. Das Gebet hat genugtuende Wirkung, weil wir uns darin selbst überwinden und vergeben. Das Gebet hat zweitens verdienstliche Wirkung. Es bringt uns Verdienste. Wir verdienen uns damit Gnaden. Jawohl, es gibt ein wirkliches Verdienst. In der Gnade Gottes will Gott, daß wir uns Gnaden verdienen. Das Gebet hat schließlich auch erlangende Wirkungen, so übersetzt sich das Wort impretatorisch. Das heißt, das Gebet ist auf Erhörung aus, ist auf Erhörung gerichtet. Und Gott hört auf die Gebete; der Herr erhört sie.

Freilich ist die Erhörung an Bedingungen geknüpft. Der Herr hat uns aufgefordert, zu beten und zu vertrauen, daß wir erhört werden, aber er hat gesagt, wir müssen in seinem Sinne beten, wenn wir erhört werden wollen. Was heißt denn das, im Sinne Jesu beten? Das bedeutet, daß wir in der Vereinigung mit ihm, in seinem Namen und in seiner Gesinnung beten, das heißt so, wie er die Wirklichkeit sieht und will, daß die Menschen von Gott Gaben erlangen. Er will eben unser Heil, unser menschliches Heil. Wenn wir also im Namen Jesu beten, dann beten wir um das Heil. Das Gebet im Namen Jesu schließt nicht aus, daß wir von leiblichem Unglück getroffen werden. Das Muster seines Gebetes hat uns ja der Herr vorgeführt am Ölberg. „Wenn es möglich ist, dann laß diesen Kelch vorübergehen. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Wir dürfen also bitten, daß uns leibliches Leid erspart bleibt, aber wir müssen gewärtig sein, daß, wenn es im Sinne Gottes ist, daß uns leibliches Leid trifft, unser Gebet in dieser Weise nicht in Erfüllung geht. Der Beter muß also bereit sein, sich dem Willen Gottes zu fügen. Jedes Gebet, das auf das Heil geht, wird erhört, wenn immer die Bedingungen von seiten des Menschen erfüllt sind. Gebete, die mit dem Heil nicht unmittelbar in Verbindung stehen, Gebete, die um Güter gehen, die nicht für das Heil notwendig sind, müssen nicht erhört werden. Es heißt nur dann im Sinne Jesu beten, wenn wir secundum rationem salutis beten, wie die Theologen sagen, wenn wir nach der Ordnung des Heiles, nach der Heilsordnung beten, die Gott für uns und unser Leben festgesetzt hat. Auch der Nächste, für den wir beten, kann die Wirkung unseres Gebetes vereiteln. Wenn er sich sperrt gegen die Gnade, wenn er sich dem Einfluß Gottes widersetzt, dann prallen die Gebete gleichsam an seinem harten Herzen ab. Gott tut das Seine, aber der Mensch hat die furchtbare Möglichkeit, sich der Gnade Gottes zu widersetzen.

Das also,  meine lieben Freunde, ist das Wesen, sind die Arten, ist der Gegenstand und die Wirksamkeit des Gebetes. Immer wieder wird versucht, die Menschen gegen das Gebet einzunehmen. Wenn Sie einmal die Tischgespräche von Adolf Hitler nachlesen, da finden Sie seinen Spott ausgegossen über die Gebete. Die Japaner und die Russen hätten im Feldzug von 1904 beide um den Sieg gebetet, aber er sei den Japanern dann doch  zugefallen. Dieser Spott geht an der Wirklichkeit völlig vorbei. Gott hat niemals verheißen, daß der Mensch mit seinen Gebeten das, was auf Erden vorgeht, in der Weise beeinflussen kann, daß der Wille des Menschen siegt, sondern immer nur der Wille Gottes, und wir haben die heilige Pflicht, unsere Gebete in der Bereitschaft an Gott zu richten, das hinzunehmen, was er in seiner Weisheit für uns bestimmt hat. „Wachet und betet“, mahnt der Herr im Ölgarten, „damit ihr nicht in Versuchung fallet. Denn das Fleisch ist schwach, aber der Geist ist willig.“

Amen.

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