Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. Januar 1991

Vom himmlischen Lohn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Himmel ist die immerwährende Verbundenheit mit dem dreipersönlichen Gott. Der Himmel ist die ewige Gottesschau. Das haben wir an den vergangenen Sonntagen erkannt. Wir müssen noch ein letztes hinzufügen: Der Himmel ist auch ein Lohn. Er ist ein Lohn für den Menschen, der auf Erden für Gott gearbeitet und gewirkt hat. Als vor einigen Jahrzehnten die Generaloberin der Mallersdorfer Schwestern in Bayern, eines Verbandes, der damals viertausend Schwestern zählte, starb, da sagte sie kurz vor ihrem Tode: „Ich fürchte mich nicht vor dem Sterben. Ich habe immer für den lieben Gott gearbeitet.“ Wohl dem, der das sagen kann! Dem ist der himmlische Lohn gewiß.

Die Heilige Schrift spricht an zahlreichen Stellen vom Lohn, der dem bereitet ist, der Gottes Willen tut. Einige Stellen will ich nennen. Im Epheserbrief heißt es: „Ihr wisset, daß jeder für das Gute, das er tut, vom Herrn seinen Lohn empfängt.“ Im Hebräerbrief: „Gott ist nicht ungerecht, daß er eure guten Werke und eure Liebe vergessen würde, die ihr um seines Namens willen gezeigt habt, indem ihr den Heiligen dientet und noch immer dient.“ Im Galaterbrief: „Was der Mensch sät, das wird er auch ernten. Wer auf sein Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten; wer auf den Geist sät, wird vom Geist das ewige Leben ernten. Laßt uns nicht müde werden, Gutes zu tun, denn wenn wir nicht ermatten, werden wir zur rechten Zeit ernten.“ Im 2. Thessalonicherbrief: „Es ist ja nur gerecht, daß Gott euren Bedrängern die Drangsal vergilt, euch, den Bedrängten aber, zusammen mit uns mit Erquickung lohnt.“ Im Matthäusevangelium, in der Bergpredigt: „Freut euch und frohlocket, euer Lohn ist groß im Himmel!“ Und an einer anderen Stelle: „Wenn ihr nur jene liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr davon?“ Zu dem reichen Jüngling sagt der Herr im Markusevangelium: „Gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gib den Erlös den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben.“ Und schließlich als letzte Stelle die trostreiche Verheißung aus der Apokalypse: „Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten nach seinen Werken.“

Der Herr und seine Jünger haben oft vom Lohn gesprochen. Man braucht sich nur eine Wortkonkordanz des Neuen Testamentes unter dem Stichwort „Misthos“ – das ist das griechische Wort für Lohn – anzusehen, dann erkennt man, an wie vielen Stellen vom Lohn die Rede ist. Das muß also dem Herrn sehr wichtig, sehr wesentlich gewesen sein, vom Lohn zu sprechen und den Lohn zu verheißen. Freilich hat er sich von der Lohnsucht der zeitgenössischen Juden abgegrenzt. Die Juden hatten auch den Lohngedanken, aber er war korrumpiert, er war entstellt, und diesen Lohngedanken der Juden wies der Herr ab. Welchen Lohn erwarteten die Juden seiner Zeit? Sie erwarteten, daß Gott mit ihnen ein Rechtsgeschäft abschließt. Das Rechtsgeschäft lautet: Gott befiehlt, ich tue, was er befiehlt, infolgedessen habe ich Anspruch auf Belohung, und zwar auf irdischen Lohn: Reichtum, Ehre, Freude. Diese Lohnvorstellung lehnt unser Heiland ab. Er will weder von einem irdischen noch von einem sinnlichen Lohn etwas wissen. Kein irdischer Lohn. Der Lohn, den er verheißt, wird im Jenseits ausgezahlt. Auf Erden haben seine Anhänger Drangsal, Verfolgung und Betrübnisse zu erwarten.

Auch im Jenseits ist der Lohn kein sinnlicher. Es werden nicht die sinnlichen Freuden, die einem auf Erden entgangen sind, ersetzt. Der Lohn des Himmels ist die Herrschaft Gottes. Daß der Mensch ganz von der Herrschaft Gottes durchwaltet wird, daß die Wahrheit und die Liebe sich in ihm durchsetzen, das ist der Lohn, den der Mensch im Jenseits zu erwarten hat. Aber diese Herrlichkeit ist tatsächlich ein gnädig gewährter Lohn. Der Mensch kann sich auf Erden die heiligmachende Gnade, das ewige Leben und die Vermehrung der Himmelsherrlichkeit verdienen. Gott hat es so eingerichtet. Da hilft kein Einspruch der sogenannten Reformatoren. Wenn es der Herr so angeordnet hat, dann müssen wir das zur Kenntnis nehmen. Und er will, daß wir uns auf Erden Verdienste sammeln, die er belohnen will. Freilich sind diese Verdienste Gnadenverdienste. Wenn Gott unsere Verdienste krönt, dann krönt er seine Gaben. Die Verdienste sind also nur möglich in der Gnade Gottes. Sie können überhaupt nur vollbracht und errungen werden, indem Gott in uns wirkt. Freilich auch, indem wir einstimmen. Der heilige Paulus drückt es einmal so aus: „Seine Gnade hat alles in mir vollbracht. Aber seine Gnade ist in mir nicht unwirksam gewesen. Ich habe mehr gearbeitet als sie alle.“ Also die Dialektik von göttlicher Gnade und von menschlichem Tun sind im Verdienst eingefangen. Gott anerkennt die menschliche Freiheit, die menschliche Bereitschaft, die menschliche Leidenschaft für seinen Dienst, indem er die Verdienste, die der Mensch sich erwirbt, im Himmel krönt. Doch um ein Verdienst zustandezubringen, meine lieben Freunde, müssen sieben Punkte zusammenkommen. Es muß sich einmal um ein sittlich gutes Werk handeln, also nicht um etwas Schlechtes oder etwas Minderwertiges. Es muß dieses sittlich gute Werk mit Freiheit geschehen, also aus eigenem Antrieb, nicht gezwungen. Es muß mit Hilfe der zuvorkommenden und mitwirkenden Gnade geschehen. In der Gnade werden die Verdienste gewirkt. Es muß das sittlich gute Werk aus einem übernatürlichen Motiv des Glaubens oder der Liebe hervorgehen. Es muß im Pilgerstande verrichtet werden. Hier können wir wirken; drüben ist die Zeit der Verdienste vorbei. Man muß bei dem Wirken des guten Werkes im Gnadenstande sein, also nicht im Zustand der Todsünde. Und schließlich ist das alles nur möglich, weil Gott sich selbst gebunden hat. In seiner souveränen Freiheit hat er bestimmt, daß er den Menschen belohnen will. Der Mensch hat keine Ansprüche, aber Gott hat ihm zugesagt aufgrund seiner Treue und Wahrhaftigkeit, daß er die guten Werke, die der Mensch in der Gnade vollbringt, lohnen wird. Also nicht eigentlich ein Rechtsgeschäft, nicht eigentlich eine Angelegenheit strenger Gerechtigkeit sind die Verdienste, sondern eine Tat des gütig schenkenden Vaters. Gott lohnt weit mehr als, wir verdient haben. Das wird deutlich in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Da sind manche, die kommen schon frühzeitig, wenn die Arbeit beginnt, um 6 Uhr. Aber es kommen auch welche später, ja es gibt solche, die kommen erst in der letzten Stunde. In der elften Stunde werden sie erst gedungen. Und dann großes Erstaunen: Alle bekommen denselben Lohn, einen Denar. Da fangen die zuerst Gekommenen an zu murren. Sie verstehen das nicht, sie haben ja länger und schwerer gearbeitet als die anderen. Aber der Herr sagt: „Blickt dein Auge neidisch, weil ich gut bin? Ich will den letzten geben, was die ersten bekommen. Du hast das Deine.“ In seiner überströmenden Güte teilt der Herr auch denen, die nur eine Stunde gearbeitet haben, den vollen Lohn zu. Die Arbeiter der letzten Stunde sind wahrscheinlich nur deswegen in das Gleichnis hineingekommen, um zu zeigen, wie überreich, wie überschwenglich der Lohn des Herrn für diese Letztgekommenen ist.

Gegen diese Lehre vom Lohn werden von protestantischer Seite Vorwürfe erhoben: Werkgerechtigkeit, Lohnsucht, Scheinheiligkeit. Diese Vorwürfe gehen völlig an der Wirklichkeit vorbei. Wer den himmlischen Lohn erwartet – denn das dürfen wir –, der ist nicht werkgerecht, der ist nicht lohnsüchtig, der ist nicht scheinheilig, sondern er tut das, was der Herr uns vorgeschrieben hat. Er hat uns geheißen, auf den Lohn zu hoffen. Der Lohn ist, wie ich sagte, die unverhüllte Herrschaft Gottes. Daß Gott, die Wahrheit und die Liebe, sich offenbart in voller Herrlichkeit, das ist der Lohn, den der Mensch zu erwarten hat. Wenn der Mensch also auf die himmlische Herrlichkeit hofft, dann hofft er auf einen Zustand, in dem Gott in unverhüllter Herrlichkeit als die personhafte Wahrheit und die personhafte Liebe sich offenbaren wird. Er hofft auf jenen Zustand, wo die Herrschaft Gottes sich in vollendeter Weise durchsetzt. Da ist nichts von Unlauterkeit, von Minderwertigkeit, sondern das ist der Zustand, in dem Gott alles in allem ist. Auf den darf, auf den muß der Mensch hoffen. Die obejektive Verherrlichung Gottes, das ist der Sinn des Himmels. Und gleichzeitig bedeutet die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, die unverhüllte Herrschaft Gottes, daß auch subjektiv der Mensch diese Herrlichkeit in sich hineinnimmt und annimmt. Der Mensch wird ganz – das ist der Zustand des Himmels! – ganz von der Herrlichkeit Gottes erfüllt. Gott spricht nicht über sein Gutsein, sondern er verwirklicht es, indem er den Menschen gut macht, von innen heraus gut, indem die Herrschaft der Liebe und der Wahrheit sich im Menschen durchsetzt. Der Mensch bejaht diese Wahrheit und diese Liebe, er betet sie in vorbehaltloser Weise an, ohne etwas zu suchen, frei von aller Selbstsucht, von aller Ichsucht. Er will nur Gott verherrlichen. Es ist gar kein Rest mehr von Selbstverfangenheit und ichsüchtiger Selbstherrlichkeit in ihm.

Gleichzeitig bedeutet der Himmel natürlich die Vollendung des Menschen. Er ist ja nicht nur die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, er ist auch die Vollendung des Menschen. Das sind zwei Seiten ein und derselben Sache. Wenn Gott sich unverhüllt offenbart, wird der Mensch vollendet. Anders kann er gar nicht vollendet werden, als indem er an der Herrlichkeit Gottes teilnimmt. Der Mensch, der auf seine Vollendung hofft, hofft auf einen Zustand, in dem Gott sich ganz und gar als die Wahrheit und die Liebe in ihm selbst durchsetzen wird. Da ist nichts von Selbstgerechtigkeit und von Lohnsucht, da ist nichts von Eigennutz und von Ichsucht, sondern da ist der Mensch ganz gelöst, von sich selbst befreit. In vorbehaltloser Weise betet er die Herrlichkeit Gottes an, und Gott gibt ihm gewissermaßen das Siegel, die Bestätigung, die Anerkennung dafür, daß er sich auf Erden hat von der Gnade ergreifen lassen, so daß er ihm jetzt die Vollendung des gnadenhaften Zustandes gewähren kann und gewähren will.

Wir dürfen also, meine lieben Freunde, auf den Himmel hoffen. Wir dürfen hoffen, daß keine Träne, die wir um Gottes willen geweint haben, unbelohnt bleibt. Wir dürfen hoffen, daß kein Becher Wasser, den wir einem Armen gereicht haben, unbelohnt bleibt. Wir dürfen hoffen, wie es die Seligpreisungen der Bergpredigt sagen: „Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig die Trauernden, sie werden getröstet werden. Selig die Sanftmütigen, sie werden das Land besitzen. Selig die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, sie werden gesättigt werden. Selig die Barmherzigen, sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig die ein reines Herz haben, sie werden Gott anschauen. Selig die Friedensstifter, sie werden Kinder Gottes genannt werden. Selig die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen und alles Böse fälschlich wider euch aussagen um meinetwillen. Freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß im Himmel!“

Amen.

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