Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 1990

Er kam in sein Eigentum

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Weihnachtsfreude Versammelte!

Soeben sind die Worte des Johannes-Prologs an unser Ohr gedrungen. Der Johannes-Prolog ist der Anfang des 4. Evangeliums nach Johannes. In diesem Text werden Wesen und Wirken unseres Herrn in wenigen Versen ausgesagt. Die Heilsgeschichte beginnt in der Ewigkeit Gottes, wo der Vater ein ewiges Gespräch mit seinem Sohne, hier als das Wort, der Logos bezeichnet, führt. „Wort“ ist die Übersetzung des griechischen Wortes „Logos“. Der Logos war bei Gott und ist selbst Gott. Er ist der Erschaffer der Welt. Durch ihn ist alles geworden, und nichts, was geworden ist, ist ohne ihn geworden. Und der Logos war erkennbar in der Welt. Wenn die Menschen die Augen aufmachten, konnten sie erkennen, daß diese Welt einen Schöpfer haben muß und daß dieser Schöpfer niemand anderes sein kann als der allmächtige Gott. Mit dieser Machtfülle war das Licht verknüpft. Das Licht leuchtete in der Finsternis. Aber da hebt schon die Tragik an: Die Finsternis hat ihn nicht erkannt. Da setzt Gott zu einem neuen Bemühen an. Er schickt nach einer ganzen Reihe von Boten seinen letzten Herold, Johannes den Täufer. Er sollte Zeugnis geben von dem Lichte. Er selbst war nicht das Licht; er sollte nur Zeugnis geben von dem Lichte, und dieses war das wahre Licht.

Aber selbst das Zeugnis des Vorläufers war bei den meisten erfolglos. Und dann schickte der Herr seinen Sohn, und das kleidet der Apostel Johannes in die Worte: „Und das Wort“ – also der Logos, die zweite Person in Gott – „ist Fleisch geworden.“ Warum sagt er nicht: Er ist Mensch geworden? Er sagt: Er ist „Fleisch“ geworden. Er will damit ausdrücken, daß er die Schwäche und Hinfälligkeit der Menschennatur angenommen hat. „Fleisch“ ist ein Ausdruck für die Schwäche und Hinfälligkeit des menschlichen Wesens. Er ist Fleisch geworden, und das ist der Sinn der Weihnachtsfeier, das ist der Grund, weswegen wir heute versammelt sind, das ist der Zweck, dem wir dienen, wenn wir unsere Weihnachtslieder singen, unsere Weihnachtsfreude nach außen tragen, unsere Weihnachtsgottesdienste feiern. Das Wort ist Fleisch geworden.

Das ist eine dreifache Botschaft. Es ist eine Botschaft des Glaubens, es ist eine Botschaft des Heiles und es ist eine Botschaft der Entscheidung. „Das Wort ist Fleisch geworden“ – eine Botschaft des Glaubens. Das heißt, man braucht eine neue Sehkraft, um diese Wahrheit zu erkennen: Das Wort ist Fleisch geworden. Mit den bloßen Augen des Leibes sieht man das Geheimnis der Weihnacht nicht. „Der Glaube ist die Überzeugung von dem, was man nicht sieht, die Zuversicht auf das, was man erhofft“, heißt es im Hebräerbrief. Was die Hirten im Stall von Bethlehem sahen, das war eine arme Familie mit einem neugeborenen Kindlein. Das sahen sie mit den Augen des Leibes. Aber da ihnen Gott neue Augen eingesetzt hatte, da er in ihren Herzen den Glauben erweckt hatte, so erkannten sie, daß hinter diesem äußerlich unscheinbaren Geschehnis sich eine Großtat Gottes verbarg. Sie waren unterrichtet durch den Engel. Eine Engelsbotschaft hat ihnen enthüllt, worum es hier geht. Und Maria war ebenfalls durch eine Engelsbotschaft über das informiert worden, was an ihr geschehen sollte, ja sie war nicht bloß informiert worden, sie war aufgefordert worden zur Zustimmung. Engel spielen also eine große Rolle in der Weihnacht. Auch Josef ist durch einen Engel aufgeklärt worden über das, was sich im Schoße seiner verlobten Gattin befand. Deswegen warne ich davor, meine lieben Freunde, diese Erscheinungen, Weissagungen und Ankündigungen der Engel in das Reich der Phantasie zu verweisen, wie es sogenannte katholische Theologen tun. Ich warne davor! Wer das tut, der zerstört das Weihnachtsgeheimnis. Ich begreife nicht, daß es schwierig sein soll, an Engel zu glauben. Es ist doch viel leichter, anzunehmen, daß Engel erscheinen, als daß Gott auf die Erde kommt. Wer die Menschwerdung festhalten will – und das wollen ja manche von ihnen –, der sollte nicht die Begleitschaft dieses Ereignisses leugnen. Das ist die Zwiebelmethode. Der Teufel bedient sich ihrer. Die Zwiebelmethode besteht darin, daß eine Schale nach der anderen von der Zwiebel entfernt wird, bis nichts mehr übrig ist. Das ist die teuflische Zwiebelmethode; die kennen wir!

Nein, meine lieben Freunde, wir wollen ganz und ungebrochen und selbst unter dem Schimpfwort des Fundamentalismus festhalten an der ganzen Weihnachtswahrheit, zu der auch Engel und Hirten und himmlische Gesänge gehören. Wir lassen uns den Weihnachtsglauben von ungläubigen Theologen nicht zerstören. Weihnachten, eine Botschaft des Glaubens.

Weihnachten zweitens, eine Botschaft des Heils. Er ist gekommen, um etwas zu bewirken. Schon im Glaubensbekenntnis wird ja ausgesagt, daß er herabstieg „um unserer Sünden willen“. Er ist ein Menschen geworden „um unserer Sünden willen“. Er hat also eine Aufgabe. Er sollte etwas vollbringen. Er sollte das bewirken, was wir mit dem schlichten Wort „Erlösung“ aussagen. Die Sünde ist die Abwendung von Gott und die Hinwendung, die ungeordnete Hinwendung zum Geschöpf. In jeder Sünde geschieht eine Abwendung von dem höchsten Gut und eine ungeordnete Hinwendung zu einem geschaffenen, irdischen Gut. Wenn jetzt Erlösung, Aufhebung der Sünde bewirkt werden sollte, dann mußte also das Gegenteil geschehen; es mußte das höchste Gut jedem irdischen Gut sichtbar und erkennbar vorgezogen werden. Und eben das hat Jesus Christus, der Nazarener, der fleischgewordene Logos, getan. In seinem Herzen glühte ein Liebesfeuer, wie es noch niemals auf Erden gebrannt hat. In seinem Leben war ein Gehorsam wirksam, wie ihn noch niemals ein Mensch geleistet hat. In seinem Leben, Leiden und Sterben war eine Hingabe wirksam, wie noch niemals auf dieser Erde eine Hingabe gewesen ist. Wegen dieser überwältigenden und alles überragenden Liebe des Logos hat Gott den Menschen die Sünden verziehen, hat er Sündenvergebung bereitgestellt, hat er die Erlösung bewirkt, die im Griechischen durch die beiden Worte apolytrosis und katallagé – das Neue Testament ist ja griechisch geschrieben – bezeichnet wurd. Apolytrosis ist negativ gesagt, nämlich „Wegnahme der Sünde“, katallagé ist positiv ausgedrückt, nämlich „Wiederherstellung der Gottverbundenheit“. Die Erlösung, die unser Herr und Heiland bewirkt hat, war allumfassend. Es ist eine universale Erlösung. Es ist niemand ausgenommen, keine Zeit und kein Volk. Aber diese Erlösung ist zunächst eine objektive, d.h. es ist gewissermaßen ein Erlösungsreservoir, ein Vorrat von Erlösungskräften vorhanden. Diese objektive Erlösung muß zum einzelnen Menschen kommen durch die subjektive Erlösung. Der einzelne muß sie sich aneignen. Er muß gleichsam aus diesem Erlösungsmeer trinken, um der Erlösung teilhaftig zu werden. Er muß sich die Erlösung aneignen in Glaube und Taufe und in den übrigen Sakramenten. Dann wird die Erlösung auch für ihn wirksam.

Daß Jesus diese Aufgabe hatte, geht schon aus seinem Namen hervor. „Du sollst ihm den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.“ Das konnte kein Mensch, auch kein Übermensch, das konnte kein Philosoph und kein Politiker, das konnte nur der Gottmensch leisten. Diese Erlösung war nur von einem Wesen zu bewerkstelligen, das die Gottheit und die Menschheit in sich vereinigte. Das war also der Sinn der hypostatischen Union, der Verbindung einer menschlichen Natur mit einer göttlichen Person, daß er die Erlösung bewirken sollte. Als Gott konnte er nicht durch Leiden erlösen, also mußte er Mensch werden. Als bloßer Mensch konnte er keine ebenbürtige Erlösung leisten, also mußte er mit der Gottheit verbunden sein. Nur der Gottmensch konnte die Erlösung bewirken, und deswegen ist Weihnachten eine Botschaft des Heiles, weil es im Johannes-Prolog heißt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Nein, er hat nicht nur unter uns gewohnt; er hat unter uns gelitten und ist unter uns gestorben; er hat für uns gelitten und ist für uns gestorben.

Auch das muß an Weihnachten gesagt werden. Die Ankunft des Erlösers ist der Beginn seiner erlöserischen Tätigkeit, und am meisten hat er diese ausgeübt, als er am Kreuze für uns verblutete. Sein ganzes Leben war von erlöserischer Qualität; aber das Erlösungswerk erreicht seinen Gipfel auf dem Golgothahügel bei Jerusalem. Weihnachten – eine Botschaft des Heiles.

Weihnachten aber auch drittens eine Botschaft der Entscheidung. Wir sehen es im Johannes-Prolog, wie sich sogleich die Menschen scheiden. „Das Licht leuchtete in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen!“ Also schon der Logos, der als der Schöpfer in die Welt hineingeleuchtet hat, wurde von vielen nicht erkannt. Ebenso erging es der Heilsveranstaltung im menschgewordenen Logos. „Er kam in sein Eigentum“, denn was er geschaffen hat, ist natürlich sein Eigentum, „aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf!“ Welche Tragik! Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf. Sie finden alle möglichen Ausreden. Sie zerstören das Weihnachtsgeheimnis. Sie mögen sich nicht für den entscheiden, der hohe Forderungen stellt. Sie suchen diese Forderungen zu entschärfen. Sie bemühen sich, das Evangelium zu einer zeitlosen Wahrheit umzufälschen, wo es doch der Bericht über geschichtliche Tatsachen ist.

Nein, meine lieben Freunde, das soll sich nicht wiederholen an uns, was von diesen Menschen geschrieben steht: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf.“ Der greise Simeon sagt: „Dieser ist gesetzt zum Falle und zur Auferstehung vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird.“ Jawohl, so ist es von Anfang an gewesen, und so ist es geblieben. Zum Falle und zur Auferstehung vieler! Möge er uns nicht zum Falle, sondern zur Auferstehung gereichen! Möchten wir festhalten an unserem Heiland Jesus Christus, von dem vorherverkündet ist: „Gott selbst wird kommen, uns zu erlösen.“ Möchten wir festhalten an dem, von dem die Propheten schon gesungen haben: „Es kommt der Wunderrat, der Gottheld, der Vater der Zukunft, der Friedensfürst“, an demjenigen, von dem es heißt: Er wird nicht nach dem Augenschein richten und das geknickte Rohr nicht brechen. An ihm wollen wir festhalten, der als der Gottesknecht in diese Geschichte eingegangen ist, der nicht Ansehen und Schönheit hat, der aber die Sünden aller auf sich geladen und fortgetragen hat als das Lamm Gottes. An ihm wollen wir festhalten! Diese Entscheidung wollen wir in dieser heiligen Weihnacht erneuern, daß wir unseren Herrn und Heiland als den fleischgewordenen Gottessohn bekennen, daß wir mit Johannes rufen: Du bist der wahrhafte Gottessohn. Du bist der Logos, der in diese Welt gekommen ist, um das Unheil der Menschen aufzuarbeiten.

Wenn wir in der heiligen Messe, in der Opfermesse, die Ankunft unseres Herrn und Heilandes auf dem Altare begehen, wenn in der heiligen Wandlung sich der Himmel öffnet und unser Emmanuel herniedersteigt auf diese Erde, dann setzt sich die Weihnacht fort. Ohne Geburt, ohne Ankunft im Fleische gäbe es keine Messe. Die Messe gibt es nur, weil es einmal einen Menschen gegeben hat, der Gott war. In der heiligen Messe wird der Gottessohn wirklich und wahrhaft und wesentlich gegenwärtig, mit Gottheit und Menschheit, wenn auch in verborgener Weise, in der verklärten Gestalt, die er bei der Auferstehung angenommen hat. Aber es gäbe keine Messe, wenn es kein Weihnachten gäbe. Und die Messe ist die Fortsetzung von Weihnachten. Deswegen ist bei der Messe der gleiche Glaube verlangt, den die Weihnacht uns abfordert, der Glaube: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Und wenn wir uns diesen Glauben aneignen, meine lieben Freunde, wenn wir die Augen des Glaubens, die Gott gibt, uns schenken lassen, dann geschieht dasselbe, was im Johannes-Prolog dann weitergeschrieben steht, nämlich: „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“

Amen.

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