19. August 1990
Die Segenskraft des Meßopfers
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Das eucharistische Opfersakrament ist die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers. So lautet der fundamentale Satz der vielfältigen Überlegungen, die wir seit Wochen über das eucharistische Opfersakrament anstellen. Wenn die Eucharistie die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers ist, dann muß in ihr auch die Heilskraft des Kreuzesopfers gegenwärtig sein. Das Kreuzesopfer war von einer unendlichen Heilskraft, weil es das Opfer des menschgewordenen Gottessohnes war, weil in ihm eine Liebesflamme aufgeglüht ist, die von keiner anderen erreicht wird. Die Anbetung, das Lob, der Preis, die Sühne, die im Kreuzesopfer von Christus dem Vater dargeboten wurden, sind also auch im Meßopfer anwesend. Die Selbigkeit von Meßopfer und Kreuzesopfer schließt in sich, daß auch das Meßopfer ein Opfer von unendlichem Wert ist, soweit es Christus angeht. Die Anbetung, das Lob, die Bitte, die Sühne, die Christus im Meßopfer dem Vater im Himmel darbringt, ist von unendlicher Mächtigkeit, und sie wird durch keine menschliche Unwürdigkeit beeinträchtigt. Die Würde dieses göttlichen Priesters ist durch keine menschliche Unzulänglichkeit befleckt.
Das eucharistische Opfer wird von Christus dargebracht als Haupt seines Leibes, der Kirche. Er bedient sich beim Meßopfer der Kirche als seines Werkzeugs. Die Kirche ist sein Mund; die Kirche ist seine Hand. Weil die Kirche am Meßopfer beteiligt ist, ist sie auch verantwortlich für das Meßopfer. Sie ist dafür verantwortlich, daß sie in die Liebe und in den Gehorsam eingeht, mit der Christus im Meßopfer wirkt und gegenwärtig ist. Sie ist dafür verantwortlich, daß sie sich hineinziehen läßt in die Liebe und in den Gehorsam, mit der Christus in dieser Feier gegenwärtig ist.
Die Kraft, mit der die Kirche im Meßopfer betend, sühnend, anbetend, bittend vor Gott steht, ist begründet in der Opferhingabe Christi. Aber sie ist auch abhängig von der Heiligkeit und von der Hingabe, vom Glauben und von der Liebe der Teilnehmer am Meßopfer, derer, die das Meßopfer darbringen, mit dem Priester an der Spitze. Jeder Christ ist somit verantwortlich für das Meßopfer, für den Wert des Meßopfers, für die Heilskraft des Meßopfers, insofern es ein Opfer der Kirche ist. Da sehen wir die große Verantwortung, die wir haben, wenn wir unsere Schritte zum Gotteshaus lenken, um am heiligen Meßopfer teilzunehmen. Es hängt auch von uns ab, welche Heilskraft dieses Meßopfer enthält, wieweit es zum Segen wird für die Menschen, denen es zugewandt werden soll.
Wenn das Meßopfer von unendlicher Segenskraft ist, dann erhebt sich die Frage: Warum ist es denn nicht imstande, das menschliche Elend, die Sünde und das aus der Sünde stammende Ungemach hinwegzunehmen? Der Grund dafür liegt darin, daß die unendliche Heilskraft des Meßopfers sich am Menschen nicht in erschöpfender Weise auswirken kann. Der Mensch besitzt nur eine endliche Aufnahmefähigkeit, und deswegen ist trotz der unendlichen Mächtigkeit dieses Opfers die Auswirkung immer nur eine endliche. Der heilige Thomas sagt, daß die Heilswirkung des Meßopfers abhängt vom Glauben und von der Hingabe der Teilnehmer an diesem Opfer. Das wird bestätigt durch das zweite Gebet, das wir in der heiligen Messe nach der Präfation beten. In diesem Gebet wird auf den Glauben und die Hingabe – fides et devotio – der Meßopferteilnehmer hingewiesen. Davon also hängt die Auswirkung des Meßopfers ab, mit welchem Glauben, mit welcher Glut des Glaubens, mit welcher Hingabe, mit welcher Tiefe der Hingabe wir das heilige Meßopfer darbringen, wir am heiligen Meßopfer beteiligt sind. Die Heiligungskraft und die Heilskraft des Meßopfers ist bedingt durch unsere Disposition.
Das Meßopfer wird häufig in einer besonderen Meinung dargebracht. Wir nennen das Applikation, Zuwendung des Meßopfers. Die Kirche hat die Möglichkeit, besonderer Anliegen im Meßopfer in besonderer Weise zu gedenken, die Heilskraft des Meßopfers also in einer besonderen Weise auf bestimmte Ziele, auf bestimmte Menschen, auf bestimmte Menschengruppen hinzulenken. Die Kirche handelt hierbei durch ihren Vertreter, den Priester. Der Priester hat also häufig – nicht immer – eine bestimmte Intention. Er opfert das Meßopfer in einer besonderen Meinung auf. Der Sinn dieser Aufopferung liegt darin, daß die Heilskraft des Meßopfers auf ein besonderes Anliegen hingelenkt wird. Und die Kirche ist gewiß, daß Gott sie erhört. Sei es die genugtuende oder sühnende, sei es die bittende oder dankende Kraft des Meßopfers, sie wird in einer gesteigerten Weise auf ein besonderes Bedürfnis hingelenkt. Die Kirche macht solche Intentionalität in bestimmten Fällen verpflichtend. Der Pfarrer, ebenso der Bischof, sie sind verpflichtet, an jedem Sonn- und Feiertag das Meßopfer für ihre Pfarrgemeinde bzw. Diözese darzubringen. Diejenigen, die ihnen anvertraut sind, sollen an den Sonn- und Feiertagen auch in besonderer Weise an den Wirkungen des Meßopfers partizipieren.
Eine besondere Weise der Zuwendung des Meßopfers entsteht durch die Hingabe eines Meßstipendiums. Das Meßstipendium ist hervorgewachsen aus der Gabendarbringung, die im 1. Jahrtausend in der Kirche üblich war. Da brachten die Menschen das, was notwendig ist für die Meßfeier, Brot und Wein, aber auch Flachs oder Wachs, und opferten es als Zeichen und Ausdruck ihrer Teilnahme am Opfer. Sie haben mit ihren Opfergaben zwei Zwecke erfüllt, einmal, die Voraussetzungen für das Opfer zu schaffen – Brot und Wein –, und zum anderen, ihre Opferteilnahme auch irdisch gesehen, äußerlich gesehen, auszudrücken durch Opfergaben. Ein Rest dieser Gabendarbringung ist das Meßstipendium. Wenn die Gläubigen ein Geldopfer bringen, dann wollen sie das Meßopfer nicht kaufen. Das Meßopfer kann man nicht kaufen, es ist unverkäuflich. Es handelt sich auch nicht um eine Bezahlung für das Meßopfer, denn es ist unbezahlbar, sondern es ist eine Gott gemachte Gabe anläßlich des Meßopfers, die nach der Bestimmung der Kirche dazu benutzt wird, um die Voraussetzungen für die Meßfeier zu gewährleisten – die Meßfeier ist ja mit Kosten verbunden –, auch um den Unterhalt dessen zu sichern, der die Meßfeier in führender Weise darbringt. In jedem Falle ist das Meßstipendium eine Gabe für ein heiliges Opfer, kein Kauf, keine Bezahlung, mit der die Bitte verknüpft ist, eine bestimmte Intention, ein bestimmtes Anliegen in dem Meßopfer in besonderer Weise vor Gott darzubringen, damit den Menschen die Segensfülle des Meßopfers in einer hervorragenden Weise zugewendet wird.
Die Kirche hat an die Hingabe des Meßstipendiums die Verpflichtung geknüpft, daß der Priester des Anliegens, in dem diese Gabe dargebracht wird, besonders gedenkt. Es darf nach kirchlicher Bestimmung für jede Messe nur ein Meßstipendium angenommen werden. Sie wissen, daß durch den Zusammenbruch der Disziplin in unserer Kirche auch diese Bestimmung in Mitleidenschaft gezogen worden ist. In vielen Kirchen werden drei, vier, fünf, zwanzig Intentionen mit einer Messe abgegolten. Das ist ein Mißbrauch; er ist verboten und von der Kirche wiederholt verboten worden. Dieser Mißbrauch ist deswegen so gefährlich, weil alles, was mit Geld zusammenhängt, die Gefahr in sich birgt, daß das Heilige herabgewürdigt und herabgezogen wird. Die Kirche ist nicht der Meinung, daß, wenn viele Gläubige in die Intention einbegriffen werden, der einzelne weniger erhält, als wenn das Meßopfer nur für wenige Menschen dargebracht wird. So ist es nicht. Die Früchte des heiligen Opfers sind an sich nicht begrenzt. Wenn man das behaupten würde, dann würde man der Selbigkeit, der Identität von Meßopfer und Kreuzesopfer zu nahe treten. Nein, die Meßfrüchte sind, wie die Früchte des Kreuzesopfers, unbegrenzt; und auch, wenn viele daran partizipieren, beeinträchtigt keiner den anderen. Aber um eben eine finanzielle Ausbeutung zu verhüten, um Mißbräuche abzuwehren, hat die Kirche bestimmt, daß immer nur ein Meßstipendium einer Messe zugeordnet werden darf.
Das ist die Lehre von den Meßfrüchten, meine lieben Freunde. Die Theologie hat die Meßfrüchte, also die Wirkungen des Meßopfers, die Heilskraft des Meßopfers in dreifacher Weise unterschieden. Man spricht von allgemeinen Meßfrüchten. Das sind die Wirkungen des Meßopfers, die allen zukommen, die zur katholischen Kirche gehören. Besondere Meßopferfrüchte werden denjenigen zuteil, die in leiblicher Anwesenheit beim Meßopfer zugegen sind und es geistig mitfeiern. Und ganz besondere Meßopferfrüchte werden denen zuteil, die durch das Hingeben eines Meßstipendiums eine Intention auf den Altar legen, in der dieses Meßopfer dargebracht wird. Durch dieses Meßstipendium wird der Segen für andere nicht verkürzt. Es wird nur in besonderer Weise Segen auf die herabgerufen, die sich in dieser Weise als Opferdarbringer ins Meßopfer einreihen und so an der Schaffung der Voraussetzungen für das Meßopfer beteiligt haben.
Das also, meine lieben Freunde, ist der Segen, ist die Heilskraft, ist die Heiligungskraft des heiligen Meßopfers. Die Nachfolge Christi schreibt im 1. Kapitel des vierten Buches: „Wenn nur ein Priester wäre, der das Meßopfer darbringt, dann würden sich die Menschen drängen, um dahin zu gehen und daran teilzunehmen.“ Nun aber sind es viele. Die große Zahl von Meßopfern, diese große Zahl von Meßfeiern hat offensichtlich bei vielen Menschen die Bereitschaft gemindert, am heiligen Meßopfer teilzunehmen. Wenn sie wüßten, welche Schätze im Meßopfer enthalten sind, wenn sie begriffen, welcher Segen in dieser Opferfeier empfangen werden kann, dann würden sie zu den Altären des Schenkens eilen und sich in die Gemeinschaft derer eingliedern, die mit Christus dem Herrn anbetend, bittend, lobend, dankend und sühnend vor den Vater hintreten.
Amen.