17. Juni 1990
Die Gottheit Christi im eucharistischen Sakrament
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Es ist ein unumstößlicher Grundsatz der katholischen Sakramentenlehre, daß die Sakramente das wirken, was sie bezeichnen. Das Zeichen, die Setzung des Zeichens, die ordnungsgemäße Setzung des Zeichens bringt das hervor, was in dem Zeichen ausgesagt, angedeutet, wiedergegeben ist. Wenn der Priester ein Kind tauft und dabei spricht: „Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“, dann wird tatsächlich dieses Kind, dieser Täufling, Gott, dem dreifaltigen Gott, übereignet, ihm geweiht, ihm übergeben, mit der heiligmachenden Gnade beschenkt. Wenn der Bischof spricht: „Ich bezeichne dich mit dem Zeichen des Kreuzes und stärke dich mit dem Chrisam des Heiles“, dann wird tatsächlich das bewirkt, was das Zeichen angibt, nämlich Stärkung und Festigung. Deswegen heißt ja dieses Sakrament Firmung, das bedeutet zu deutsch Stärkung. Und so ist es bei allen Sakramenten, auch bei der heiligen Eucharistie. Die Eucharistie bewirkt das, was sie bezeichnet. Und was bezeichnet sie? „Das ist mein Leib, das ist mein Blut.“ Kraft des sakramentalen Zeichens, kraft der Worte, die der Priester über die Elemente spricht, wird also der Leib, wird das Blut Jesu Christi gegenwärtig. Die Wesensverwandlung zielt auf den Leib und auf das Blut Christi, und wir dürfen sogar hinzusetzen: Sie zielt nur auf den Leib und nur auf das Blut Christi. Dennoch sind wir überzeugt, wissen wir mit unumstößlicher Gewißheit, daß nicht nur das Blut, daß nicht nur der Leib Jesu Christi gegenwärtig wird, sondern der ganze Christus. Die Kirche hat in ihrer Versammlung zu Trient ausdrücklich erklärt: „Wer leugnet, daß in dem verehrungswürdigsten Sakrament der Eucharistie unter jeder Gestalt und unter den einzelnen Teilen einer jeden Gestalt nach der Teilung der Gestalten der ganze Christus enthalten ist, der sei ausgeschlossen.“
Ist das nicht ein Widerspruch? Der Priester spricht: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut.“ Aber hier ist ja viel mehr zugegen als nur der Leib und das Blut; es ist der ganze Christus gegenwärtig. Also mit dem Leibe auch das Blut und mit dem Blute auch der Leib, und mit Leib und Blut auch die Seele, und mit dem Menschen auch die Gottheit. Wie ist es zu erklären, daß die Worte „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“ die Gegenwart des ganzen und ungeteilten Christus bewirken? Wir müssen unterscheiden zwischen der sakramentalen Seinsweise und der hmmlischen Seinsweise. Kraft des Sakramentes wird in der heiligsten Eucharistie nur der Leib und nur das Blut Christi gegenwärtig. Denn so heißt es in der sakramentalen Formel: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.“ Aber was hier gegenwärtig wird, das ist der Leib und das Blut des in der himmlischen Glorie lebenden Heilandes. Das ist der Leib und das Blut jenes Christus, der nicht mehr stirbt, wie uns der Apostel Paulus versichert, der in der Seinsweise des Himmels lebt, leidensunfähig, bei dem also gerade das nicht mehr geschehen kann, was ihm widerfahren ist, als er auf Erden wandelte, nämlich als im blutigen Opfertode Leib und Blut getrennt wurden, als aus der Seitenwunde der letzte Tropfen Blutes ausrann, um zu zeigen: Es war nichts mehr drin, es war alles ausgegeben für uns und zu unserem Heile. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Jesus lebt jetzt in der Herrlichkeit des Vaters und stirbt nicht mehr. Die ihm jetzt eignende Seinsweise ist also so geartet, daß eine Trennung von Leib und Blut, von Leib, Blut und Seele, von Leib, Blut, Seele und Gottheit ausgeschlossen ist. Wenn also der Priester über dem Brote und über dem Weine die Worte spricht: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut“, so wird mit dem Leibe und mit dem Blute die ganze Begleitschaft gegenwärtig, die diesem Leibe und diesem Blute in der Herrlichkeit des Vaters im Zustand des Himmels zu eigen ist. Gewiß, noch einmal: Kraft des Sakramentes wird nur der Leib und nur das Blut gegenwärtig, aber kraft der Begleitschaft – vi concomitantiae, wie die Theologen sagen – wird der ganze Christus gegenwärtig. Das Wort „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“ zielt nur auf den Leib und auf das Blut, aber kraft der natürlichen Verbundenheit von Leib und Blut, von Leib, Blut und Seele, von Leib, Blut, Seele und Gottheit, wird durch diese Worte der ganze Christus auf dem Altare gegenwärtig.
Aber ist das nicht eigentlich eine Spielerei mit Worten? Was hat es denn für einen Zweck, daß man im Sakrament unterscheidet zwischen Gegenwart des Leibes und Gegenwart des Blutes? O, das hat einen großen und einen tiefen Zweck, meine lieben Freunde, denn die Trennung der Gestalten von Brot und Wein ist eine Darstellung des Leidens, ist eine Darstellung des Opfers. Wenn sie nicht wäre, dann könnten wir die Eucharistiefeier nur als ein Mahl bezeichnen und nicht als ein Opfer. Sie ist aber ein Opfer. Die Trennung der Gestalten zeigt dieses Opfer an. Und weil dieses Opfer zustandekommt, indem die Gestalten getrennt behandelt werden, indem also durch die Gestalt des Brotes der Leib Christi, durch die Gestalt des Weines das Blut Christi gegenwärtig gesetzt wird, deswegen können wir sagen: Die Eucharistiefeier ist ein wahres und eigentliches Opfer. Das ist also keine Spielerei mit Worten, das ist auch nicht eine überflüssige Redeweise, sondern das ist von fundamentaler Bedeutung für den vollen Inhalt der Eucharistie (den wir noch kennenlernen werden), nämlich für den Opfercharakter der Eucharistie. Mittels des Leibes wird der ganze Christus gegenwärtig und mittels des Blutes der ganze Christus, aber die Gestalten sind in sakramentaler Weise real getrennt. Und diese reale Trennung ist von grundlegender Wichtigkeit für das richtige Verständnis des eucharistischen Opfersakramentes.
Diese Lehre, welche das Konzil von Trient gegen die Neuerer ausgesprochen hat, ist keine neue Lehre. Sie ist bereits in der Heiligen Schrift angelegt. Aber sie hat sich entwickelt. Dem Christentum ist das Gesetz der Entwicklung eingeboren. Es macht damit keine Ausnahme von allem Lebendigen. Alles Lebendige entwickelt sich. Wir sehen draußen den hochgewachsenen Eichbaum, aber er ist einmal aus einer Eichel geworden. Eine kleine, winzige Eichel hat am Anfang gestanden und aus sich diesen herrlichen Baum hervorgetrieben. Ähnlich ist es auch mit unserem Glauben. Der Glaube entwickelt sich, nicht indem Fremdes hinzukäme, nicht indem Wahres aufgegeben wird, nein, sondern es ist ähnlich, wie wenn man sich ein Bild des niederländischen Malers Breughel vor Augen führt. Dieser Künstler der beginnenden Moderne hat auf seinen Bildern eine Vielzahl von Personen und Ereignissen aufgezeichnet. Wenn man zunächst einen flüchtigen Blick daraufwirft, denkt man, das ist ja ein tolles Gewimmel, ein sinnloses Durcheinander. Aber wenn man sich dann Zeit nimmt und sich die Mühe macht, die einzelnen Figuren, Gruppen und Gestalten näher zu betrachten, dann sieht man erst, welchen Reichtum des damaligen Volkslebens Breughel auf seine Bilder gebannt hat.
Ähnlich ist es mit unserem Glauben. Es fing damit an, daß der Herr im Abendmahlssaale sprach: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut.“ Er hatte dieses Ereignis vorbereitet durch die Verheißungsrede, in der er davon sprach, daß die Menschen sein Fleisch und sein Blut essen sollten. „Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht eßt und sein Blut nicht trinkt, so habt ihr kein Leben in euch.“ Hier ist also zunächst auch nur von Fleisch und Blut die Rede. Aber schon in der Verheißungsrede wird angedeutet, daß mit Fleisch und Blut der ganze Christus aufgenommen wird, denn es heißt dann weiter im 56. Vers: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir – in mir! – und ich bleibe in ihm.“ Aus diesem Worte des Herrn sehen wir, daß durch das Fleisch und durch das Blut die Gegenwart, ja der Besitz Christi, die Gemeinschaft mit Christus vermittelt wird. Und das ist eben nur deswegen möglich, weil es ein lebendiges Fleisch, weil es ein lebendiges Blut ist, weil es Fleisch und Blut ist, das mit einer Seele verbunden ist und mit dem Logos, mit der zweiten Person in der Gottheit. So hat es angefangen, und so haben auch immer wieder gottbegnadete Kirchenlehrer und Theologen das Geheimnis betrachtet und ausgeführt. In der Didache schon – das ist eine Schrift, die um die Jahrhundertwende nach dem 1. Jahrhundert entstanden ist – wird deutlich, daß mit Fleisch und Blut Christus zum Menschen kommt. Und Justin, der Martyrer, der um 165 gestorben ist, lehrt, daß der Logos, die zweite Person in der Gottheit, über Brot und Wein herabgerufen wird. Und der heilige Ambrosius, der Kirchenvater von Mailand, erklärt uns, daß beim Genuß von Brot und Wein Christus zum Menschen kommt.
Daß diese Entwicklung nicht schneller vor sich ging, nicht rascher ablief, hat vielleicht einen Grund darin, daß Augustinus, der überragende Theologe, die größte Autorität des Altertums, mit seinem Eucharistiebegriff einer mehr sachlichen als personalen Eucharistieauffassung das Wort zu reden schien. Nach ihm vermittelt der Leib und das Blut die Gegenwart und die Verbindung mit dem Geiste Christi. Aber er ist nicht zu einer völlig klaren personalen Eucharistieauffassung durchgedrungen. In seinem Banne haben dann Männer wie Radbertus gesagt, daß man unter der Gestalt des Brotes nur den Leib, unter der Gestalt des Weines nur das Blut empfängt. So hat z.B. Lomfrank, der Theologe der Frühscholastik, gelehrt, daß der Empfang des Fleisches und Blutes der Anlaß – der Anlaß! – sei, warum sich Christus mit dem Menschen verbindet. Aber schließlich hat sich diese Entwicklung doch zu der Höhe erhoben, auf der wir heute, Gott sei es gedankt, stehen, nämlich daß wir wissen: Mit der Gestalt des Brotes und mit der Gestalt des Weines ist nicht nur der Leib Christi und nicht nur das Blut Christi verbunden, sondern es ist der ganze Christus in beiden Gestalten enthalten. Der ungetrennte, der in der himmlischen Glorie lebende Christus wird unter jedem der beiden Elemente empfangen. Und das konnte dann eben jene eucharistische Verehrung auslösen, die wir am Fronleichnamstage begangen haben. Wir tragen dabei nicht nur Leib und Blut Christi durch die Straßen, wir tragen den lebendigen Christus, den lebendigen Heiland durch die Straßen, d. h. auch den Logos, die zweite Person in der Gottheit. Und deswegen muß ein jedes Knie sich beugen im Himmel, auf der Erde und unter der Erde, und ein jeder Mensch muß bekennen: „Jesus ist der Herr in der Herrlichkeit Gottes, des Vaters.“
Das also, meine lieben Freunde, ist die Entwicklung gewesen von einer mehr sachlichen zu einer personalen Eucharistieauffassung. Das ist jetzt unser Glück und unsere Zuversicht, daß wir sprechen können bei der heiligen Kommunion: „Jesus, Jesus, komm zu mir, o wie sehn' ich mich nach dir! Meiner Seele bester Freund, wann werd' ich mit dir vereint? Tausendmal begehr' ich dein, Leben ohne dich ist Pein. Tausendmal seufz' ich zu dir: O Herr Jesus, komm zu mir!“
Amen.