4. März 1990
Die Weisheit Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Im Gloria der heiligen Messe rufen wir zu Gott: „Wir loben dich, wir preisen dich, wir verherrlichen dich, wir sagen dir Dank.“ Warum? „Ob deiner großen Herrlichkeit.“ Wir loben Gott, wir preisen Gott, wir verherrlichen ihn, wir sagen ihm Dank wegen seiner großen Herrlichkeit.
Wir sind dabei, uns diese Herrlichkeit Gottes vor Augen zu führen, indem wir seine Eigenschaften betrachten. Die Eigenschaften Gottes fallen zwar mit dem göttlichen Wesen zusammen, weil Gott absolut einfach ist, aber wegen der verschiedenartigen Wirkungen Gottes gegenüber den Geschöpfen können, ja müssen wir in ihm Eigenschaften unterscheiden.
Am vergangenen Sonntag betrachteten wir Gottes Alwissenheit. Wir wollen uns heute seine Weisheit vor Augen führen.
Die Weisheit Gottes, also jenes Vermögen, mit dem er alles so einzurichten weiß, daß es zu seinem Ziele kommt, wird von den Theologen in eine dreifache unterschieden. Die Theologen erwähnen zuerst die schöpferische Weisheit Gottes. Die Weisheit hat die Welt geschaffen. Der heilige Augustinus hat diese Lehre ausgebildet, indem er die platonische Ideenlehre umgewandelt und auf Gott übertragen hat. Platon nahm neben Gott bestehende Ideen an, die selbständig seien. Augustinus verlegte diese Idee in Gottes Geist als identisch mit seinem Erkennen und sagte: Nach diesen Ideen als Vorbildursache und Wirkursache hat Gott die Welt geschaffen. Was existiert, besteht nicht, weil Gott es sieht, sondern er sieht es, weil er es in seinem Geiste vorgebildetet und danach geschaffen hat. Die zweite Art der Weisheit ist die ordnende Weisheit. Gott hat nicht nur geschaffen, etwa blindlings, und so ein wüstes Chaos angerichtet, sondern Gott hat die Welt geformt. Er hat ihr Gesetze gegeben, wunderbare Gesetze. Er hat sie geordnet nach Maß, Zahl und Gewicht. Und schließlich die regierende Weisheit, mit der Gott alles, was er geschaffen hat, zu seinem Ziele zu führen weiß – die Vorsehung, wie wir diese Art der Weisheit nennen. Gott waltet mit seiner Vorsehung von einem Ende der Erde bis zum anderen.
Wir wollen diese Weisheit Gottes in drei Sätzen zusammenfassen, nämlich erstens: Gott versteht alles so einzurichten, daß er auch das Böse zum Guten wendet. Die Offenbarungsurkunde, die Heilige Schrift, zeigt uns an mannigfachen Stellen, wie Gott auch das, was Menschen böse gemeint hatten, in seine Pläne einzubauen weiß. Wenn wir die Offenbarungsgeschichte des auserwählten Volkes ansehen, dann blicken wir immer wieder auf Katastrophen, etwa wie die Wegführung des Volkes nach Babylon; da sehen wir immer wieder furchtbare Zusammenbrüche, wie in der Wüste, wo die Generation der Wüstenwanderer gegen Gott murrte. Aber Gott hat in seiner Treue das Volk doch so geführt, daß aus ihm der Erlöser hervorgehen konnte.
Auch in Einzelschicksalen bewundern wir seine Weisheit. Wir haben alle in der Kindheit die Geschichte vom ägyptischen Josef gelernt. Die Brüder des Josef waren neidisch auf ihn, weil der Vater ihn mehr liebte, und so gedachten sie ihn zu verderben. Sie warfen ihn in eine Zisterne, und als dann Kaufleute vorbeikamen, verkauften sie ihn auf den Vorschlag des Ruben. Josef gelangte als Sklave nach Ägypten. Aber dort tat sich sein Talent wunderbar auf. Er wurde vom Pharao erkannt und zum Vizekönig gemacht. Und als die große Hungersnot über das Land Israel kam, haben die Brüder den Weg nach Ägypten genommen, und dort hat sie ihr Bruder, zu hoher Würde gelangt, genährt und über die Hungersnot erhalten. Gott weiß auch das Böse zum Guten zu lenken. „Der Mensch denkt, und Gott lenkt.“ Was der Mensch zunächst als Verderben, als Unheil ansieht, das kann sich bei längerer Betrachtung und bei weiterem Blick als nützlich, ja notwendig herausstellen.
Im Jahre 1933, meine lieben Freunde, gab es in Deutschland eine katholische Partei, die Zentrumspartei, und christliche Gewerkschaften, die also nicht dem Herrn Karl Marx folgten, sondern Männern wie Ketteler und Kolping. Ein führender Mann der Zentrumspartei und der christlichen Gewerkschaften hieß Josef Joos. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ging es ihm schlecht, und als der Krieg ausbrach, sperrte man ihn ins Konzentrationslager. Bis zum Jahre 1945 ist er im Konzentrationslager gewesen, ein schreckliches Schicksal, könnte man meinen. Aber der Biograph des Josef Joos ist ganz anderer Ansicht. Er sagte: „Es war sein Glück, daß er in das Konzentrationslager kam.“ Warum sein Glück? Wäre er in der Freiheit geblieben, dann wäre er unweigerlich in das Attentat vom 20. Juli 1944 verwickelt worden, und dann wäre er wahrscheinlich um Kopf und Kragen gekommen. Im Konzentrationslager war er gleichsam sicher aufbewahrt und hat nach Kriegsende noch viele Jahre segensreich wirken können. Das ist ein Beispiel der göttlichen Führung, der göttlichen Weisheit, auch das Böse, das Menschen anderen Menschen zudenken, zum Guten zu wenden.
Zweitens: Gott versteht auch das Unscheinbare zu benutzen, um zum Ziele zu kommen. Das Ziel Gottes ist natürlich klar: Es ist seine Verherrlichung, und es ist das Heil der Menschen. Das ist sein Ziel; diesem Ziel strebt alles zu. Das Ziel Gottes ist nicht, daß sich die Menschen behaglich und bequem auf der Erde einrichten. Das ist kein Ziel, das Gott uns gegeben hat, sondern die Verherrlichung seines Namens und unser ewiges Heil in der jenseitigen, himmlischen Herrlichkeit. Das ist sein Ziel, und auf dieses Ziel weiß er alles hinzuführen, das Große wie das Kleine. Denken wir daran, daß er unscheinbare Dinge benutzt hat, um dieses Ziel zu erreichen. Die Erde, unter den Himmelskörpern einer der kleinsten, wurde zur Stätte der Offenbarung, wo Gott sich gewürdigt hat, als Mensch, in Menschengestalt die Erlösung zu bewirken. Ein kleines Ländchen, Palästina, wurde die Wiege des Christentums. Eine arme Magd, Maria, ein armer Handwerker, Josef, haben das Krippenkind in diese Welt eingeführt. Fischer, nicht Akademiker, nicht Gelehrte, nicht Reiche, nicht Mächtige, Fischer, arme Männer, Handwerker, hat der Herr auserwählt zu seinen Aposteln. Und so könnte man auf viele Beispiele hinweisen, wie Gott das Schwache auserwählt, um das Starke zu beschämen.
Im Matthäus-Evangelium gibt es einen ergreifenden Text, der dieses Gesetz ausdrückt. „In jener Zeit hub Jesus an und sprach: 'Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dieses vor Weisen und Klugen verborgen, Kleinen aber geoffenbart hast. Ja, Vater, denn also ist es wohlgefällig gewesen vor dir.'„ Den Weisen und Klugen, denen, die mit Prätentionen auftreten, hat Gott sein Heilsgeheimnis verborgen, aber denen, die offenen Herzens sind, den einfachen, den schlichten, den demütigen Seelen, denen hat er es geoffenbart. Und das ist heute noch immer so. Die Angeber, die Hochmütigen, die Stolzen und diejenigen, die auf sich selbst vertrauen, sind denkbar schlecht geeignet, um das Heil aus den Händen Gottes entgegenzunehmen. Unscheinbare Personen und Dinge sind es, mit denen Gott zu seinem Ziele kommt.
Ich kann Ihnen eine wahre Geschichte erzählen, die diesen Zusammenhang beleuchtet. Eine arme Witwe mit mehreren Kindern wurde von einem Schuldner bedrängt. Sie sollte eine Schuld bezahlen, die ihr Mann angeblich gemacht hatte, von der sie aber wußte, daß sie schon bezahlt war, bloß hatte sie keinen Beweis in der Hand. Am nächsten Tage sollte die Gerichtsverhandlung sein. Die Mutter betete mit den Kindern. Da flog zum Fenster ein leuchtendes Käferchen herein, und das kleinste Kind wollte unbedingt dieses Käferchen sehen, es war aber hinter den Schrank geflogen. Die Mutter rückte den Schrank beiseite. Da fiel der Kalender herunter, in dem ihr verstorbener Mann eingetragen hatte, an welchem Tage und wie er die Schuld beglichen hatte. Mit so einfachen Mitteln weiß Gott die Menschen zu erhören, weiß er ihnen zu helfen, weiß er seinen Plan zum Ziele zu führen.
So ist es auch bei allen Unternehmungen in der Kirche. Diese Werke werden, wenn sie von Gott sind, immer, zumindest am Anfang, heftigst angefochten. Das ist geradezu ein Gesetz. Der heilige Philipp Neri, der sich auf diese Dinge verstand, hat einmal gesagt: „Ein Werk, das von Anfang an glänzend vonstatten geht, kommt sicherlich nicht von Gott.“ Ein herrlicher Satz seiner geistlichen Erfahrung. Ein Werk, das von Anfang an glänzend vonstatten geht, kommt sicherlich nicht von Gott. Hindernisse müssen sein, um Gottes Macht in der Schwachheit zu bezeugen.
Und schließlich der dritte Satz: Gott hat in seiner Weisheit die Welt wunderbar eingerichtet. Wir erfahren immer wieder, daß die größten Naturforscher staunend in die Knie sinken, wenn sie Gottes Geheimnisse in der Natur betrachten. Die großartigen Gesetze der Physik, der Chemie und der Biologie sind dazu angetan, uns anbetend vor der Weisheit unseres Schöpfers niederfallen zu lassen. Vor allem ein Blick auf den Sternenhimmel, meine lieben Freunde, ist immer wieder geeignet, uns die Weisheit des Schöpfers vor Augen zu führen. Robert Mayer, der Begründer der modernen Wärmetheorie, hat einmal gesagt: „Das Planetensystem und im allgemeinen die Sternensysteme sind Kompositionen voller göttlicher Weisheit.“ Wahrhaftig, das sind sie. Wenn man die Gesetze, die Kepler entdeckt hat, betrachtet, die Gesetze, die Newton erkannt hat, z. B. das Schwerkraftgesetz, wenn man sich diese gläubigen Astronomen vor Augen führt, muß man sagen: „Was ein Geist muß das sein, der das alles geschaffen und geordnet, in wunderbarer Weisheit aufgebaut hat!“
Die Sonne läßt über den Weltmeeren in jedem Jahr so viel Wasser verdunsten, daß es viereinviertel Meter ausmacht. Viereinviertel Meter Wasseroberfläche verdunstet in jedem Jahr. Die Weltmeere bedecken 337 Millionen Quadratkilometer auf unserer Erde. Das macht insgesamt 1.518 Milliarden Kubikmeter Wasser aus, die jedes Jahr verdunsten. Ein Kubikmeter wiegt 1 Tonne; also die gleiche Anzahl von Tonnen Wasser verdunstet jedes Jahr, 1.518 Milliarden Tonnen Wasser. Aber die Weltmeere werden nicht leer. In wunderbarer Weise hat Gott gesorgt, daß sie sich immer wieder füllen durch die Regenfälle, aber auch durch die Flüsse, die das Wasser, das sich auf den Ländern niederläßt, zurücktragen in das Meer. Welch ein weises physikalisches Gesetz! Oder denken Sie an die Geheimnisse des Lebens! Mein Großvater war ein großer Bienenkenner, und er hat mir die Gesetze der Bienen nahegebracht. Er hat es mir einmal sogar aufgeschrieben, was in einem Bienenstock alles zu bewundern ist. Ein Bienenstock zählt etwa 50.000 Bienen. Es gibt drei Kategorien, die Königin, die Arbeitsbienen und die Drohnen. Die Königin ist die einzige voll ausgebildete weibliche Biene. Sie legt die Eier, jeden Tag etwa 2.000 Eier. Die Arbeitsbienen vollziehen in ihrem Leben einen vierfachen Auftrag; sie sind tätig als Ammen, als Baubienen, als Sammelbienen und als Wachtbienen. Als Ammen; sie legen nämlich – eine Biene braucht 24 Tage, um sich zu entwickeln –, in die Waben den Futtersaft für die Raupen, die dort heranwachsen. Wer hat sie gelehrt, das zu tun? Wer hat sie gelehrt, die richtige Mischung zu finden? Wer hat sie gelehrt, so viel hineinzutun, daß sich aus dieser Menge eine Biene entwickeln kann? Dann sind sie tätig als Baubienen. Die Waben, die von den Bienen gebaut werden, sind mathematisch auf das höchste ausgefeilt. Kleinste Oberfläche, größter Inhalt, höchste statische Sicherheit. Das ist das Prinzip, nach dem die Bienen ihre Waben aufbauen. Wer hat sie das gelehrt? Ohne Winkelmaß, ohne jedes Hilfsmittel, ohne Wasserwaage machen sie das. Die Winkel in den Waben betragen bei den stumpfen Winkeln 109 Grad, 28 Minuten, und bei den spitzen Winkeln 70 Grad, 32 Minuten. Solche mathematischen Gesetze haben die Bienen gewissermaßen in sich und verfahren nach ihnen.
Oder denken wir an das Gleichgewicht in der Welt. Wir sprechen heute vom ökologischen Gleichgewicht, und wissen, wenn man etwas davon hinwegnimmt, dann zeigen sich Störungen. Die Vögel sind auf die Insekten angewiesen. Wenn man die Insekten vertilgt, dann gehen auch die Vögel zugrunde. Ein Kind hat einmal beobachtet, wie sich Schafe an den Dornenhecken die Wolle ausrissen, und es bat den Vater, er möge die Dornenhecken umschlagen. Der Vater verwies das Kind darauf, daß sich aus diesen ausgerissenen Wollstücken die Vögel ihre Nester bauen, daß also auch dieses Geschehen einen geheimnisvollen Sinn hat, und zwar einen Sinn, den man sogar erkennen und begreifen kann. Der Mensch sucht manchmal unüberlegt in das ökologische Gleichgewicht einzugreifen und zerstört damit Gottes wunderbare Schöpfung. Vor einigen Jahren hat der ägyptische Präsident Nasser gesagt: „Ich nehme den Suezkanal und baue den Assuanstaudamm.“ Wie er es gesagt hat, so hat er es getan. Er hat den Suezkanal genommen und den Assuanstaudamm gebaut. Er dachte: Wenn ich die Wasser des Nils aufspeichere, dann habe ich das ganze Jahr über einen Vorrat, den ich verteilen kann, statt daß ich darauf angewiesen bin, daß einmal im Jahr die Fluten kommen und dann eben monatelang wenig Wasser zur Verfügung steht. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Heute gibt es viele Gelehrte, die sagen: Das war der größte Unsinn, den man machen konnte. Denn die Fluten des Nils haben den fruchtbaren Schlamm auf die Felder gebracht, und der fehlt jetzt. Man suchte den Schlamm zu ersetzen durch künstlichen Dünger. Doch der künstliche Dünger verdarb die Felder. Der Schlamm lagert sich vor dem Staudamm ab, der Staudamm füllt sich immer mehr mit Schlamm. In weiten Teilen Ägyptens nehmen die Ratten überhand. Die Flut hat früher die Ratten ertränkt, jetzt ertränkt sie niemand mehr. Milliarden von Ratten suchen das arme Land heim.
Es ist gefährlich, meine lieben Freunde, der Weisheit Gottes ins Handwerk zu pfuschen. Der Mensch hat bis zu einem gewissen Grade den Auftrag, die Welt zu gestalten, aber er muß dabei auf die Sphärenharmonie achten, er muß Gottes Gedanken nachzudenken sich bemühen, er muß auf Gottes Weisheit eingehen, sonst wird sein Tun der Erde zum Unheil.
Wir sehen, meine lieben Freunde, Gottes Weisheit ist am Werk im Menschenleben und in der Natur, im Leben der Völker und im Leben des Einzelnen. Wir können nur staunend niederfallen und sagen: „Wir loben dich, wir preisen dich, wir verherrlichen dich, wir beten dich an ob deiner großen Herrlichkeit. Alles, alles hast du mit Weisheit erschaffen.“
Amen.