Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
4. Februar 1990

Die Wahrheit und Güte Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor geraumer Zeit fand in einer kleinen Stadt eine Musterung statt. Die jungen Männer haben sich eingefunden, um auf ihre Tauglichkeit für den Militärdienst untersucht zu werden. Es war kalt, im Winter, und an einem Tisch in dem Gasthaus, wo die Musterung stattfand, fanden sich vier junge Männer zusammen. Der eine war ein Verwaltungsangestellter, der zweite ein Vogelhändler. Dann war da ein dritter, der gar nichts war, und ein katholischer Priester. Der katholische Priester bestellte für seine drei Mitgemusterten einen warmen Kakao. Und der schmeckte dem Vogelhändler so gut, daß seine erste Äußerung war: „Wir glauben ja alle an einen Gott.“ Der Priester freute sich, daß der warme Kakao den ersten Gedanken dieses Mannes an Gott gerichtet hatte. Aber er fühlte sich bemüßigt, hinzuzufügen: „Ja, aber es ist sehr verschieden, was jeder sich darunter vorstellt.“

Die Verschiedenheit der Vorstellungen über Gott ist der Grund, weswegen wir in einer ganzen Reihe von Predigten über die Frage nachdenken wollen: Wer ist unser Gott? Es genügt nicht, in irgend einer diffusen Weise an Gott zu glauben, sondern wir müssen Gott so verehren, wie er ist. Wir müssen so an ihn glauben, wie er geglaubt werden will. Wir haben alle denselben Gott, das ist keine Frage. Es gibt nur einen Gott, aber die Vorstellungen über Gott gehen außerordentlich weit auseinander. Und deswegen ist es wichtig, die wahre Vorstellung zu haben, jene Vorstellung, die Gott selbst von den Menschen angenommen wissen will.

Diese wahre Vorstellung hat uns Christus in seiner Offenbarung gebracht. Deswegen gibt es das Christentum, damit die Menschen die wahre Vorstellung von Gott haben. Deswegen gibt es eine Offenbarung. Deswegen gibt es eine Kirche.

Gott ist ein einziger. Aber mit dieser Aussage ist das Wesen Gottes bei weitem nicht beschrieben. Wir müssen heute zwei weitere Eigenschaften Gottes uns vor Augen führen, nämlich seine Wahrheit und seine Güte. Die Wahrheit Gottes. Was besagt es, wenn wir von Gott sagen: Gott ist die Wahrheit? Gott ist die Wahrheit in einem dreifachen Sinne, im ontologischen, im logischen und im moralischen Sinne. Gott ist die ontologische Wahrheit, die Seinswahrheit. Das bedeutet, Gott stimmt mit der Idee, die es von Gott gibt, völlig überein. Deswegen haben Konzilien wie das I. Vatikanische Konzil, aber auch das IV. Laterankonzil, es ausgesprochen: Wir glauben an den wahren Gott. Es gibt nämlich auch falsche Götter. Man muß aber an den wahren Gott glauben, an den Gott, wie er in Wahrheit ist, an den Gott, wie er mit seiner Idee übereinstimmt.

Wir glauben an den wahren Gott, das besagt: Gott ist die Wahrheit selbst. Weil er das Sein selbst ist, das subsistierende Sein, ist er auch die Wahrheit selbst. Er hat nicht die Wahrheit, wie wir sie haben oder auch nicht haben, er ist die Wahrheit. Er ist die Allwahrheit, weil nämlich alle Wahrheit der Geschöpfe von ihm kommt. Die Geschöpfe sind in ihrer Erkennbarkeit von Gott geschaffen. Im göttlichen Intellekt, im göttlichen Verstand sind die Ideen aller Dinge aufbewahrt, von Ewigkeit vorhanden. Gott ist auch die höchste Wahrheit, weil er jede geschöpfliche Wahrheit weit, weit überragt. Gott ist die Wahrheit, das will sagen: Gott stimmt mit der Idee von Gott voll und ganz überein.

Gott ist die logische Wahrheit. Das besagt, bei Gott sind Erkennen und Sein eins. Das Erkennen Gottes ist untrüglich. Wenn Gott etwas erkennt, dann täuscht er sich nicht, dann entgeht ihm nichts, wie uns Menschen, sondern seine Erkenntnis ist wahr. Mit seinem unendlichen Intellekt vermag er alles bis in die letzten Tiefen zu durchschauen und zu erfassen. Sein Erkennen deckt sich mit der Wirklichkeit. Von unserem Erkennen müssen wir sagen, es ist bruchstückhaft, vollzieht sich in Rätseln und Bildern. Gott durchlotet mit seinem Erkennen die Wirklichkeit bis in die letzten Tiefen; vor allem sein eigenes Wesen. Wir haben am letzten Sonntag erkannt: Auch wenn der Mensch Gott schaut, vermag er ihn nie komprehensiv, umfassend zu erkennen. Das ist unmöglich. Dazu bedarf es eines göttlichen Intellektes. Gott aber besitzt diesen Intellekt und vermag sich deswegen selbst bis in die Tiefen zu durchschauen und zu erfassen. Gott ist die logische Wahrheit, und wenn wir überhaupt etwas erkennen können, wenn wir Denkgesetze haben, die richtig sind, dann kommen sie von Gott her. Er ist die Quelle aller logischen Wahrheit.

Es gibt Denkgesetze, z. B. das Gesetz vom Widerspruch. Das Gesetz vom Widerspruch sagt, ein Gegenstand kann nicht gleichzeitig in derselben Hinsicht verschieden sein. Ein Fotoapparat kann nicht gleichzeitig schwarz oder grün sein. Das ist ein einfaches Beispiel für das Gesetz vom Widerspruch. Und dieses Gesetz kommt aus dem göttlichen Verstande zu den Menschen. Die Denkstrukturen, die wir haben, stammen aus dem göttlichen Verstand. Selbstverständlich besitzen wir sie in abgeleiteter und gebrochener Form. Aber daß es sie überhaupt gibt, das ist auf Gott als ihre Exemplar- und Wirkursache zurückzuführen.

Gott ist die ontologische, die logische, aber auch die moralische Wahrheit. Worin besteht die moralische Wahrheit? Sie besteht darin, daß Denken und Reden übereinstimmen. Das nennt man Wahrhaftigkeit. Und sie besteht in der Treue, nämlich daß Reden und Handeln übereinstimmen. Gott ist ein wahrhaftiger und ein treuer Gott. Wenn er sagt: „Es werde Licht!“, dann wird Licht. Und wenn er sagt: „Das ist mein Leib!“, dann ist das sein Leib. Gott trügt nicht und kann nicht betrogen werden. Auch die Geheimnisse des Glaubens, die wir nicht durchschauen können, wie Dreifaltigkeit, Menschwerdung, Altarsakrament, müssen wir auf das Wort Gottes hin glauben, weil er der wahrhaftige Gott ist. „Du bist nicht ein Gott, dem die Lüge gefällt.“ Die spätere heilige Franziska von Chantal, diese große Frau, die einen Orden gegründet hat, erlebte einmal als Kind, als fünfjähriges Mädchen, wie ein calvinistischer Adliger ihren Vater besuchte. Und sie hörte dem Gespräch zu und vernahm, wie dieser Calvinist die Gegenwart Christi im Altarsakrament leugnete. Denn daran glauben ja die Calvinisten nicht. Da stellte sich das fünfjährige Mädchen zornig vor diesen Edelmann hin und sagte: „Monseigneur,“ sie sprach ja französisch, „Monseigneur, man muß glauben, daß Jesus im Altarsakrament gegenwärtig ist. Wenn Sie es nicht glauben, machen Sie ihn zum Lügner!“ Dieses Mädchen von fünf Jahren hatte etwas von der Wahrhaftigkeit Gottes, von der Wahrhaftigkeit Jesu erfaßt. Das ist also die Wahrheit Gottes, die ontologische, die logische und die moralische Wahrheit Gottes.

Nun zweitens die Güte Gottes. Auch sie ist eine ontologische, eine moralische und eine wohlwollende Güte. Sie ist eine ontologische Güte. Was besagt das? Gut ist etwas in sich, wenn es die Vollkommenheit hat, die ihm von Natur aus zukommt. Gott aber besitzt alle Vollkommenheiten, die überhaupt nur denkbar sind. Er ist unendlich vollkommen, und deswegen ist er unendlich gut. Er ist die Güte selbst. Weil sein Sein unendlich ist, ist auch seine Güte unendlich. Er ist die Allgüte, weil alle Güte, die andere, die Geschöpfe, haben, von ihm kommt. Die Güte der Geschöpfe ist eine mitgeteilte, eine abgeleitete, und darum ist Gott die Allgüte. Er ist auch die höchste Güte, weil ein unendlicher Abstand besteht zwischen der menschlichen Güte und der göttlichen Güte. Gott ist also im vollen Sinne gut. Seine unendliche Güte ist einzigartig und von keinem Geschöpfe einzuholen, nur in einem schwachen Lichte abzubilden.

Gott ist die moralische Güte. Das will sagen, er ist heilig. Er ist die moralische Güte, weil er frei von Sünde ist und von lauteren Sitten. In Gott ist keine Schuld und keine Sünde, und zwar ist es, anders als bei uns, bei Gott nicht nur tatsächlich so, sondern es ist notwendig so. Gott besitzt nicht nur die Sündenfreiheit, er besitzt die Unsündlichkeit. Er kann nicht sündigen. Das ist tatsächlich eine Grenze, wenn man so sagen will, seiner Allmacht. Gott kann nicht sündigen. Er ist unsündlich. Warum? Weil bei ihm sein Wille und das Sittengesetz zusammenfallen. Sein Wille ist das Sittengesetz, und er selbst ist das Sittengesetz. Er kann nicht sich selbst untreu werden. Er müßte sich selbst zerstören, wenn er sündigen könnte. Ja, er würde sich selbst zerstören, wenn es möglich wäre, daß er sündigen könnte. Gott ist also unendlich rein, und das hat die Heilige Schrift immer wieder gelehrt: „Heilig ist der Herr der Heerscharen.“ Gott ist also der Allerreinste, weil er der Allerheiligste ist.

Und schließlich neben der ontologischen und der moralischen Güte die wohlwollende Güte, die benignitas Gottes. Sie besteht darin, daß er sich als der gütige Gott offenbart in der Schöpfung, in der Erhaltung, in der Vorsehung, in der Erlösung, in der Heiligung, in den unzähligen Gnadengaben und Wohltaten, die Gott über seine Geschöpfe häuft. Vor allem erfahren seine Güte und Liebe die Menschen. „Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen. Er hat Fleisch angenommen aus Maria, der Jungfrau, und ist ein Mensch geworden. Er ward gekreuzigt für uns und um unserer Sünden willen, und ist auferstanden und aufgefahren in den Himmel.“ Für uns! Für uns! Für uns! heißt es im ganzen Credo, pro nobis!

Das sind also die beiden Eigenschaften Gottes, die wir heute betrachten wollten, die Wahrheit Gottes und die Güte Gottes. Gott ist der wahre Gott, weil er sich selbst treu ist und sich selbst treu bleibt, weil er nicht täuschen kann und nicht getäuscht werden kann, weil keine Lüge in ihm wohnt. Wie sagt Jesus bei Johannes: „Der mich gesandt hat, der ist treu.“ Und Gott ist die Güte, weil er alle Vollkommenheiten besitzt in unendlichem Maße. Er ist die Allgüte, er ist die höchste Güte, er ist die wesenhafte Güte. Und er ist der heilige Gott. „Heilig, heilig, heilig“ rufen wir in jeder heiligen Messe ihm zu. Das heißt: Du bist erhaben über alles Irdische, über alles Geschöpfliche, du bist aber auch erhaben über alle Unzulänglichkeit und über alle Schuld.

Und da muß der Prophet Isaias sich fürchten: „Herr,“ sprach er, als er diese Erscheinung vom heiligen Gott hatte, „ich bin ein Mann mit unreinen Lippen.“ Ja, das sind wir; Männer und Frauen mit unreinen Lippen und, was viel schlimmer ist, mit unreinem Herzen gegenüber dem reinen Gott, der absolut und in jeder Hinsicht und ohne Abschwächung gut und heilig ist.

Zur Fastenaktion dieses Jahres, meine lieben Freunde, verschickt das Institut MISSIO in Aachen Materialien. In diesen Materialien ist auch eine Meditation, das ist also eine Betrachtung für den Gottesdienst, für das, was wir heilige Messe nennen, vorgesehen. In dieser Meditation ist die Rede vom Gott Buddhas, vom Gott Mohammeds und vom Gott Jesu von Nazareths. Das ist eine blasphemische Nebeneinanderstellung. Hier werden die Irrtümer mit der Wahrheit auf eine Stufe gesetzt. Wer so etwas tut, zerstört den Glauben. Es gibt nämlich einen wahren Gott und eine wahre Vorstellung von Gott, und es gibt falsche Götter. Und deswegen ist Jesus erschienen, um die Bollwerke des Irrtums zu zerstören. Da wollen wir nicht wieder diese Bollwerke aufrichten.

Nein, meine lieben Freunde, wir wollen uns halten an unseren Herrn Jesus Christus, an seine Wahrheit, an seine Kirche, die die Hüterin dieser Wahrheit ist, und wollen bekennen: Du allein bist der wahre Gott, du allein bist der gütige Gott, du allein bist der heilige Gott, und an dir wollen wir festhalten bis zum letzten Atemzuge!

Amen.

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