Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Seele
1. November 1988

Die Seele – ein geistiges Prinzip

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Tot ist tot und aus ist aus!“ So sagte mir einmal ein Mann, von dem ich wußte, daß er ein Ehebrecher war. Doch sagen das nicht nur die Ehebrecher. „Tot ist tot und aus ist aus!“ Im Jahre 1745 schrieb ein französischer Arzt ein Buch „Naturgeschichte der Seele“, und bald darauf ein zweites: „Der Mensch, eine Maschine“. In diesen Büchern vertrat der Verfasser die Ansicht, der Mensch sei ganz und gar und ausschließlich Stoff, Materie. Was wir Seele nennen, das sei nur eine falsche Bezeichnung für Vorgänge, die sich physikalisch und chemisch restlos auflösen und aufklären lassen. Bewegungen von Atomen und Molekülen im Gehirn, das ist das, was die Menschen nach seiner Meinung fälschlich Seele nennen. Der Affe ist genauso viel und genauso wenig wert wie der Mensch, er sieht nur anders aus und ist weniger intelligent.

Sie werden zugeben, meine lieben Freunde, daß diese Meinung bis heute nicht ausgestorben ist. Wenn Sie viele Menschen fragen, dann werden Ihnen nur wenige antworten, eine Minderheit: Es gibt eine Seele, es gibt eine geistige Seele, und diese geistige Seele ist unsterblich. In jüngster Zeit, man sollte es nicht für möglich halten, sind sogenannte katholische Theologen aufgetreten, die die Ganztod-Hypothese vortragen, das heißt: Wenn der Mensch stirbt, stirbt er ganz. Es bleibt nichts lebendig, alles stirbt. Katholische Theologen tragen die Ganztod-Hypothese vor! Und wenn Sie einmal in das neue Meßbuch schauen und sich die Messen ansehen, die wir früher als Seelenmessen bezeichneten, dann werden Sie feststellen, daß in fast allen diesen Messen von der Seele keine Rede mehr ist.

Der große Kämpfer für die Wahrheit, Professor Paul Hacker in Münster, ein Konvertit, hat darüber einen schönen Aufsatz geschrieben: „Seelenmesse ohne Seele“. Ja, was ist denn das? So fragt sich jeder normale Katholik, der an seinem Glauben festhält. Gibt es eine Seele, oder gibt es keine Seele? Lebt die Seele, wenn der Leib stirbt, oder lebt sie nicht? Gibt es eine Unsterblichkeit, oder gibt es keine Unsterblichkeit? Wozu feiern wir dann Allerheiligen? Wo sind denn dann die Heiligen, die wir heute feiern, wenn sie nicht leben, wenn ihre Seele nicht lebt?

Vor einigen Monaten, am 25.Juli 1988, stellte Frank Elstner in der ZDF-Sendung „Die stillen Stars“ einen Mann vor namens John Eccles, einen Australier. Dieser Mann ist Neurobiologe, Mediziner, der sich mit dem Gehirn befaßt, und Nobelpreisträger, hat also die höchste wissenschaftliche Auszeichnung empfangen, die wir kennen. Sein Auftritt in der Sendung von Frank Elstner wurde zu einer dramatischen Angelegenheit. Denn dieser Hirnforscher vertrat dort ungescheut seine Überzeugung: Der Mensch hat ein geistiges Prinzip. Dieses geistige Prinzip lenkt das Gehirn und über das Gehirn den Körper. Dieses geistige Prinzip ist von Gott geschaffen und überlebt den Tod des Leibes. So der Hirnforscher John Eccles.

Wann hat man in den letzten Jahren so etwas einmal aus dem Munde eines katholischen Bischofs oder eines katholischen Priesters gehört, was dieser Hirnforscher da im Fernsehen vor allen Menschen als seine wissenschaftliche Überzeugung verkündet hat? Für die Existenz der Seele, für ihre Geistigkeit, für ihr Unsterblichkeit gibt es Vernunftgründe, aber auch Glaubensgründe. Wir können aus der Tätigkeit der Seele auf ihre Fähigkeit und aus ihrer Fähigkeit auf ihr Wesen schließen.

Tätigkeiten der Seele, das sind vor allem Denken und Wollen. Nun denkt aber der Mensch Dinge, die in der Erfahrungswirklichkeit überhaupt nicht vorkommen. Wo in der Erfahrungswirklichkeit begegnet uns Geistigkeit, Ewigkeit, Unsterblichkeit, Gott? In der Erfahrungswirklichkeit sind alle diese eben genannten Gegenstände nicht zu finden. Es muß also in uns ein geistiges Prinzip sein, das sich über die Erfahrungswirklichkeit erhebt, das aus dem, was es mit den Sinnen wahrnimmt, Folgerungen zieht, die weit über alle Materie hinaus liegen. Ähnlich ist es mit dem Wollen. In der materiellen Welt sehen wir als Tätigkeiten der Lebewesen Stoffwechsel, Bewegung, Fortpflanzung, aber nirgends in der Erfahrungswirklichkeit sehen wir sittliche Verpflichtung, Streben nach Tugend oder Verlangen nach Seligkeit. Doch unser Wille vermag nach Tugend zu streben, er vermag sich über das Materielle, Irdische, Stoffliche zu erheben. Er kann sich sehnen nach der Seligkeit, nach der Seligkeit bei Gott.

Das alles hat er aber nicht aus der materiellen Welt. Diese Antriebe und Ziele sind über die materielle Welt erhaben. Und jetzt können wir aus diesen Tätigkeiten schließen: Wenn die Seele zu solchen Tätigkeiten fähig ist, dann muß sie eben die Fähigkeit dazu in sich tragen, und diese Fähigkeit ist nicht vom Stoff vermittelt. Der Stoff vermag diese Wirklichkeit nicht zu erzeugen.

Nehmen wir ein Beispiel: Wenn ein liebender Sohn, eine liebende Tochter ein Telegramm bekommt: „Mutter angekommen“, dann wird er sich freuen. „Ach, die Mutter ist nach einem Flug glücklich gelandet.“ Wenn aber derselbe Sohn oder dieselbe Tochter ein Telegramm bekommt mit den Worten: „Mutter umgekommen“, dann wird er in äußerste Trauer verfallen. Erklären diesen Unterschied in seinem Verhalten die 2 Buchstaben an und um? Ist nicht hier ein Verstehen, etwas Geistiges im Spiele, was durch die materiellen Buchstaben an- und umgekommen gar nicht erklärt werden kann?

Der Geist ist eine andere Wirklichkeit als der Körper. Der australische Hirnforscher E. sagt auch in seinen Schriften: „Es ist nicht der Körper, der die Geistigkeit strafft, sondern es ist der Geist, der sich den Körper baut.“ Der Körper liefert die Sinnesempfindungen, aber deren Deutung liefert der Geist.

Auf Erden ist der Geist in den Körper gebannt. Er bedient sich der Sinne, er bedient sich der Gehirnzellen, aber er ist nicht so an diese körperliche Wirklichkeit gebunden, daß er sich davon nicht lösen könnte. Weil er ein immaterielles Prinzip ist, macht er den Zerfall des Körpers nicht mit. Zerfall bedeutet nämlich Aufteilung in die Teile. Der Geist hat keine Teile, wie soll er dann zerfallen? Etwas, das nicht zusammengesetzt ist, kann nicht zerfallen. Der Geist ist nicht zusammengesetzt. Man kann nicht sagen, der Geist ist soundso breit und soundso hoch und soundso schwer, er ist weder breit noch hoch noch schwer, er ist anders als die Wirklichkeit, die wir in der stofflichen Welt vorfinden.

Ein ungläubiger Arzt fragte einmal einen Priester: „Sie bemühen sich, Seelen zu retten. Haben Sie die Seele schon einmal gesehen?“ „Nein.“ „Haben Sie sie gehört?“ „Nein.“ „Ja, haben Sie sie sonst wahrgenommen?“ „Doch,“ sagte der Priester, „ich fühle sie.“ Dann stellte er dem Arzt einige Fragen. „Haben Sie den Schmerz schon einmal gesehen?“ „Nein.“ „Haben Sie ihn gehört?“ „Nein.“ „Haben Sie ihn gerochen?“ „Nein.“ „Ja, aber gefühlt haben Sie ihn?“ „Jawohl.“ „Da sehen Sie, nur ein Sinn zeugt für die Wirklichkeit des Schmerzes, und Sie würden mich auslachen, wenn ich sagen würde, es gibt keinen Schmerz.“

Ähnlich ist es mit der Seele. Die Seele macht sich bemerkbar, ihr Walten ist dem Menschen offenkundig, und aus diesem Walten können wir auf ihre Existenz, auf ihre Fähigkeit und sogar auf ihr Wesen schließen.

In dem Höhepunkt der Französischen Revolution hat der unbestechliche Maximilien Robespierre als eine Art weltlicher Oberpriester das französische Parlament veranlaßt, zwei Wahrheiten als den Glauben der Franzosen anzuerkennen, nämlich die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele. Jawohl, das sei zum Ruhme von Maximilien Robespierre gesagt. An diesem Glaubensbekenntnis hielt er fest: Existenz Gottes und Unsterblichkeit der Seele. Es blieb primitiveren Geistern vorbehalten, diesen Vernunftgründen sich nicht zu beugen.

Aber außer den Vernunftgründen gibt es auch Glaubensgründe. Der Herr hat ja gesagt: „Fürchtet euch nicht vor denen, die nur den Leib töten können. Fürchtet euch vielmehr vor dem, der die Seele töten und sie in der Hölle verderben kann!“ Der die Seele in der Hölle verderben kann, den fürchtet! Und was heißt es denn, wenn er dem rechten Schächer in seiner Todesstunde sagt: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“? Der Körper des Mannes hängt doch offensichtlich am Kreuz, die Knochen werden zerschlagen, der Leichnam bleibt doch offensichtlich auf der Erde. Es muß also ein Paradies geben, eine Wirklichkeit, wo das Beste im Menschen, das geistige Ich, das Selbst, die Seele des Menschen, eine Heimat findet.

Und bei Johannes sagt der Herr: „Ich gehe hin, euch eine Wohnung zu bereiten. Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen.“ Was der Herr gelehrt hat, er, der es wissen mußte, denn er kommt aus der Welt Gottes, das haben seine Jünger, seine Apostel aufgenommen, an der Spitze der Apostel Paulus. Paulus schreibt an die Korinther: „Wissen wir doch, daß wir, wenn unsere irdische Zeltwohnung abgebrochen wird, einen Bau aus Gott haben, ein Haus, nicht mit Händen gebaut, ewig im Himmel.“ Also Paulus rechnet fest damit, daß er, wenn er stirbt, in den Himmel kommt.

Wir Priester bekommen immer die Todesnachricht von anderen Priestern unseres Bistums zugeschickt. Da steht immer drauf: „Im Glauben an die Auferstehung verstarb...“ Sehr schön! Ich bin sehr für die Auferstehung, aber jedermann fragt sich: Die Auferstehung läßt ja nun seit 2.000 Jahren auf sich warten. Christus ist vor 2.000 Jahren gestorben und in die Ewigkeit eingegangen. Jedermann stellt sich daher zuerst die Frage; Was ist denn mit denen, die in der Zwischenzeit gestorben sind, und was ist mit dem, der jetzt gestorben ist? Mich interessiert also zunächst einmal, was jetzt geschieht mit dem Verstorbenen hier. Deswegen, meine ich, sollte man nicht an erster Stelle auf die Auferstehung, so groß und gewaltig sie ist, auf die wir ja hoffen und die wir erwarten, rekurrieren, sondern zuerst einmal sagen, was jetzt geschieht. Und da geschieht das, was Paulus sagt: „Wir haben ein Haus aus Gott, ein Haus, nicht mit Händen gebaut, ewig im Himmel.“ In einer anderen Situation, als er im Gefängnis war, da schreibt er: „Mein Wunsch steht darauf, aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein, denn das ist bei weitem das Bessere.“ Das ist ja nun ein ganz klares Zeugnis. Mein Wunsch steht dafür, aufgelöst zu werden, d.h. eben zu sterben, und mit Christus zu sein, denn das ist bei weitem das Bessere. Also auch an dieser Stelle bezeugt Paulus eindringlich: Wenn er stirbt, dann wird er die Krone empfangen, die Christus seinen treuen Dienern verheißen hat, dann wird er mit ihm in der Ewigkeit zusammen sein.

Diese Zeugnisse, meine lieben Freunde, dürfen uns sicher machen. Wir lassen uns durch irregeleitete Theologen, auch durch meines Erachtens falsche Änderungen in den liturgischen Texten nicht irre machen. Die Kirche hat selbst gespürt, daß da etwas geschehen muß. Vor einigen Jahren hat der Heilige Vater durch die Glaubenskongregation, an deren Spitze Kardinal Ratzinger steht, eine Instruktion erlassen gegen die falschen Thesen zu den Letzten Dingen. Da verkündet der Heilige Vater durch dieses Organ: Es gibt ein geistiges Prinzip im Menschen, das den Tod des Leibes überlebt. Also der Heilige Vater und mit ihm die katholische Kirche hält eisern an der Wahrheit fest: Es gibt eine Seele. Die Seele ist geistig, sie stirbt nicht, sie ist persönlich unsterblich.

Sie haben alle schon einmal den Namen des großen Naturwissenschaftlers und Astronomen Johannes Kepler gehört. Kepler war evangelischer Christ, aber ein gläubiger Mann. Als er starb, da ließ er auf seine Grabstätte die Worte schreiben: „Modert der Leib auch, so schaut doch sein Urlicht der Geist.“ Wahrhaftig, das ist ein Bekenntnis zur Unsterblichkeit. Modert der Leib auch – der Leib vermodert –, so schaut doch sein Urlicht – Gott – der Geist.

Auf dem Mainzer Hauptfriedhof liegt ein Professor der Universität Mainz begraben, und auf seinem Grab stehen die schönen Worte: „Der Tod ist die Mitte zwischen zwei Leben.“ Zwischen dem armseligen irdischen Leben und dem seligen Leben bei Gott. Lasset uns hoffen, meine lieben Freunde!

Amen.

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