28. Mai 1987
Himmelfahrt Christi
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Der Tag der Himmelfahrt Christi konfrontiert uns mit drei Gegenständen,
1. mit dem Himmel,
2. mit der Auffahrt Christi zum Himmel und
3. mit dem Sitzen zur Rechten Gottes.
„Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen,“ hat Heinrich Heine einmal gesagt. Mit dieser Äußerung hat er sein tiefes Mißverständnis der christlichen Botschaft vom Himmel kundgegeben; denn wenn er den Himmel den Engeln und den Spatzen überläßt, dann heißt das ja, daß er die doppelte Bedeutung des Wortes „Himmel“ nicht begriffen hat. Der Himmel, in dem sich die Sperlinge und die anderen Vögel, die Wolken und die Sterne bewegen, das ist das Firmament, das wir mit unseren Augen sehen, das ist also ein Teil der Schöpfung, der uns durch mannigfache Hilfsmittel erschlossen werden kann, etwa durch die Raumfahrt. Der Himmel, in dem sich die Engel befinden, hat mit diesem Himmel nichts, aber auch gar nichts zu tun. Der Himmel, den die Engel bevölkern, ist die Gott vorbehaltene Wirklichkeit, die Seinsweise der Verklärung. Dieser Himmel ist von allem, was wir in der Erfahrung kennen, ob es nun die Erde oder das Firmament ist, total verschieden. Es ist also ein tiefes Mißverständnis, wenn Heine sagte: „Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen.“ Der Himmel der Engel hat mit dem Himmel der Spatzen nichts zu tun, er ist eine überirdische Wirklichkeit.
Daß mit dem Himmel, in den Christus aufgefahren ist, nicht das Firmament, nicht die Welt der Sterne und der Wolken, die Atmosphäre gemeint ist, das läßt die heilige Kirche in ihren Äußerungen zum Himmelfahrtsfest anklingen, wenn sie zum Beispiel sagt: „Als Sieger bist du heute über alle Himmel emporgestiegen.“ Also nicht in den Wolkenhimmel, sondern über alle diese Himmel, die wir mit den Augen sehen, durch das Fernrohr oder die fotografische Platte erschließen oder durch die Weltraumfahrt uns zu erobern bemühen. „Über alle Himmel!“ Er läßt also diese sichtbaren Himmel, alle diese geschöpflichen Himmel unter sich, wenn er sie durch seine Himmelfahrt übersteigt.
Der Himmel, in den Christus zurückgekehrt ist, ist die Gott vorbehaltene Seinsweise. In diesen Himmel ist er aufgefahren. Nun könnte das Wort „auffahren“ ja nahelegen, daß dieser göttliche Himmel doch oben sei. Das wäre jedoch ebenfalls ein Mißverständnis. Wenn die Heimkehr Christi sich so vollzog, daß er nach oben auffährt und nicht nach unten, so hat das einen guten Grund, denn „oben“ ist ein Sinnbild für die Helligkeit, für die Freude, für die Schönheit, für das Gute. „Unten“ ist ein Sinnbild für das Dunkel, für das Böse, für die Trauer, für die Klage, so wie wir ja auch die Toten in der Erde bergen. Wenn also Christus nach oben auffuhr, dann soll damit angedeutet werden, daß er nicht an den Ort oder in den Zustand der Verdammnis, sondern daß er in die Seligkeit eingeht, daß er in die Heimat zurückkehrt, in der er war, bevor er auf diese Welt herabkam.
Daß er in die Welt Gottes eintrat, dafür bürgen auch die Wolke und die Engel. Die Wolke ist im biblischen Sprachgebrauch immer ein Zeichen für die Gegenwart Gottes. Ein Zeichen, nicht die Gegenwart Gottes selbst. Und die Engel, die da auftraten, sind wiederum ein Bürge, ein Beweis dafür, daß Christus in die himmlische Herrlichkeit, in das Glück des Vaters zurückgekehrt ist. Die Erde konnte ihn nicht festhalten. Seine irdische Seinsweise hatte er ja durch Verwandlung mit der himmlischen Seinsweise vertauscht, und die verklärte Wirklichkeit Christi fand auf Erden keinen Platz mehr. Deswegen ist es auch unrichtig, zu meinen, Christus habe während der 40 Tage nach seiner Auferstehung bis zur Himmelfahrt auf Erden irgendwo gewohnt. Keineswegs! In diesen 40 Tagen lebte er beim Vater und erschien vom Vater, um sich seinen Jüngern zu offenbaren, um in ihnen den Glauben an die Auferstehung zu befestigen. Jetzt aber sind die Erscheinungen zu Ende. Jetzt gibt es keine Erscheinung mehr wie in diesen 40 Tagen. Jetzt ist der Himmel die vorbehaltene Wirklichkeit, in der die verklärte Natur des Menschen Jesus Christus weilt, um den verdienten Siegespreis für sein Leiden in Empfang zu nehmen.
Man hat versucht, die Himmelfahrt mit dem heidnischen Glauben von der Apotheose zu erklären. Was ist Apotheose? Nun, das ist die Meinung, Menschen könnten nach ihrem Tode vergöttlicht werden, zu Göttern erhoben werden. Im griechisch-römischen Kulturraum war eine solche Meinung z. B. gängig von den Kaisern. Man nahm an, daß die Kaiser nach ihrem Tode vergöttlicht würden. Eine solche Heranziehung, ein solcher Vergleich scheitert daran, daß Christus nicht ein anderer wurde, sondern daß bei ihm in der Verklärung nur sichtbar und deutlich wurde, was er schon immer war, nämlich der wesensgleiche Gottessohn. Er wurde nicht ein anderer, sondern er wurde anders. Die Verklärung ist nicht die Ersetzung einer Persönlichkeit durch eine andere, sondern sie ist die Offenbarung dessen, was in Christus von Anfang an war, nämlich daß seine menschliche Natur mit dem Logos, mit der zweiten Person der Gottheit vereinigt wurde.
Diese menschliche Natur sitzt jetzt, so sagt es die Kirche, zur Rechten Gottes. Gott ist ein unumschriebenes Wesen. Er hat nicht Hände und Füße wie ein Mensch, deswegen ist die Redeweise, Christus sitze „zur Rechten Gottes“, nicht buchstäblich, sondern bildlich zu verstehen. Mit der Rechten Gottes ist nicht eine Hand, wie der Mensch sie besitzt, gemeint, sondern mit der Rechten Gottes ist die Herrlichkeit des Vaters gemeint, das Glück und die Seligkeit Gottes. Christus nimmt teil an der Herrlichkeit Gottes. Wenn wir sagen, er sitze zur rechten Hand Gottes, dann ist nicht ein Ruhen an einem bestimmten Ort, sondern der Eingang in die Herrschermacht, die dem Vater eigen ist, die endgültige Teilnahme an der Herrlichkeit Gottes gemeint.
„Er sitzet zur Rechten Gottes, von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Jawohl, dieses Herrschertum zeigt sich zuerst in seiner Gerichtsmacht. Er ist der Richter und er wird einmal wiederkehren, wenn der Augenblick, der große Augenblick des Weltgerichtes gekommen ist. Daß mit der Rede von dem Eingehen in den Himmel und dem Platznehmen zur Rechten Gottes bildlich gesprochen wird, sehen wir auch daran, daß der heilige Stephanus in seiner Vision Christus nicht sitzen, sondern stehen sah. Damit ist natürlich auch wieder etwas ausgedrückt. Wenn sich Christus gleichsam von seinem Throne erhoben hat, um zu stehen, dann ist das ein Zeichen der Erwartung. Er wartet auf den Eingang seines Martyrers Stephanus in die himmlische Herrlichkeit. Er ist bereit, ihn aufzunehmen. Er ist gewillt, ihm entgegenzugehen. Das ist der Sinn dieser Vision des Stephanus: Er sieht Christus zur Rechten Gottes stehen.
Wir brauchen also keine Furcht zu haben, meine lieben Freunde, daß die Vorstellung von der Himmelfahrt an das antike Weltbild gebunden sei. Das, was den Kern der religiösen Wirklichkeit dieses Textes ausmacht, ist völlig unabhängig vom antiken Weltbild. Die Wirklichkeit der Himmelfahrt Christi besagt, daß er nach seinem Triumph im Tode und in der Auferstehung die Heimat wiedergewonnen hat, aus der er ausgegangen war, daß er an der Herrschermacht Gottes teilnimmt, daß er hingegangen ist, um uns eine Wohnung zu bereiten, daß er bereit ist, uns mit himmlischer Macht beizustehen, daß wir also ganz zu recht in jedem Gloria der heiligen Messe rufen: „Der du sitzest zur rechten Hand Gottes, erbarme dich unser!“
Amen.