Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. Mai 1997

Komm, Schöpfer Geist

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Pfingsfreude Versammelte!

„Komm, Schöpfer Geist, kehr’ bei uns ein, besuch’ das Herz der Kinder dein. Erfülle nun mit deiner Gnad’, die deine Macht erschaffen hat!“ So lautet die erste Strophe unseres schönsten Pfingstliedes. Es ist darin die Rede vom Schöpfergeist und seiner Macht. Das soll das Thema unserer heutigen Betrachtung sein. Wir wollen fragen, was dieser Schöpfergeist in Natur und in Übernatur schafft und bewirkt.

An erster Stelle ist der Schöpfergeist der Urheber der Natur. Im Ersten Buch der Heiligen Schrift steht der Satz: „Der Geist Gottes brütete über dem Urmeer.“ Der inspirierte Schriftsteller hat mit Absicht das Wort „brütete“ gewählt; er will damit nahelegen, daß der Geist Gottes eine ähnliche Tätigkeit verrichtet wie es ein Vogel, der seine Eier ausbrütet, tut. Er ist schöpferisch, er bringt etwas hervor. Das soll mit dem Ausdruck „brütete“ ausgedrückt werden. Gott ist der Schöpfer, der alles hervorgebracht hat und der alles geschaffen hat, der alles geordnet hat, von den unbelebten Wesen über die belebten bis zum Geist des Menschen. Der Psalm 103 ist so ein rechter pfingstlicher Psalm. Er wird auch in der ganzen Pfingstzeit im nächtlichen Gebet, das wir Priester verrichten, gebetet, weil darin von diesem schöpferischen Geiste die Rede ist. Da heißt es nämlich: „Deiner harren sie alle“ – die Tiere, die Menschen, alle Wesen –, „daß du sie speisest zur rechten Zeit. Spendest du ihnen, so sammeln sie ein. Tust du die Hand auf, so werden sie köstlich gesättigt. Doch kehrst du dein Antlitz ab, so faßt sie der Schrecken. Ziehst du zurück deinen Odem, so sterben sie und kehren wieder zum Staube. Du schickest deinen Hauch, so sind sie geschaffen. So machst du das Antlitz der Erde neu.“ Wahrhaftig, so ist es! Der Hauch Gottes, diese allmächtige Kraft des Dreieinigen, ist der Schöpfer alles Lebendigen, alles Wirklichen auf dieser Erde und im Himmel. Die menschliche Schöpferkraft ist von der göttlichen abgeleitet. Wir erfreuen uns der menschlichen Schöpferkraft. Wir wissen, was große Gelehrte, Dichter, Künstler hervorbringen können. Die menschliche Schöpferkraft ist aber bedingt und begrenzt. Sie ist nicht, wie man oberflächlich sagt, der Natur zu verdanken, sondern sie ist dem Schöpfer der Natur zu verdanken, der diese Kraft den Menschen gegeben hat. Mit welcher Freude sehen Eltern das erste Aufleuchten des Geistes in ihren Kindern! Und wahrhaftig, auch diese natürliche Kraft stammt vom Schöpfergeist her. Der Schöpfergeist hat die Natur und alles, was dazugehört, geschaffen; er hat es nicht nur geschaffen, er belebt es und erhält es im Dasein. Der Schöpfergeist ist auch heute wirksam wie am ersten Tag.

Noch wunderbarer und herrlicher ist seine Kraft im Schaffen des Übernatürlichen. Schon im Alten Testament wird vorausgesagt, daß der Erlöser und Retter, der Messias, der Christus, vom Heiligen Geiste erfüllt sein wird. Beim Propheten Isaias wird geschildert, mit welcher Ausstattung dieser Messias ins Leben tritt. „Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist des Erkennens und der Furcht des Herrn. An der Furcht des Herrn hat er sein Wohlgefallen.“ Und dieser Messias, Jesus Christus, ist zu verdanken dem Heiligen Geist. Schon sein natürliches Wesen wurde vom Heiligen Geist bewirkt. Sowohl im Matthäusevangelium wie im Lukasevangelium wird das Entstehen des Christus auf den Heiligen Geist zurückgeführt. „Der Heilige Geist wird über dich kommen“, so sagt der Engel Maria, „und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten.“ Josef wird beruhigt: „Das, was in Maria geworden ist, das stammt vom Heiligen Geiste.“ So ist also schon das natürliche Wesen des Christus dem Heiligen Geist zu verdanken. In der Kraft dieses Geistes hat er sein Leben bewältigt. Der Heilige Geist kam über ihn bei der Taufe in der Gestalt einer Taube. Vom Geist wurde er in die Wüste geführt, um versucht zu werden. In der Kraft des Geistes hat er seine Verkündigung getätigt. Zweimal wird davon geredet, wie Jesus in der Synagoge gepredigt hatte. Bei Lukas: Man reichte ihm das Buch des Propheten Isaias. Er öffnete das Bücherrolle und fand die Stelle, wo geschrieben steht: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil er mich gesalbt hat. Den Armen die Frohbotschaft zu bringen, hat er mich gesandt, zu heilen, die zerknirschten Herzens sind, den Gefangenen Befreiung und den Blinden das Augenlicht zu verkünden, die Niedergedrückten in die Freiheit zu entlassen, das Gnadenjahr des Herrn zu verkünden.“ Und dann, nachdem er die Buchrolle geschlossen hatte, erklärte er den Anwesenden: „Heute ist diese Schriftstelle vor euren Ohren in Erfüllung gegangen.“ Und an einer anderen Stelle, bei Matthäus, da ist wiederum zunächst von der Predigt in der Synagoge die Rede, und danach heißt es da: „Jesus merkte es und entfernte sich von dort. Viele folgten ihm, und er machte alle gesund. Er reinigte sie, und es ging dadurch in Erfüllung, was durch den Propheten Isaias gesagt worden ist: ‘Siehe mein Knecht, den ich erwählt, mein Liebling, an dem ich mein Wohlgefallen habe! Ich will meinen Geist auf ihn legen, und er wird den Völkern das Recht verkünden.’“ Diese Geisteskraft hat den Herrn in seinem ganzen öffentlichen Wirken getragen. Die Macht des Geistes war es auch, die ihn aus dem Grabe gerissen hat; denn er ist zwar aus dem Geschlechte Davids nach dem Fleische geboren, aber durch den Geist lebendig gemacht durch die Auferweckung von den Toten.

Dieser Geist ist es, der bei der Kirche geblieben ist. Vor einigen Jahren hat einmal ein Übersetzer der Heiligen Schrift das Zweite Buch, in dem die Schriften der Propheten enthalten sind und die anderen Lehrschriften, dem Heiligen Geist gewidmet, der durch die Propheten gesprochen hat. Ja, wahrhaftig, so ist es gewesen im Alten Bunde. Die Propheten waren vom Heiligen Geiste inspiriert. Der Geist Gottes ist über ihren menschlichen Geist gekommen und hat ihnen eingegeben, was sie zu sagen hatten. In der Kraft dieses Geistes haben sie gemahnt und gewarnt, getröstet und aufgerichtet. Die Aufgabe der Propheten war immer eine schwere, meine lieben Christen. Denn was sie zu künden hatten, war häufig eine schreckliche und die Menschen in Angst versetzende Botschaft, etwa beim Propheten Jeremias. Da tadelt er die Menschen: „Vom Kleinsten bis zum Größten ist alles bedacht nur auf eigenen Vorteil. Alle treiben Betrug. Meines Volkes Zusammenbruch wollen sie heilen, indem sie leichthin ‘Friede, Friede’ versichern, wo doch kein Friede ist. Schämen sollten sie sich, daß sie Schändliches taten, aber sie schämen sich nicht. Kein Erröten kennen sie mehr, drum sollen sie fallen, wenn alles fällt, und stürzen, wenn ich sie strafe.“ Und so ist es geblieben. Die prophetischen Männer und Frauen aller Zeiten haben ihren Zeitgenossen einen Spiegel vorgehalten und das, was der Geist Gottes ihnen zusprach, verkündet. Sie wurden deswegen verfemt und verfolgt, geschmäht und verachtet. Aber sie haben die Botschaft ausgerichtet, die Gott ihnen anvertraut hatte.

Ohne den Geist Gottes, meine lieben Freunde, wäre das Evangelium von Christus längst dem Vergessen anheimgefallen. Die Menschen hätten es längst zu einer humanistischen Lehranweisung umgefälscht. Sie hätten die großen, wunderbaren Wahrheiten in harmlose Moralanweisungen verdünnt, wenn nicht der Geist der Wahrheit in der Kirche geblieben wäre. Der Herr nennt ihn nicht umsonst  den Geist der Wahrheit. Damit soll gesagt werden: Er ist der Geist, der die Wahrheit kündet und der an der Wahrheit festhält, der die Wahrheit in der Kirche bewahrt und der sie den Menschen aufschließt. Dieser Geist wird dem Menschen vermittelt in der heiligen Taufe und begründet in ihm den Glauben. Manche stellen die Frage: Gehören nicht Glaube und Taufe zusammen? Muß man nicht erst glauben, bevor man getauft wird? Ja, natürlich, wenn man in einem Zustand ist, wo man den Glauben mit dem Verstande bereits fassen kann, also wenn man zur Vernunft gekommen ist. Aber es ist nicht umsonst, Säuglinge und Neugeborene zu taufen; denn in ihnen wird die Anlage des Glaubens begründet. Der Heilige Geist, der ihnen in der Taufe vermittelt wird, verschafft ihnen die Fähigkeit, die Habilität, in dem Augenblick, in dem sie zum Vernunftgebrauch gelangen, den Glauben auch mit der Vernunft und mit dem Willen zu ergreifen.

Der Heilige Geist erweckt auch die Liebe in den Menschen. Im Römerbrief heißt es: „Der Heilige Geist ist insofern in uns, als die Liebe Gottes ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, der uns gegeben wurde.“ Die Ausgießung des Heiligen Geistes macht uns zu Gotteskindern. „Gott hat“, so verkündet der Apostel Paulus, „seinen Geist über uns ausgegossen, und dadurch sind wir zu Kindern Gottes geworden.“ Im Galaterbrief heißt es: „Weil ihr nun Söhne seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater. Also bist du nicht mehr Knecht, sondern Sohn. Wenn aber Sohn, dann auch Erbe durch Gott.“ Und dieser Geist ist es auch, der die Gnadenimpulse in uns bewirkt. Alles, was wir Rechtes tun können, ist vom Heiligen Geiste gewirkt. Im Römerbrief drückt das der Apostel Paulus wie folgt aus: „Alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes. Ihr habt ja nicht empfangen den Geist der Knechtschaft, damit ihr euch wieder fürchten müßtet, sondern wir haben den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis zusammen mit unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind, wenn aber Kinder, so auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi.“

Diese wunderbare Wahrheit, daß wir im Heiligen Geiste leben, macht das Glück unseres Christenstandes aus. Wir sind mit dem Heiligen Geiste begabt, und wir werden von ihm geführt. Der Heilige Geist ist die Kraft unseres Glaubens und die Quelle unserer Liebe. Der Heilige Geist ist es, der die Zuversicht auf das ewige Leben in uns weckt und erhält, der die Hoffnung auf die endliche Erfüllung in uns wachhält. In diesem Heiligen Geiste sollen wir unser Leben vollziehen. Es kommt alles darauf an, daß wir ihn aufnehmen und in uns wirken lassen. Am Tage von Pfingsten, wo wir das Fest der Geistausgießung über die junge Kirche feiern, und in der ganzen Oktav von Pfingsten sollten unsere Gebete um den Heiligen Geist dringender und heißer werden als sonst. Wir sollten inniger und inbrünstiger um den Heiligen Geist bitten, daß er uns in der Fülle gegeben wird. Denn, so hat doch der Herr selbst verheißen: „Wenn ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wißt, um wieviel mehr wird der Vater im Himmel den guten Geist denen geben, die ihn darum bitten.“

Amen.

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