Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. April 2014

Die Emmausjünger

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Evangelist Markus berichtet, kurz, dass Jesus nach seiner Auferstehung zwei Wanderern erschienen sei. Der Evangelist Lukas gibt eine genaue und umfangreiche Schilderung über dieses Begebnis. Noch am Ostermorgen hatten sich zwei von den Jüngern Jesu auf den Weg gemacht aus Jerusalem in einen Ort namens Emmaus. Lukas berichtet, dass dieser Ort 60 Stadien von Jerusalem entfernt gewesen sei – das sind etwa 11,5 Kilometer. Aber der Ort, der diese Entfernung von Jerusalem entfernt ist, heißt nicht Emmaus. Das Emmaus, das heute noch den Namen Amwas trägt, liegt 30 Kilometer von Jerusalem entfernt. Und tatsächlich ist in manchen Handschriften der griechischen Bibel von 160 Stadien die Rede, nicht von 60. Es gibt drei Orte, die behaupten, das Emmaus der Bibel zu sein. Aber die Wahrscheinlichkeit ist am größten, dass das heute Nikopolis genannte Emmaus jenes ist, in das die Jünger am Ostersonntag gewandert sind. Der Gegenstand ihrer Gespräche waren die Heilsereignisse, die sie erlebt hatten. Sie unterhielten sich über ihre Meinungen, Hoffnungen und Befürchtungen. Sie waren Jünger Jesu, wahrscheinlich aus den 72 anderen, die Jesus ja neben den Aposteln ausgewählt hatte. Einer von ihnen trug den Namen Kleophas; der Name des anderen ist unbekannt. Plötzlich, unerwartet, schloss sich ihnen ein Wanderer an. Es war Jesus. Er wurde von ihnen nicht erkannt. Er war in einer anderen Gestalt, als er sie besessen hatte, als er noch mit ihnen in Galiläa und Judäa wanderte. In einer anderen Gestalt, und ihre Augen waren gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass auch bei anderen Gelegenheiten der Auferstandene von den Jüngern zunächst nicht erkannt wurde. Magdalena hielt ihn für den Gärtner. Die Jünger waren unsicher, wer der sei, der da mit ihnen an einem Feuer saß und Fische briet. Der Herr aber nahm an ihrem Gespräch teil. Er fragte sie: „Was sind das für Reden, die ihr da miteinander führt? Warum seid ihr traurig?“ Da zeigten sie sich erstaunt, dass er als der einzige Fremdling nicht wüsste, was sich in Jerusalem zugetragen hatte. „Ja, was denn?“ „Nun, das mit Jesus.“ Und jetzt quoll es aus ihnen heraus. Sie erklärten, Jesus sei ein außergewöhnlicher Prophet gewesen, er habe seine göttliche Sendung durch Wunder und Lehren bezeugt, Gott habe ihn bestätigt durch diese Wunder vor allem Volke. „Er war mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem Volke.“ Und obwohl sich Jesus als Gottgesandter ausgewiesen hatte, glaubten die Juden, glaubte die Masse der Juden nicht an ihn. Im Gegenteil: Gerade sein wunderbares Wirken war nach dem maßgebenden Ausspruch des Kaiphas der Grund, warum sie ihn verfolgten und ans Kreuz schlugen. Über diese Leidesgeschichte des Herrn berichten die Emmausjünger mit der Bemerkung, das Synhedrium (also der Hohe Rat) habe ihn Pilatus ausgeliefert, dieser habe ihn zum Tode verurteilt und ans Kreuz schlagen lassen. Mit Recht werden die Synhedristen, die Angehörigen des Hohen Rates, als die maßgebenden Verursacher des Todes Jesu angegeben. Und die beiden Jünger erzählten, welch herrliche Hoffnung sie gehabt haben: „Wir hatten gehofft, dass er das Reich Israel wiederherstellen werde.“ Diese Hoffnung kommt uns verdächtig vor. Es ist nämlich die Hoffnung der meisten Juden der damaligen Zeit gewesen. Sie meinten, die Herrlichkeit des irdischen Judenvolkes, wie sie in der Zeit Davids und Salomons bestanden hatte, werde wiederhergestellt werden. Sie hatten also eine irdisch-politische Messiashoffnung. Auch die treuesten Jünger Jesu haben sich davon nicht befreien können. Wir wissen ja, dass, noch vor der Himmelfahrt des Herrn, die Apostel fragten, ob er jetzt das Reich Israel wiederherstellen werde. Diese ihre Hoffnung ist stark erschüttert worden, weil dieser Jesus, von dem sie die Wiederherstellung des Reiches erwartet hatten, gestorben ist, und seit diesem Tode bereits drei Tage verflossen sind, ohne dass sie etwas Sicheres über sein Schicksal erfahren haben. Und dennoch haben sie einen Hoffnungsschimmer. Sie erwähnen die Frauen, die am Grabe waren und ihn nicht fanden. Und sie erwähnen die Botschaft des Engels, der ihnen sagte: „Ihr sucht den Gekreuzigten, er ist auferstanden.“ Aber das konnte die Jünger, die Emmausjünger noch nicht zum Glauben führen.

Jetzt aber nahm Jesus das Wort und legte ihnen den wahren Sinn der messianischen Weissagungen aus. „O ihr Unverständigen, wie schwer kommt es euch an, alles zu glauben, was die Propheten gesprochen haben!“ Er deckt also den tiefsten Grund auf, warum sie zwischen Hoffnung und Furcht schwanken. Die Jünger haben nicht das richtige Verständnis der prophetischen Verheißungen und darum auch nicht die richtige Vorstellung vom Messias. Sie haften am Irdisch-Politischen und vergessen das Ethisch-Religiöse. Der Heiland, der als Herzenskundiger die Glaubensgeneigtheit der beiden Wanderer kannte, tritt jetzt als ihr Lehrmeister auf. Er erteilt ihnen Unterricht, Nachhilfeunterricht, exegetischen Unterricht, Erklärung der Heiligen Schrift. Jetzt fällt das entscheidende Wort, das Schlüsselwort für das Leiden des Messias: „edei“ heißt es im Griechischen, er musste, er musste leiden. Warum? Weil der Vater es so wollte. Weil die Sünden der Menschen getilgt werden mussten. Weil auch für ihn der Weg zur Seligkeit über das Leiden führte. Er musste leiden. Das war Exegese aus erster Hand. Das war Erklärung der Schrift durch ihren Inspirator. Das war Lehre aus göttlicher Autorität. Und er fing dann an von Moses und den Propheten ihnen die Schriftstellen auszulegen, die für das Leiden des Herrn in Frage kamen. Man kann an das Protevangelium denken im Buche Genesis, wo es heißt: „Feindschaft will ich setzen zwischen dir und der Frau“, und wo das Buch dann auf den Schlangentreter zu sprechen kommt, der der Schlange, dem Satan, dem Verführer den Kopf zertritt. Und dann natürlich die vielen prophetischen Weissagungen von Jeremias, von Isaias, die Psalmen, die von ihm sprechen: der Psalm 21: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?, der Psalm 31, der Psalm 68. Er berichtete also von den Weissagungen des Alten Bundes und von ihrer Erfüllung im Leben und Sterben Jesu. An dieser Stelle, meine lieben Freunde, muss ich Ihnen etwas ganz Trauriges erklären. Es gibt nämlich Theologen – christliche Theologen! –, die von einem vaticinium oder mehreren „vaticinia ex eventu“ sprechen – vaticinia ex eventu, d.h. sie verdächtigen die Evangelisten, das Leben Jesu so geschildert, so verfälscht zu haben, dass die Weissagungen des Alten Bundes auf es zutrafen. Also nicht die Weissagungen sind erfüllt worden – nach diesen Falschlehrern –, sondern das Leben Jesu ist umgebildet, ist „frisiert“, ist gefälscht worden, um es als Erfüllung der Weissagung ausgeben zu können. Das lehren christliche Theologen! Der Herr hat eine Exegese anderer Art. Er zeigt, was im Alten Bunde von Jesus vorausgesagt wurde und was im Neuen in Erfüllung gegangen ist.

Diese Belehrung bringt eine Veränderung in der Haltung der Emmausjünger mit sich. Sie sind ergriffen, später werden sie sagen: „Brannte nicht unser Herz?“, d.h.: Haben wir nicht mit voller innerer Bewegung erkannt, dass hier die wahre Lehre über Jesus und über seine Geschicke uns vorgetragen wird? „Brannte nicht unser Herz?“ Und diese Veränderung in ihrem Inneren schlägt sich nieder in ihrem äußeren Verhalten. Jesus stellte sich zunächst, als wolle er, nachdem sie angekommen waren in Emmaus, weitergehen. Er wollte sie auf die Probe stellen. Und diese Probe bestanden sie, denn sie luden ihn ein, bei ihnen zu bleiben: „Bleibe bei uns, denn der Tag hat sich geneigt.“ Und der Herr ließ sich einladen. Er ließ sich einladen zu einem Abendessen – es muss ja so Mittag gegen drei oder vier Uhr gewesen sein, wo sie angekommen sind. Und da erkannten sie ihn. Da erkannten sie ihn beim Brotbrechen. So hat er es immer gemacht, wie er es jetzt wieder tat! Man hat sich die Frage gestellt: Was war das für ein Mahl? War es ein Sättigungsmahl oder war es eine Eucharistiefeier? Ich bin überzeugt, dass es ein Sättigungsmahl war. Warum? Der Hauptgrund liegt darin, dass die Jünger vom Emmaus gar nichts von der Einsetzung der Eucharistie wussten. Sie war ja erst vor wenigen Stunden erfolgt und konnte in der Aufregung, unter dem Schrecken dieser Tage überhaupt nicht anderen vermittelt werden. Aber ohne dass man weiß, was Eucharistie ist, kann man sie auch nicht feiern. Deswegen nehme ich an, es handelt sich hier nicht um eine Eucharistiefeier, sondern um ein einfaches Abendmahl, wie es eben für müde Wanderer bereitet wird. Auch die Ausdrücke, die im Griechischen stehen, lassen diese Deutung zu, denn es sind dieselben, wie sie gebraucht werden bei der Brotvermehrung in Galiläa. Die Jünger erkannten Jesus am Brotbrechen, weil er eine offenbar unnachahmliche Art hatte, wie er den Segen über das Brot sprach und wie er es ihnen austeilte. Und das war der Gipfelpunkt ihres Erlebnisses. Kaum hatten sie den Herrn erkannt, da entschwand er ihrem Blicke. Das Wandern und das Essen mit ihnen, das war Zeichen seiner Menschheit; sein plötzliches Verschwinden war Zeichen seiner Gottheit. Kraft der Veränderung seiner Natur konnte er sich mit Leichtigkeit und Behendigkeit von einem Ort zum anderen bewegen. Trotzdem, die Jünger waren mit großem Trost und überreicher Freude erfüllt. Sie vergaßen Hunger, Müdigkeit und Trauer, sofort machten sie sich wieder auf, zurück nach Jerusalem, wo sie ungefähr um zehn Uhr abends angekommen sein werden, und berichteten den Aposteln, dass Jesus erstanden und ihnen erschienen sei. Aber auch in Jerusalem hatte sich Neues ereignet. Der Auferstandene ist dem Simon erschienen, dem Petrus! Dieser war – wahrscheinlich noch vor dem Erlebnis von Emmaus – einer besonderen Erscheinung des Herrn gewürdigt worden.

Meine lieben Freunde, wir gehen heute nicht mehr nach Emmaus. Uns gesellt sich der Herr nicht mehr in sichtbarer Gestalt zu, aber wir glauben und wissen, dass er auch in fremder Gestalt in uns und bei uns ist. Das Konzil von Trient weist eigens darauf hin, dass in der Eucharistie der Auferstandene „in fremder Gestalt“ bei uns ist. Wahrhaft, wirklich und wesentlich, aber in einer anderen Gestalt, um unsere Empfindlichkeit und Schwäche zu schonen. Wir sprechen zu ihm wie die Emmausjünger: „Herr, bleibe bei uns jetzt und heute und wenn es Abend wird in unserem Leben. Bleibe bei uns in unserer Niedergeschlagenheit und Not. Bleibe bei uns in unseren Zweifeln und in unserer Unsicherheit. Bleibe bei uns, o Herr, und verlass uns nicht.“

Amen. 

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