Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
5. April 1999

Die Botschaft des leeren Grabes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im Leben Jesu treten wiederholt Engel auf. Als er in Bethlehem geboren ward, da war eine englische Schar zugegen und stimmte das Loblied auf den Erlösergott an. Nach seiner Versuchung traten Engel herbei und dienten ihm. Am Ölberge erschien ein Engel und tröstete ihn. Bei der Himmelfahrt sind englische Boten zugegen, welche den Männern von Galiläa erklären, was hier vor sich geht. Aber auch nach der Auferstehung treten Engel auf und geben den Besuchern am Grabe Aufklärung über das, was sich zugetragen hat. Die drei Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas berichten von den Engeln am Grabe. Bei Matthäus heißt es: „Der Engel nahm das Wort und sprach zu den Frauen: ,Fürchtet euch nicht! Ich weiß, daß ihr Jesus, den Gekreuzigten, suchet. Er ist nicht hier. Er ist nämlich auferstanden, wie er gesagt hat. Kommet und sehet den Ort, wo er gelegen hat. Nun geht eilends und saget seinen Jüngern, daß er auferstanden ist! Sehet, er geht euch voraus nach Galiläa; daselbst werdet ihr ihn sehen. Sehet, ich habe es euch gesagt.‘“ Im Markusevangelium wird derselbe Vorgang wie folgt beschrieben. „Der Engel sprach zu ihnen: ,Erschrecket nicht! Ihr suchet Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Sehet den Ort, wo sie ihn hingelegt hatten. Aber geht hin und sagt seinen Jüngern, besonders dem Petrus, daß er euch vorangeht nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.‘“ Und schließlich im Lukasevangelium heißt es: „Diese aber sprachen zu ihnen: ,Was suchet ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden. Erinnert euch daran, wie er zu euch gesagt hat, als er in Galiläa war: Der Menschensohn muß in die Hände der Sünder ausgeliefert und gekreuzigt werden, aber am dritten Tage wird er auferstehen.‘“

Es ist ohne weiteres zu erkennen, daß diese drei Texte, die dasselbe Ereignis bezeichnen, nicht wörtlich übereinstimmen. Wörtliche Übereinstimmung ist aber nicht das einzige Kriterium für die Tatsächlichkeit eines Ereignisses. Wenn wir drei Personen über ein und dasselbe Geschehnis befragen, dann werden sie in verschiedener Weise darüber berichten. Der eine faßt zusammen, was er erlebt hat, der andere verkürzt es, und der dritte gibt es nur dem Sinne nach wieder. Wenn man über die Osterpredigt, die Bischof Lehmann in diesem Jahr gehalten hat, einen Bericht geben möchte, dann wird der eine sagen: Er hat über das Kosovo gesprochen. Ein anderer wird bemerken: Er hat davon geredet, daß Menschenrecht Völkerrecht bricht. Ein dritter wird von dieser Wendung in der Osterpredigt Lehmanns überhaupt nichts bemerken. Und doch bezeichnen alle dasselbe Ereignis, nämlich die Predigt, die Bischof Lehmann am Ostersonntag im Mainzer Dom gehalten hat. Die wörtliche Berichterstattung ist in den Evangelien nur hin und wieder zu beobachten. Es gibt Abweichungen davon. Ein deutliches Beispiel ist die Geschichte von der Erweckung der Tochter des Jairus. Markus berichtet, wie der Herr das Mägdlein bei der Hand nahm und zu ihm sprach: „Talita kumi“, das heißt: Mädchen, ich sage dir, stehe auf! Wörtlich bedeuten die aramäischen Worte „Talita kumi“: Mädchen, stehe auf! Die drei Worte „Ich sage dir“ sind nicht aus dem aramäischen Text herauszulesen, die hat Markus hinzugefügt, um deutlich zu machen, daß Jesus die Vollmacht hat, Tote dem Leben wiederzugeben. Also nicht nur die wörtliche Rede ist wahrheitsgetreue Aussage, auch eine zusammenfassende, eine verkürzende, eine deutende Rede gibt untrüglich ein bestimmtes Ereignis wieder.

Die Engel, daran müssen wir uns erinnern, haben ja nicht griechisch gesprochen; aber das Neue Testament ist in griechischer Sprache verfaßt. Sie haben aramäisch gesprochen. Wir haben also eine Übersetzung vor uns, und das ist auch einer der Gründe dafür, weswegen Abweichungen bei den drei Evangelisten festzustellen sind. Dennoch ist ihnen ein Dreifaches gemeinsam. Erstens: Die Engel (oder der Engel) deuten das leere Grab und weisen darauf hin. „Seht die Stelle, wo sie ihn begraben haben!“ Es ist offenbar wichtig, zu zeigen, daß das Grab einmal besetzt war und jetzt leer ist. Das Grab ist nicht mehr voll, nämlich mit dem Leichnam, sondern der Leichnam ist verschwunden, und dieses Verschwinden braucht eine Erklärung. Es kann ja sein, daß der Leichnam, wie es Maria Magdalena zunächst meint, irgendwo anders hin verbracht worden ist, oder, wie die Juden fälschlich ausgeben, daß er gestohlen worden sei. Nein, die Engel erklären das Verschwinden des Leichnams. „Er ist nicht mehr hier. Seht die Stätte, wo sie ihn beerdigt haben! Er ist auferstanden.“ Das Verschwinden ist also so zu erklären, daß der Leichnam nicht anderswohin verbracht worden ist, sondern daß er durch die Macht Gottes aus dem Grabe gerissen wurde und in verklärter Gestalt in die Herrlichkeit des Vaters erhoben wurde. Man sieht aus dieser Rede der Engel, wie wichtig das leere Grab ist. Es ist eben ganz falsch, wenn heute auch katholische Theologen erklären, das Grab hätte auch besetzt sein können. Es ist falsch, wenn das der Professor Hilberath aus Bingen sagt, der jetzt in Tübingen Dogmatik lehrt. Es ist falsch! Das Grab muß leer sein, wenn Jesus leibhaftig und wirklich auferstanden sein soll. Und es ist leer gewesen; die Engel bezeugen es, die Frauen prüfen es nach, und die Jünger stellen es fest. Alle drei Evangelisten sind sich hier einig: Die Stätte, an der Jesus begraben wurde, ist leer. Der Begrabene ist auferstanden in die Herrlichkeit des Vaters.

Eine zweite Aussage ist ebenso allen gemeinsam. Die Engel sagen nämlich: „Erinnert euch daran, wie er euch vorhergesagt hat, als er noch unter euch weilte!“ Die Engel (oder der Engel) erinnern also daran, daß Jesus seine Auferstehung angekündigt hat. Es gibt nicht nur die Leidensweissagungen Jesu, es gibt auch die Auferstehungsweissagungen Jesu. Im Matthäusevangelium wird an fünf Stellen davon berichtet, daß Jesus sein Leiden, seine Auslieferung und seine Auferstehung vorhergesagt hat. Wie immer es auch die Jünger aufgenommen haben mögen, wie unverständlich sie auch gegen diese Ankündigung gewesen sein mögen: Die Tatsache, daß Jesus Tod und Auferstehung angekündigt hat, ist unzweifelhaft. Und diese Ankündigung ist eingetroffen. Es ist nicht nur sein Todesschicksal in Jerusalem erfüllt worden, nein, auch seine Auferstehungsankündigung wurde eingelöst. Der Vater hat seinen Sohn nicht in der Verwesung gelassen, sondern er hat ihn erweckt und aus dem Grabe gerissen. Die Weissagungen Jesu sind durch die Macht des Vaters erfüllt worden, und zwar nicht nur jene, die ja verständlich sind, nämlich daß er seinen Häschern zum Opfer gefallen ist, sondern auch die andere, die ganz und gar befremdend war, nämlich daß er den Tod nicht auf die Dauer schauen würde, sondern daß der himmlische Vater ihn den Lohn für seine Treue und seinen Gehorsam finden lassen würde in der Auferstehung aus dem Tode.

Eine dritte Aussage machen die Engel, nämlich es geht darum, daß der Auferstandene den Jüngern vorausgeht nach Galiläa. Diese Ankündigung findet sich nur bei Matthäus und Markus, sie fehlt bei Lukas. Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für diejenigen, die den Evangelisten Widersprüchlichkeit und Gegensätze vorwerfen. Aha, so sagt man, Lukas weiß nichts von Erscheinungen des Auferstandenen in Galiläa, und Markus und Matthäus wissen nichts von Erscheinungen des Auferstandenen in Jerusalem. Lukas berichtet nur Erscheinungen in Jerusalem, Markus und Matthäus bezeugen nur Erscheinungen in Galiläa. Ist das nicht ein Gegensatz? Widersprechen sich nicht die Evangelisten? Hat nicht Lukas, der vermutlich als dritter schrieb, ein Dementi verfaßt gegenüber den beiden vorhergehenden Evangelisten Matthäus und Markus? Zunächst einmal ist klar, daß Jesus mit den Erscheinungen in Galiläa wiederum eine Ankündigung wahrgemacht hat. Am Gründonnerstagabend hat er den Jüngern gesagt, daß er nach seiner Auferstehung ihnen vorangehen werde nach Galiläa. Er hat diese Ankündigung eingelöst. Die Jünger haben ihn gesehen auf dem Berge, auf den er sie beschieden hatte, am Gestade des Sees, wo sie im Fischen begriffen waren. Jesus ist ins heilige Land Galiläa zurückgekehrt, in jenes Land, wo er seine ersten Anhänger gefunden hat, wo er seine großen Wunder gewirkt hat. Galiläa ist das heilige Land seines Wunderwirkens, aber auch das heilige Land seines Sich-Zeigens nach seiner Auferstehung. Jerusalem dagegen ist die Stätte, wo er seine Feinde fand, wo die Feinde sich gegen ihn verschworen und wo es ihnen gelang, ihn dem Tode zu überliefern. Das ist der Grund, warum Matthäus und Markus allein auf die Erscheinungen in Galiläa abstellen. Warum berichtet aber Lukas nur von Erscheinungen in Jerusalem? Auch das läßt sich einsichtig begründen, denn Lukas hat zwei Bücher geschrieben, ein Evangelium und eine Apostelgeschichte. Die beiden Bücher sind miteinander verknüpft; Lukas weist ja am Anfang der Apostelgeschichte darauf hin, daß er schon einmal ein Buch geschrieben hat. „In meinem ersten Bericht, lieber Theophilus, handelte ich von allem, was Jesus von Anfang an getan und gelehrt hat bis zum Tage seiner Aufnahme in den Himmel.“ Er weist also zurück auf sein Evangelium. Er greift auch in dem Sinne auf das Evangelium zurück, daß er da ansetzt, wo er mit dem Evangelium aufgehört hat. Die Apostelgeschichte beginnt mit dem Wirken der Jünger in Jerusalem, und deswegen hat Lukas die Erscheinungen des Herrn in Jerusalem berichtet. Jerusalem ist für ihn der Ausgangspunkt des Evangeliums. Er wird zeigen, wie dieses Evangelium von Jerusalem bis nach Rom vorgedrungen ist, von Hauptstadt zu Hauptstadt, und darum war ihm daran gelegen, die den Glauben begründenden und den Glauben festigenden Erscheinungen des Herrn in Jerusalem den Jüngern, den Lesern seiner Schriften vor Augen zu führen. Kein Dementi, keine Desavouierung von Markus und Matthäus, nein, eine Ergänzung. Lukas ergänzt, was bei den anderen aus einsichtigen Gründen nicht berichtet wurde. Denn wenn Jesus 40 Tage erschienen ist, dann ist natürlich in den Evangelien nur ein Bruchteil der Erscheinungen berichtet, und jeder Evangelist wählte die Erscheinungen aus, die seinen literarischen Zwecken am dienlichsten schienen. Die beiden ersten Evangelisten wollten Galiläa als das heilige Land des Wunderwirkens Jesu abschließend krönen mit den Berichten seiner Erscheinungen. Lukas, der in die Zukunft schaut, wo das Evangelium seinen Siegeszug antritt, wollte Jerusalem als den Ausgangspunkt dieses Evangeliums kundmachen, indem er die begründenden Erscheinungen an diesem Ort erwähnte.

Die beiden anderen Evangelisten, nämlich Johannes und der Verfasser des Markus-Schlusses, der dem Evangelium des Markus nachträglich beigefügt wurde, diese beiden also haben Erscheinungen sowohl in Jerusalem als auch in Galiläa. Sie haben keinen Widerspruch darin gefunden, von Erscheinungen zu berichten, die sich in Galiläa, und solchen, die sich in Jerusalem zugetragen haben. Kein Widerspruch, kein Gegensatz, sondern eine Ergänzung. Wir dürfen uns auf das Wort des Engels am Grabe verlassen: „Er ist nicht mehr hier. Seht die Stätte, wohin sie ihn gelegt hatten! Er ist auferstanden, wie er euch gesagt hat. Er geht euch voran nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen.“ Und auch das andere Wort, das Lukas überliefert, trifft zu, nämlich: Nachdem sie in Galiläa ihn gesehen hatten, kehrten sie zurück nach Jerusalem und dort erwarteten sie die Herabkunft des Geistes, der aus furchtsamen Fischern wortgewaltige Künder und Zeugen der Auferstehung machen sollte.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt