Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. Juli 1990

Das Meßopfer als sakramental gefeiertes Kreuzesopfer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenige Gegenstände des katholischen Glaubens hat Martin Luther mit so erbittertem Haß verfolgt wie das heilige Meßopfer. Er sprach davon, daß hier ein Menschenwerk aufgerichtet werde, das im Gegensatz zum Erlösungswerk unseres Herrn und Heilandes stehe. Ist dieser Vorwurf berechtigt?

Wir haben an den vergangenen Sonntagen erkannt, daß das Meßopfer, das eucharistische Opfersakrament, nichts anderes ist, als das im Hier und Jetzt des kirchlichen Lebens erscheinende Kreuzesopfer. Das Meßopfer ist das von der Kirche gefeierte Kreuzesopfer. Das Meßopfer ist ganz und gar ein relatives, ein beziehentliches Opfer. Es ruht nicht in sich selbst, sondern es hängt ganz und gar vom Kreuzesopfer ab. Es ist nicht nur auf das Kreuzesopfer hingeordnet, wie ein Mensch auf den anderen hingeordnet ist, sondern die Beziehung zum Kreuzesopfer erschöpft sein Wesen. Das Meßopfer ist das von der Kirche in sakramentaler Weise gefeierte Kreuzesopfer. Aus dieser Erklärung erkennt man, daß der Vorwurf Luthers ins Leere geht. Das Meßopfer verdunkelt nicht das Kreuzesopfer, sondern führt es zur Erscheinung. Das Meßopfer ist nicht ein Menschenwerk, das im Gegensatz zum Erlösungswerk des Heilandes aufgerichtet wird, sondern es ist die Erscheinung des Erlösungswerkes Christi, es ist sein Wirksam-Werden, es ist seine Darstellung. Im Meßopfer zeigt sich die Kraft und die Reichweite des Kreuzesopfers.

Beim Kreuzesopfer war Christus der Opferpriester. Er hat sich in vorbehaltloser Hingabe dem Vater überliefert, in letztem Gehorsam, in liebeglühender Hingabe hat er sich dem Vater anheimgegeben, seinen Leib und sein Blut dargebracht zur Erlösung der Menschen. Sein Priestertum, das er am Kreuzesopfer zum Gipfel geführt hat, hat nicht aufgehört. Er führt sein Priestertum weiter. In der Herrlichkeit des Himmels stellt er dem Vater fortwährend seine Liebe und seine Hingabe, die er am Kreuze bewiesen hat, vor. Von dieser priesterlichen Tätigkeit Christi umgriffen ist aber auch das Meßopfer. Christus ist der Priester im Meßopfer. Er ist der Opferpriester der heiligen Messe. Er ist der Träger des eucharistischen Opfersakramentes.

In Monza in Italien und in der Kirche von Sankt Lorenz vor den Mauern in Rom sieht man Bilder, auf denen Christus abgebildet ist, wie er das Meßopfer feiert. Diese Bilder geben einen verborgenen Tatbestand richtig wieder. Christus ist es, der das Meßopfer in höchster und eigentlicher Weise darbringt. Freilich nicht mehr in der irdischen Gebärde, wie am Kreuze, sondern er bedient sich der Kirche als seiner Hand und als seines Mundes. Er hat das Meßopfer der Kirche übergeben, und die Kirche dient ihm bei der Darbringung des Meßopfers, das ja das in sakramentaler Gestalt erscheinende Kreuzesopfer ist, als seine Hand und als sein Mund. Dadurch, daß Christus das Kreuzesopfer der Kirche anvertraut hat, wird es der Kirche eigenes Opfer. Sie kann es als ihr Opfer im Meßopfer dem Vater im Himmel darbringen. Indem Christus das Kreuzesopfer in der heiligen Messe gegenwärtigsetzt, gibt er es der Kirche gleichsam in die Hand, damit sie in das Kreuzesopfer eingehen und es dem Vater im Himmel als ihr Opfer darbringen könne.

Die Weise, wie Christus im Meßopfer das Kreuzesopfer darbringt, wie er also als Opferpriester im Meßopfer tätig ist, ist noch eine offene Frage. Es gibt zwei Meinungen unter den kirchentreuen Theologen über die Weise, wie Christus im eucharistischen Opfersakrament wirksam ist. Die erste Erklärung lautet folgendermaßen: Christus setzt in der heiligsten Eucharistie einen neuen Opferakt, der aber innerwesentlich bezogen ist auf das Opfer am Kreuze. In diesen neuen Opferakt geht die Kirche ein, sie nimmt teil an diesem Opferakt und kann dadurch, weil ja durch diesen Opferakt Leib und Blut Christi gegenwärtig werden, das Meßopfer als ihr Opfer dem Vater im Himmel darbringen. Die zweite Erklärung weicht davon etwas ab. Sie sucht die Einmaligkeit des Kreuzesopfers mit der Tatsache zu vereinigen, daß auch das Meßopfer ein wahres Opfer ist. Bei der ersten Erklärung kann man sehr gut verstehen, daß die heilige Messe ein wahres Opfer ist, weil Christus sich erneut dem Vater opfert. Aber weniger eindeutig scheint zu sein, daß das Meßopfer identisch ist mit dem Kreuzesopfer, weil zwar Opfergabe und Opferpriester dieselben sind, aber der Opferakt ein neuer ist. Das vermeidet die zweite Erklärung. Sie sagt: Christus setzt im eucharistischen Opfersakrament im sakramentalen Symbol sein Fleisch und Blut als Opfergabe gegenwärtig, damit die Kirche sie als ihre Opfergabe dem Vater im Himmel darbringen kann. Entscheidend ist der Unterschied zu der ersten Auffassung: Kein neuer Opferakt Christi, auch wenn er innerwesentlich bezogen ist auf das Kreuzesopfer, sondern Christi Tätigkeit erschöpft sich darin, das Kreuzesgeschehen gegenwärtigzusetzen, auf daß die Kirche es aufnehmen und in dieses Geschehen eingehen kann.

Wie immer man die Erklärung der Art und Weise, wie Christus im eucharistischen Opfersakrament tätig ist, bestimmt, eines ist klar: Das eucharistische Opfer ist das Opfer der Kirche. Christus hat es der Kirche als seiner Braut anvertraut, damit sie in das Opfer des Bräutigams, Christi, eingehen könne. Das ist die Weise, wie das Kreuzesopfer gegenwärtig wird. Es ist das Opfer der Kirche. Die Relation, also die Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers, geschieht um der Applikation willen, um der Zuwendung des Kreuzesopfers willen. Die Applikation, die Zuwendung des Kreuzesopfers, könnte nicht erfolgen ohne Relation, ohne Gegenwärtigsetzung. Und die Gegenwärtigsetzung findet ihr Ziel in der Applikation, in der Zuwendung des Kreuzesopfers an die Kirche.

Jetzt verstehen wir auch, meine lieben Freunde, warum in der heiligen Messe so oft die Bitte um Annahme des Opfers erfolgt. Da könnte jemand sagen: Wenn die Messe das gegenwärtiggesetzte Kreuzesopfer ist, warum müssen wir dann besorgt sein um die Annahme? Hat es der Vater im Himmel nicht mit höchstem Wohlgefallen angenommen? Um die Annahme des Kreuzesopfers als solches brauchen wir nicht besorgt zu sein, aber insofern das Kreuzesopfer in der heiligen Messe unser Opfer wird, müssen wir besorgt sein, wir mit unseren unreinen Händen und mit unseren unreinen Lippen und unserem unreinen Herzen. Wir müssen besorgt sein, daß Gott unser Opfer annimmt, das Kreuzesopfer, insofern es unser Opfer ist. Freilich spricht sich in der heiligen Messe auch die Zuversicht aus, daß Gott dieses Opfer annehmen wird, daß er nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben seiner Kirche schauen wird und um dieses Glaubens willen das Meßopfer annehmen wird.

Christus hat das Kreuzesopfer seiner Braut, der Kirche, anvertraut, der ganzen Kirche. Die ganze Kirche ist ja, wie wir wissen, ein priesterliches Volk. „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliger Stamm, ein Gott zugeeignetes Volk“, ruft uns der Apostel Petrus zu. Die ganze Kirche ist also priesterlichen Charakters. Die gesamte Gemeinschaft bringt das Opfer Christi, das im Meßopfer gegenwärtig wird, dem Vater im Himmel dar. Die Messe ist tatsächlich ein Gemeinschaftsopfer. Aber die Gemeinschaft handelt durch einzelne Glieder. Sie hat Beauftragte, die in ihrer Repräsentation, in ihrer Vertretung, das Meßopfer gegenwärtig setzen. Diese Beauftragten nennen wir Priester. Es war von Anfang an die Überzeugung der Kirche, daß Christus im Abendmahlssaal die anwesenden Apostel zu Priestern eingesetzt hat, als er sprach: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Dies war von Anfang an die Überzeugung der Kirche, und unser gegenwärtiger Heiliger Vater wird nicht müde, daran zu erinnern, daß im Abendmahlssaal das Priestertum des Neuen Bundes wurzelhaft begründet wurde. Die Apostel haben dieses Priestertum weitergegeben an ihre Nachfolger, die Bischöfe, und die Bischöfe an die Priester, und so ist dieses Priestertum heute auf uns gekommen. Es blieb unserer Zeit vorbehalten, meine lieben Freunde, daß in der katholischen Kirche von sogenannten katholischen Theologen diese Wahrheit geleugnet wird. Ich kenne einen Bischof, der gesagt hat, das könne man heute nicht mehr sagen, daß Christus im Abendmahlssaal die Apostel zu Priestern eingesetzt hat.

Wir wollen uns an das halten, was die Kirche immer gelehrt hat und infolgedessen auch heute lehrt, ja ausdrücklich lehrt durch den Mund des Heiligen Vaters: Christus hat im Abendmahlssaal seine Apostel zu Priestern geweiht. Als er sprach: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“, hat er ihnen eine Vollmacht verliehen, die keiner mit ihnen teilt, nämlich die Vollmacht, das eucharistische Opfersakrament zu vollziehen, das Opfer darzubringen für das Volk und anstelle des Volkes. Die Priester schalten das Volk von der Darbringung nicht aus. Die Gläubigen nehmen an der Darbringung teil, sie sind an der Opfertätigkeit beteiligt. Aber sie opfern im Priester, mit dem Priester und durch den Priester. Der Priester ist ihr Repräsentant, der Priester ist ihr Vertreter, und sie schließen sich dem Priester an. Das kommt ganz deutlich zum Ausdruck, meine lieben Freunde, wenn in jeder heiligen Messe der Priester ans Volk gewendet spricht: „Betet Brüder, daß mein und euer Opfer – und euer Opfer – wohlgefällig werde bei Gott, dem allmächtigen Vater!“, und wenn das Volk daraufhin antwortet: „Der Herr nehme das Opfer an aus deiner Hand zum Lob und Ruhme seines Namens, zum Segen für uns und seine ganze heilige Kirche!“

Amen.

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