Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. August 2006

Den Leib in Ehrfurcht rein bewahren

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gegenüber unserem Leib haben wir die Verpflichtung, ihn gesund zu erhalten, wie wir am vergangenen Sonntag erkannten. Aber wir haben noch eine weitere Aufgabe, nämlich ihn in heiliger Ehrfurcht zu behandeln, auch hinsichtlich der Geschlechtskraft. Die Geschlechtskraft ist ja von Gott für die Weitergabe des Lebens eingesetzt und deswegen gut, aber sie kann wie alles Gute mißbraucht werden, und hier liegt der Missbrauch besonders nahe. Wir sprechen, wenn wir das rechte Verhältnis zum Leib ausdrücken wollen, von der Keuschheit. Keuschheit ist nichts anderes als Ordnung im Geschlechtlichen. Keusch ist, wer seine Geschlechtskraft in gottgewollter Weise beherrscht und gebraucht.

Kaum eine andere Tugend zeigt so sehr die Geistigkeit des Menschen wie die Keuschheit. Sie zwingt den starken und rebellischen Trieb unter das Gesetz des Geistes. Da lebt der Mensch in der wahren Freiheit der Kinder Gottes; da strahlt aus seinen Augen ein Glanz; da liegt auf seiner Stirn eine Weihe, eben der Glanz der Reinheit und die Weihe der Keuschheit. Vor dieser Tugend müssen wir mit großer Achtung stehen, denn Gott selbst spricht in der Heiligen Schrift davon: „O wie schön ist ein keusches Geschlecht, das im Licht der Tugend glänzt! Bei Gott und den Menschen ist es in Ehren.“ Der Herr sagt: „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott anschauen.“

Die Keuschheit ist eine Säule des inneren Lebens. Der keusche Mensch ist auch in aller Regel der gläubige Mensch. Der keusche Mensch ist auch der fromme Mensch. Die Keuschheit macht es ihm leicht, fromm zu sein, gottinnig zu sein. Die Keuschheit ist auch ein Segen für die Gemeinschaft und für das Volk. Wo Keuschheit herrscht, das sind gesunde Familien, da wächst ein gesundes Volk heran, und da blüht auch das Gottesreich der Kirche. Meine lieben Freunde, wenn die katholische Kirche nichts anderes getan hätte, als die Tugend der Keuschheit zu verkünden und immer gegen alle Widerstände hochzuhalten, dann wäre sie deswegen schon ein großer Segen für die Menschheit.

Die Keuschheit geht verloren durch die Unkeuschheit. Unkeuschheit ist der Missbrauch der Geschlechtskraft. Er kann innerlich, und er kann äußerlich vor sich gehen, innerlich durch Wollen und Suchen der verbotenen fleischlichen Lust und äußerlich durch Handlungen und Werke, die dieses Begehren umsetzen. Wer immer mit vollem, klarem Bewusstsein und mit vollem freien Willen seinem Geschlechtstrieb auf unerlaubte Weise nachgibt, begeht eine Sünde, häufig und meistens eine schwere Sünde; denn es geht hier um eine wichtige Sache. Die Lebenskräfte müssen rein erhalten werden; die Zukunft einer Generation steht hier auf dem Spiel. Wir müssen es uns merken: Jede außerhalb der Ehe gesuchte geschlechtliche Lust ist sündhaft.

Wir unterscheiden Sünden innerhalb der Natur und außerhalb der Natur. Innerhalb der Natur sind alle die Sünden, die als Unzucht, Vergewaltigung, Nötigung, Blutschande, Ehebruch bekannt sind. Die Sünden gegen die Natur sind Selbstbefriedigung, Ehemißbrauch, Homosexualität. Man muss es ängstlichen Menschen sagen, dass nicht die ungewollte und unverschuldete sinnliche Lust und auch nicht das unfreiwillige Wohlgefallen an dieser Lust Sünde sind. Sünde ist etwas nur mit Willenszustimmung. Ohne den Willen kann auch auf diesem heiklen Gebiete eine Sünde nicht geschehen. Auch das Nachdenken über geschlechtliche Dinge ist keine Sünde, wenn dazu ein vernünftiger Grund vorhanden ist. Auch das Sprechen darüber ist nicht sündhaft, wenn ein einwandfreies Motiv es leitet. Es kommt eben entscheidend auf die Gesinnung und auf die Absicht an.

Die Unkeuschheit erniedrigt den Menschen an Leib und Seele. Hier wird die Gottesordnung umgeworfen, die Seele wird hier zum Sklaven des Triebes. Das Ebenbild Gottes wird beschmutzt, der Tempel des Heiligen Geistes geschändet. „Unkeuschheit“, sagt der Apostel Paulus, „darf unter euch nicht einmal genannt werden“ – geschweige denn getan werden. Gott hat die Unkeuschheit in der Geschichte streng geahndet. Denken wir etwa an das Strafgericht über Sodom und Gomorrha. Diese schamlosen Städte wurden mit Feuer und Schwefel ausgetilgt. Unter der Wüstengenration hat der Herr 23.000 niedergestreckt wegen ihrer Unzucht.

Die Folgen der Unzucht sind fatal, denn der unkeusche Mensch vergeudet seine Kräfte, die Kräfte, die als Lebenskraft ihm dienen sollen. Man hat es manchmal als Seelsorger erlebt, wie Jungen, seltener Mädchen, wie Jungen, die zu großen Hoffnungen berechtigten, in der Schulzeit plötzlich schlaff und welk wurden, eben durch das Laster der Selbstbefriedigung, dieser stummen Sünde, mit der sie ihren Körpern die Kräfte entzogen haben. Diese Sünde bricht die Willenskraft, meine lieben Freunde, und deswegen ist sie der Wegbereiter für viele andere Sünden. Wo die Keuschheit stürzt, da bricht auch vieles andere zusammen.

Vor allem ist der Verlust der Keuschheit verantwortlich für den Verlust des Glaubens. Der Glaubensverlust hat bei vielen Menschen mit der Aufgabe der Keuschheit begonnen. Der Zweifel am Glauben, das Nachlassen der Glaubenspraxis, die Aufgabe des Gebetes und des Sakramentenempfanges, schließlich der Abfall vom Glauben sind häufig das Ergebnis der Unkeuschheit. Gott, der Geber der Gebote, ist den Unkeuschen lästig, und um von ihm scheinbar frei zu werden, sucht er ihn zu vergessen und von ihm Abstand zu gewinnen. Es gilt wahrlich das Wort von Augustinus: „Die Welt wäre nicht ungläubig, wenn sie nicht unkeusch wäre.“

Die letzte traurige Folge für den unbußfertigen Sünder – für den unbußfertigen Sünder! – ist der Verlust der ewigen Seligkeit. Die Heiligen, die sich besser auskennen als wir, sind der Meinung, dass die meisten Menschen, die in die Hölle kommen, wegen dieser Sünde den Weg dahin nehmen. Das stimmt überein mit dem, was der Apostel Paulus sagt: „Merkt euch: Kein Unzüchtiger, kein Unreiner hat Anteil an dem Reiche Gottes und Christi.“ Und Johannes sagt in seiner Apokalypse: „Der Unzüchtigen Anteil wird sein im Pfuhle, wo Schwefel und Feuer brennt.“

Angesichts des Ernstes der Unkeuschheit sündigt man auch dann gegen die Keuschheit, wenn man sie leichtsinnig einer Gefahr aussetzt. „Wer die Gefahr liebt, kommt darin um.“ Der einmal geweckte sinnliche Trieb ist einem Raubtier gleich, das seine Beute mit unwiderstehlichem Hunger sucht. „Usu crescit, numquam satiatur“, sagt der heilige Hieronymus von der Libido, von der Geschlechtslust. Usu crescit, dadurch dass man sie übt, wächst sie, numquam satiatur, sie wird niemals satt, denn sie verlangt immer stärkere Dosen. Usu crescit, numquam satiatur. Es ist ein Irrtum, zu meinen, wenn man der Geschlechtslust nachgibt, würde man Ruhe haben. Das Gegenteil ist der Fall. Die einmal geweckte Lust verlangt immer stärkere Dosen.

Wir haben die Aufgabe, die Keuschheit zu bewahren. Auf vielen Wegen schleicht sich das Laster in die Seele. Der erste Weg sind Blicke. Die Blicke, die wir aussenden, sind ein Fenster, durch das die Sünde einsteigt. In der Heiligen Schrift wird ein krasses Beispiel dafür geboten, wie Blicke zur Unkeuschheit führen können. Der König David schaute, wie in einem benachbarten Hause eine schöne Frau sich badete. Er ließ dahin schicken und verging sich mit ihr. Ihren Mann Urias ließ er umbringen, um diese Frau für sich zu besitzen. Die zweite Weise, wie die Unkeuschheit in die Seele steigt, sind Reden. In manchen Kreisen wird das Reden über geschlechtliche Dinge, das unflätige Reden über geschlechtliche Dinge als Thema Nummer eins bezeichnet. Das ist es auch bei vielen; das haben wir ja in der Wehrmacht erlebt. Wenn man unzüchtige Reden führt, verführt man andere Menschen zu dieser Sünde. Es gibt ein Mittel, um hier einen Wandel zu schaffen. Man soll sich einen solchen Redner beiseite nehmen und ihn unter vier Augen ermahnen, diese Reden zu lassen. Man kann auch das Gespräch auf andere Gegenstände bringen oder sich entfernen, wenn nichts anderes hilft. Von der heiligmäßigen Frau Luise Hensel, der Lehrerin, die uns manche Lieder geschenkt hat, wird berichtet, wie sie einmal einen Jungen in die Flucht trieb, der unflätige Reden führte. Luise Hensel nahm einen Bund von Brennesseln, hieb sie ihm auf den Mund, und damit war es für immer erledigt. Er hat das Mädchen gemieden.

Auch Gesellschaften können zu dieser Sünde führen. Wir wissen ungefähr, wo es gefährlich wird, und wir sollten solche Gesellschaften meiden. Sie sind besonders gefährlich, wenn der Alkohol dazukommt, denn der Alkohol enthemmt und mindert die Verantwortung. Schlüpfrige Reden und schlüpfrige Tänze gießen Öl ins Feuer. Schließlich aber muss auch erinnert werden an die eigene Begierlichkeit. In unserem Herzen wohnt die Begierde. Sie ist uns trotz Nachlaß der Erbsünde belassen. Zum Kampfe, wie das Konzil von Trient sagt, zum Kampfe ist uns die Begierlichkeit belassen. Sie ist eine Folge der Sünde und macht zur Sünde geneigt, aber sie ist keine Sünde in sich, wie Luther behauptete. Sie ist eine Folge der Sünde und macht zur Sünde geneigt, und sie bleibt auch im Getauften zurück, denn sie ist eine Gelegenheit zur Bewährung. Sie kann denen, die ihr Widerstand leisten, keinen Schaden zufügen, im Gegenteil, wer recht gekämpft hat, der wird gekrönt. Von Friedrich Schiller stammt das schöne Wort: „Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden bleibt dem Menschen nur die bange Wahl.“ Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden bleibt dem Menschen nur die bange Wahl.

Nun freilich sei auch noch etwas vielleicht Tröstliches gesagt. Sehen Sie, meine lieben Freunde, wenn man so lange Seelsorger und Beichtvater ist wie ich, 55 Jahre, dann kennt man einigermaßen den Menschen. Und da muss ich sagen: Es gibt für die meisten Menschen, wenigstens zeitweise, ein sexuales Problem. Es gibt für die meisten Menschen, wenigstens zeitweise, ein sexuales Problem. Das heißt, die Sinnlichkeit beunruhigt sie. Aber viele haben diese Neigung überwunden, haben sich frei gemacht vom Hang zur Sünde. Sie blicken voll Dankbarkeit auf den Herrgott, der sie aus dem Schlamm gezogen hat. Und das ist nur möglich durch zwei Haltungen, nämlich erstens durch Wachen und zweitens durch Beten. Wir müssen eine Schutzmacht aufbieten für die Keuschheit, und das ist das Schamgefühl. Das Schamgefühl schützt uns vor den Gefahren gegenüber der Keuschheit. Es ist ein Wächter der Seele. Das Schamgefühl wittert nämlich, wo Gefahren sind und mahnt, ihnen fernzubleiben. Zum Wachen gehört auch Arbeit. Wer sich müde arbeitet, ist weniger geneigt, dem Trieb nachzugeben als einer, der überschüssige Kräfte besitzt. Dazu kommt Abhärtung, Enthaltsamkeit, Übung des Willens, Selbstbeherrschung. Das alles gehört zum Wachen, mit dem wir die Keuschheit bewahren. Dazu kommt das Beten. Wer täglich zum Vater im Himmel betet, der wird himmlisch gesinnt, und das bringt ihm Kraft aus der Höhe. Die häufige Beicht, die häufige heilige Kommunion erhalten das Gewissen rein, zart und wach.

Eine besondere Hilfe ist die Marienverehrung. Wer eine wirkliche innige Verehrung der Muttergottes hat, der ist weitgehend vor den Gefahren der Sinnlichkeit bewahrt. Wir haben als Kinder das schöne Gebet gelernt: „O meine Gebieterin, o meine Mutter, dir bringe ich mich ganz dar. Und um dir meine Hingabe zu beweisen, weihe ich dir heute meine Augen, meine Ohren, meinen Mund, mein Herz, mich selber ganz und gar. Weil ich also dir gehöre, o gute Mutter, bewahre mich, beschütze mich als dein Gut und Eigentum.“ Dieses schöne Gebet sollten wir jeden Tag verrichten. Maria, hilf uns, die Keuschheit zu bewahren. Das ist sogar im „Tannhäuser“, in der Oper „Tannhäuser“, zu hören. Tannhäuser ist ja im Hörselberg bei der Frau Venus, und davon will er loskommen. Da entringt sich seiner Seele ein Seufzer: „Maria, Mutter, reine Magd, nun hilf mir von dem Weibe.“

Die Keuschheit ist ein kostbarer Schatz für Leib und Seele, kostbar in den Augen Gottes und der Menschen. Um diesen Schatz müssen wir ringen und kämpfen mit den Waffen der Natur und der Gnade. Wir wollen ja einmal zu den 144.000 gehören, die mit weißen Kleidern dem Lamm folgen. Diesen Zug wollen wir vor unsere Augen tragen und uns ihm anschließen. Es soll für uns gelten: „Schützt das Edelweiß auf den Bergen! Pflegt die Lilie in den Tälern!“

Amen.

 

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