Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. August 2004

Maria, das wahre Bild des Menschen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit der Renaissance, also dem 15. Jahrhundert, steht im Gesichtspunkt der europäischen Menschheit der Mensch. Zunächst noch der Mensch, der sich als Geschöpf Gottes wusste, der seine Würde davon herleitete, dass er Bild und Gleichnis des Schöpfers ist. Aber allmählich löste sich diese Beziehung zu Gott, und der Mensch reckte sich empor und erhob sich über Gott. Homo homini deus – der Mensch wurde dem Menschen zum Gott. Er vergaß seine Herkunft von Gott und sah in Gott nur noch den Störenfried und den Neider. Ludwig Feuerbach, der Vater des humanistischen Atheismus, hat das Wort geprägt: „Mein erster Gedanke war Gott, mein zweiter die Vernunft, mein dritter und letzter ist der Mensch.“ Und Friedrich Nietzsche hat diese Anschauung aufgenommen, wenn er fragt: „Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich es aus, kein Gott zu sein?“ Der Mensch hat sich selbst vergöttlicht oder besser vergötzt. Er hat versucht, Gott vom Throne zu stoßen und sich selbst auf diesen Thron zu setzen. Der äußere Ausdruck dieser Erscheinung ist die irreführende Rede: „Religion ist Privatsache.“ Wie soll denn Religion Privatsache sein, wenn Gott der Schöpfer der Öffentlichkeit genauso wie des Intimlebens ist? Das ist eine Irrlehre. Religion ist eine öffentliche Sache. Sie ist die erste und wichtigste und bedeutendste öffentliche Sache, die es gibt.

Von der Gottvergessenheit kommt der Mensch zur Menschenvergötterung, zum Götzendienst am Menschen. Alles muß sich ihm unterordnen. Es gibt keine Normen mehr, die über ihm stehen. Er schreibt neue Tafeln! Das hat uns ja die gegenwärtige Regierung wieder vorgeführt mit ihrer Gesetzgebung über die Homosexualität.

Was ist der Mensch? Einst hat man ihn gepriesen als Hüter des Lichtes, Träger der Freiheit, Künder der Wahrheit, Mehrer der Schönheit, Schatzgräber der Tiefe, Deuter des Göttlichen. Wahrhaftig, eine ganze Litanei der Herrlichkeit des Menschen, der wahren Herrlichkeit des Menschen. Heute hat sich das Bild des Menschen gewandelt. Schon Friedrich Nietzsche sagte: „Der Mensch, ein Gelächter und eine schmerzliche Scham.“ Er muß überwunden werden. Ein Philosoph unserer Tage sagt: „Der Mensch ist ein Fehlgriff der Natur, eine Krankheitserscheinung in der Welt der Organismen.“ Ein Biologe erklärt: „Der Mensch ist ein durch Wissenschaft größenwahnsinnig gewordener Raubaffe.“ Ein Psychologe stellt den Mensche dar als „ein Bündel von Trieben“, die natürlich, wie soll es anders sein, um das Geschlechtliche kreisen. Und ein Soziologe nennt den Menschen „eine Funktion der jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse“. Und gar der Existentialismus, von Camus angefangen, erklärt: „Der Mensch ist die inkarnierte Angst und Daseinssorge auf der Flucht vor dem Nichts.“ Das sind sie Entwürfe des Menschen, die uns heute vorgestellt werden.

Und in diese Situation hinein trifft das Dogma, der Glaubenssatz, das Glaubensgesetz von der Aufnahme Mariens in den Himmel. Die Wahrheit von der Aufnahme Mariens in den Himmel zeigt die Würde des Menschen. Und die Würde des Menschen wird uns gezeigt nicht als abstraktes Ideal, sondern in der Gestalt eines Menschen, in der Gestalt Mariens. An ihr sehen wir, zu welch erhabenem Ziel wir bestimmt sind. Das Leben, meine lieben Freunde, ist eben nicht nur Mühe, Arbeit und Plackerei, aber auch nicht nur Genuß, Lust und Ausleben. Das Leben ist Vorbereitung für die Ewigkeit. Wir sind bestimmt, ewig zu leben. In der Zeit der Französischen Revolution schrieben die ungläubigen Revolutionäre an den Eingang der Friedhöfe: „Der Tod ist ein ewiger Schlaf.“ Dagegen hat sich Robespierre leidenschaftlich empört: „Nein, Chaumette, nein, Fouchét“, so hat er diesen Leuten zugerufen, „der Tod ist kein ewiger Schlaf. Der Tod ist der Anfang der Unsterblichkeit!“

Diese Wahrheit sehen wir ausgedrückt in der Aufnahme Mariens in den Himmel. Wir haben Zuversicht und Mut, denn wir wissen, es ist nicht zu Ende, wenn unser Leib zerfällt. Es gibt ein anderes Leben, und Gott hat uns eine Wohnung bereitet, in die wir eingehen dürfen. Das ist die Größe und die Würde des Menschen. Gott bricht den Dialog, den er mit dem Menschen einmal begonnen hat, nie mehr ab. Freilich ist diese Würde des Menschen eine geschenkte. Er hat sie sich nicht selbst erobert, erworben, erarbeitet; diese Würde ist ihm geschenkt. Sie ist Gnade. Wir haben eben bei der Weihe der Kräuter gebetet: „Großes hat an mir getan, der mächtig ist.“ Ja, wahrhaftig, Großes hat an Maria getan der Mächtige. Und Großes will er an uns tun, wenn wir nach dem Beispiel Mariens leben und sterben, wenn wir unser Leben in der Treue zu Gott und in der Ergebenheit gegenüber Gott verbringen. Weil Maria die demütig Empfangende war, wurde sie zur Vollendung geführt. Das Beste, das Höchste, das Unvergängliche wird uns nicht durch unserer Hände Arbeit erworben, sondern es wird uns von Gott geschenkt – die Gnade, das ewige Leben. Und der Mensch kann nur Mensch bleiben, wenn er sich von der Gnade führen und über seine eigenen Grenzen hinwegtragen lässt.

Die Aufnahme Mariens in den Himmel zeigt uns nicht nur die Würde der Seele, sondern auch die Würde des Leibes. Der Leib mit allem, was dazugehört, hat seine Würde von Gott. Er hat den Leib geschaffen, und er hat ihn uns geliehen, damit wir in ihm unser Heil wirken, und er will diesen Leib verherrlichen. Diese Erkenntnis ist uns als Verheißung gegeben, aber in Maria ist diese Verheißung erfüllt. Sie ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Mit einem verklärten Leib selbstverständlich, denn das Sterbliche muß die Unsterblichkeit anziehen, und das Vergängliche muß die Unvergänglichkeit anziehen. Aber noch einmal: Sie ist mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit eingegangen. Als einzige von den Sterblichen hat sie die Vollendung erreicht. Weil sie von einzigartiger Würde war als Gottesmutter, als Gottesgebärerin, deswegen durfte sie auch vor allen Menschen in die Herrlichkeit mit Leib und Seele eingehen.

Da begreifen wir, was es um unseren Leib ist. Der Leib ist das Werkzeug, mit dem wir die Welt gestalten sollen. Er ist für die Arbeit geschaffen, und Faulenzer können sich nicht auf Gottes Befehl bezüglich des Leibes berufen. Wir sollen mit unserem Leibe wirken, Güter schaffen, anderen helfen, die Erde bebauen und auf diese Weise zur Verherrlichung Gottes beitragen. Der Leib ist auch geschaffen, um in Schönheit zu glänzen. Warum soll der Leib nicht ein Abbild der Schönheit Gottes sein? Im Sport, im recht betriebenen Sport kommt die Schönheit des Leibes zum Tragen. Ich habe nichts gegen die Olympiaden, nur müssen sie in der rechten Gesinnung durchgeführt werden, auch durch Sport und durch Leistung den verherrlichen, der den Leib geschaffen und den Menschen anvertraut hat. Der Leib ist auch das Werkzeug für die Vermehrung der Menschheit. Eine hohe Aufgabe hat Gott dem Menschen zugedacht. Durch den Laib soll der Mensch dafür sorgen, dass die Menschheit nicht ausstirbt. Und so hat er dem Menschen die Geschlechtlichkeit eingeschaffen, ein hohes Gut, ein großer Wert, aber freilich wie alle Werte von großer Gefährdung. Je höher ein Wert ist, meine Freunde, um so gefährdeter ist er, um so zerbrechlicher, um so mehr muß er geschützt werden. Wir wissen, welcher Missbrauch gerade auf diesem Gebiete tobt, dass der Mensch seinen Leib entweiht und dass er die heilige Gemeinschaft, in der die Leiber sich begegnen sollen, die wir Ehe nennen, entweiht. „Verherrlicht Gott mit eurem Leibe“, so mahnt uns der Apostel. Verherrlicht ihn auch in eurer Geschlechtlichkeit!

Maria ist mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels eingegangen. Sie ist in diese Verklärung erhoben worden nach einem schweren Leben. Sie hat gewiß nicht ein körperliches Martyrium erlitten wie andere Martyrer, und doch sagt der heilige Bernhard: „Sie ist die Königin der Martyrer.“ Ja, warum denn und wieso denn? Weil sie den Kreuzweg ihres Sohnes begleitet hat und weil sie unter dem Kreuz ausgeharrt hat. Sie hat ja nichts anderes getan, als einen Gekreuzigten zu gebären, und das hat sie zur Königin der Martyrer gemacht. Wenn wir das bedenken, dann wird uns die Leibesseligkeit und der Leibeskult, den die Menschen treiben, verdächtig. Man soll den Leib pflegen, soweit es zur Erhaltung der Gesundheit und zur Pflege der Schönheit erforderlich ist. Aber kein Leibeskult und keine Leibesseligkeit, keine übertriebene Sorge für den Leib, sondern ihn so erhalten, dass er ein nützliches und brauchbares Werkzeug für die Verherrlichung Gottes und für die Erfüllung des Auftrages, den Gott uns gegeben hat, wird.

Kein Mißbrauch des Leibes, sondern Beherrschung des Leibes, das ist uns aufgetragen und auch das Mitleiden mit dem Leiden des Herrn. Der Apostel Paulus schreibt im Philipperbrief: „Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden. Und ihm möchte ich im Tode ähnlich werden, um so zur Auferstehung von den Toten zu gelangen.“ Das heißt, der Mensch wird auch auf Erden seinen Anteil am Leiden Christi tragen müssen. Es wird keinem Leibesleid erspart bleiben. Der Mensch muß seinen Anteil am Leiden Christi abbüßen. Und das geschieht entweder freiwillig, wie der Apostel sagt: „Ich züchtige meinen Leib und mache ihn untertan, damit ich nicht, nachdem ich anderen gepredigt habe, selbst verworfen werde“, oder unfreiwillig, indem Gott Plagen über unseren Leib kommen lässt wie schwere Krankheiten, Unfälle, Siechtum und Schmerzen. Wir müssen in unserem Leibe Anteil gewinnen an der Passion Christi.

Die Menschen wissen nicht, was der Mensch ist. Wir Christen wissen es. Uns sagt es Gott. Was ist der Mensch? Ecce Maria – seht, das ist der Mensch! Das ist der vorbildliche Mensch, das ist der Mensch, der euch gegeben ist, damit ihr ihn nachahmt. In Maria ist alles ausgedrückt, was Gott über den Menschen denkt und plant. Sie ist der wahrhaft vorbildliche Mensch. Gewiß ist auch schon Jesus Christus in höchster Potenz das Vorbild aller Menschen, aber er ist eben mehr als Mensch. Er ist der Erlöser der Menschen. Aber Maria ist wie wir Erlöste. Sie ist erlöst, wenn auch vorerlöst, weil ihr ja die Erbsünde erspart blieb, aber sie ist eine Erlöste, und infolgedessen steht sie uns in dieser Hinsicht näher als Jesus, der eben der Erlöser ist. Und die Mariendogmen drücken das aus, was wir über Jesus denken sollen. Das Dogma von der unversehrten Jungfrauschaft sichert den göttlichen Ursprung Jesu. Er wurde nicht geboren durch das Fleisch, sondern durch Überschattung des Heiligen Geistes. Deswegen sichert die unversehrte Jungfrauschaft Mariens den göttlichen Ursprung Christi. Und ihre wahre Gottesmutterschaft sichert die wahre Menschheit des Erlösers. Es sind im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder Irrlehrer aufgetreten, welche die wahre Menschheit Jesu leugneten. Sie behaupteten, Jesus habe einen Scheinleib gehabt. Nein, er ist wahrhaft Mensch geworden, wie uns die wahre Gottesmutterschaft Mariens versichert. Alles Licht fällt von ihrer Verklärung auf ihren Sohn. Marienverehrung, meine lieben Freunde, mindert nicht die Christusliebe, sondern stärkt und entfacht sie. Eine kindliche, herzliche Muttergottesverehrung ist die beste Schule der Liebe zum Herrn Jesus Christus. Wer der Mutter nahe steht, der kann dem Sohne nicht fern sein. Wenn die katholische Kirche vor anderen nichts voraus hätte als die Marienverehrung, das wäre schon wunderbar.

Ein Großer im Reiche des Geistes, nämlich Dante, hat die Verehrung, die wir Maria schulden, in seiner „Göttlichen Komödie“ in folgende Worte zusammengefasst: „O Jungfrau Mutter, Tochter deines Sohnes, demütig und erhaben wie kein Wesen, Erwählte du vom Rat des ewigen Thrones, durch deinen Adel ist die Menschheit wert gewesen, dass ihr Schöpfer voller Güte als sein Geschöpf durch dich wollte genesen. In deinem Leibe jene Liebe erglühte, durch deren Glut in ewigen Friedens Wonne die wunderbare Blume hier erblühte. Hier bist du uns die ewige Mittagssonne der Liebe, und der irdischen Welt bist Hoffnung du aus stets lebendigem Bronne. Du bist die Große, deine Bitten gelten, und Gnade suchen und zu dir nicht flehen, heißt fliegen wollen, wo die Flügel fehlten. Du lässt die Bittenden nicht von dir gehen, und deine Milde kommt zuvor den Armen, dass sie Erfüllung vor der Bitte sehen. In dir ist Mitleid, in dir Erbarmen. In dir ist Großmut, und was je an Güte der Mensch besaß, es kam aus deinen Armen.“

Amen.

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