Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. März 1996

Die jungfräuliche Geburt Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die jungfräuliche Geburt Jesu ist eine Tatsache. Wir haben an den vergangenen Sonntagen uns ausgiebig mit dieser Tatsache beschäftigt. Wir wollen heute nach den Gründen für diese Tatsache fragen. Warum hat Gott beschlossen, daß sein Sohn aus einer jungfräulichen Mutter geboren werden sollte? Für die Tatsache der Vereinigung von Mutterschaft und Jungfrauenschaft werden zwei irrige und fünf echte Gründe angeführt. Zunächst die beiden irrigen und danach die fünf echten Gründe.

Die jungfräuliche Geburt Jesu ist nicht darauf zurückzuführen, daß eine Empfängnis und Geburt, wie sie sonst unter Menschen üblich ist, der Würde des Gottessohnes Eintrag getan hätte. Eine solche Auffassung kann nur auf gnostisch-manichäischem Hintergrund wachsen. Die Irrlehre der Gnosis und des Manichäismus sieht die Ehe als die Wurzel der Befleckung an, den Leib als den Grund des Übels. Die Offenbarung spricht anders von der Ehe und vom Leibe. Die Ehe ist nach der Offenbarung eine Stiftung Gottes. Gott selbst hat dem Manne die Frau zugeführt. Die Ehe ist sogar in das Heilsmysterium aufgenommen durch Christus. Sie ist eine Darstellung der Verbindung Christi mit der Kirche. Die Ehe ist also eine Offenbarung der Herrlichkeit Gottes und der Heilstätigkeit Christi. Deswegen kann sie nicht der Ehre des Erlösers Eintrag tun, wenn er beschlossen hätte, aus einer Ehe in normaler ehelicher Vereinigung geboren zu werden.

Es ist auch nicht deswegen die jungfräuliche Mutterschaft Mariens von Gott beschlossen worden, weil ein irdischer Vater etwa in Konkurrenz zum himmlischen Vater träte. Eine solche Auffassung hat ihre Wurzel im Mythos, wo von den Mutter- und Vater-Gottheiten die Rede ist. In den Erzählungen der Mythen wohnt ein Gott wie ein Mann einer Frau bei. Diese mythischen Phantasien haben mit der Offenbarung nichts gemein. Der biblische Gott ist über jede Geschlechtlichkeit erhaben. Der biblische Gott wird zwar Vater genannt, aber nur deswegen, weil wir kein besseres Wort haben, um sein Schöpfertum und seine Liebe zu bezeichnen. Die irdische Vaterschaft würde, wenn Gott sie gewollt hätte, schon deswegen nicht in Konkurrenz zur himmlichen Vaterschaft treten, weil alle irdische Vaterschaft in der himmlischen Vaterschaft ihre Wurzel und ihren Grund hat.

Diese beiden irrigen Begründungen für die jungfräuliche Mutterschaft Mariens müssen also entschieden zurückgewiesen werden. Sie haben ihre Grundlage in legendarischen Göttermythologien, haben aber mit der biblischen Botschaft nichts gemein. Nun dafür die fünf echten Gründe für die jungfräuliche Mutterschaft Mariens.

Der erste Grund ist in der Gnadenhaftigkeit der Erlösung gelegen. Die Erlösung ist nicht männlichem Tatwillen oder Unternehmungsgeist zu verdanken. Sie kommt nicht aus Blut und Boden. Sie leitet sich nicht aus der Kraft des Mannes her. Nein, die Erlösung kommt von oben. Alle, denen Gott die Macht gibt, Kinder Gottes zu werden, werden der Erlösung teilhaftig. Die Erlösung ist ein Werk der Gnade und nicht ein Ereignis der Natur. Sie ist ein himmlisches Geschenk und nicht eine menschliche Leistung. Das soll angedeutet werden durch die wunderbare, Menschen nicht mögliche Weise der jungfräulichen Mutterschaft Mariens. So wie die ganze Erlösung nur dem Heilswillen, dem unverdienten Heilswillen Gottes zu verdanken ist, so ist auch der Erlöser rein gnadenhaft der Menschheit geschenkt worden durch die jungfräuliche Empfängnis und Geburt.

Der zweite Grund für die Verbindung von Mutterschaft und Jungfräulichkeit in Maria liegt in der Neuheit der Erlösungsexistenz. Die Heilige Schrift, vor allem der heilige Paulus hebt immer wieder hervor, daß der erlöste Mensch ein neuer Mensch ist. Er ist eine neue Schöpfung, sagt Paulus sogar. Und der heilige Johannes spricht davon, daß man wiedergeboren werden muß aus dem Wasser und dem Geiste. Die Erlösung ist also etwas absolut Neues, und der Vorentwurf dieser neuen Existenz ist der aus jungfräulicher Geburt geborene Erlöser. Er ist ein Sinnbild dessen, was er einmal wirken wird, nämlich daß er die Welt neu schafft, daß er den neuen Himmel und die neue Erde hervorbringt, vor allem aber für jetzt die neue Menschheit in Gerechtigkeit und Heiligkeit ins Leben ruft. Weil er Neues wirken sollte, mußte er nach Gottes Anordnung auf eine neue Weise in diese Welt eintreten.

Der dritte Grund für die jungfräuliche Mutterschaft ist die Einzigartigkeit des Erlösers. Der Erlöser erschien als ein Mensch, lebte und wirkte alas ein Mensch und die Menschen wurden ihm zum Schicksal. Aber in diesem Menschen waren übermenschliche, übergeschichtliche Kräfte wirksam, Kräfte, die nicht von unten, sondern von oben kommen. Christus war nicht ein Prophet wie die übrigen, wie Elias oder Elisäus. Nein, hier war mehr als ein Prophet, hier war mehr als Jonas. Und auf diese einzigartige Persönlichkeit des Erlösers weist die Einzigartigkeit der Geburt hin. Hier ist nicht nur der Keim für das neue Leben eingesenkt worden, sondern hier ist auch einer gekommen, wie er bisher nicht da war und nie mehr kommen wird. Die Einzigartigkeit der Erlösung und des Erlösers werden durch seine wunderbare Geburt vorgezeichnet.

Ein vierter Grund ist aus dem Endzustand zu entnehmen, dem wir entgegengehen. Die ganze Schöpfung ist unterwegs auf eine Verwandlung. Diese Verwandlung nennen wir den neuen Himmel und die neue Erde. In diesem verwandelten Zustand werden die Menschen nicht mehr freien noch gefreit werden, hat die Ehe keinen Platz mehr. Sie werden sein wie die Engel. Das bedeutet nicht, daß die Menschen dann nicht mehr als Mann und Frau erkennbar sind, sondern das besagt, daß sie ihre Verbundenheit, die nach wie vor bestehen wird, nicht mehr in den physiologischen Formen vollziehen werden, wie sie dieser Zeit zugehörig sind. Der Erlöser, der diese neue Welt herbeiführen soll, hat diese neue Lebensform in sich schon angekündigt, indem er von einer jungfräulichen Mutter geboren werden sollte. Die jungfräuliche Mutterschaft Mariens ist ein Hinweis auf die letzten Dinge, wenn die verklärten Menschen nicht mehr freien noch gefreit werden, wenn sie sein werden wie die Engel.

Und schließlich der letzte Grund ist aus der Funktion Mariens zu entnehmen. Sie war von Gott ausgesondert für eine einzigartige heilsgeschichtliche Aufgabe. Sie sollte mit ihrem ganzen Leben und Sein dem Erlöser dienen. Sie sollte „selige Pforte dem Worte“ sein, wie wir im Kirchenlied singen. Diese Aufgabe konnte sie nur bewältigen, wenn sie heilig war wie der, der aus ihr geboren wurde, der Heilige. Heilig heißt nämlich ausgesondert aus der Welt, abgeteilt von den welthaften Formen der Existenz. Und das war Maria, indem sie nicht in einer üblichen Ehe lebte, sondern indem sie als jungfräuliche Magd ihre Aufgabe vollziehen sollte. Ihre jungfräuliche Mutterschaft ist ein Ausdruck dessen, daß sie von Gott ausgesondert ist für eine heilsgeschichtliche Funktion, die jede andere überschreitet, und daß sie diese Funktion mit ihrem Willen vollziehen sollte. Denn die Aussonderung war zunächst einmal eine Aufgabe. Aber Maria ist in diese Aufgabe eingegangen. Sie hat sich ihr ungeteilt und vorbehaltlos gewidmet. Sie ist von dieser Aufgabe ganz erfüllt und beansprucht, ja im Innersten ergriffen. Da hat sie keine Kapazität mehr, um auch noch der Obliegenheit zu dienen, Gattin und Mutter anderer Kinder zu sein. Die Ehe ist für die keine Möglichkeit mehr, denn sie ist von der Bestimmung, die Gott ihr gesetzt hat, völlig beansprucht und ausgefüllt. Sie ist in die ihr gestellte Aufgabe entschieden und ungeteilt eingegangen. So ist Maria das Bild der vorbehaltlosen Übergabe eines Menschen an Gott.

Nun ist es nicht so, daß eine unbedingte Hingabe an Gott in der Ehe nicht möglich wäre. Aber die unmittelbare Hingabe an Gott, also nicht durch die Mittlerschaft eines ehelichen Partners, die unmittelbare Hingabe an Gott ist jedenfalls in ihrem objektiven Vollzug in der Jungfräulichkeit gewährleistet. Freilich muß man, wenn man diese Lebensform wählt, mit der Gesinnung in sie eingehen. Man muß sie in Gehorsam und Liebe gegen den Willen Gottes ausfüllen. Aber als objektive Lebensform ist die Jungfräulichkeit eine unmittelbarere Übergabe an Gott als die Ehe. Und eben deswegen hat Gott seine Mutter als jungfräuliche Mutter gewählt. In ihr ist die Jungfräulichkeit um Gottes willen auf dieser Welt erschienen. In Maria ist deutlich, was um Gottes willen auf dieser Welt möglich ist.

Die jungfräuliche Mutterschaft Mariens, meine lieben Freunde, kann nur von demjenigen angenommen werden, der eine lebendige Überzeugung von der Wirklichkeit Gottes besitzt. Ein anderer, der die Welt in einem geschlossenen Kausalzusammenhang sieht, muß sie als ein Märchen oder eine Legende bezeichnen. Er ist von seinen weltanschaulichen Vorurteilen gefesselt und nicht imstande, zu der Höhe der Weisheit Gottes vorzudringen, die gewollt hat, daß sein Sohn, unser Erlöser, durch eine jungfräuliche Mutter empfangen und geboren wurde.

Amen.

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