Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
10. Juni 2007

Eingehen in das Opfer Christi

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn man die Kirchenbesucher, die Gottesdienstbesucher, fragt: Wozu sind Sie hierher gekommen?, dann würde man sehr verschiedene Antworten erhalten: Ich bin gekommen, um meine Sonntagspflicht zu erfüllen. Ich bin gekommen, um die heilige Messe mitzufeiern. Ich bin gekommen, um Gott die schuldige Ehre zu geben. Alle diese Antworten sind richtig; alle sagen etwas Zutreffendes aus. Aber eine Antwort ist noch tiefergreifend, nämlich wenn jemand sagen würde: Ich bin gekommen, um in das Opfer Jesu Christi einzugehen. Denn das ist in der Tat das entscheidende Merkmal dieses sonntäglichen Gottesdienstes, der heiligen Messe: Christus macht sein Opfer, sein immerwährendes Opfer gegenwärtig, und er macht es zu dem Zweck gegenwärtig, dass wir in dieses Opfer eingehen können. Entscheidend ist also, dass wir das Opfer mitfeiern mit Christus, durch Christus und in Christus. In der heiligen Messe wird das Kreuzesopfer in sakramentaler Weise – nicht in blutiger Weise – in sakramentaler Weise gegenwärtig gesetzt. Der Herr zieht tatsächlich die Opfergewänder an und bringt sich in einem neuen Opferakt dem Vater im Himmel dar. Er erneuert seinen Opferwillen und gibt sich dem ewigen Vater hin. Aber er tut dies als unser Mittler. Er will vermitteln zwischen uns und dem Vater im Himmel, und das geschieht dadurch, dass er uns die Gelegenheit bietet, in seinen Opferwillen, in seine Opfergesinnung, in seine Opfertat einzugehen.

Das ist also das Geheimnis des eucharistischen Opfers. Christus setzt sein Opfer gegenwärtig, aber die Kirche macht sich dieses Opfers teilhaftig. Die Messe ist nicht bloß das Opfer Christi, sie ist auch das Opfer der Kirche. Sie wird von der Kirche und durch die Kirche Gott dargebracht. Im Messopfer wird das Opfern und Beten Christi das Opfern und Beten der Kirche. In der Messe wird die Kirche selbst die Priesterin der Menschheit und der gesamten Schöpfung. In der heiligen Messe singt die Kirche durch Christus und mit Christus und in Christus den vollkommenen Lobpreis Gottes. In der heiligen Messe erfüllt die Kirche ihren eigentlichen und ersten Beruf, für den sie geschaffen ist. Heiligeres, Segensvolleres kann man nicht vollbringen, als was sich in der Feier der heiligen Messe vollzieht. Segensvolleres gibt es auch nicht für den Christen, als in die heilige Messe einzugehen und in ihr im rechten Geiste das Opfer Christi zum eigenen Opfer zu machen. Christus bietet sich uns als unsere Opfergabe an, aber er tut es, damit wir uns selbst opfern, damit wir, indem wir Christus dem Vater im Himmel aufopfern, unser eigenes Opfer damit verbinden. Die Opfergabe vertritt immer die Stelle dessen, der sie darbringt. In der Opfergabe bringt der Opfernde sich selbst als Opfergabe dar.

Wenn wir in der heiligen Messe sind, dann tun wir dies, um das Opfer zu feiern. Wir kommen, um in Gemeinschaft mit dem Priester am Altar, mit dem Hohenpriester Jesus Christus zu beten und zu opfern. Wir kommen, weil wir Christus als unsere Opfergabe erwarten, und diese Erwartung erfüllt sich in der heiligen Wandlung. Jetzt ist er auf dem Altar. Jetzt haben wir eine Opfergabe, eine Opfergabe, wie sie kein menschlicher Sinn ausdenken kann, ein Opfer über allen Opfern. Und dann bringen wir ihn dem himmlischen Vater dar als Ausdruck unserer Liebe, unserer Hingabe, unserer Dankbarkeit und unserer Anbetung. Wir kommen, um im äußeren Opfer auch uns selbst zu einem Opfer in Christus zu machen, um in die Opfergesinnung Christi einzugehen. Deswegen achten Sie bitte darauf in unserer heiligen Messe, die wir hier feiern, wie die Opfer der Vergangenheit angerufen werden, das Opfer des Abel, des Abraham, des Melchisedech. Das geschieht, um uns klar zu machen, dass wir dieselbe Opfergesinnung haben müssen, wie sie diese Männer in vorbildlicher Weise gezeigt haben.

Und so erklärt sich auch, warum wir immer wieder bitten um die Annahme des Opfers. Das Opfer Christi, das Opfer am Kreuze, das Golgotha-Opfer, das ist angenommen; darum brauchen wir nicht besorgt zu sein. Aber insofern das Opfer Christi unser Opfer wird, müssen wir besorgt sein, dass es angenommen wird, dass wir wenigstens die minimale Opfergesinnung in uns tragen, die nötig ist, damit dieses Opfer in etwa gleichkommt den mit vorbildlicher Gesinnung dargebrachten Opfern des Abel und des Abraham. Wir treten also in Opfergemeinschaft mit Christus. Er gibt sich uns selbst mit allem, damit wir es als Opfer dem Vater im Himmel weihen. Wir müssen also auch die Opfergesinnung Christi in uns erwecken. Wie war er denn gesinnt? Er war so gesinnt, dass er sich selbst entäußerte, gehorsam wurde bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze.

Das ist die Opfergesinnung, die Gott von uns erwartet: Absage an die Sünde, Ernstnehmen der Taufe, Wachsen in der Gnade, Entschlossenheit, die Nachfolge des Herrn anzutreten, treue Erfüllung der Berufs- und Standespflichten, Bekenntnis des Glaubens, Harren in der Hoffnung, Unermüdlichkeit und Beständigkeit in der Liebe. Ein Opferwille verbindet in der heiligen Messe Christus und seine Kirche, die Gemeinschaft und die Einzelnen. Alle, die richtig die heilige Messe mitfeiern, wollen sich in einem Liebesopfer vereinen, im selben Drang der vollkommenen Hingabe an den Vater, in dem einen Geiste Christi, der mit ihnen eine Opfergabe geworden ist.

Das Opfer der heiligen Messe, meine Freunde, umfasst also drei Elemente, erstens das Selbstopfer Christi, das hier gegenwärtig wird, zweitens das Opfer der Kirche als einer Gemeinschaft, drittens das Opfer des Priesters und der Mitopfernden, insofern sie im eigenen Namen opfern. Opfern tut weh; Opfern ist schmerzlich; Opfer kostet Überwindung, und deswegen braucht sich niemand zu wundern, wenn er nach der heiligen Messe von Gott gefordert wird: Du hast doch gesagt, du willst dich mit mir opfern, also tu es jetzt! Ich will Ihnen an einem geschichtlichen Beispiel, an einem wirklichen, erlebten Beispiel zeigen, was es heißt, sich mit Christus zu opfern. In Italien lebte im 19. Jahrhundert ein Bischof namens Strampi. Er war geboren am 1. Januar 1745 und starb am 1. Januar 1824. Strampi verzichtete auf sein Bischofsamt, auf seinen Bischofsstuhl, als sein Freunde Annibale della Genga als Leo XII. den Stuhl Petri besetzte. Der Papst wünschte nämlich, dass er in seiner Nähe sei, er wollte diesen gelehrten und frommen Bischof in seinem Hause haben. Im Jahre 1823 im Oktober wurde Leo XII. zum Papst gekrönt, und im Dezember wurde er krank, schwer krank. Am 23. Dezember hieß es, der Papst liege im Sterben. Strampi eilte zu ihm, spendete ihm die Sterbesakramente, und dann sagte er wie von einer plötzlichen Eingebung getroffen: „Heiliger Vater, ich will hinabgehen und die heilige Messe für Sie lesen.“ Und er sagte zum Papst: „Mut, Heiliger Vater, es bietet jemand das eigene Leben für Sie an.“ „Es bietet jemand (nämlich er selbst) das eigene Leben für Sie an.“ Er feierte also die heilige Messe, die länger dauerte als üblich, und in dieser heiligen Messe bot der Priester Strampi, dieser heiligmäßige Bischof, am Altare sein eigenes Leben für das Leben des Heiligen Vaters an. Noch ehe er zum Papste zurückkehrte, eilte ihm ein Kammerdiener entgegen: „Dem Papst geht es besser; er scheint ein ganz anderer zu sein.“ Strampi antwortete: „Dank sei Gott, der das Opfer angenommen hat.“ Wie hat er es angenommen? Am nächsten Tage begab sich Strampi an das Krankenbett, und er vertraute ihm ein Geheimnis an, das Gott ihm geoffenbart hatte: Er werde nur 5 Jahre und 4 Monate regieren. Diese Voraussage wurde schriftlich niedergelegt und erfüllte sich buchstäblich. Leo wurde gesund in den Weihnachtstagen, aber der, der sich für ihn geopfert hatte, erlitt am Fest der Unschuldigen Kinder einen Schlaganfall, und er starb am 1. Januar. Gott hatte das Opfer angenommen.

Das Opfer mit Christus darbringen heißt also sich selbst opfern. Es ist in der heiligen Messe eine doppelte Bewegung zu beobachten, nämlich das „suscipe“ – nimm an, o Gott, das Opfer Christi, und das „suscipiamur“ – möchten doch wir angenommen werden als Opfer, als Mitopfer mit Christus. Das müssen wir uns also für immer merken: Heilige Messe ist Opfer Christi und Opfer der Kirche. Dieses Selbstopfer der Kirche ist der eigentliche Grund und Zweck, wofür die heilige Messe geschaffen ist. Wir müssen mit Christus, durch Christus und in Christus, also als Glieder seines Leibes, in der Gesinnung, wie Christus sie hat, uns mitopfern, damit wir der Gottheit dessen teilhaftig werden, der sich gewürdigt hat, unsere Menschennatur anzunehmen, unser Herr Jesus Christus. Opfergeist, meine lieben Christen, Opfergeist ist das Christlichste am Christentum.

Amen.

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