Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. August 1995

Die Apostolizität der Kirche

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten uns vorgenommen, die Wesensmerkmale der wahren Kirche uns vor Augen zu führen. Die Kirche Christi ist äußerlich erkennbar daran, daß sie eins, heilig, katholisch und apostolisch ist. Die drei ersten Wesensmerkmale hatten wir an den vergangenen Sonntagen betrachtet. Es bleibt uns heute zu überlegen, was es bedeutet, wenn wir sagen: Die katholische Kirche, die Kirche Christi, ist die apostolische. Zum erstenmal hat sich die Kirche als apostolisch bezeichnet auf dem Konzil von Nizäa im Jahre 325; aber damals mehr nebenbei. Zu einem Wesensmerkmal ist die Apostolizität der Kirche erst erhoben worden auf dem Konzil von Konstantinopel im Jahre 381. Damals hat sich die Kirche selbst bekannt als die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.

Das Wort apostolisch kommt natürlich von den Aposteln her. Die Apostel im strengen Sinne war jener Zwölferkreis, den der Herr auserwählt hat. An vier Stellen der Heiligen Schrift werden uns die Namen dieser zwölf Männer aufgezählt, in den drei ersten Evangelien und in der Apostelgeschichte. An erster Stelle steht immer Petrus, an letzter Stelle Judas Ischariot. Die vier ersten sind bei allen Katalogen dieselben, nämlich Petrus und Andreas, Jakobus der Ältere und Johannes. Wenn wir von der Apostolizität der Kirche sprechen, dann meinen wir mit ihr drei verschiedene Dinge, die auch innig zusammenhängen, nämlich

1. die Apostolizität des Ursprungs,

2. die Apostolizität der Lehre und

3. die Apostolizität der Nachfolge.

Die erste Apostolizität ist jene des Ursprungs. Die Apostel waren die Erstlinge der Kirche, vom Herrn selbst erwählt und eingesetzt. Er ist das Urfundament, er ist der Fels, auf dem die Kirche ruht. Aber die Apostel sind in einem sekundären Sinne auch Fundament. Christus, das fundamentum primarium, wie der heilige Thomas sagt, das erstrangige Fundament, der gewachsene Fels, nicht von Menschen; die Apostel das fundamentum secundarium, das zweitrangige Fundament, auf dem Felsen, der Christus ist, aufgebaut. Wenn Sie einmal aufmerksam durch eine konsekrierte Kirche gehen, dann stellen Sie fest, daß an den Wänden zwölf Steine sind, in die Mauer eingelassen, und zwölf Leuchter. Die Erklärung liegt nahe: Diese zwölf Steine und diese zwölf Leuchter sind Sinnbilder der Apostel, jener Männer, auf welche die Kirche gebaut ist. Wenn wir die Kirche die apostolische nennen, dann meinen wir an erster Stelle die Apostolizität des Ursprungs. Der Herr hat die Apostel ausgewählt und ausgesandt. Sie sind bestellt, sein Werk aufzunehmen und den kommenden Generationen zu vermitteln. Sie sollen die Kirche bilden. Der Herr nannte sie ja Menschenfischer, und damit ist angedeutet, daß sie Jünger für den Herrn sammeln sollen, daß sie ihnen Weisungen geben sollen, daß sie sie belehren sollen, daß sie in der Stellvertretung des Herrn sein Heilswerk durch die Zeiten tragen sollen. Die Apostolizität des Ursprungs ist der Grund, warum wir die Kirche apostolisch nennen.

Die zweite Weise der Apostolizität ist die Apostolizität der Lehre. Die Kirche kann in alle Ewigkeit keine andere Lehre vortragen als jene, welche die Apostel vorgelegt haben. Sie ist an die Lehre der Apostel gebunden. Sie darf nichts hinzufügen, sie darf aber auch nichts wegnehmen. Die Lehre der Apostel ist der Maßstab für die Lehre der Kirche, der nicht verändert und nicht verworfen werden darf. Was die Kirche lehrt, das muß in der apostolischen Verkündigung seine Grundlage haben.

Nicht alles ist von den Aposteln in ausgewickelter, entfalteter Weise vorgelegt worden. Vieles, was die Kirche nachher erkannt hat, war eingewickelt, unentfaltet in der apostolischen Lehre enthalten. Aber das ändert nichts daran, daß jede Lehre, die in der katholischen Kirche den Rang einer Glaubenswahrheit erlangt hat, ihre ursprüngliche Begründung in der Verkündigung der Apostel findet. Die Kirche glaubt nichts anderes, als was die Apostel geglaubt haben, sie lehrt nichts anderes, als was die Apostel gelehrt haben.

Gelegentlich hat man sich Gedanken gemacht, warum die Kirche apostolisch und nicht christlich oder evangelisch genannt wird. Warum hat man das Wort „apostolisch“ dem Wort „christlich“ vorgezogen? Der Grund ist darin gelegen, daß die Apostel auf Christus verweisen. Sie sind von Christus gesandt. Wenn man also die Kirche als apostolisch bezeichnet, dann ist sie einschlußweise als christlich bezeichnet, denn die Apostel sind eben die Gesandten des Christus, Jesus von Nazareth. Und warum nennt man sie nicht „evangelisch“? Weil es verschiedene Arten des „Evangeliums“ gibt. Es gibt das reine „Evangelium“, auf das sich manche berufen; es gibt ein neues „Evangelium“, das andere in Anspruch nehmen. Die Kirche hält sich an jenes Evangelium, das von den Aposteln verkündet worden ist. Deswegen nennt sie sich apostolisch und nicht evangelisch, weil sie das Evangelium in der Weise verkündet, wie es die Apostel vorgetragen haben. Der zweite Aspekt der Apostolizität ist die Apostolizität der Lehre.

Der dritte ist die Apostolizität der Nachfolge. Die Apostel haben Nachfolger eingesetzt. Die Kirche sollte Bestand haben in der Weise, wie sie der Herr begründet hat, und dazu gehörte eben die Auserwählung der Zwölf als der Lehrer, als der Hirten, als der Priester der Kirche. Und so haben die Apostel, getreu dem Auftrag des Herrn, Nachfolger bestellt, die man Bischöfe nennt. Und so kann man noch heute von jedem katholischen Bischof nachweisen, daß er letztlich in einem Apostel seinen Ursprung hat. Es gibt in der ganzen katholischen Kirche keinen einzigen Bischof, der sich nicht lückenlos durch alle 2000 Jahre auf einen Apostel oder Apostelschüler zurückführen ließe. Das nennt man die apostolische Sukzession oder apostolische Nachfolge. Darauf hat die Kirche immer den größten Wert gelegt.

Als im 2. Jahrhundert Gnostiker aufstanden, das sind Männer, welche die kirchliche, geschichtlich gebundene Lehre in ein Ideenreich verwandeln wollten, haben sich die Lehrer der Kirche, die Bischöfe, beispielsweise Irenäus von Lyon, nicht darum bemüht, die innere Unwahrheit der gnostischen Spekulationen aufzuweisen, sondern sie haben gesagt: Euch fehlt es an der apostolischen Verankerung; ihr könnte eure Lehre nicht in lückenloser Reihenfolge auf die Apostel zurückführen; eurer Aufstellung fehlt die apostolische Legitimation. Ihr seid nicht imstande, eine ununterbrochene Kette von Trägern eurer Lehre bis hin zu den Aposteln nachzuweisen. Also die Verteidiger der Kirche haben für die sachliche Apostolizität der Lehre die personale Apostolizität, die Nachfolge der Apostel, Apostelschüler und Bischöfe, gefordert.

Man kann freilich infolge der Verluste an Dokumenten, die durch die Jahrhunderte eingetreten sind, nicht bei jedem Bischofsstuhl, meinetwegen von Trier oder von Mainz oder von Köln, eine lückenlose Reihenfolge der Bischöfe aufstellen. Nicht, weil es sie nicht gäbe, sondern weil die Zeugnisse verlorengegangen sind. Aber von einem Bischofsstuhl gibt es eine solche Liste, und das ist der Bischofsstuhl von Rom. Schon Irenäus hat eine solche Liste vorgelegt, dann Tertullian, später Augustinus. Man kann für diese Einrichtung eine ununterbrochene Reihenfolge von Bischöfen bis hin zum ersten Bischof, nämlich zu Petrus, aufstellen. Linus, Kletus, Clemens und wie die Serie weitergeht – so ist sie von den Kirchenvätern aufbewahrt worden. Und das genügt, denn wer im Zusammenhang mit diesem Stuhle steht, der hat auch Anteil an der apostolischen Kirche, dessen Apostolizität ist gesichert.

Es ist eine große Kluft. welche die katholische Kirche vom Protestantismus trennt. Der Protestantismus hat keine apostolische Nachfolge. Die apostolische Nachfolge im Protestantismus ist abgerissen. Seit dem 16. Jahrhundert hat der Protestantismus keine gültig geweihten Bischöfe mehr, die im Zusammenhang mit den Aposteln stehen. Er beruft sich nur auf die Apostolizität der Lehre. Er sagt: Hauptsache, daß wir die apostolische Lehre haben. Aber diese ist eben nicht gesichert, wenn sie nicht in der apostolischen Kirche aufbewahrt wird. Denn es gibt Elemente in der Kirche, die nur dann Bestand haben, wenn die Apostolizität der Nachfolge gesichert ist. Die Weihespendung, die Weitergabe der Amtsvollmacht ist an das Bischofsamt geknüpft, und wo es kein Bischofsamt gibt, da fehlt der Kirche etwas Wesentliches. Eine solche Kirche kann sich nicht als apostolisch bezeichnen, wenn sie kein Bischofsamt, wenn sie nicht eine Reihenfolge, eine lückenlose Reihenfolge von Bischöfen bis hin zu den Aposteln nachweisen kann. Und auch die Lehre ist nur gesichert, wenn sie in der Hand der beuaftragten Hirten bleibt. Nicht jeder, der irgendetwas lehrt, kann schon in Anspruch nehmen, in der Lehre der Apostel zu stehen, sondern nur derjenige Lehrer, der durch Weihe und Amtszusammenhang mit seinen Vorgängern in die apostolische Nachfolge eingebunden ist. Wo die apostolische Nachfolge der beamteten Lehrer ausfällt, da überläßt man die Lehre der Philologie, d.h. dem menschlichen Gemächte, der menschlichen Einsicht, und damit ist die kirchliche Lehre verloren; da wird sie verkürzt und umgebogen, da wird sie verändert und ausgehöhlt, wie wir es ja aus den nichtkatholischen Religionsgemeinschaften kennen. Da wird ein bequemes Evangelium gemacht, das eben nicht mehr apostolisch ist.

Vor wenigen Tagen, meine lieben Freunde, haben wir das Fest des Apostels Bartholomäus gefeiert. Im Tagesgebet der heiligen Messe dieses Apostels fleht die Kirche darum, sie möge lieben, was er geglaubt, und sie möge verkündigen, was er gelehrt hat. Wahrhaftig, das ist unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, als Glieder der apostolischen Kirche zu lieben, was die Apostel geglaubt haben, und zu verkündigen, was sie gelehrt haben.

Im vorigen Jahrhundert gab es in England einen großen Vorkämpfer der Freiheit für die Iren und damit für die Katholiken. Er hieß O'Connell. Er war Mitglied des englischen Parlaments. Eines Tages rief ihm in einer Debatte ein Abgeordneter zu: „Sie Papist!“ Da wandte sich O'Connell zu dem Zwischenrufer und sagte: „Sie wollen mich beleidigen, indem Sie mich einen Papisten nennen. Aber Sie erweisen mir damit nur eine Ehre. Denn Sie räumen damit ein, daß mein Glaube auf einer lückenlosen Reihenfolge von Päpsten beruht, deren erster vom Herrn selbst, nämlich Petrus, eingesetzt worden ist, während Ihr Glaube nur bis zu Elisabeth und Heinrich VIII. zurückreicht.“

Amen.

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