Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. Mai 1995

Die Gegner der Kirche

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir beschäftigen uns seit mehreren Sonntagen mit der Sichtbarkeit der Kirche. Die Kirche ist nicht bloß eine unsichtbare, durch die Gnade verbundene Gemeinschaft von Menschen. Sie ist auch eine sichtbare Gesellschaft, die mit rechtlichen Einrichtungen und Organen ausgerüstet ist, und als solche nimmt sie am geschichtlichen Leben teil. Ihre Teilnahme an der Geschichte ist freilich von besonderer Art. Es ist ihr nicht zuerst um die Aufrichtung der irdischen Ordnungen zu tun, sondern um die Umschaffung und Verwandlung der menschlichen Herzen. Es ist ihr daran gelegen, die Menschen in das Christusleben einzuführen.

Die Kirche begegnet bei ihrem Wirken denselben Widerständen, die Christus erfahren hat. Der Mensch wehrt sich gegen den Anspruch der Kirche, wie er sich gegen den Anspruch Christi gewehrt hat. Jesus trat auf als der Offenbarer, als der eingeborene Sohn des himmlischen Vaters. Da reckte sich das Ärgernis gegen ihn auf: „Ist das nicht der Sohn der Maria? Wohnen nicht seine Brüder und seine Schwestern bei uns? Woher hat er das alles?“ Ähnlich erhebt sich auch der Widerspruch gegen die Kirche auf. Ihr Anspruch, die einzige von Gott bestimmte Heilsanstalt, die einzige von Gott eingerichtete Heilsgemeinschaft zu sein, ruft den Widerspruch des selbstherrlichen Menschen auf. Und je weniger die Kirche in ihrer äußeren Gestalt diesem Anspruch zu entsprechen scheint, je sündhafter ihre Glieder, je unheiliger ihre amtlichen Vertreter sind, um so heftiger und mit um so mehr scheinbarem Recht wehrt sich der in sich selbst verliebte und in sich selbst verfangene Mensch gegen den Anspruch der Kirche. Dieser Widerstand steigert sich vom Anstoß bis zum Haß, und der Haß äußert sich im Vernichtungswillen. So wie der Haß Christus zu vernichten suchte, so sucht er auch die Kirche tödlich zu treffen.

Die Kirche verbreitet Beunruhigung. Sie beunruhigt den Menschen ähnlich, wie Christus die Menschen beunruhigt hat. Sie erwarteten von ihm ein irdisches Reich. „Wann in dieser Zeit wirst du das Reich Israel wiederherstellen?“ fragten die Jünger noch nach seiner Auferstehung. Es ging ihnen um irdischen Gewinn. Es war ihnen darum zu tun, vom Landesfeind befreit zu werden, und darin enttäuschte sie Christus; er verkündete das Gottesreich, nicht das Menschenreich. Er beunruhigte die Menschen, indem er die Gebote Gottes in radikaler, d.h. wurzelhafter Weise verkündete. Dagegen empören sich die Menschen. Sie wollen nicht gestört sein in ihrem innerweltlichen Behagen. Sie mögen sich nicht aufregen lassen durch die Verkündigung der Gebote Gottes von der Feindesliebe und von der Nächstenliebe.

Dieselbe Erscheinung zeigt sich gegenüber der Kirche. Die Kirche wird gehaßt, weil sie Rechte hat und Pflichten auferlegt. Vor allem auf einem Gebiete tobt sich der Haß gegen die Kirche aus und wird ihre Beunruhigung am stärksten gespürt, das ist das Gebiet der geschlechtlichen Sittlichkeit. Hier soll niemand dem Menschen etwas vorschreiben. Hier will er tun, was ihm beliebt. Und daß die Kirche eisern an der Unauflöslichkeit der Ehe festhält, daß sie die Einehe verteidigt, daß sie die Ordnung des Geschlechtlichen innerhalb und außerhalb der Ehe verkündet, das ist eine ständige Quelle der Beunruhigung für den selbstherrlichen Menschen und erklärt den Haß, mit dem er gegen die Kirche angeht. Weil die Kirche das Christusleben in sich trägt, muß sie auch das Christusschicksal erleiden. Christus lebt zwar jetzt in der Herrlichkeit, aber er ist zu diesem Zustand gelangt im Durchgang durch den Tod. So muß es bei jedem Menschen, und so muß es bei der Kirche sein. Ein jeder erlangt die Herrlichkeitsgestalt erst und nur, indem er sich Christus anschließt und mit ihm den Todesweg geht. Auch die Kirche muß, genau wie Christus, den Kreuzweg gehen und am Kreuze hängen. Aber gerade im Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters, der ihn ans Kreuz führte, hat Christus den Sieg errungen. Im Tode hat er den Teufel entmächtigt. Er hat die Schuldschrift, die wider uns lautete, ans Kreuz geheftet und dort zerrissen. So ist es auch bei der Kirche. Wenn die Kirche um ihrer göttlichen Sendung willen, nicht um der Fehler ihrer Glieder willen, leidet, dann ist sie auf dem Wege, den Christus ihr vorangegangen ist. Das sind keine guten Zeiten, wo die Kirche äußerlich unangefochten und im Besitz ihrer Rechte und ihres Vermögens ist. Die Zeiten der Verfolgung, das sind die großen Zeiten der Kirche, das sind die wichtigsten Zeiten der Kirche. Das sind die Zeiten, in denen sie den bösen Feind entmächtigt und besiegt.

Der Herr hat dieses Schicksal der Kirche vorausgesagt. Zu den Jüngern bemerkte er einmal: „Ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe. Nehmt euch in acht vor den Menschen! Sie werden euch den Gerichten ausliefern und in ihren Synagogen geißeln. Vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um meinetwillen, um vor ihnen und den Heiden Zeugnis zu geben.“ Und im Johannesevangelium spricht er vom Haß der Welt. „Wenn die Welt euch haßt, so wisset, daß sie mich vor euch gehaßt hat. Wäret ihr von der Welt, so würde die Welt das Ihrige lieben. Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch von der Welt auserwählt habe, darum haßt euch die Welt. Gedenket des Wortes, das ich zu euch gesprochen: Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr. Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen. Haben sie mein Wort gehalten, so werden sie auch das eure halten.“

Die Kirche wird daher in der ganzen Zeit ihrer geschichtlichen Existenz niemals ohne Bedrängnis bleiben. An sie ist die Frage gestellt, aus welchen Gründen diese Bedrängnis erfolgt und wie sie ihr begegnet. Die Kirche der Katakomben hat es uns vorgelebt, wie man sich in der Zeit der Verfolgung verhalten muß. Sie hat gehofft und nicht geklagt. Sie hat ausgeharrt und sich nicht gebeugt. Sie hat nicht die Gunst der Mächtigen gesucht, sondern sich an den Herrn gehalten, der sie mit seinen Kräften trägt.

Die Kirche ist von außen und von innen unüberwindlich. Denn ihr Daseinsgrund sind Christus und der Heilige Geist. Christus und der Heilige Geist, sie sind die personhafte Kraft der Kirche. Die Kirche ist in gewisser Hinsicht schwach und ohnmächtig, denn sie ist der Macht der Menschen ausgeliefert, ihrer Selbstherrlichkeit und ihrer Wut. Sie ist aber auch ein starkes, ja ein mächtiges Geschöpf, weil sie der Leib Christi ist und daher von den Herrlichkeitskräften Christi durchwaltet ist. Deswegen wird sie weder von außen überwunden noch von innen überwältigt werden. Die Kirche mag durch die Sünde noch so sehr entstellt werden: Nie wird die Sünde die Kirche völlig beherrschen. Die Heiligkeitskräfte Christi wirken in ihr. Darum wird es in der Kirche immer Heilige geben, ob sie bekannt sind oder unbekannt. Immer werden in ihr der tapfere Glaube und die treue Liebe eine Stelle haben. Immer werden in ihr die Haltungen blühen, die von Paulus als die „Früchte des Geistes“ aufgezählt werden, nämlich Friede, Liebe, Freude, Geduld, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Mäßigkeit, Enthaltsamkeit, Keuschheit. Die Heiligkeit der Kirche wird niemals untergehen. In diesem Sinne ist die Kirche indefektibel, ist sie unzerstörbar.

Auch die Wahrheit wird in der Kirche niemals untergehen. Es mögen noch so viele Falschlehrer aufstehen, es wird immer Stellen in der Kirche geben, an denen die Wahrheit zu finden ist. Für die Erhaltung und den Schutz der Wahrheit hat Christus eine besondere Vorkehrung getroffen. Er hat die Kirche mit Unfehlbarkeit ausgestattet. Wenn die gesamte Kirche sich in einer bestimmten, feierlichen Weise für eine Glaubenslehre ausspricht, dann besitzt sie die Garantie der Unfehlbarkeit. Diese Unfehlbarkeit sammelt sich gleichsam in einer Spitze, im Papst. Der Papst ist unfehlbar, wenn er als Oberhaupt der gesamten Kirche in einer letztverbindlichen Weise sich zu einer Glaubenslehre bekennt. Der einzelne Bischof ist fehlbar, das ganze Bischofskollegium kann in die Irre gehen, der einzelne Priester ist fehlbar, der einzelne Theologe ist fehlbar. Auch der Papst ist fehlbar, wenn er z.B. einen Brief schreibt, wenn er eine Reise tut, wenn er eine Predigt hält. Aber immer dann, wenn er in feierlicher Weise ein Dogma verkündet, sich mit höchster Verbindlichkeit zu einer Glaubenswahrheit bekennt, dann ist die Unfehlbarkeit der Kirche in ihm gleichsam gesammelt, und sein Wort besitzt die Garantie der Untrüglichkeit. Das ist es, was der Herr meint, wenn er sagt: Die Pforten der Hölle, die Pforten der Unterwelt werden die Kirche nicht überwältigen. In diesem Satze ist zweierlei gesagt, einmal, daß die Mächte der Finsternis immer gegen die Kirche andringen werden. Es ist der Kirche keine dauernde Ruhe, kein Triumph auf Erden, kein irdischer Sieg verheißen. Aber das zweite, was in diesem Satze liegt: Die Kirche wird durch die Mächte der Finsternis niemals überwunden werden. Es wird niemals eine Zeit geben, wo man sagen kann, die Kirche ist verschwunden. Sie mag noch so viele Wunden an sich tragen, sie mag durch noch so viele Gefahren und Krisen gehen, eines wird nie eintreten, nämlich der Tod der Kirche.

Damit die Kirche ihrer Sendung eingedenk bleibt, damit sie an ihre Aufgabe erinnert wird, der Welt das Christusleben einzugestalten, die Wahrheit zu verkünden, die Heiligkeit zu leben, damit das geschieht, erweckt der Herr der Kirche im Laufe der Geschichte immer wieder Stürme und Unwetter, die die Kirche heimsuchen. Es sind die Geißeln Gottes. Im 5. Jahrhundert nannte man den Reiterführer der Hunnen, Attila, eine Gottesgeißel. Und so ist es im Laufe der Geschichte immer wieder geschehen, daß Gott Gewitter und Hagel über die Kirche kommen ließ, um das Faule und Morsche zusammenzuschlagen und die Kräfte der Heiligkeit und der Wahrheit zu entbinden, zu befreien von den Wucherungen des Wohllebens, der Bequemlichkeit, der Nachgiebigkeit, der Feigheit. Ob das die Stürme des Kulturkampfes waren oder die Kämpfe gegen den nationalsozialistischen Terror, immer hat die Kirche in diesen Heimsuchungen, die über sie gekommen sind, die Hand Gottes gespürt, die sie zu ihrer eigentlichen Aufgabe führen will und die alles Sündige und Unheilige aus ihr ausstoßen möchte.

Wir haben also, meine lieben Freunde, eine letzte Gewißheit. Die Kirche ist gewiß nicht gefeit gegen Bedrohungen von außen und Versuchungen von innen. Die letzteren sind die gefährlicheren, nämlich die Versuchung, das Evangelium dem Zeitgeschmack anzupassen und die Forderungen der Heiligkeit abzusenken, damit auch der gottvergessenste Mensch sich noch als Glied der Kirche betrachten kann. Das sind die gefährlicheren Versuchungen. Aber so machtvoll diese Bedrohungen sein mögen, die Kirche wird ihnen nicht erliegen. Ihre unüberwindliche Kraft ist Christus, ist der Heilige Geist, der in ihr lebt und der sie trägt.

„Die Kirche wird wanken, wenn Christus wankt“, hat einmal der heilige Augustinus geschrieben. Sollte Christus wanken? Christus kann nicht wanken. „Solange Christus nicht wankt, wird auch die Kirche nicht wanken in Ewigkeit.“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt