Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. April 2007

„Ich bin der Gute Hirt“

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das israelitische Volk war ein Hirtenvolk. Hirten waren es, denen die Engel die frohe Botschaft von der Geburt des Erlösers brachten, Hirten auf den Feldern von Bethlehem. Die Propheten gebrauchten das Bild vom Hirten häufig, um das Verhältnis Gottes zu seinem auserwählten Volke darzustellen. Im 22. Psalm heißt es: „Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir mangeln. Er weidet mich auf grüner Au, er führt mich zu erquickenden Wassern und labt dort meine Seele.“ Auch die Könige wurden als Hirten bezeichnet, denn sie waren die Führer des Volkes, das sie leiten und für das sie sorgen sollten.

Nicht alle Herrscher entsprachen dem Bild des guten Hirten. Es gab auch schlechte Hirten. Die Propheten erinnern deswegen daran, dass es einmal einen guten Hirten geben werde, der sein Volk sammeln werde. Im Buche des Propheten Ezechiel heißt es: „Ich selber werde der Retter meiner Herde sein, und ich will einen einzigen Hirten über sie setzen, der sie weiden soll.“

So war man also zur Zeit Jesu darauf vorbereitet, einen guten Hirten zu erleben. Jesus sagte nun: „Ich bin der Gute Hirt. Ich bin jener Gute Hirt, von dem der Prophet gesprochen hat.“ Es gibt kein schöneres Bild der erbarmenden Erlöserliebe als jenes vom Guten Hirten. Er hütet seine Herde, er führt sie auf die Weide. Er geht dem verirrten Schaf nach. Er wehrt dem Würger, dem Wolf, und unter Einsatz seines Lebens schützt er seine Herde. Das ganze Leben Jesu hat diesen Hirtenberuf wahrhaftig voll erfüllt. Er hat für sein Volk, seine Jünger, für die Menschen, die sich ihm anschlossen, gesorgt. Er hat sie geweidet mit der Wahrheit seiner Lehre und mit der Gnade seines Beispiels. Er hat das verlorene Schaf, das gefallene, gesucht und heimgetragen, so dass er von seinen Feinden als Freund der Sünder und der Zöllner bezeichnet wurde. Er hat den Zöllner Levi zu seinem Apostel berufen, er ist bei dem Zöllner Zachäus in Jericho eingekehrt, er hat die Sünderin Magdalene berufen und zur Heiligen gemacht. Er hat sich der Samariterin am Jakobsbrunnen zugewandt und ihr das Evangelium vom Messias verkündet. Und Nikodemus, der von Zweifeln zerrissen war, hat er die ganze Nacht gewidmet, um seiner Seele Licht zu bringen. Und noch in seiner Todesstunde hat er ein verirrtes Schäflein heimgetragen, den Schächer zu seiner Rechten.

Wahrhaftig, das Leben des Herrn war ein sprechender Dienst als Hirt. Er hat ihn erfüllt bis zum Letzten: „Ich gebe mein Leben für meine Schafe.“ Wenn der Herr der Hirt ist, wenn er seine Schafe weidet, dann dürfen wir uns seine Herde nennen. Das haben wir eben in der Epistel gehört: „Ihr waret einst wie verirrte Schafe, jetzt aber habt ihr euch bekehrt zum Hirten und Bischof eurer Seelen.“ Christus ist ein Hirt wie kein anderer: „Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich.“ Damit ist nicht bloß das Bekanntsein gesagt, sondern: Ich sorge für die Meinen, ich bin mit ihnen verbunden, ich vertraue den Meinen, und sie vertrauen mir. Ich liebe die Meinen, und sie lieben mich. Eine tiefe Verbundenheit zwischen Hirt und Herde wird ausgedrückt, wenn der Herr sagt: „Ich kenne die Meinen.“

Ich habe einmal gelesen, dass die Hirten, die menschlichen Hirten, jedes Schaf vom anderen unterscheiden können. Woran? Am Gesicht. Durch das Gesicht eines jeden Schafes vermögen sie ein Schaf vom anderen zu unterscheiden. Auch sie kennen also ihre Herden. Aber noch ganz anders kennt der Herr seine Herde.

Das Erlösungswerk des Herrn war einmalig. Aber sein Hirtenamt muss fortdauern. Solange es Menschen gibt, die der Hut bedürfen, solange es Wölfe gibt, welche in die Herde einzubrechen versuchen, solange muss es auch Hirten geben, die die Herde weiden und lehren. So hat Christus Hirten eingesetzt, die in seiner Autorität und mit seinem Beistand die Herde weiden. Hirten in seinem Auftrag: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Ihnen übertrug er seine Autorität: „Wer euch hört, hört mich.“ Er versicherte sie seines bleibenden Beistandes: „Ich bleibe bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ In seinen Hirten lebt er weiter in seiner Kirche. Allen menschlichen Schwächen zum Trotz ist und bleibt er der oberste Hirt dieser menschlichen Hirten. Er hat den Hirtenstab schwachen Menschen anvertraut, aber er hat sie gesalbt mit seiner Kraft.

Vom Hirten verlangt man, dass er treu ist, dass er zu seiner Herde steht, dass er für seine Herde sorgt, dass er ihr die rechte Nahrung verschafft, sie auf gute Weide führt. Ohne Bild gesprochen: Die Hirten der Kirche müssen die Gnade und die Wahrheit des Herrn ihrer Herde, den Menschen, austeilen und verkünden. Sie dürfen nichts davon fallenlassen, sie dürfen nichts davon abstreichen, nichts verfälschen. Sie müssen der Wahrheit des Herrn, die ihnen anvertraut ist, Gehör verschaffen. Das ist nicht leicht, denn immer wieder wird den Hirten angesonnen, Dinge zu sagen und Dinge zu tun, die sie nicht sagen und tun dürfen, den Glauben zu ändern, die Sittenlehre abzuschwächen, die kirchliche Disziplin zu lockern.

Ich habe hier, meine lieben Freunde, die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Da steht: „Der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, wirft dem Papst vor, er beschäftige sich viel weniger mit dem Zölibat, mit der Ökumene, mit der Stellung der Frau in der Kirche, als von der deutschen Gesellschaft erwartet wird.“ Ja, diese Erwartungen sind eben falsch! Was Herr Thierse dem Papst ansinnt, das ist eben ungerecht. Er sollte den Schnabel halten. Diese falsche Einstellung von Mitgliedern der Kirche hat sogar den „Spiegel“ beschäftigt. Ja, hören und staunen Sie! Sogar der „Spiegel“ nimmt dagegen Stellung: „Bei uns wird der Glaube in der Öffentlichkeit am lautesten von denen diskutiert, die ihm längst den Rücken gekehrt haben. Alle diese Talk-Show-Moderatoren möchten diese unzeitgemäße Trutzburg aus Gebetstiefe, Kultur und Traditionen, die sie verlassen haben, möglichst trivialisiert und modernisiert sehen. So weit, dass ihnen die untergründig verspürte Melancholie darüber vergeht, dass sie ihr nicht mehr angehören. Sie wollen sie so trivial wie den Supermarkt in der Ecke, in den jeder latschen kann, so trivial, wie sie selber sind. Deshalb reden sie, wenn sie vom Glauben reden, am liebsten von Priesterinnen, Kondomen und Kommunion für alle. Sie möchten nicht über die Zehn Gebote reden, den sonntäglichen Kirchgang, die Sünde und die Beichte, den Rosenkranz, und wenn, dann nur mit anzüglichem Spott.“ Ich meine, dass der „Spiegel“ das völlig richtig sieht. Genauso ist es, wie es hier geschrieben ist.

Die Hirten dürfen sich davon nicht beeinflussen lassen. Gott sei es gedankt, es hat immer gute Hirten in der Kirche gegeben, die ihren Hirtendienst wahrhaft ernst genommen und erfüllt haben. Wir haben Priester und Bischöfe erlebt, die nichts anderes kannten als den Dienst an ihrer Herde. Wer von Ihnen erinnert sich nicht an den Fuldaer Bischof Johannes Dyba! Er war wahrhaft ein guter Hirt. Der Mainzer Bischof Albert Stohr, den ich noch erlebt habe, war ebenfalls ein guter Hirt. Der Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler war ein sehr guter Hirt. Von ihm stammt das Wort: „Ich habe mein ganzes Leben dem Dienst des armen Volkes gewidmet, und je mehr ich es kennen gelernt habe, um so mehr habe ich es lieben gelernt.“ Auch viele andere haben sich als gute Hirten bewährt, haben sich im Dienste für ihre Herde verzehrt.

Im Frühjahr 1945, meine lieben Freunde, brach die Rote Armee in Schlesien ein. Sie wütete und hauste, sie vergewaltigte und tötete, sie brannte und raubte. Viele andersgläubige Geistliche haben ihre Herde verlassen und sich in Sicherheit gebracht. Ich kenne nicht einen einzigen katholischen Priester aus Schlesien, der seine Herde allein gelassen hätte. Aber ich weiß von 63 Priestern, die ihr Leben für ihre Herde hingegeben haben. 63 Priester der Erzdiözese Breslau haben ihr Leben für ihre Herde hingegeben unter dem Ansturm der Roten Armee. Als ich nach dem Krieg in der Lausitz Dienst tat, lernte ich einen Priester namens Gerhard Schaffran kennen. Dieser Priester war, als 1945 in Breslau die Besatzung kapitulierte, freiwillig – freiwillig, nicht gezwungen! – in das Gefangenenlager in Breslau-Hundsfeld eingetreten, um den Gefangenen als Seelsorger beizustehen. Er hat 5 Jahre in der russischen Gefangenschaft zugebracht. Wahrlich, ein gute Hirte!

Es gibt freilich auch Mietlinge, die den Wolf kommen sehen und fliehen, so dass der Wolf die Schafe reißt, Mietlinge, die mit den Wölfen heulen, statt ihnen entgegenzutreten. Ich kannte einmal einen Priester, der auch dem Herrn nachfolgen wollte. Er hat diese Nachfolge aufgegeben. Er trat in Mainz in den Bachchor ein. Der Bachchor ist ein protestantischer Chor. Dort lernte er eine evangelische Lehrerin kennen. Er ließ sich laisieren und heiratete diese Lehrerin. Nach wenigen Jahren wurde er geschieden. Er heiratete eine katholische Studentin und trat aus der Kirche aus.

Der Wiener Prediger Abraham a Santa Clara hat einmal das bittere Wort gesprochen: „Während die Hirten schlafen, stiehlt man die Wolle den Schafen.“ Ein Wort, das das Versagen der Hirten kennzeichnet. Dieses Versagen gibt es, Gott sei es geklagt.

Bei den Hirten besteht eine Rangordnung. Die Priester sind den Bischöfen untergeordnet, die Bischöfe dem Papst. Wenn Priester versagen, muss man sich an den Bischof halten. Wenn Bischöfe versagen, muss man sich an den Papst halten. Wenn der Papst versagt, da kann man nur Christus anrufen. Doch dazu kommt es gewöhnlich nicht. Vielmehr hat sich der oberste Hirte der Kirche häufig als der treueste Hirte erwiesen. Als die Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz versagten, da hat der Papst eingegriffen und ihnen gesagt: „Ihr dürft nicht Unwürdige zur Kommunion zulassen.“ Als die deutschen Bischöfe die Lehre von der geschlechtlichen Sittlichkeit verbogen, da hat der Heilige Vater immer wieder und immer wieder darauf gedrängt, dass dies geändert wird. Sie haben es bis heute nicht getan! Sie wissen, dass unser jetziger Heiliger Vater uns entgegenkommen will. Er will die Tridentinische Messe in weitem Umfang wieder zulassen, aber er fürchtet die Bischöfe. Er muss sie fürchten, weil die Gefahr besteht, dass sie ihm nicht gehorchen!

Wir wollen uns durch Schwächen und Versagen der Hirten nicht irremachen lassen. Wir wollen uns an den halten, der das Wort gesprochen hat: „Weide meine Schafe.“ Es gibt Menschen, die nehmen das Versagen von Hirten zum Anlaß, aus der Kirche auszutreten und die Kirche zu verlassen. Das ist der falsche Weg. „Kein Übel, dem man durch die Trennung von der Kirche entfliehen will, ist so groß wie die Trennung selbst.“ Kein Übel, dem man durch die Trennung von der Kirche entfliehen will, ist so groß wie die Trennung selbst. Dieses Wort stammt von dem heiligen Bischof Cyprian. So haben wir auch heute die Pflicht, in Ehrfurcht, in Gehorsam und in Liebe zu den Hirten der Kirche zu stehen. Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass wir Hirten haben, die die Wahrheit verkünden, die uns das Brot des Lebens reichen. Die Andersgläubigen, die keine Hierarchie haben, von denen sich jeder selber die Wahrheit suchen muss, die verlassen sind, beneiden uns oft um diese Hierarchie. Sie haben nur Irrwege vor sich und Abwege; sie führen in religiöse Einsamkeit und Richtungslosigkeit. In ihrer Zerrissenheit und Führungslosigkeit sehnen sie sich danach, einmal in die große Gemeinschaft Christi heimzukehren.

In dieser Gemeinschaft, meine lieben Freunde, sind wir geborgen. Wir sollten uns deshalb glücklich schätzen, zur heiligen katholischen Kirche zu gehören. Wir sollten keinen Tag vorübergehen lassen, wo wir nicht in das Gebet des Herrn einstimmen, dass nämlich einmal ein Hirt und eine Herde werde.

Amen.

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