Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
19. November 2000

Über Christus als den Mittler des Heils

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es gibt eine Frage, die nicht zur Ruhe kommen will, und diese Frage lautet: Was dünkt euch von Christus? Wessen Sohn ist er? Von der Antwort auf diese Frage hängt alles in unserem Leben und in unserem Sterben ab. Wir müssen eine vollständige Kenntnis Jesu Christi gewinnen, damit wir für unser Leben ein richtungweisendes und zum Himmel führendes Kennzeichen haben, damit wir wissen, wem wir vertrauen dürfen und auf wen wir hören müssen.

Jesus hat ein menschliches Leben geführt wie andere Menschen auch. Sein irdisches Leben ist einmalig und unwiederholbar. Aber in diesem irdischen Leben vollzog sich das Geheimnis unseres Heiles. Dieses Leben sprengt die Geschichte, so geschichtlich es auch gelebt wurde. Es geht über jede Geschichte hinaus, denn in ihm vollzog sich das Geheimnis unseres Heiles. Das Geheimnis des Heiles war ursprünglich ein Plan im Geiste Gottes. Da war es ein Gottesgeheimnis, und dieses Gottesgeheimnis ist in der Zeit verwirklicht worden; so wurde es ein Christusgeheimnis. Und weil dieses Christusgeheimnis unser Heil bewirken soll, ist es auch unser Heilsgeheimnis. Jetzt schon haben wir Anteil an ihm, aber noch ist es verhüllt, noch ist es verborgen; wir erwarten seine Enthüllung. Wir hoffen auf die endgültige Offenbarung Christi an seinem Tage, wenn unser vergängliches, hinfälliges Leben einmal verwandelt werden wird in ein unvergängliches, strahlendes und leuchtendes Leben.

Das Geheimnis unseres Heiles wurde verwirklicht durch die Menschwerdung Jesu Christi. Weil Christus Mensch geworden ist, deswegen ist unser Heil von Gott verwirklicht worden. In Christus ist derjenige erschienen, an dem jeder Anteil gewinnen muß, der das Heil erringen will. Christus ist das Werkzeug des Heiles, er ist die Verwirklichung des Heiles, er ist die Erscheinung des Heiles, ja er ist das Heil selbst. Christus ist unser Heil. In ihm ist eine Daseinsform auf Erden erschienen, die es vorher nicht gab. An seiner Daseinsform, an seiner Existenzweise muß Anteil gewinnen, wer das Heil erringen will. Er ist der Weg zum Heil, er ist die Brücke zum Heil, er ist der Bürge des Heils. Ja, wir müssen jetzt das Wort nennen, das die Kirche aus der Heiligen Schrift entnommen hat und das sie in ihren Lehrentscheidungen immer wieder hervorgehoben hat: Christus ist der Mittler des Heiles. Er steht in der Mitte zwischen Gott und den Menschen; er ist der Vermittler.

Nun ist das Wort Vermittler uns nicht unvertraut. Wenn Arbeitskämpfe entstehen, wird manchmal ein Vermittler bestellt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Das mag uns eine gewisse Ahnung davon geben, was ein Vermittler ist, der eben auseinanderstrebende Kräfte zusammenfügt. Im Bundesrat wird manchmal, wenn sich die Parteien nicht einigen können, der Vermittlungsausschuß angerufen. Er soll dann zwischen den widerstreitenden Meinungen einen Ausgleich herbeiführen. Eine ferne Ahnung von dem, was Christus der Mittler ist, vermögen uns diese Bedeutungen zu verschaffen, aber freilich nur eine ferne Ahnung. Näher heran an das, was Christus der Mittler ist, führt uns die Kunde des Alten und des Neuen Testamentes.

Im Alten Bunde gab es auch Mittler. Das waren die Könige, die Priester, die Propheten. Sie vermittelten zwischen Gott und dem Volke. Sie empfingen Botschaften von Gott an das Volk, und das Volk bat sie als seine Vertreter bei Gott zu wirken. Nun gibt es einen Vermittler, der alle anderen überstrahlt, das ist Moses. Moses ist der vorzüglichste Mittler des Alten Bundes. Er empfing von Gott Weisungen und überbrachte sie dem Volke. Er allein durfte mit Gott reden und das, was er gehört hatte, dem Volke vermitteln. Aber auch das Volk schrie zu ihm und bat ihn, die Worte Gottes in Empfang zu nehmen und für es bei Gott einzutreten. Das hat er getan. Er wurde der Fürbitter für das Volk bei Gott. Um seiner Fürbitte willen hat Gott das Unheil von dem Volke, das er angedroht hatte und das das Volk verdient hatte, abgewendet. Er ist auch ein leidender Vermittler geworden, denn er mußte schwere Leiden erdulden wegen der Widerspenstigkeit des Volkes. Es blieb ihm schließlich sogar der Eingang ins gelobte Land versagt; er durfte es nur schauen. Auf dem Berge Nebo durfte er einen Blick in das verheißene Land werfen, aber hineingehen durfte er nicht. Das war sein stellvertretendes Leiden.

Neben der Gestalt, der historischen Gestalt des Moses gibt es im Alten Testament noch ein Bild für einen Mittler, nämlich den Gottesknecht. In dem prophetischen Buch des Iasaias wird uns dieser Gottesknecht geschildert. Er ist ein Licht für die Menschen. Er soll ihnen den Willen Gottes künden und die Botschaft Gottes vermitteln. Aber er stößt auf Widerstand. Äußere Kämpfe muß er bestehen, und innere Zweifel wogen in ihm. Er wird mit Mißtrauen betrachtet und schweren Leiden unterworfen. Aber gerade dadurch, daß er schuldlos leidet, wird er der Mittler zwischen den Menschen und Gott. Das ist ein Vorentwurf für das, was Jesus sein sollte. Was das Bild des Gottesknechtes im prophetischen Buch des Isaias ankündigt, das ist verwirklicht worden in Jesus Christus. Er ist der Mittler, den Gott vorausbestimmt und in der Zeit zu den Menschen gesandt hat. Er stellt sein Mittlertum unter den Ausdrücken dar, daß er der Menschensohn sei, daß er der Gottessohn sei und daß er der Gottesknecht sei. Als Menschen- und Gottesohn verfügt er über Macht und Herrlichkeit; als Gottesknecht ist er dem Leiden und dem Tode ausgeliefert. „Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die vielen.“ Jesus hat sich also selbst als den Mittler verstanden, auch wenn er das Wort Mittler nicht gebraucht hat. Die Sache ist bei ihm vorhanden.

Seine Jünger haben sein Mittlertum dann entfaltet, an erster Stelle der Apostel Paulus. Er stellt Jesus Christus als den Mittler des Neuen Bundes dar. Es gibt zwei Stellen in Paulusbriefen, wo das Wort Mittler auch tatsächlich vorkommt, nämlich im ersten Timotheusbrief heißt es: „Es ist ja nur ein Gott, ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst als Lösegeld für alle dahingegeben hat.“ Und im Hebräerbrief heißt es: „Nun hat er (nämlich Christus) einen um so erhabeneren Priesterdienst erlangt, als er Mittler eines besseren Bundes ist, der auf besseren Verheißungen gründet.“ Christus ist Mittler, weil er Gottes Würde und die menschliche Natur verbunden hat. Er konnte vermitteln, weil er zugleich Gott und Mensch war, weil sich eine menschliche Natur mit der göttlichen Person vereinigt hatte. Darum konnte er vermitteln. Der heilige Augustinus drückt das einmal so aus: „Die Gottheit ohne Menschheit ist nicht Mittlerin; die Menschheit ohne Gottheit ist nicht Mittlerin, sondern Mittlerin zwischen der Gottheit allein und der Menschheit allein ist die menschliche Gottheit und die göttliche Menschheit Christi.“ Die menschliche Gottheit und die göttliche Menschheit Christi.

Dieser Mittler Jesus Christus hat ein neues Leben in die Welt gebracht, und dieses Leben ist für alle Menschen maßgeblich, denn er ist der neue Stammvater. Es gab schon einmal einen Stammvater, er hieß Adam, aber das war ein Stammvater zum Unheil. Jetzt gibt es einen neuen Stammvater, und das ist ein Stammvater zum Heil, er heißt Jesus Christus. An diesem Stammvater gewinnt man Anteil nicht durch Zeugung wie an dem alten Stammvater Adam, sondern durch Neuschaffung im Geschehen der Taufe und im Glauben. Durch Glaube und Taufe gewinnt man Anteil an diesem neuen Stammvater. Das ist die Botschaft des Apostels Paulus über das Mittlertum Jesu.

Auch Johannes spricht von diesem Mittlertum. Für ihn ist Jesus der Weg. Das heißt: Wer zu Gott kommen will, muß eben diesen Weg beschreiten. Für Johannes ist Jesus die Tür. Das heißt: Wer eingehen will zu Gott, muß diese Tür durchschreiten. Das sind Bilder für das Mittlertum Jesu. Er erfüllt sein Mittlertum in seiner Fürbitte und in seinem stellvertretenden Leiden und Sterben. „Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe.“ Er gibt es für die Schafe, weil er der Mittler ist, weil er dadurch, daß er seinen Tod stirbt, als Sühnetod stirbt für die vielen, für die er sein Leben dahingibt.

Man kann versuchen, sich das Geheimnis des Mittlertums Christi in drei Schritten klar zu machen. Der erste Schritt ist der folgende: Christus ist das Haupt der ganzen Schöpfung. Als Haupt ist er mit der ganzen Schöpfung verbunden. Diese Verbindung vollzieht er als Mensch kraft seiner menschlichen Natur. Indem die göttliche Person des Logos die menschliche Natur annahm, hat er sich mit der gesamten Menschheit, ja mit der gesamten Schöpfung – von der ja diese Natur ein Teil ist –, verbunden. Der erste Schritt besagt also: Christus ist das Haupt der Schöpfung und hat durch die Annahme der menschlichen Natur sich mit der gesamten Schöpfung verbunden. Der zweite Schritt lautet: Dadurch, daß Christus gekommen ist, dadurch, daß er in die Welt eingetreten ist, hat er die gesamte Schöpfung geheiligt. Die Schöpfung konnte nicht unberührt bleiben, wenn der Gottessohn ein Stück von ihr annahm und in die Schöpfung eintrat. Dadurch ist die Schöpfung geweiht, konsekriert, geheiligt worden. Bald wird es wieder soweit sein, nämlich in der Vigil von Weihnachten. Da lesen wir im Martyrologium: „Jesus Christus, der ewige Gott und der Sohn des ewigen Vaters, hat durch seine gnadenvolle Ankunft die Welt geheiligt.“ Schon durch die Ankunft des Mittlers ist die Welt anders geworden, ob sie es wissen will oder nicht, ob sie es annehmen mag oder nicht. Die Welt ist anders geworden durch das Kommen Jesu Christi. Das ist die zweite Stufe unserer Überlegungen: Die Ankunft Jesu hat die Welt im Geheimen verwandelt. Es sind in sie Keime eingesetzt worden, Lebenskeime, die nie mehr sterben und die sich einstens entfalten werden. Die Welt ist anders geworden. Und der dritte Schritt: Dadurch, daß Jesus in die Welt eingetreten ist, ist die Heiligung nicht vollendet. Sie hat begonnen. Durch sein Erscheinen ist die Consecratio der Welt anfanghaft durchgeführt worden, aber sie bedarf noch der Vollendung. Und so mußte Jesus auch noch durch sein ganzes Leben die Heiligung der Welt weiterführen. In seiner Erscheinung als Mensch lag die Bereitschaft, das ganze menschliche Leben auf sich zu nehmen, um dadurch das Weltchaos aufzuarbeiten. Er mußte ein redliches menschliches Leben führen, aber durch jede Einzelheit dieses Lebens hat er die Heiligung bewirkt. Ob Jesus geht oder steht, ob er ißt oder schläft, ob er redet oder schweigt, immer ist sein ganzes Tun Heiligung der Welt; in all diesen Vorgängen vollzieht sich das Geheimnis unseres Heiles.

Gewiß gibt es unter dem, was Jesus getan und gelitten hat, Höhepunkte. Der Gipfel seines Lebens und Leidens ist zweifellos sein Kreuzestod, ist sein Auferstehung, ist seine Himmelfahrt. Aber noch einmal: Man kann diese drei Geschehnisse nicht herauslösen aus dem ganzen Leben Jesu; die Ganzheit dieses Lebens besitzt erlöserische Kraft. Jesus hat uns durch sein Kommen, aber auch durch sein Wirken, durch sein Leben und Leiden, durch sein Predigen und durch seine Heilungen das Heil verschafft.

Jetzt wissen wir also, was es bedeutet, wenn wir sagen: Jesus ist unser Mittler beim Vater. Er hat die Mittlerschaft begonnen mit seiner Menschwerdung, er hat sie durchgeführt in seinem Leben, und er setzt sie fort in der himmlischen Herrlichkeit. Er tritt immerfort für uns ein beim Vater im Himmel. Er zeigt ihm seine Wunden, und auf diese Weise ist und bleibt er unser Mittler beim Vater. Jetzt wissen wir, wie wir uns zu diesem Mittler stellen müssen. Wir müssen ihm sagen: Jesus, du bist der Weg. Laß mich diesen Weg gehen! Jesus, du bist die Brücke. Laß mich diese Brücke überschreiten! Jesus, du bist die Tür zum Vater. Öffne mir diese Tür und laß mich ein in das Glück und in die Freude des himmlischen Vaters.

Amen.

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