Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. August 1989

Jesus, der Mittler und Priester

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben in den vergangenen Monaten die Wesensart unseres Herrn und Heilandes zu ergründen versucht. Wir taten dies, indem wir die Namen uns vor Augen führten, die ihm gegeben werden. Diese Namen sagen etwas über seine wirkliche Gestalt, so wie sie in der Geschichte steht, aus. Ob wir von ihm als dem Hirten, dem Heiland, dem Lehrer, dem Herrn, dem Lamm Gottes sprechen, immer ist damit eine Seite an dem so reichen Wesen Jesu bezeichnet. Diese Überlegungen sind notwendig, denn nur dadurch gewinnen wir Einblick in die Wirklichkeit unseres Herrn und Heilandes.

Der Angriff der Falschlehrer, die ja heute in unserer Kirche, wie es scheint, Heimatrecht haben, richtet sich vorwiegend gegen die göttliche Persönlichkeit Jesu. Sie lassen ihn gelten als einen Therapeuten und Exorzisten, also einen Mann, der wie ein Arzt sich betätigt hat und dabei erstaunliche Erfolge hatte, der Dämonen ausgetrieben hat, wie es auch die anderen Juden zur Zeit Jesu getan haben, aber sie zerren ihm den Königsmantel der Gotteswürde von den Schultern. Und da gilt das Wort, das ich zitiert habe, das Wort des Kardinals Faulhaber: „Wer von Jesus redet, ohne von seiner göttlichen Würde zu reden, der hat um Jesus herumgeredet.“ Wir sind Jesuaner und Christen nicht deswegen, weil einmal ein Therapeut und Exorzist über die Gefilde von Galiläa gewandert ist, sondern wir sind Jesuaner und Christen, weil unser Herr und Heiland der menschgewordene Sohn Gottes ist, der Logos, von dem der Prolog des Johannesevangeliums bekennt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“

Eines bleibt uns noch zu bedenken, einen Namen haben wir bisher noch nicht genannt, einen Namen, der im Hebräerbrief vor allem entfaltet wird, nämlich der Name Priester. Jesus ist Priester, ja, er ist Hoherpriester. Er ist, wie der Brief an die Hebräer schreibt, Hoherpriester nach der Ordnung des Melchisedech.

Priester ist ein Mittler zwischen Gott und den Menschen. Ein Priester muß eine besondere Berufung, eine besondere Würde haben, damit er die mittlerische Tätigkeit entfalten kann. Jesus Christus wurde als Priester eingesetzt, als der Logos, also die zweite Person in Gott, die menschliche Natur annahm. Weihnachten ist das Geburtsfest des Priesters Jesus Christus. Als der Herr im Schoße der jungfräulichen Mutter eine menschliche Natur sich aneignete, da wurde Christus zum Priester eingesetzt. Die hypostatische Union, also die Verbindung einer göttlichen Person mit einer menschlichen Natur, das ist der Beginn des Priestertums Jesu Christi. Weil diese hypostatische Union Jesu Christi immer bleibt, niemals aufgelöst wird, auch im Himmel besteht, deswegen bleibt Jesus Christus Hoherpriester. Sein Priestertum entfällt nicht, sein Priestertum hört nicht auf; er bleibt Priester, Hoherpriester auf ewig, weil seine priesterliche Würde ewig bleibt.

„Ein jeder Hoherpriester,“ schreibt der Hebräerbrief, „wird aus den Menschen genommen und für die Menschen bestellt, damit er Gaben und Opfer darbringe für die Sünden.“ Nun, Jesus Christus erfüllt diese Definition des Hohenpriesters, des Priesters. Er ist aus den Menschen genommen, er ist einer geworden von uns, er hat alles menschliche Leben geteilt. „Er wurde in allem versucht,“ schreibt der Brief an die Hebräer, „aber ohne Sünde.“ Er hat gelitten, er hat Tränen vergossen auf dieser Erde, er ist versucht worden, aber eines hat er mit den Menschen nicht gemein, nämlich daß er der Versuchung erlegen ist. Er wurde für die Menschen bestellt, damit er Gaben und Opfer darbringe. Das  Wort Opfer ist eines der geheiligtsten in allen Sprachen, meine lieben Christen. Was ist ein Opfer? Ein Opfer im religiösen, liturgischen Sinne ist eine äußere religiöse Handlung, in der eine sinnenfällige Gabe durch einen rechtmäßig bestellten Diener Gott dargebracht wird zur Anerkennung der Oberherrlichkeit Gottes und zur Versöhnung Gottes.

Also: Zum Opfer gehört eine sinnenfällige Gabe. Ja, welche sinnenfällige Gabe hat denn unser Heiland, unser Hoherpriester, dargebracht? Sich selbst, sein Leben, seinen Leib! Das war die sinnenfällige Gabe. Mit dem Leib, mit dem er auf den Gefilden Galiläas gewandert ist, mit dem Leibe, den er in den blutigen Tod gegeben hat, hat er sein Opfer dargebracht. Er war der von Gott bestellte Priester. Er war nicht nur Opfergabe, er war auch Opferpriester. Der Zweck seines Opfers wird von ihm selbst angegeben: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben hinzugeben als Sühne für die vielen.“ Zu diesem Zweck also opfert er seinen Leib, um Gott zu versöhnen für die Sünden der vielen. Anstelle der vielen und zugunsten der vielen hat er seinen Leib dargebracht, um sie mit Gottes Majestät, die durch die Sünde beleidigt war, zu versöhnen. In dem Gehorsam, den er geleistet hat, in der Liebesflamme, die aus seinem Herzen aufstieg, hat er Gott die höchste Ehre erwiesen, hat er die Oberherrlichkeit Gottes – auch über ihn, den menschgewordenen Logos – vor aller Augen sichtbar anerkannt.

Und welches war seine Opferhandlung? Nun, in gewissem Sinne war sein ganzes Leben ein Opfer. In einem gewissen Sinne hat er vom Anbeginn seiner irdischen Existenz Gott das Opfer seines Lebens dargebracht. Aber freilich, diese Opfertätigkeit hat einen Gipfel, und dieser Gipfel wurde erreicht auf dem Kalvarienhügel in Jerusalem. Da hat er, dem Willen des Vaters gehorsam, seinen Leib den Henkern dargeboten, obwohl er sich hätte diesem Tod entziehen können. Es wäre ihm möglich gewesen, sein Leben zu retten, aber er tat es nicht; denn darin liegt ja das Opfer, daß jemand nicht eine Katastrophe bloß erleidet, wie heute manche Falschlehrer meinen, daß eben Jesus gescheitert ist, sondern daß er eben bewußt und sehenden Auges sein Opfer darbrbingt, um in dieser Weise Gott zu ehren und zu verherrlichen. „Einen Leib hast du mir bereitet; siehe, ich komme, deinen Willen zu erfüllen!“ Und da kann Johannes mit dem Finger auf ihn zeigen: „Seht, das Lamm Gottes!“ Seht, das Opferlamm, das der Prophet Isaias vorherverkündet hatte, das jetzt am Altare des Kreuzes sein Opfer darbringt zur Versöhnung der Menschen. Und so hat es dann der Apostel Paulus theologisch beschrieben: „Diesen hat Gott in seinem Blute als Sühnemittel hingestellt durch den Glauben.“ Ein wunderbarer Satz aus dem Römerbrief. Diesen – Jesus – hat Gott als Sühnemittel, als Sühneopfer hingestellt, das angeeignet wird durch den Glauben, denn anders kommt man nicht in den Besitz dieser erlösenden Gnade als durch den Glauben. Dieses Blut ist Sühneblut, dieses Blut ist Opferblut.

Da verstehen wir, meine lieben Christen, warum der Hebräerbrief in mehreren Kapiteln Jesus als den Hohenpriester der künftigen Güter feiert. Die Hohenpriester des Alten Bundes, sagt er, haben versucht, die Erlösung zu erreichen, und sie haben sich viel Mühe gegeben. Sie haben die Opfertiere geschlachtet und auf dem Brandopferaltar verbrannt, das Blut von Böcken und Stieren ausgeschüttet. Aber diese Opfer waren höchstens Vorbilder, aber niemals kräftige Wirkweisen. Sie haben nur angedeutet, daß einmal ein Opfer kommen würde, das alle diese kümmerlichen Opfer in den Schatten stellt, nämlich das Opfer unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, den Jahwe – das ist der alttestamentliche Gottesname – selbst als Hohenpriester eingesetzt hat. In ihm ist der Satz erfüllt: „Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung des Melchisedech.“

Und das ist der Grund, meine lieben Christen, weil Christus Priester und Opfer ist, warum wir uns hier am Altare versammeln, warum es einen Altar gibt und nicht einen Tisch. An einem Tisch kann man ein Mahl halten, aber an einem Altar wird ein Opfer dargebracht. Das ist der Unterschied! Und deswegen ist auch ein Unterschied, ob man eine Kommunionfeier hält, in der ein Laie die Kommunion austeilt, oder ob man das Meßopfer darbringt. Denn die Gegenwärtigsetzung, die Repräsentation, das Erscheinen des Kreuzesopfers ist nur zugesagt für das Meßopfer, nicht für eine Kommunionfeier. In einer Kommunionfeier kann man den aus einem Opfer hervorgehenden Leib Jesu Christi empfangen, aber man kann nicht in das Opfer eingehen. Der Eingang in das Opfer ist vorbehalten dem Meßopfer, in dem der Herr in wunderbarer Weise, diesmal unblutig im Gegensatz zum Kreuze, sein heiliges Opfer unter uns Gegenwart werden läßt. Denn so sagt der Priester beim heiligsten Augenblick der Messe, bei der  Wandlung: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.“ In diesen Worten „hingegeben wird“ liegt das Opfer beschlossen. „Das ist der Kelch meines Blutes, das für euch vergossen wird.“ In diesem Vergossenwerden ist das Opfer angedeutet.

Das ist der Grund, meine lieben Christen, warum es für einen Priester nichts Höheres gibt, als das heilige Opfer unseres Herrn und Heilandes darzubringen. Das ist der Grund, warum es für einen Christen nichts Schöneres und Beglückenderes gibt, als der Feier des heiligen Meßopfers beizuwohnen und in es einzugehen. Das ist der Grund, warum wir an diesem heiligen Meßopfer festhalten, mit glühendem Herzen und mit der festen Überzeugung, daß uns hier das Heil aus den Wunden unseres Heilandes zufließt. „Er ward geopfert, weil er selbst es wollte. Jahwe hat geschworen: Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung des Melchisedech!“

Amen.

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