Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Oktober 2003

Mutter Teresa, Vorbild heroischer Liebe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der vergangenen Woche waren wir Zeuge, wie der Heilige Vater eine schlichte Frau zur Ehre der Altäre beförderte. Johannes Paul II. hat Mutter Teresa seliggesprochen. Das heißt, er hat mit päpstlicher Autorität verkündet: Ihr Leben ist gelungen. Sie hat die Herrlichkeit des Himmels erreicht, und sie darf von uns verehrt und angerufen werden.

Das Leben dieser Frau hat ganz anders begonnen. Sie kam auf dem Balkan zur Welt, in Skopje, dem heutigen Mazedonien, aus einer keineswegs armen, einer gutbürgerlichen Familie, hat eine gute Ausbildung empfangen. Aber mit 18 Jahren entschloß sie sich, die Welt zu verlassen und ins Kloster zu gehen. Sie kam nach Indien, hat dort als Lehrerin, als Direktorin einer Schule gewirkt in einer relativ gesicherten und angenehmen Position. Aber das war nicht genug für sie. Sie strebte nach anderem, nach Höherem. Sie verließ diese Geborgenheit und ging in die Slums von Kalkutta, dort, wo die Armen, wo die Ärmsten der Armen ein kümmerliches und menschenunwürdiges Dasein führen. Sie gründete eine Gesellschaft, die Missionarinnen der Nächstenliebe, um mit ihnen wenigstens einen Tropfen von dem Elend, das sie dort fand, zu lindern.

Das Leben dieser Frau ist ergreifend und weckend für uns. Es ist das ein Leben eines Übermenschen der Nächstenliebe. Sie hat nicht wie wir die Nächstenliebe klug bemessen und ist einer Pflicht gefolgt, sondern in ihr war eine Inspiration, eine göttliche Berufung. In ihr hat der Heilige Geist den Lebensweg bestimmt. Sie hat diesen Ruf des Geistes gespürt und gehört und ist ihm gefolgt. Sie gehört zu den Übermenschen der Liebe, die dem Räuber nicht bloß den Mantel geben, sondern auch noch den Rock lassen. Sie gehört zu jenen, die feurige Kohlen der übermenschlichen Liebe auf die Feinde häufen. Sie gehört zu jenen, die alles glauben und alles hoffen, die wie arglose Kinder sind und doch wissende Augen haben. Zu einem solchen Leben reicht nicht eine natürliche Gutmütigkeit oder eine naturhafte Anlage zum Helfen, sondern das ist Inspiration. Inspiration, die ihre Quelle in Gott hat, in der Gottesliebe, in der Heilandsliebe, in der Seelenschätzung, im Ewigkeitsverlangen. Solche Helden einer wundersamen Liebe können wir nicht nach Belieben erwecken. Wir können nur die Kräfte bereitstellen, die sie brauchen und benötigen, um sich daran zu entzünden. Es ist auch so, daß solche Persönlichkeiten nicht im Dutzend zu haben sind. Sie stehen am Anfang einer Organisation, und dann, wenn sie in die Ewigkeit eingekehrt sind, dann beginnt die Bewährungsprobe ihres Werkes. Ob es sich durchhalten kann ohne diese charismatische Führerpersönlichkeit, ob es Bestand haben kann auch ohne diese von Gott erweckte inspirierte Frau.

Auch Schwarmgeister können in ähnlicher Weise auftreten. Aber es gibt ein sicheres Kriterium, um die echte Berufung von Schwarmgeisterei zu unterscheiden, und dieses Kriterium sind die Früchte. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ Damit sind nicht zuerst die äußeren Früchte gemeint, obwohl sie bei der Mutter Teresa überwältigend sind, nein, damit sind zuerst die inneren Früchte gemeint. Das heißt: Wenn der Geist, der die Persönlichkeit treibt, sie wirklich unabhängig macht vom eigenen Ich, vom Stoff und von den Sinnen, wenn der Geist diese Persönlichkeit wirklich dienmütig – dienmütig! – und selbstlos macht, wenn diese Persönlichkeit wirklich in Freiheit über sich hinauswächst, sich auswirkt nach eigenen Gesetzen, dann sind die inneren Früchte einer solchen Persönlichkeit mit Händen zu greifen.

Nun sind aber, wie wir alle wissen, solche Wunder der Selbstlosigkeit, der Freiheit und des Schenkens selten. Warum sind sie so selten? Warum werden nicht viele von der übermächtigen Gnade zu solcher Höhe emporgerissen? Die Antwort lautet: Weil das Wunder als alltägliche Erscheinung der Menschheit nicht zum Guten gereichen würde. Das Wunder muß selten bleiben. Die Menschheit erträgt eine solche überwältigende Liebe nicht, sie erträgt nichts schwerer als die Liebe. Die Liebe zu ertragen erfordert eine große Reife und Reinheit des Herzens. Das ist ja die furchtbare Versuchung aller, die mit Armen, Kranken, Schwachen, Elenden zu tun haben. Sie beobachten, wie die einen durch die Liebe, die sie ihnen erweisen, nur noch anmaßender und rücksichtsloser werden und unverschämter. Sie mißbrauchen die Liebe, so daß ein Menschenfreund sich manchmal bei dem Gedanken ertappt, man müsse die Menschen mit der Peitsche dressieren. Ja, so ist es,  meine lieben Freunde; es ist denkbar, daß Menschen vorhanden sind, die selbst durch die Liebe Gottes nicht gerettet werden können. Für die gibt es dann überhaupt kein Heil, denn die Allmacht Gottes ist die Liebe. Andere werden durch die empfangene Liebe nur träge und unselbständig. Sie klammern sich an die Menschen, die ihnen wohltun, und wollen sie für sich allein besitzen und aussaugen; sie werden eifersüchtig und engherzig. Die Männer und Frauen, die in der Entwicklungshilfe arbeiten, sagen uns, sie treffen häufig die Erscheinung an, daß die Menschen, denen sie Hilfe bringen, dadurch träge und unselbständig werden, daß sie ihre Felder nicht mehr bebauen, denn sie bekommen ja die Lebensmittel von außen herangebracht. Das ist die Folge davon, daß schrankenlose Liebe nur von ganz heiligmäßigen Menschen ertragen werden kann. Menschen, deren Gesinnung nur sinnlich oder tierisch oder brutal ist, solche Menschen, deren Seelenleben krank ist, können die Liebe nur in sparsamer Menge vertragen. Die Liebe, die sie alltäglich brauchen, muß mehr eine erzieherische und eine kluge, eine wohlberechnete und gebieterische sein. Sie darf sich den Launen und dem Eigensinn, der Herrschsucht und der Ausbeutungslust der Menschen nicht fügen; sie muß sich selbst schützen gegen Dummheit und Bosheit. Solche Menschen können nur sparsam mit Liebkosungen bedacht werden, und das ist die große Mehrheit der Menschen, die solche Behandlung brauchen. Nicht eine schrankenlose, nicht eine rücksichtslos ausströmende, sondern eine geregelte, eine organisierte, eine Herrscher- und Führerliebe, das ist es, was sie brauchen, eine wissende Liebe, die nötiger ist als die heroische Liebe.

Nun kann man natürlich fragen: Was ist denn der Erfolg dieser Heroen der Liebe? Was hat denn Mutter Teresa erreicht? Die Naturgesetze des Weltlaufs hat sie nicht geändert oder aufgehoben. Die politischen und sozialen Zustände, unter denen die Menschen und die Völker leben, sind durch sie nicht wesentlich umgestaltet worden. Auch sie und ihr Orden konnte die Armut und das Leid nicht von der Erde verbannen. Sie konnte den Leidensweg der Menschen nicht abkürzen. Gewiß, sie und ihre Schwestern haben manches Leid gelindert, haben einen Schimmer von Freude verbreitet. Aber auch ihre Werke lösen sich ab und verfallen. Und doch ist ihre Aufgabe und ihre Bedeutung unfaßbar groß. Warum? Sie sind ein Erweis höheren Lebens. Sie zeigen, daß der Geist mächtiger ist als die Sinnlichkeit. Sie durchbrechen für einen Augenblick die eisernen Gesetze der Natur und erheben sich über die furchtbare Notwendigkeit wie ein Wunder. Sie sind die Künder eines überirdischen Reiches und einer überirdischen Freiheit, Reinheit und Güte. Und sie haben deswegen auch die Beweiskraft von Wundern. Sie haben sogar eine stärkere Überzeugungskraft als Totenerweckungen und Weissagungen.

Sie sind auch für uns von Bedeutung, denn sie zeigen uns das eigentliche Ideal und die Richtung, die dahin führt. Ihr Beispiel läßt uns nicht einschlafen in Selbstgerechtigkeit. Ihr Beispiel stachelt und beunruhigt uns in unserem flachen Rationalismus. Ihr Beispiel dient uns zur Gewissenserforschung, damit wir über aller Klugheit und Berechnung nicht vergessen, daß das Höchste doch die Liebe ist. Wir sind ja immer in Gefahr, in berechnender Klugheit zu verfahren und aus Vorsicht selbstisch zu werden. Wir vergessen allzu leicht, daß es nur einen wahren und echten Beruf für uns gibt, nämlich einer sei des anderen Helfer, einer trage des anderen Last. Und deswegen muß ein Tropfen, ein Tropfen dieser charismatischen Liebe auch in uns sein. Er muß eingehen in unsere Seele, und er muß uns lehren, wieviel von jener Liebe, die ein Wunder ist, wir den Menschen geben können. Eine schwere Aufgabe, und es braucht ein Genie, um sie zu lösen, daß man gleichzeitig ein liebendes und ein weltoffenes Gemüt hat, daß man eine warme und innerlich reiche Seele besitzt, ein feiner Empfinden und doch zugleich ein starkes und kühles Wollen. Das alles ist notwendig zu einer wahren Genialität der Liebe.

Erst in einer Welt, in der die schrankenlose und bedenkenlose Liebe allein herrschen wird, erst in einer solchen Welt, wird es keinen Mangel an Liebe, keine Kränkung und keine Schädigung durch Liebe mehr geben. Und doch ist diese Liebe, die uns Mutter Teresa geschenkt hat, nicht umsonst. Sie ist wie ein Stückchen blauen Himmels, das durch den bleiernen Novemberhorizont dringt. Es ist das wie ein Hinweis, daß es eine Sonne gibt und daß diese Sonne einst kommen wird und daß die Sonne einst herrschen wird und daß es gilt, ihr den Weg zu bereiten. Ihr Beispiel zeigt uns, daß die Liebe das Höchste ist, etwas Jenseitiges, ein Widerschein der Ewigkeit. Die Liebe ist die schönste und wahrste Offenbarung Gottes, und wer die Liebe bewährt, ist ein gottähnliches Wesen. Er offenbart Gott in seiner Einzigkeit, denn Gott,  meine lieben Freunde, ist der einzige, allmächtige und unendliche Heros und das unendliche Genie der Liebe.

Amen.

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