Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. August 2010

Wächter über Gottes Gebot – das Gewissen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Von einem Rundfunksender gehen Wellen, Schallwellen, aus. Sie werden empfangen von dem Rundfunkgerät, von unserem Radiogerät. Ohne den Empfänger verhallen die Wellen. Mit dem Empfänger nehmen wir sie auf. Ähnlich-unähnlich ist es auch mit den Wellen, die vom Gesetze Gottes ausgehen. Gott ist der Gesetzgeber; seit Ewigkeit existiert sein Gesetz. Aber es muss zu den Menschen kommen. Gibt es ein Empfangsgerät für die Schallwellen Gottes? Ja. Es ist das Gewissen. Das Gewissen ist die Empfangsstelle für die Aufnahme des Gesetzes Gottes. Es geht das Gesetz von Gott aus, aber es muss ja zum Menschen kommen. Und es kommt zum Menschen mit dem Vermögen, das wir Gewissen nennen. Das Gesetz ist die objektive Regel des Handelns. Aber sie wird erst unser subjektives Gesetz, wenn wir es entgegennehmen, wenn es in unser Bewußtsein eintritt, wenn wir darum wissen, wenn wir ein Gewissen haben. Das Gewissen ist die persönliche Aneignung des Gesetzes Gottes. Das Gesetz steht außer dem Menschen, über dem Menschen: das Gewissen ist im Menschen.

Das Gewissen ist eine Tatsache und so alt und verbreitet wie das Seelenleben des Menschen überhaupt. Menschen ohne Gewissen hat es nie gegeben. Die göttliche Offenbarung zeigt uns in Berichten und Bildern, wie das Gewissen im Menschen wirkt. Nach dem Sündenfall versteckten sich die ersten Menschen vor Gott. Sie fürchteten sich, ihm gegenüberzutreten, weil sie nackt waren. Damit wird angedeutet, dass ihnen der Schutz der heiligmachenden Gnade fehlte. Sie hatten durch ihre Sünde das Schutzkleid der göttlichen Gnade verloren, und da fürchteten sie sich. Gott fragte Adam: „Wer hat dir denn gesagt, dass du nackt bist? Hast du etwa von dem Baume gegessen, von dem ich dir verboten habe zu essen?“ Ja natürlich hat er das getan. Und jetzt regt sich das böse Gewissen. Ähnlich war es bei Kain. Als der Kain seinen Bruder Abel erschlagen hatte, da schlug ihm das Gewissen, da fürchtete er sich. Da sprach er: „Meine Schuld ist zu groß, als dass ich sie tragen könnte.“ In den Psalmen wird oft vom guten und vom bösen Gewissen gesprochen. „Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, o Herr, denn vor dir ist niemand gerecht, der lebt.“ Ein Zeichen, dass das Gewissen in dem Beter gesprochen hat. „Meine Schuld wächst mir über mein Haupt, ist wie eine schwere Last, die mich erdrückt.“ Wiederum ein Zeichen für das Sich-Melden des Gewissens. Und die Propheten haben immer wieder das Volk, das gewissenlos geworden war, auf das Gewissen hingewiesen, haben Weckrufe und Mahnrufe an das Volk ergehen lassen. „Entsetzliches und Scheußliches geschieht im Lande, die Propheten (die falschen Propheten) weissagen trügerisches Zeug. Die Priester lehren auf eigene Art, und die Leute lieben es so.“

Im Neuen Testament finden wir sogar den Begriff des Gewissens. Im Griechischen ist es das Wort syneidesis (συνείδησις). Das klassische Zeugnis für das Gewissen findet sich im Römerbrief des Apostels Paulus. Dort heißt es: „Die Heiden zeigen, dass ihnen das Werk des Gesetzes in die Herzen geschrieben ist, indem ihr Gewissen davon Zeugnis gibt.“ „Die Heiden zeigen, dass ihnen das Werk des Gesetzes in die Herzen geschrieben ist, indem ihr Gewissen ihnen Zeugnis gibt.“ Und oft und immer wieder spricht Paulus vom Gewissen. Als er vor dem Hohen Rat steht und sich verantworten soll, da sagt er: „Mit gutem Gewissen bin ich vor Gott gewandelt bis auf den heutigen Tag.“ Und als er vor dem Landpfleger Felix erscheinen muss, da sagt er: „Ich befleißige mich, mein Gewissen allzeit unverletzt zu bewahren vor Gott und vor den Menschen.“

Die Tatsache des Gewissens wird auch von der ganzen Menschheitsgeschichte und vom allgemeinen Bewußtsein der Menschen bezeugt. Das Gewissen bildet ja die Grundlage für die Sittlichkeit. Zwei Lehrer sind dem Menschen von Anfang an mitgegeben worden, die beide ohne Worte sie unterweisen, nämlich die geschaffene Welt, die Schöpfung, und das eigene Gewissen. Gott redet zu Guten und zu Bösen durch die Stimme des Gewissens, das bezeichnet wird als das Herz. Im Herzen spricht die Wahrheit. Sie lobt, was gut ist, sie tadelt, was schlecht ist. Vor allem die Macht des strafenden Gewissens wird uns durch die Riten und Praktiken der Völker bezeugt. Sie spürten die Notwendigkeit, sich zu entsühnen. Bei den Israeliten fand diese Entsühnung zum Beispiel so statt, dass man einen Ziegenbock nahm und ihm die Hände auflegte in der Hoffnung, dass auf ihn die Sünden übergehen. Und dann jagte man ihn fort in die Wüste, und dort mußte er zugrunde gehen. Ein für uns verzweifeltes Bemühen, von der Schuld frei zu werden, die das Gewissen anzeigt. Auch die Heiden wußten um das Gewissen. Sie kennen alle den heidnischen Philosophen Seneca, den Erzieher des Nero. Von Seneca stammt das Wort: „Nahe ist dir Gott. Er ist bei dir, er ist in dir. Ja, ein heiliger Geist wohnt in uns und wacht über das Gute und Böse in uns.“ Wie ergreifend! Ein heiliger Geist wohnt in uns, sagt der Heide, und wacht über das Gute und Böse in uns. Und einer, der nun auch mit dem Christentum nicht sehr viel zu tun hatte, nämlich der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe, läßt in seinem „Tasso“ die wunderbare Sentenz aufkreuzen: „Ganz leise spricht ein Gott in unserer Brust, ganz leise, ganz vernehmlich, zeigt uns, was zu ergreifen ist und was zu fliehen.“ Zeigt uns, was zu ergreifen ist und was zu fliehen. Das ist das Gewissen.

Das Wesen des Gewissens besteht darin, dass es ein Urteil der praktischen Vernunft über die Sittlichkeit unseres Handelns ist. Ein Urteil der praktischen Vernunft, der auf die Praxis gerichteten Vernunft über die Sittlichkeit, über die Erlaubtheit oder Unerlaubtheit des eigenen Handelns. Das Gewissen sagt: Das darf ich tun oder: Das darf ich nicht tun. Das Gewissen sagt: Das war recht oder: Das war unrecht. Das Gewissen ist die unbedingte Richtschnur für unser Handeln. Was ich als sittlich zulässig erkenne, das darf ich tun. Was ich als sittlich unzulässig erkenne, das muss ich meiden. Das Gewissen legt uns die Verpflichtung auf, der wir nachkommen müssen, wenn wir nicht schuldig werden wollen.

Oft wird diese Funktion des Gewissens in der Heiligen Schrift uns vorgestellt. „Wer versteht, Gutes zu tun und tut es nicht, dem ist es Sünde“, schreibt der Apostel Jakobus in seinem Briefe. Das gute Gewissen ist ein Zeichen der Gottgefälligkeit und des Friedens in Gott. Mit einem guten Gewissen weiß man, dass man nach dem Willen Gottes gehandelt hat. Paulus fordert seinen Schüler Timotheus auf, in gutem Gewissen seine Funktion als Lehrer zu erfüllen. Die Reinheit des Gewissens bedeutet den Zustand der Sündenvergebung und der Begnadigung. Das schuldbeladene Gewissen bedeutet für den Sünder Strafe. Wir Priester beten (hoffentlich mit gutem Gewissen) in jeder heiligen Messe den Psalm 25, wenn wir uns die Hände waschen. Da kommt der Satz vor: „In Unschuld wandelte ich, auf den Herrn vertraute ich und blieb unerschütterlich.“ Hoffentlich können wir das mit gutem Gewissen sagen. In Unschuld wandelte ich, auf den Herrn vertraute ich und blieb unerschütterlich. Der Frevler flieht, obwohl ihn niemand verfolgt, denn das Gewissen ist wie eine Furie, die ich jagt.

Das Gewissen ist dem Menschen angeboren. Es gibt eine Gewissensanlage. Diese Gewissensanlage besteht darin, dass der Mensch fähig ist und dass es ihm leicht fällt, die ersten Grundsätze der Sittlichkeit zu erkennen. Der Mensch hat in sich einen untrüglichen Wächter, der ihm sagt: Das ist recht, das ist unrecht. Selbstverständlich muss dieses Urgewissen, diese Gewissensanlage ausgebildet werden. Der Mensch muss sich bemühen, die Gewissensanlage mit Grundsätzen der Sittlichkeit zu füllen. Das geschieht, indem das Gewissen entfaltet wird, durch Erfahrung und durch Belehrung. Durch Erfahrung und Belehrung lernt das Kind, was recht ist und was unrecht ist. Es ist ein allmählicher Prozeß, der sich im Kinde vollzieht durch die Eltern, durch den Religionsunterricht (hoffentlich!). Durch Erziehung wird das Kind allmählich in die Gewissenhaftigkeit eingeführt. Das Gewissen muss gebildet werden. Gewissensbildung besagt Unterrichtung über das Sittengesetz. Sie wird uns zuteil im Hören auf das Wort Gottes, im Anschluß an das Lehramt der Kirche, im Lesen des amtlichen Katechismus, im Bitten um göttliche Erleuchtung und Führung. Gewissensbildung muss sein.

Zur Gewissensbildung muss die Gewissenspflege kommen. Das Gewissen muss gepflegt werden. Wodurch? Indem man auf die leisen Ausschläge des Gewissens achtet, indem man sich prüft, indem man Gewissenserforschung hält. Gewissenspflege ist Gewissenspflicht, und es gibt keine bessere Weise, das Gewissen zu pflegen, als regelmäßig zu beichten; denn die Beicht ist verbunden mit der Gewissenserforschung, und auf die Gewissenserforschung folgt die Reue und der Vorsatz. Pflegen wir, meine lieben Freunde, unser Gewissen! Denn das Gewissen ist immer gefährdet, von innen und von außen. Unsere Bequemlichkeit, unsere Scheu vor Anstrengung, die Meinung: Das kann Gott mir nicht zumuten, das brauche ich nicht zu tun, das kann er nicht von mir verlangen, das ist die Gefährdung von innen. Die Gefährdung von außen tritt hinzu. Wir neigen ja allzu leicht dazu, das zu tun und das zu übernehmen, was die meisten Menschen machen. Wenn es alle tun, so denken wir, dann kann es nicht falsch sein, dem kann ich mich anschließen. Aber das ist eben verkehrt. Es können alle Menschen falsch handeln. „Nicht Stimmenmehrheit ist des Rechtes Probe“, heißt es bei Schiller. Nicht Stimmemehrheit ist des Rechtes Probe, und wenn der Bundestag mit voller Stimmenmehrheit beschließt, dass etwas Gesetz werden soll, was vor Gott nicht Gesetz werden kann, dann dürfen wir uns danach nicht richten. Das Gewissen kann verbildet werden. Verbildung ist das Gegenteil von Bildung. Die Verbildung besteht darin, dass man für erlaubt hält, was verboten ist, und dass man für unerlaubt hält, was geboten ist. Das schändlichste Gummifabrikat unserer Zeit ist das Gummigewissen. Nichts ist gefährlicher als ein verbildetes Gewissen. Man paßt sich der Mehrheit an, man folgt der Umgebung, man wählt sich aus, was einem paßt, und meint, das sei von Gott gewollt. „Das ist meine Pflicht“, so spricht das Gewissen. Es sagt niemals: Das ist mein Interesse.

Das Gewissen kann auch sterben. Es kann zumindest einen Scheintod sterben. Es hört nicht mehr, es sieht nicht mehr, es regt sich nicht mehr. Im 19. Jahrhundert gab es in Frankreich zwei Ministerpräsidenten, berühmte Politiker, Thiers und Guizot. Ein geistreicher Mann wurde damals gefragt, worin der Unterschied zwischen Thiers und Guizot besteht. Der Mann sagte: „Thiers besitzt nicht die Fähígkeit, Gut und Böse zu unterscheiden, und Guizot besitzt diese Fähigkeit, aber er macht keinen Gebrauch davon.“ Vernichtender kann man wohl die Gewissenlosigkeit nicht kennzeichnen. Auch in unserer Zeit, auch in unserer Zeit gibt es Gewissenlosigkeit. Es gab einmal einen Mann namens Hermann Göring, Reichsmarschall des Deutschen Reiches, Ministerpräsident von Preußen. Von diesem Manne stammt das Wort: „Ich habe kein Gewissen. Mein Gewissen ist Adolf Hitler.“ Schrecklicheres kann man ja kaum von sich geben.

Nein, meine lieben Freunde, mit dem guten Gewissen steht und fällt die menschliche Persönlichkeit. Im Jahre 1794, also mitten in der Französischen Revolution, stand Maximilian Robespierre, einer der Anführer der Revolutionäre, aber ein integrer Mann, ein selbstloser Mann, auf im Parlament und sagte: „Nehmt mir mein Gewissen, und ich bin der unglücklichste aller Menschen.“

Amen.

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