Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. Juni 1998

„Tut dies zu meinem Gedächtnis!“

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Verehrung des Fronleichnam Versammelte!

„Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Dieses Wort unseres Herrn und Heilandes ist der Ursprung der eucharistischen Opferfeier. Am Abend vor seinem Leiden sprach er zu seinen Jüngern: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Und getreu dieser Weisung feiern wir alle Sonntage, nein, feiern wir alle Tage das Opfer Jesu Christi. „Cotidiana vilescunt.“ Dinge, die man täglich betreibt, können zu einer trüben Gewohnheit werden. Nicht so darf es sein beim eucharistischen Opfersakrament. Denn der Herr hat gesagt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Und so muß also für unser Tun bestimmend sein, was der Herr uns geboten hat. Das eucharistische Opfersakrament läßt sich in dreifacher Weise betrachten,

1. als Danksagung.

2. als Gedächtnis,

3. als Gegenwart.

Das eucharistische Opfersakrament ist immer auch Danksagung. Wir hören es ja im Einsetzungsbericht, daß der Herr dankte, als er dieses Sakrament einsetzte. Er hat, bevor er uns diese wunderbare Speise und diesen herrlichen Trank gab, gedankt. Und so müssen auch wir danken. Das Wort Eucharistie heißt Danksagung und ist durchaus eine legitime Bezeichnung für dieses Geschehen. In jeder Feier des Opfers Christi heißt es beim Lobgesang der Präfation: „Es ist würdig und recht, billig und heilsam, dir immer und überall zu danken.“ Wir müssen im Meßopfer danken. Wenn wir es im eucharistischen Opfersakrament nicht lernen, zu danken, dann vergessen wir es überhaupt. Wir müssen danken, danken für alles, was Gott in Jesus Christus für uns getan hat. Deswegen werden in den verschiedenen Präfationen im Laufe des Kirchenjahres die einzelnen Heilsgeheimnisse genannt: Wir danken für das Leiden Christi; wir danken für seine Auferstehung; wir danken für seine glorreiche Himmelfahrt; wir danken für die Ausgießung des Geistes; wir danken für die Offenbarung des dreifaltigen Gottes. Mit diesem Dank dürfen und sollen wir alles verbinden, was an unserem Leben dankenswert ist. Und jeder von uns – jeder von uns – hat Erlebnisse und Begebnisse, für die er danken muß. Es ist würdig und recht, immer und überall zu danken, also auch für das Leid und die Bitterkeiten und die Enttäuschungen unseres Lebens. Die Eucharistie, das eucharistische Opfersakrament ist ein Dank, eine Danksagung, ein Dankopfer. Denn das sei gleich am Anfang gesagt: Wir danken nicht bloß dadurch, daß wir sprechen, wir danken vor allem dadurch, daß wir handeln. Der Herr hat nicht gesagt: „Denkt an mich“, sondern: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Wir haben also eine Danksagung besonderer Art vor uns, nämlich eine Danksagung durch ein Geschehnis, durch eine Handlung, durch eine Tathandlung, ein „dromenon“, wie die Griechen sagen.

Diese Danksagung mündet selbstverständlich ins Lob aus, denn wer Gott dankt, der lobt ihn, der verherrlicht ihn, der erkennt damit an, daß die Gaben von Gott kommen und daß wir Anlaß haben, ihm bei dieser Danksagung Anerkennung und Lob zu spenden. Also halten wir fest: Das eucharistische Opfersakrament ist immer auch wesentlich Danksagung; Danksagung nicht zuletzt für das, was der Herr uns zu tun geboten hat.

Der Kern des eucharistischen Opfers ist freilich das Gedächtnis. „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Das Gedächtnis des eucharistischen Opfers ist von besonderer Art. Wir können uns des Leidens Christi erinnern in mannigfacher Weise. Wenn wir den Kreuzweg gehen, gedenken wir des Leidens Christi. Wenn wir die Leidensgeschichte lesen, gedenken wir des Leidens Christi. Wenn wir nach Oberammergau fahren und das Passionsspiel miterleben, gedenken wir des Leidens Christi. Das sind alles gültige Weisen des Gedenkens. Aber das Gedenken des eucharistischen Opfers ist davon wesentlich verschieden. Selbstverständlich rufen wir auch hier uns das Ereignis des Kreuzesopfers ins Gedächtnis, aber dieses Gedenken bleibt nicht eine subjektive Erinnerung, sondern wird ein objektives Geschehen, eine sakramentale Darstellung. Das Konzil von Trient gebraucht dafür den Ausdruck „repraesentatio“; das bedeutet soviel wie Vergegenwärtigung, Wiederherstellung, Darstellung. Es wäre zu wenig, wenn man sagen würde: Das eucharistische Opfer ist eine in der Erinnerung sich vollziehende Gedächtnisleistung. Nein, das eucharistische Opfer ist eine wirksame, lebendige und wirkliche Darstellung des Geschehens am Kreuze. Das Kreuzesopfer wird im eucharistischen Opfer Gegenwart. Es wird Gegenwart, weil der zugegen ist, der am Kreuze verblutet ist. Er ist die Opfergabe. Es wird Gegenwart, weil der, der sich am Kreuze geopfert hat, dieses Opfer durch den Dienst der Priester darbringt. Es wird Gegenwart, weil nur die Opferweise verschieden ist. Am Kreuze war sie blutig, auf dem Altare ist sie unblutig. Das eucharistische Opfer ist die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Christi. Aber das ist noch nicht alles. Die Vergegenwärtigung eines Opfers muß ja nicht ohne weiteres ein Opfer sein. Die Vergegenwärtigung des Opfers dient dazu, dieses Opfer uns zu eigen zu machen und es dem Vater im Himmel darzubringen. Das Kreuzesopfer wird zum Meßopfer, indem wir seine Vergegenwärtigung zum Anlaß nehmen, unsererseits dieses Opfer dem Vater im Himmel darzubringen.

Die beiden Gebete nach der Wandlung, meine lieben Freunde, sprechen diesen unerläßlichen Gedanken ganz deutlich aus. Jetzt, nach der Wandlung, ist der Herr auf dem Altare, aber jetzt setzt dann ein, wodurch dieses Opfer unser Opfer wird, nämlich indem wir den auf dem Altare gegenwärtigen, geopferten Christus dem Vater im Himmel darbringen. Wir bringen ihn dar als unser Opfer und bitten um Annahme unseres Opfers. Das Opfer Christi ist der Annahme gewiß, darum brauchen wir nicht zu beten. Aber insofern das Opfer Christi unser Opfer wird, das muß erbetet werden, damit es von Gott angenommen wird.

Diese eucharistische Opferung ist von größter Bedeutung. Eine Gedächtnisleistung geben auch andere Religionen zu. Allein die katholische Religion hält daran fest, daß hier ein wirkliches und wahres Opfer sich vollzieht, daß wir nicht nur an ein Opfer denken, das in der Vergangenheit geschehen ist, sondern daß wir ein Opfer vollziehen, das sich in dieser Gegenwart zuträgt. Selbstverständlich besteht Einheit zwischen dem Kreuzesopfer und dem eucharistischen Opfer. Es ist kein neues Opfer, sondern es ist das alte Opfer in neuer Weise. Das eucharistische Opfer fügt dem Kreuzesopfer nichts hinzu, es ist insofern ein relatives Opfer, ein bezügliches, ein auf das Kreuzesopfer bezogenes Opfer. Aber es bleibt ein wahres Opfer, weil das Opfer Christi von uns dem Vater im Himmel dargebracht wird.

Das eucharistische Opfer ist schließlich Gegenwart unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. Man hat in den letzten Jahrzehnten von den mannigfaltigen Weisen der Gegenwart Gottes und Christi gesprochen – nicht zu unrecht. Selbstverständlich ist Christus gegenwärtig in seinem Wort. Immer wenn ein gläubiger Mensch das Wort Christi ausrichtet, vor allem ein Prediger, ist Christus mit seiner Gnade dabei. Die recht vollzogene Wortverkündigung besitzt quasi sakramentalen Charakter. Christus ist auch gegenwärtig in der Versammlung. Wenn sich Menschen zum Gebet versammeln, ist er unter ihnen mit der Kraft seines Geistes, ohne weiteres. Christus ist auch gegenwärtig in den Armen und Kranken und Gefangenen, weil er sich mit ihnen gleichsetzt. „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Weil er sich mit ihnen identifiziert. Christus ist gegenwärtig in den Sakramenten, denn die Sakramente ziehen ihre Kraft aus der Einsetzung durch Jesus und durch die Austeilung seiner Gnade  in ihnen. Alle diese verschiedenen Arten der Gegenwart Christ sind in ihrer Weise berechtigt, aber sie reichen nicht heran an die Gegenwart im eucharistischen Opfersakrament. Hier ist nicht nur die Gnade Christi enthalten, hier ist der Urheber der Gnade enthalten. Im eucharistischen Opfersakrament ist Christus wahrhaft, wirklich und substanzhaft gegenwärtig. In keinem anderen Falle kann man von einer substanzhaften Gegenwart Christi reden. Nur im eucharistischen Opfersakrament ist er der Substanz nach gegenwärtig. Und diese Gegenwart tritt ein durch die Verwandlung. Das Wort Wandlung ist unaufgebbar. Der entsprechende lateinische Begriff Transsubstantiation ist unaufgebbar, denn er allein ist geeignet, das auszudrücken, was hier durch das Wort des Priesters und die Macht der Gnade Christi geschieht, nämlich: Durch den werkzeuglichen Dienst des Priesters und durch die Macht Christi wird die ganze Substanz des Brotes und die ganze Substanz des Weines in Leib und Blut Christi verwandelt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Hier geschieht eine Wesensverwandlung, ein unaussprechliches Geheimnis.

Vor einiger Zeit sagte mir jemand: „Ich kann daran nicht glauben.“ Ich habe Verständnis dafür, denn das ist ein Geheimnis über allen Geheimnissen, und wer sich nicht bemüht, in dieses Geheimnis einzudringen, wer sich nicht anstrengt, die  Intentionen Christi zu erfassen, der wird an diesem Geheimnis scheitern. Christus wollte, weil er seine sichtbare Gegenwart mit der Himmelfahrt beendet hat, uns eine sakramentale Gegenwart schenken. Wie sollte er es denn machen? Wenn er als ein kleines Kind auf dem Altare wäre, das wäre ja lächerlich. Er mußte es also unter Zeichen machen, sich unter den Gestalten verbergen. Gleichzeitig wollte er uns vergewissern, daß er gegenwärtig ist. Wenn er nur dem Geiste nach gegenwärtig wäre, dann könnte man zweifeln. Der Geist ist nicht zu greifen und nicht zu spüren. Deswegen wollte er leibhaftig gegenwärtig sein, und dazu eignet sich nichts besser als das, was wir mit dem Leibe aufnehmen, nämlich Speise und Trank.

Weil Christus gegenwärtig ist, erweisen wir ihm die Zeichen der Ehrfurcht und der Anbetung. Wir knien nieder, wir verneigen uns. Das sind Zeichen der Anbetung. Wenn Gott, unser Herr, gegenwärtig ist, dann ziemt es sich, ihn tiefgebeugt zu verehren. Wir wollen mit diesen Zeichen unsere Anbetung, aber auch unseren Glauben zum Ausdruck bringen. „Zweifle nicht“, sagt der heilige Chrysostomus, „zweifle nicht, daß Christus gegenwärtig ist. Es ist die Wahrheit, und die Wahrheit lügt nicht.“

So wollen wir heute, am Feste des Fronleichnam, des Herrenleibes, unsere Anbetung aus dem Glauben erneuern, wollen den wunderbaren Hymnus beten, den wir eigentlich immer beten sollten, wenn wir eine Kirche betreten, nämlich den Hymnus „Adoro te devote“, in dem es heißt:

In Demut bet’ ich dich, verborg’ne Gottheit, an,

die du den Schleier hier des Brotes umgetan.

Mein Herz, das ganz in dich anschauend sich versenkt,

sei ganz dir untertan, sei ganz dir hingeschenkt.

Gesicht, Gefühl, Geschmack betrügen sich in dir,

doch das Gehör verleiht den sicheren Glauben mir.

Was Gottes Sohn gesagt, das glaub’ ich hier allein;

es ist der Wahrheit Wort, und was kann wahrer sein!“

Amen.

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