Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. Oktober 1996

Die Engel als Boten Gottes bei den Menschen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Existenz von Engeln wurde uns nicht deswegen geoffenbart, daß wir unser Weltbild bereichern, sondern die Offenbarung von Engeln geschieht wie jede Offenbarung um uneres Heiles willen. Wir sollen einmal erkennen, welche Verwandlung unsere Existenzform durchmachen wird, nämlich eine solche, daß wir uns einmal verströmen werden in Liebe zu Gott. Zum anderen soll uns durch die Offenbarung von den Engeln deutlich gemacht werden, daß wir innig mit ihnen verbunden sind und zu ihnen in Beziehung stehen.

Die Engel wirken mit am Aufbau des Reiches Gottes. Sie sind beteiligt an der Aufrichtung, Sicherung und Förderung der Gottesherrschaft. Dadurch dienen sie dem Heil der Menschen. Im Hebräerbrief heißt es: „Die Engel sind bestimmt zum Dienst an jenen, welche das Heil erben sollen:“ Sie haben also eine heilende und heiligende Aufgabe uns gegenüber. Sie gehören nicht nur zu Gott, sie gehören auch zu uns. Sie sind beteiligt an der Aufrichtung der Gottesherrschaft. Im Himmel tun sie den Willen Gottes und stehen zu seiner Verfügung. In der Schöpfung verwirklichen sie Gottes Heilspläne und verkünden sie Gottes Heilsabsichten. Sie werden von Gott als Boten hin- und hergesandt; sie sind seine Werkzeuge bei der Vollstreckung seines Willens. Dabei sind sie aufs Innigste mit Christus verbunden. Die Heilsbedeutung Christi breitet sich gleichsam aus auf die Engel, freilich mit einem wesentlichen Unterschied. Christus schafft das Heil, Christus begründet das Heil; die Engel teilen es aus, die Engel führen die Menschen zum Heil.

Das gilt sowohl im Alten Bunde wie im Neuen. Im Alten Bunde haben die Engel die Aufgabe gehabt, das Sündenbewußtsein und die Erlösungssehnsucht in den Menschen wachzuhalten. Im Neuen Bunde sind sie daran beteiligt, die Menschen zu Christus zu führen und Christus zu dienen. Im Alten Testament begegnen uns die Engel als gütige, geheimnisvolle, hilfreiche und mächtige Wesen, die Gottes Befehlen gehorchen. Sie gehen darin auf, Gottes Willen zu tun. Schweigend und gehorsam vollziehen sie Gottes Befehle.

Die Engel im Alten Bunde nehmen verschiedene Gestalt an. Sie erscheinen als Menschen, aber auch als ganz eigenartige, geheimnisvolle Wesen. Sie haben eine Lichtgestalt und bilden so gleichsam die Herrlichkeit Gottes ab. Wegen ihrer Güte kann der Mensch Vertrauen zu ihnen haben. Sie behüten und schützen das menschliche Leben. Sie tragen die Gebete der Menschen zu Gott, und die Menschen dürfen sie um ihre Fürbitte anrufen. Sie sind freilich auch die Vollstrecker der Strafgerichte Gottes, aber sie sind nicht innerlich böse wie die abgefallenen Engel, von denen wir noch hören werden, sondern sie sind lediglich die Vollzieher der Strafbefehle Gottes.

Im Alten Bunde sind sie die Boten des verheißenen und ersehnten Gottesreiches. Im Neuen Bunde sind sie die Werkzeuge des erschienenen Gottesreiches, denn in Christus ist die Gottesherrschaft sichtbar geworden. Die Engel umgeben deswegen im Neuen Bunde Christus. Sie nehmen teil am Christusgeheimnis; sie sind auf Christus bezogen. Christus ist freilich unendlich über sie erhaben; er ist ja der Schöpfer und der Erlöser, er ist der Bewirker des Heiles. Einmal wurde er unter die Engel erniedrigt – in seinem Leiden, aber nur deswegen, damit er durch das Leiden hindurch zur Erhöhung kam und dann den Platz zur Rechten des Vaters einnehmen konnte. Daß Engel das Leben Christi begleiten, ist das Zeichen, daß Christus von oben kommt, wie die Engel von oben kommen. Dem Nathanael sagt Christus einmal: „Ihr werdet die Engel aufsteigen und niedersteigen sehen über den Menschensohn.“ Er kommt aus der himmlischen Welt, in der die Engel leben, und die Engel sind seine Begleitschaft. Sie sind die Vorausverkünder, sie sind die Zeugen, sie sind die Mitbeteiligten am Werke Christi. Bei der Menschwerdung, bei der Geburt, in den Versuchungen, in den Leiden, bei der Auferstehung, bei der Himmelfahrt und bei seinem Gericht sind Engel beteiligt.

Auch der fortlebende Christus, der Leib Christi, die Kirche, erfreut sich des Schutzes der Engel. Die Engel schirmen und schützen die Kirche. Sie nehmen teil am Kult der Kirche. Immer wenn eine Taufe gespendet wird, wenn eine Ehe geschlossen wird, wenn das eucharistische Opfersakrament gefeiert wird, sind die Engel gegenwärtig. Die Engel sind beteiligt am Kult der Kirche. Die Schutzfunktion der Engel über die Gesamtkirche setzt sich fort in den Teilgemeinschaften der Kirche, also in den Bistümern, in den Pfarreien; ja, es ist eine Glaubenswahrheit, daß jeder Christ, daß jeder Mensch einen Schutzengel besitzt. Jeder Mensch hat einen göttlichen Boten, der ihn umsorgt und umtreut, der seine Gebete zu Gott trägt, der ihn heimgeleitet, wenn es einmal ans Sterben geht. In besonderer Weise wird diese letzte Funktion dem Erzengel Michael zugesprochen. Die Wahrheit vom Schutzengel hat der Herr im 18. Kapitel des Matthäusevangeliums deutlich ausgesprochen. Da ist die Rede vom Rangstreit der Jünger: Wer ist der Erste im Gottesreich? Und ein jeder wollte es möglichst sein. Da stellte Christus ein Kind in die Mitte und sagte: „Wenn ihr nicht werdet wie Kinder, könnt ihr in das Gottesreich nicht eingehen.“ Also: Ihr habt da nicht nur keinen Rang im Gottesreich, sondern ihr seid gar nicht drin. Ihr müßt euch bekehren und werden wie Kinder! Ja, wie sind denn die Kinder? Die Kinder sind harmlos, vertrauend, ohne Arglist; sie kennen noch nicht die Tücken und die Hinterhalte, die Menschen im Leben bereiten können; deswegen sind sie wehrlos. Aber sie sind nicht schutzlos. Denn, so sagt der Herr: „Wehe dem, der einem Kinde Ärgernis gibt. Es wäre besser, ihm würde ein Mühlstein an den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt. Denn ihre Engel im Himmel schauen allezeit das Antlitz meines Vaters im Himmel.“ Also: Wer ein Kind in böser, zerstörerischer Absicht angreift, der trifft auf den Engel des Kindes, und dieser Engel des Kindes steht vor Gott, vor dem allmächtigen und dem allweisen Gott. Gewiß, der Engel schweigt. Wenn ein Kind in böser Absicht von einem Menschen angegangen wird, brennt sein Haus nicht ab, sein Geschäft geht nicht zugrunde, sein Wagen verunglückt nicht; aber dieser Angriff ist aufbewahrt in der rächenden Allwissenheit Gottes, und einmal wirst du erfahren, was du angerichtet hast, als du den mächtigen Engel dir zum Feinde machtest!

Auch die Völker haben Engel, die von Gott an ihre Seite gestellt sind. Die Völker sind ja ein Gesamt von ähnlicher Befindlichkeit. Sie haben eine gemeinsame Struktur, und so haben sie auch einen Engel, der für ihren Dienst bestellt ist. Der Engel vertritt die Völker vor Gott. Der Engel tritt vor Gott für sie ein. Der Engel erinnert die Völker an ihre Aufgabe an der Geschichte und hilft sie durchzuführen. Der Engel schützt auch die Völker in ihren Kämpfen. Dafür gibt es mehrere Zeugnisse in der Offenbarung des Alten Bundes.

Wenn die Engel so sind, wie wir sie eben beschrieben haben, dann ziemt uns Verehrung und Anrufung. Die Kirche lehrt uns die Engel verehren und anrufen. Im Abendgebet, das wir Priester jeden Abend verrichten, heißt es: „Gott möge die heiligen Engel senden, daß sie in unseren Wohnungen sich aufhalten und unser Leben beschützen!“ Im Gebet über die Sterbenden lehrt uns die Kirche flehen: „Die heiligen Engel mögen dem Sterbenden entgegenkommen und ihn zur ewigen Heimat geleiten!“ Im Requiem, in der Totenmesse, wird der heilige Michael als der Bannerträger angerufen, der die Seele heimgeleitet. Besonders ergreifend sind die Hymnen, die wir Priester am Schutzengelfest beten. In dem Hymnus zum Morgengebet, zu den Laudes, heißt es:

„O sende deinen Engel uns!

Er weile hier, er schirme uns,

daß wir der Sünde Schmach entgehen

und der Verführung widerstehen!

Des alten Neiders Trug und List,

der Drachen Wut zernichte er,

daß Truggespinst und Gaukelei

dem Herzen nicht zum Falle sei!

Was feind uns, treibe er hinweg,

was ängstiget und Schaden bringt.

Dem Pilger schaff’ er Ruh’ und Brot,

hüt’ ihn vor Pest und jeder Not!

Dem Vater Ruhm, ihn ewig preist,

die durch den Sohn aus Güte er

erlöst, geheiligt durch den Geist,

durch Engelshand behüte er!“

Amen.

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