Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 2020

Die Seligpreisungen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Evangelist Matthäus teilt in seinem Evangelium eine Rede mit, die Jesus auf einem Berg in Galiläa gehalten hat, die Bergpredigt. Sie ist mehr als eine Rede. Die Bergpredigt bezeichnet einen gewaltigen Umbruch, eine heilige Revolution, die von Gott kommt und nicht von Menschen ausgedacht ist. Es ist eine Revolution, die sich nicht nur in übernatürlichen Höhen vollzieht, sondern die auch der diesseitigen Welt ihre Spuren eingeprägt hat. Wir glauben nicht an eine Bergpredigt, die uns wie eine Limonadenreligion serviert wird. Sie ist etwas anderes als eine schwärmerische Geschichte von Lilien und Vögeln auf dem Felde – mit der falschen Auslegung, dass sich der Mensch um überhaupt nichts auf der Welt kümmern soll. Fromme Faulheit ist hier wahrlich nicht gemeint, sondern der Totaleinsatz für das Reich Gottes. Für den Schöpfer, der uns ins Leben gerufen hat, auf dass wir ihm dienen.

Am Anfang der Bergpredigt stehen die Seligpreisungen. Sie bringen die eschatologische, also endzeitliche, Motivierung der Ethik des Evangeliums in klarster Weise zur Geltung. Denn ihr Sinn ist nicht der, dass die in ihnen Bezeichneten jetzt schon selig, innerlich glücklich sind, sondern dass ihr Los zu preisen ist im Hinblick auf die Verheißung, die daran geknüpft ist. Die erste Seligpreisung lautet: Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Die erste Seligpreisung knüpft an Is 61,1 an: „Der Geist des allmächtigen Herrn ruht auf mir. Denn der Herr hat mich gesalbt, mich gesandt, den Armen frohe Botschaft zu bringen.“ Die Armen sind zunächst die Unbegüterten, die als solche auch die sozial Zurückgesetzten und Unterdrückten sind. Sie sind aber auch die Frommen. Ihr gedrücktes Wesen wird zum Anlass, sich ausschließlich an Gott zu halten und von ihm allein ihr Heil zu erwarten. Auch der Begriff der Demut ist in dem Wort enthalten. Es sind diejenigen gemeint, welche die Seele eines „Armen“ besitzen. Die Tugend der Armut besteht in der Losschälung des Herzens vom irdischen Besitz um der ewigen Güter willen. Diese Armut im Geiste ist für arm und reich bis zu dem Grade sittliche Pflicht, als sie jeden Erwerb oder Gebrauch des Besitzes ausschließt, der mit der Liebe Gottes unvereinbar ist. Die Gläubigen dürfen sich der Gaben freuen, die Gott ihnen gibt. Aber die Demut verlangt, sie auf Gott als ihre Quelle zurückzuführen. Demut halten die Ungläubigen für altmodisch. Und doch ist sie die Grundhaltung des Menschen, der seine Größe bzw. Kleinheit vor Gott richtig einschätzt. Die erste Seligpreisung Christi ist ein Schlag gegen aufgeblähten Geltungsdrang, chronische Angeberei und geistiges Spiegelfechten. In der Aufgeblasenheit und Hohlheit dieser Welt führt uns die schlichte Armut des Geistes zur Wahrheit Gottes. Nur im aufrichtigen Menschenherzen entfaltet sich seine Gnade und bringt Frucht. Hier rüttelt Christus alle auf, die noch die Bescheidenheit und Größe aufbringen, zum Glauben zu kommen. Es ist die Mobilmachung derer, durch die Gott eine Kampfansage macht an die Arroganten, die Versnobten und die Superindividualisten. Diese Diesseitsmenschen sind geistige Liliputaner. Sie schaffen den Vorstoß ins Metaphysische nicht. Und doch: Erst der Durchbruch ins Übernatürliche gibt dem Menschen wahre Würde. Erst von Gott her erlangt er die Herrschaft über den tierischen und materiellen Bereich. Erst im Glauben gewinnt er seinen höchsten Adel. Den Armen im Geiste ist ein unermesslicher Reichtum verheißen: Es ist das Himmelreich, die Herrschaft Gottes und mit Gott.

Die zweite Seligpreisung lautet: Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Die Trauernden sind einmal die in dieser Welt der Freude und des Trostes Beraubten; ihnen wird eine Entschädigung für den ihnen entgangenen Anteil an der Lebensfreude verheißen. Es sind sodann die aus Buße oder die über die Macht des Bösen in der Welt Trauernden. Die Trauernden sind jene, die ergebungsvoll ihr Schicksal in Gottes Hand legen. Die Welt redet sich ein: Selig sind die Lachenden, die chronischen Karnevalsgesichter! Selig sind, die sich ständig amüsieren! Die Traurigkeit, die Christus seligpreist, bedeutet nicht, ständig nur sich selbst bedauern, lamentieren über jede Unannehmlichkeit, weinen über materielle Verluste und Einbuße der Gesundheit, sich immerzu grämen über Verschleppung und Hunger und Elend, verzweifeln aus Mangel an Glauben. Diese Traurigkeit quillt aus der Solidarität mit Christus. Von ihm schreibt Johannes: „Er – der Logos – war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Die Bergpredigt bewahrt den Blick in die Abgrundtiefen der Traurigkeit. Den berechtigten Schmerz, dass der Mensch im platten Materialismus erstickt und seine Ewigkeit verscherzt. Die Heilige Schrift spricht zweimal davon, dass Christus geweint hat, das eine Mal beim Tod seines Freundes Lazarus, das andere Mal über Jerusalem, von dem er voraussah, dass kein Stein auf dem anderen bleiben wird. Untergang, Verwüstung, Strafgericht Gottes – gelten sie auch uns? Dieser Hintergrund gehört mit hinein in den radikalen Geist der Bergpredigt. Es erfordert Mut, in einer amüsierverhafteten Welt eine solche Traurigkeit auf der Stirn zu tragen: Weinen können über jene Deserteure, die mit Spott und Hohn Gott verraten haben. Weinen über die Millionen Kinder, in deren Herzen das Wissen um Gott gemordet wird. Weinen können über die Rotationsmaschinen Satans in Presse und Verlagen, über die Berieselung mit teuflischem Gift in Kino, Radio und Fernsehen. Weinen über eine selbstgerechte Masse, die keine Gewissenserforschung vor dem Gekreuzigten hält. Das ist die Traurigkeit der Christen. Der Herr verheißt den Trauernden den Trost. Dieser Trost ist nichts anderes als die Gemeinschaft mit Gott und allen Heiligen. Wenn sie anbricht, wischt Gott alle Tränen von den Augen der Weinenden.

Die dritte Seligpreisung lautet: Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben. Es sind jene, denen nicht nur aller Übermut und alles hochfahrende Wesen fern ist, die auch nicht gegen ihr Geschick aufbegehren und zu Gott um Rache schreien, vielmehr ihm mit Geduld das Eingreifen in die Geschichte überlassen. Sanftmut ist nicht gleichbedeutend mit Leisetreterei und Kopfnickerei. Nach Aristoteles ist die Sanftmut die Mitte zwischen Unbeherrschtheit im Zorn und Unfähigkeit zum Zorn. Jesus selbst bezeichnet sich als sanftmütig. Er zog in Jerusalem ein auf einem Esel sitzend. Darin erfüllte sich die Weissagung des Propheten Zacharias 9,9: „Sagt der Tochter Sion, siehe, dein König kommt zu dir in Sanftmut. Er sitzt auf einem Esel.“ Die Sanftmut Christi bedeutet nicht feiges Schweigen zu Ungerechtigkeiten und Verbrechen in der Welt und zu der Lüge, die sich staatlich sanktioniert in Parlamenten und Gesetzen breitmacht. Der sanftmütige Herr hat sich gegen den ungerechten Schlag eines Dieners des Hohenpriesters gewehrt. Er trieb die Heuchler mit einem Strick aus dem Tempel. Sanftmut ist eine heroische Tugend. Nur der kann sie üben, der seine Leidenschaften bändigt und seine Erregung meistert durch die Ausgeglichenheit des Geistes. Sanftmut meint nicht tatenlose Passivität, sondern Selbstbeherrschung durch einen ausgewogenen Charakter. Dass die Welt noch nicht in Terror und Tyrannei, in Massakern und Banditentum erstickt ist, haben wir denen zu verdanken, die sich nicht von niederen Trieben aufwühlen ließen, die aufrecht blieben inmitten allen Unrechts. Die Wunder der Sanftmut sind es, die eine Welt umwandeln. Die Sanftmütigen haben Grund zur Hoffnung. Denen, die selbst nicht danach trachten, sich durchzusetzen und Lebensraum zu erobern, wird verheißen, dass sie das Land erben sollen. Damit ist das Himmelreich gemeint.

Die vierte Seligpreisung verspricht: Selig, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten. Denn sie werden gesättigt werden. Hier ist vom geistigen Hunger und Durst die Rede, nämlich von dem lebhaften Verlangen nach Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist eine sittliche Beschaffenheit, das Ideal der alttestamentlichen Frömmigkeit. Sie besteht in dem Handeln, das mit Gottes Willen übereinstimmt. Die Heilige Schrift versteht unter Gerechtigkeit häufig das gesamte Tugendleben. Diejenigen sind Gerechte, die mit allen Tugenden geschmückt sind (Lk 1,6). In diesem Sinne mahnt Christus: „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“ (Mt 6,33). Man wird bei den Hungernden aber nicht die im natürlichen Sinne Darbenden ausschließen können. Sie haben keinen Anteil an den Schätzen dieser Welt. Aber sie fügen sich in Gottes Willen. Wenn die Hungernden in ihrer Verzweiflung nach Brot schreien, dann dürfen die Wohlhabenden sie nicht wegen Ruhestörung anklagen. In Bezug auf die materiellen Güter hat die Gerechtigkeit dafür zu sorgen, dass ein jeder erhält, was ihm gebührt. Die nach Gerechtigkeit Hungernden werden einmal gesättigt werden. Gott wird sie in die Gerechtigkeit kleiden, die sie auf Erden gesucht haben. Bei uns ist der Wohlstand zuhause. Mehr noch: In unseren Städten brechen Rattenplagen aus, weil Tonnen von belegten Broten in den Mülleimern verschwinden. Und einige Flugstunden entfernt, gehen Millionen Menschen an Hunger zugrunde. Milliarden Mark oder Euro werden für Genussmittel ausgegeben. Ein Oktoberfest in München und ein Karneval am Rhein verschlingen Summen, mit denen man in ganzen Landstrichen den Hunger stillen könnte. Der Hunger und Durst nach Gerechtigkeit wird einmal gestillt werden. Hier wird von einer Gerechtigkeit gesprochen, die den danach Hungernden von Gott (als eschatologisches Gut) geschenkt wird. Zur Gottesgemeinschaft, in der das ewige Leben besteht, gehört auch die vollkommene Gerechtigkeit, die volle Erfüllung des Willens Gottes. Die das tun, werden in dem als Festmahl dargestellten Gottesreich gesättigt werden.

Die fünfte Seligpreisung verheißt: Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit finden. Barmherzigkeit ist das hilfsbereite menschliche Mitempfinden mit jedem Leid des Nächsten. Soweit der Nächste als Bruder Christi gesehen wird, ist Barmherzigkeit wichtigster Prüfstein für die Jüngerschaft. Barmherzigkeit ist eine Hilfsbereitschaft, die bei akuten Nöten des Nächsten die (strenge) Gerechtigkeit überschreitet. Christliche Barmherzigkeit bewährt sich in den leiblichen und geistlichen Werken der Barmherzigkeit. Jesus erklärt die Barmherzigkeit als Grundforderung des Willens Gottes: Geht hin und lernt, was es heißt: Erbarmen will ich, nicht Opfer (Mt 9,13). Er fordert die bedingungslose Tat- und Soforthilfe gegenüber jedem Notleidenden. Barmherzigkeit Gottes ist die Bereitwilligkeit des Willens Gottes, der notleidenden Kreatur aus freier Gnade zu Hilfe zu kommen. Urbild der Barmherzigkeit ist die verzeihende Barmherzigkeit Gottes den Sündern gegenüber. Wo der Glaube lebendig ist im echten Christentum, da ist auch die Aufgeschlossenheit für den Mitmenschen spürbar. Wir erkennen aus den Blättern der Kirchengeschichte: Auch in den dunkelsten Zeiten rüstete sich eine heilige Elite. Immer von neuem haben Menschen mit der Gnade Gottes den Golfstrom der Liebe in diese Welt fließen lassen. Die Buddhapriester mögen fromm sein, auch die Muezzin, welche die Muslime zum Gebet rufen. Aber Barmherzigkeit im Sinne Christi (als das Zupacken bei äußerer Not) ist den meisten von ihnen Fremdwort. Die soziale Frage ist für sie tabu. Saudi-Arabien hat allein in dem Wüstenland Tschad 100 Moscheen erbaut, um den Islam durchzusetzen. Aber seine Erdölmilliarden verwendet das Land nicht zur Behebung des Elends. Selig die Barmherzigen. Denn sie werden Barmherzigkeit finden. Die barmherzig sind, werden Erbarmen von Seiten Gottes erfahren. Das Erbarmen Gottes ist freilich unendlich reicher als das Erbarmen des Menschen. Es ist der entscheidende Gnadenakt, durch den er den Menschen aus dem Gericht rettet.

An sechster Stelle ruft der Herr aus: Selig die Herzensreinen. Denn sie werden Gott anschauen. Die Herzensreinheit, von der die sechste Seligpreisung spricht, meint nicht die sittliche Reinheit (also die Freiheit von Sünde) im allgemeinen und auch nicht die Keuschheit, sondern die Geradheit und Aufrichtigkeit, die volle, rückhaltlose und ungeteilte Hingabe an Gott. Ein Herz ist rein, das ganz und allein auf Gott hingerichtet ist. Das nichts anderes begehrt, als Gott zu gefallen und ihm zu dienen. Ein Herz ist rein, das frei von allem Eigennutz ist. Das in allem und über alles Gottes Ehre und der Menschen Heil sucht. Gewiss, hier ist die Reinheit nicht nur im Sinne der Keuschheit gemeint. Aber diese ist auch nicht ausgeschlossen. Wer die sittlich positive Seite der Forderung „die reinen Herzens sind“ erfüllen will, darf das sechste Gebot nicht ausklammern. Unser Jahrhundert steht optisch und akustisch unter dem Trommelfeuer des Sexuellen. Hier ist die vorzüglichste Einbruchstelle Satans. „Wer darf hinaufsteigen zum Berge Jahwes und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Wer reine Hände hat und ein lauteres Herz.“ Was hier genannt und für die ewige Zukunft verheißen wird, ist ein wirkliches geistiges Schauen Gottes „von Angesicht zu Angesicht“ (1 Kor 13,12), so „wie er ist“ (1 Joh 3,2); das ist die höchste Verheißung des Evangeliums überhaupt.

An siebter Stelle preist der Herr die Friedensstifter: Selig die Friedensstifter. Denn sie werden Söhne Gottes heißen. Die Friedensstifter sind nicht bloß die Friedfertigen, die zum Nachgeben, Dulden und Verzeihen bereiten Menschen. Sondern jene, die Frieden hervorbringen, die zwischen den Menschen vorhandene Gegensätze ausgleichen. Freilich kann nur Frieden stiften, wer selbst im Frieden mit Gott lebt und Frieden hält mit den Menschen seiner Umwelt, wer also selbst friedfertig ist. Friedfertigkeit ist die Bereitschaft, Frieden zu halten und zu fördern. Sie wächst aus der Einsicht, dass Gemeinschaft nur gedeiht, wenn Eintracht und Ordnung herrschen. Friede ist Ruhe der Ordnung. Friedfertigkeit erfordert Willen zur Einordnung ins Ganze. Friedfertigkeit ist für den Christen nicht bloß Wunsch, sondern in der Heiligen Schrift als sittliche Pflicht religiös motiviert. Friedensstifter war ein Ehrentitel der antiken Herrscher. Ihr Friedensstiften war ein Erfolg der Gewalt und gehört nicht der ethischen Ordnung an. Der dadurch hergestellte Friede – wie etwa der römische Friede (Aen. VI, 852) – war ein solcher der äußeren Sicherheit, der Ruhe und des wirtschaftlichen Wohlstandes. Die den hier genannten Friedensstiftern gegebene Verheißung aber bedeutet die Fülle des göttlichen Segens. Denn Gottessohnschaft besagt vollkommene Gemeinschaft mit Gott. Und darin besteht das ewige Leben. Friedensstifter sind besorgt, Streit zu schlichten und grundsätzlich für den Frieden zu werben, in stiller, geduldiger Kleinarbeit und im Gebet um den Geist des Friedens. Die Friedensstifter empfangen die Verheißung, dass Gott sie dereinst seine Söhne heißen wird, weil sie seine Art tragen. Denn Gott ist ein Gott des Friedens.

Die achte und letzte Seligpreisung lautet: Selig die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten. Denn ihrer ist das Himmelreich. Verfolgungen können mannigfache Gründe haben. Die hier Seliggepriesenen werden wegen ihrer Gerechtigkeit verfolgt. Die Gerechtigkeit ist der Grund der Verfolgung. Sie besteht in der treuen Nachfolge Jesu. Die Verfolgungen und Schmähungen, welche die Jünger erwarten, eben deshalb, weil sie Jünger Jesu sind, sollen für sie Grund des Jubels sein. Nicht bloß trotz, sondern vielmehr wegen der Verfolgungen sollen sie sich freuen. Denn mit diesem Schicksal treten sie in die Nachfolge der alttestamentlichen Gottesmänner, der Propheten, ein, deren Beruf sie übernehmen. Verfolgung ist Prophetenschicksal. Immer wieder haben Menschen aus allen Kreisen – Priester, Studenten, Bauern – lieber Straflager und sogar Folter und Tod auf sich genommen, als Gott zu verraten. Sie gingen kilometerweit, bei Nacht und Unwetter, nur um in einer Höhle, in einem Schuppen das Messopfer feiern zu können. Sie lebten das Wort Christi: „Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen.“ Christen, die wegen ihrer Treue zum Glauben zurückgesetzt oder ausgeschlossen werden, gehören zu den um der Gerechtigkeit willen Verfolgten. „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen.“ Nicht ein paar radikale Stürmer haben so gesprochen, sondern Christus selbst. Die Bergpredigt ist Feuer vom Himmel. Und sie muss weiterglühen, muss weiter verkündet werden, auch wenn es in den Ohren des religiös schwindsüchtigen Europas wie lästiger Aufruhr ertönt. Dieses heilige Feuer soll sichtbar werden, von dem der Herr sagt: „Wie sehr wünsche ich, es lodere schon empor!“ Für ihr Leiden erwartet die ungerecht Verfolgten ein überreicher Lohn im Himmel. Dafür lohnt sich der Einsatz auf Erden. „Ist es denn das ewige Leben nicht wert, dass man dafür alles, was Mühe und Plage heißt, auf sich nehme?“ fragt das Buch von der „Nachfolge Christi“.

Die Seligpreisungen verheißen nicht gewissen Menschenklassen, sondern bestimmten religiös-sittlichen Haltungen das Heil. Denn die Armen, Trauernden, Sanftmütigen, Hungernden und Verfolgten können nicht streng voneinander geschieden werden. Gemeinsam ist den Seligpreisungen, dass die als Bedingung für das Heil geforderte Haltung jeweils eine äußere Lage zur Voraussetzung hat, welche die von ihr getroffenen Menschen als unglücklich, beklagenswert erscheinen lässt. Aber gerade deshalb werden sie von Jesus seliggepriesen. Die Seligpreisungen verkündigen Gesinnungsethik als Bedingung für das Heil. Darin liegt eine radikale Umkehrung der menschlichen Wertmaßstäbe. Die Unglücklichen werden seliggepriesen, die Glücklichen als unselig, beklagenswert erklärt. In dieser Paradoxie kommt ein Grundgedanke des Evangeliums zum Ausdruck: dass es nämlich neben dem Gottesreich (das für den Menschen das Heil bedeutet) keinen wirklichen Wert in der Welt gibt. Denn die einzelnen Verheißungen sind nur verschiedene Ausdrucksformen für das eine Heil oder das Gottesreich. Damit ist zugleich gesagt, dass alle Seligpreisungen eschatologisch zu verstehen sind. Nicht jetzt schon sind die Armen, Trauernden, Verfolgten usw. selig, d.h. glücklich, sondern ihr Los in der zukünftigen Welt ist zu preisen. Die Angesprochenen vernehmen dies aus dem Munde Jesu, der mit Vollmacht redet, d.h. das Urteil Gottes ausspricht. Das bedeutet für sie einen Trost, der sie fähig und innerlich bereit machen soll, ihr (menschlich betrachtet) elendes Los mit Freude und Ergebung in Gottes Willen zu tragen. Denn erst dadurch machen sie aus der äußeren Not eine Tugend. Alle Seligpreisungen meinen zuerst religiöse und sittliche Haltungen und nicht lediglich soziale oder wirtschaftliche Lagen. Daher liegt ihnen jedes Ressentiment gegen die Reichen und Mächtigen, die Glücklichen im Sinne dieser Welt, fern. Sie sind aber ein mächtiger Protest gegen das, was die Welt unter Glück versteht, auch ein Protest gegen die Auffassung, die im irdischen Glück Gottessegen und im Unglück Gottesstrafe sieht. Ach, möchten wir doch die Gesinnungen und Haltungen beweisen, die verdienen, vom Herrn seliggepriesen zu werden.

Amen. 

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt