Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. November 2008

Leben, Lieben und Wissen in der Ewigkeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten begonnen, am Fest Allerheiligen uns den Zustand der Ewigkeit vor Augen zu führen Wir hatten gesagt: Dieser Zustand lässt sich in drei Sätzen zusammenfassen, nämlich 1. Wir werden leben. Tot und tot ist nicht aus und aus. 2. Wir werden lieben. Der Himmel ist die Vollendung der Liebe. Und 3. Wir werden wissen. Das ist das Thema unseres heutigen Überlegens: Wir werden wissen. Die große Liebe muss ja das große Wissen sein; denn nur wer liebt, dringt wirklich in den Gegenstand seines Wissens, seines Forschens ein. Es muss eine geheime Sympathie im Menschen sein, damit er erkennen kann. Der Haß sieht nur, was ihm gefällt. Die Liebe sieht das Ganze. Und im Sinne einer Erhellung der Gesamtpersönlichkeit wird der Mensch nur wissend in der Liebe.

Da unser Leben in der Vollendung ein vollkommenes Lieben sein wird, wird es auch ein vollkommenes Wissen sein. Es ist uns ja das Gottschauen verheißen, und das hat etwas mit Wissen zu tun. Aber dieses Gottschauen ist nicht nur ein schattenloses Erkennen, es ist auch ein makelloses Lieben. Es ist eine Erfüllung unserer Seele in jeder Hinsicht, in ihren letzten Tiefen und Höhen. Auch unser Bewusstsein wird ganz von diesem Wissen durchdrungen sein. Es wird keine Verhüllung, keine Verschleierung, keine Betäubung, keine Dumpfheit mehr sein. Was uns hier auf Erden aus plausiblen Gründen verborgen bleibt, nämlich das Unterbewußte und das Unbewußte, das wird in der Ewigkeit aufspringen. Da werden die Abgründe unserer Seele im taghellen Lichte unseres Wissens liegen, ja im Wissen unserer Liebe. Alles, was je gut in uns war und wie ein gutes Samenkorn in uns schlief, das wird aufwachen; alle Gebete, alle guten Regungen, alle Wünsche und alle Einsprechungen Gottes, alles wird mit der ganzen Tröstung seiner Liebe uns bewusst werden.

Meine lieben Freunde, dann wird endlich die Frage verstummen, die uns immer entgegengehalten wird: Wo ist denn euer Gott? Dann werden alle Fragen beantwortet sein, für die wir auf Erden keine Antwort wussten. Dann werden alle Rätsel gelöst sein, deren Lösung uns hier unmöglich schien. Dann wird alles Unerklärliche geklärt sein, dann werden alle Zweifel beseitigt sein, dann werden alle bedrückenden Geheimnisse geöffnet sein. Dann werden auch alle Klagen und Anklagen gegen Gott verstummen. Dann werden wir begreifen, dass nicht ein augenloses Schicksal unser Leben gelenkt hat, sondern dass Gott der Herr der Lenker aller Geschicke war. Wir werden die Fügungen und Führungen Gottes begreifen. Wir werden erkennen, dass Gott der Herr des Zufalls war. Wir werden die Vorsehung Gottes preisen.

Mit dieser vollen Harmonie, die dann sein wird, ist es auch gegeben, dass in unserer Seele nichts mehr sein wird, das nicht eingefügt ist in das allbeherrschende Gesetz einer wissend gewordenen Liebe. Es wird kein Zwiespalt mehr sein zwischen unserem Erkennen und unserem Streben, zwischen unserem Empfinden und unserem Wollen, zwischen Pflicht und Neigung, zwischen äußerer Erscheinung und innerer Wirklichkeit. Alles in uns wird emporgehoben sein auf die Stufe einer großen Menschlichkeit, ja einer gnadenvollen Göttlichkeit. Es wird nichts Hemmendes, nichts Widerstrebendes mehr in uns sein, nichts Untermenschliches und nichts Allzu-Menschliches.

Auf Erden beklagen wir, dass wir den Anforderungen nicht genügen. Wir stellen so viel Unfertiges, Mißlungenes, Unerreichtes, Mangelhaftes fest in unserem Tun und Leben. Aber in der Ewigkeit wird alles, was wir an Kräften und Anlagen besitzen, entfaltet sein. Jede reine Sehnsucht, jede wirkliche Liebe wird mit uns hinübergehen, um erfüllt zu sein. Wir werden endlich ganz und gar Menschen geworden sein. Und diese Ganzheit und Harmonie wird uns bewusst sein, und wir werden leben bis in die letzte Faser unseres Seins hinein. Das ist die vollkommene Seligkeit, die uns erwartet. Sie ist eigentlich nur die Ausstrahlung der großen Liebe, in der wir Gott besitzen.

Wir brauchen eigentlich nicht viele Worte zu verlieren. Wer wirklich liebt, weiß, was das bedeutet, und er weiß auch, was es bedeutet, aus der Liebe zu leben. Es bedarf also keiner krampfhaften Anstrengungen unseres Vorstellungsvermögens, um die Formen und Umstände des jenseitigen Lebens begreiflich zu machen. Es genügt, und es muss uns genügen, dass wir alle Tiefen, alle Inwendigkeiten, alle Möglichkeiten eines ganzen und vollkommenen Lebens wirklich besitzen werden bis in seine letzte Intensität und Stärke hinein. Es wird keine Unerfülltheit mehr, kein bloßer Wunsch mehr, kein leerer Traum, kein Mangel und keine Lücke mehr in uns sein.

Aber wie wird es sein mit denen, die verloren gehen? Die in alle Ewigkeit von Gott abgewandt sind? Selbstverständlich werden sie das große Wissen, das die Liebe vermittelt, nicht besitzen. Aber sie werden wissen, dass sie die Liebe und die Einheit und die Harmonie und die Seligkeit nicht haben und in alle Ewigkeit nicht haben werden. Das werden sie wissen. Denn sie sind ja nicht wie ein Stein, der keine Liebe in sich tragen kann. Nein, sie sind ein unendlicher Raum, und dieser unendliche Raum wird leer sein. Ihre Leere, ihre Ausgestoßenheit, ihre Verlassenheit wird die letzte und äußerste Größe erreichen, die überhaupt möglich ist. Sie wird durch nichts mehr zugedeckt und verschleiert sein. In diesem Leben, meine lieben Freunde, macht sich ja der Mensch immer seine Illusionen, seine vielleicht gnädigen Illusionen. Auch im bösen und hasserfüllten Menschen wird doch immer ein barmherziger Schleier über ihn selbst fallen. Er macht sich selber etwas vor, um nicht in seiner grauenhaften Bosheit erkannt zu werden, in seiner Hohlheit, in seiner Hässlichkeit. Aber drüben in jener anderen Welt gibt es für den liebeleeren Menschen keine Verschleierung mehr. Nichts kann ihn mehr trösten, kein Kind, kein Freund, keine Frau, kein Genuß, keine Beschäftigung, kein Spiel. Er hat nur sich, sein eigenes Ich, und das ist ein einziger ungeheurer Abgrund von leerer Finsternis. Sein Bewusstsein wird entblößt sein von jeder Täuschung. Er wird wissen, wie er ist. Diese Erkenntnis wird ihn durchbohren mit der Wut der Verzweiflung. Es bleibt ihm nichts verborgen von allem, was in ihm ist, und das ist nur Minderwertigkeit und Schuld und Erbärmlichkeit. Es ist nichts da, was ihn trösten kann, keine Hoffnung, keine Freude. So kommt es, dass die verlorenen Menschen in ihrer ewigen Hölle mit einer verzehrenden Intensität fühlen, wie es um sie steht. Jede Erbärmlichkeit, die in ihnen ist, wird ihnen bewusst in ihrer wirklichen Gestalt. Es ist ein leeres, ein sinnentleertes, ein gottloses und freudloses Leben. Man kann wirklich sagen, es wäre besser, wenn ein solcher Mensch nicht geboren worden wäre.

Das Leben der Verlorenen ist ein unerforschliches Geheimnis. Auch die Phantasie Dantes konnte dieses Geheimnis nicht aufdecken. Die Bosheit ist ja unbegreiflicher als die Güte, und deswegen ist auch die Finsternis unfassbarer als das Licht. Wir können über diesen Zustand nur sagen: Er wird das sichere und ewige Los derer sein, die freiwillig und schuldhaft mit ganzem Willen sich von Gott abgewandt haben und in dieser Gottentfremdung hinübergehen durch das Tor des Todes. In diesem Augenblick wird ihr Zustand der Lieblosigkeit verfestigt, die Unerfülltheit und die Verlassenheit, der Zustand unheilbarer Zertrümmerung des Menschenwesens.

Das, meine lieben Freunde, sind die Letzten Dinge: Tod, Gericht, Himmel und Hölle. Um ihretwillen ist der Mensch das Größte, was es gibt außer Gott. Klein und armselig fängt das Menschenleben an, schleppt sch dann eine Weile über die Erde hin. Aber dann plötzlich wird es offenbar, was es bedeutet. Es endet nicht im Nichts, sondern entweder in einer unfassbaren Größe und Seligkeit oder in einem unfassbaren Absturz. Der Mensch ist also umweht von der Woge des Ewigen und Unendlichen. In einem Roman von Dostojewski fällt ein heiliger Mann vor einem anderen auf die Füße, den man für einen Verbrecher hält. Der heilige Mann aber fällt auf die Füße vor ihm, umklammert seine Knie. Warum? Er verehrt das ungeheure Leid, das diesem Menschen bestimmt ist.

Wenn wir das Geschick wüssten, das einen jeden von uns treffen wird, dann müsste man auf den Erdboden niederfallen vor diesem Menschen, entweder aus Ehrfurcht vor dem göttlichen Glückswunder, das er einmal sein wird, oder aus Entsetzen über den Dämon der Unseligkeit, der er einmal sein wird. Man weiß es nur nicht. Aber eines von diesen beiden wird sicher an jedem Menschen erfüllt sein, an mir und an euch, ein Himmel oder eine Hölle. Was aber auch mit uns einst geschehen mag, über allem wird die unantastbare Gewißheit stehen: Die Barmherzigkeit des Herrn ist von Ewigkeit und währt in alle Ewigkeit.

Amen.

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