Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 2004

Die Verehrung der Heiligen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, am Fest Allerheiligen Versammelte!

Man kann sagen, die katholische Religion ist die Religion der Heiligen; denn katholisches Leben ohne Verbindung zu den Heiligen, ohne Lob der Heiligen, ohne Anrufung der Heiligen scheint undenkbar. Das Dogma, welches die Heiligenverehrung billigt, ist zwar denkbar einfach. Es lautet: „Es ist gut und heilsam, die Heiligen zu verehren.“ Nicht mehr. Gut und heilsam, das heißt, es ist empfehlenswert, die Heiligen zu verehren; es ist keine Pflicht. Aber die Heiligenverehrung gehört so eng zu den übrigen Dogmen des katholischen Glaubens dazu, dass es eigentlich undenkbar scheint, dass jemand kein Heiligenverehrer ist, denn Gott selbst verehrt die Heiligen. Wir wollen heute deswegen sprechen von den Heiligen, von dem Gott der Heiligen und von den Verehrern der Heiligen.

Die Heiligen sind Menschen, die uns zur Verehrung empfohlen werden wegen ihrer Güte; die Heiligen sind heiliggesprochen wegen ihrer sittlichen Güte, nicht wegen ihrer kirchlichen Leistungen, nicht wegen kirchenorganisatorischer Unternehmungen, sondern allein wegen ihrer sittlichen Güte. Sie waren gute Menschen, und sie waren so gute Menschen, dass das Böse nicht mehr in irgendeinem nennenswerten Grade bei ihnen vorhanden war. Gewiß, das Wort bleibt in Kraft, das der Herr sagt: „Niemand ist gut als Gott allein.“ Die ontologische Güte und die ethische Güte in eminentem Maße ist Gott allein vorbehalten. Aber die Heiligen sind eben durch ihr Streben und durch die Liebe Gottes, die sie gezogen hat, zu einem solchen Grade der sittlichen Güte gelangt, dass das Böse bei ihnen keine sichtbare Stelle mehr hat. Sie haben den Gipfel der Tugend erstrebt und erstiegen, den Gipfel der Tugend, die man als heroische Tugend, als heldische Tugend bezeichnet.

Die Heiligen waren auch religiöse Menschen. Es zeigt sich, dass ein wirklich guter Mensch, ein Mensch, der im echten Sinne als gut bezeichnet werden muß, auch immer ein frommer Mensch ist. Und umgekehrt: Ein wirklich frommer Mensch, ein wirklich Gott liebender Mensch, ein wirklich Gott naher Mensch muß auch immer ein sittlich guter Mensch sein. Das sind Korrelate: die sittliche Güte und die Frömmigkeit. Die Heiligen zeigen uns die Verbindung von sittlicher Güte und Religion. Sie zeigen uns, dass Güte und Religion sich lohnen, denn die Heiligen waren strahlende und erhellende Menschen. Was von unserem Heiland gilt, nämlich dass er Wohltaten spendend über die Erde ging, das kann und muß man auch von den Heiligen sagen. Sie sind Wohltaten spendend über die Erde gegangen; Gutes tuend sind sie durch das Leben gezogen. Ihr Gutsein hat sich wahrlich gelohnt. Und gelohnt hat sich auch ihr Beten, ihr Gottsuchen, gelohnt haben sich die stillen Nächte, in denen sie ihr Herz und ihre Hände zu Gott erhoben haben. Das hat sich gelohnt für die ganze Welt. Gelohnt hat sich endlich auch ihr Leiden. Ihre Leiden haben sich gelohnt für die Welt, denn sie sind für uns die Brücken zu Gott geworden, wie wir gleich sehen werden. Sie sind für uns die Mittler zu Gott geworden, die wir verehren und denen wir nachfolgen dürfen. Ihr Leben, ihre Leiden, ihr Beten haben sich wahrlich gelohnt.

Die Heiligen haben ein Zeugnis für Gott abgelegt, das unwiderleglichste Zeugnis, das es gibt, denn Gott ist in ihnen sichtbar und wirksam geworden. Der Gott der Gnade hat sich in ihnen kundgegeben. Der Gott der Liebe hat sich in ihnen geoffenbart. In den Psalmen heißt es, dass Gott Feuerflammen zu seinen Dienern macht, und das ist ein Beweis seiner Schöpfermacht. Er hat mehr getan, er hat Menschen an sein Herz gezogen und sie zu seinen Kindern gemacht. Die Heiligen aber sind nicht nur seine Kinder, sie sind seine Lieblinge, sie sind seine Freunde. „Ihr Freunde Gottes allzugleich“, so singen wir den Heiligen entgegen. Sie sind wahrhaft Gottes Freunde und Gottes Lieblinge. Sie sind eine Offenbarung dafür, wie Gott wirklich ist. An ihnen kann man erkennen, wie Gott ist. So wie sie geworden sind, so sind sie geworden, weil Gott sie an sein Herz gezogen hat. Wie Gott im Innersten ist, kann man nicht aus der Natur erkennen, denn die Natur ist ein Katarakt und ein zuckender Blitz und ein Erdbeben. Wir Gott wirklich ist, kann man auch nicht aus der Geschichte erkennen, denn die Geschichte ist ein Strom von Blut und Tränen, und die Menschheit ist ein endloser Zug von Weinenden. Wie Gott wirklich ist, das kann man nur aus den Heiligen, aus der Gnadenhaftigkeit ihres Lebens erkennen. So wie sie waren, sind sie geworden in den liebenden Armen Gottes.

Wenn wir Maria sehen, wie sie das Magnificat singt oder wie sie das Kind in die Krippe legt oder wie sie unter dem Kreuze steht, dann wissen wir, dass alle Rätsel, die um Gott sind, aufgelöst sind, und wir möchten an ihrer Stelle oder wenigstens an ihrer Seite stehen, und selbst die furchtbaren Leiden, die über diese Frau gekommen sind, die möchten wir nicht missen, denn sie haben uns die Pietà, die Mutter der Mildigkeit, geschenkt. Und wenn Saulus vom Herrn in Besitz genommen wird, wenn Gott über den Saulus verfügt und aus ihm einen Paulus macht, wenn er ihm zeigt, was er leiden muß und dass er seinen Namen vor die Völker und vor die Könige tragen wird, da möchten wir mit Entzücken zuschauen und mit schüchternem Neid sagen: Mich, Herr, kannst du mich nicht auch brauchen? Und wenn er die heilige Theresia Martin in der Blüte ihrer Jahre pflückt, da wollen wir ihm nicht in die Hände fallen und sagen: Laß es. Nein, wir wissen, dass dieser Schmerzensdruck seiner Hand uns eine Selige und Heilige des Himmels geschenkt hat, zu der wir rufen und flehen können. Wahrhaftig, meine lieben Freunde, so wie die Heiligen waren, so wie sie liebten, so ist Gott wirklich. Aus ihnen kann man erkennen, wie Gott ist und wie er handelt. Wie er an seinen Heiligen handelt, so ist Gott.

Nun nimmt die Kirche niemanden in das Verzeichnis der Heiligen auf, von denen nicht durch Wunder bezeugt ist, dass Gott ihr Leben bestätigt hat. Ein wiederholtes wunderbares Eingreifen wird jedenfalls in der Regel gefordert, damit die Kirche jemanden in den Heiligenkalender aufnimmt. Das geschieht nicht nur deswegen, damit die Kirche gewissermaßen ein amtliches, ein göttliches Sittenzeugnis für den Heiligen hat. Nein. Daß die Heiligen Wunder wirken, dass auf ihre Fürbitte Wunder geschehen, das hat einen ganz anderen Grund. Der Grund liegt darin, dass sie Geschwister der pilgernden Menschen sind. Und weil sie Geschwister sind, empfinden und fühlen sie mit ihnen. Die Heiligen wirken keine Wunder für sich selbst. Wenn es auf sie selbst ankäme, würde nie ein Wunder von ihnen geschehen. Aber weil sie sehen, wie andere leiden, wie ihre Geschwister leiden, da hält es sie nicht mehr, und da rufen sie die Legionen des Vaters zu Hilfe und flehen darum, dass er den Tod, der schon auf dem Grabstein kauert, verjagt. So wie Jesus den Lazarus aus dem Grabe riß und seiner Schwester zurückgab, so wie er den Jüngling von Naim seiner Mutter zurückgab, so tun es die Heiligen; denn das ist ja nicht das Schlimmste, dass wir selbst leiden. Das Schlimmste ist, dass wir andere leiden sehen, die wir lieben und denen wir nicht helfen können. Das ist das Schlimmste und Schrecklichste. Und deswegen, deswegen, meine lieben Freunde, schaffen die Heiligen die Berge weg, die den Menschen hindern, auszuschreiten, rufen sie die Legionen der Engel zu Hilfe und zeigen sie die Macht Gottes in den Wundern, die auf ihre Fürbitte geschehen. So gehen lebendige Kräfte von den Heiligen aus.

Daß wir die Heiligen verehren, ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist ein tief inneres Bedürfnis, zu verehren. Wir verehren ja auch andere Menschen. Wir verehren eine Frau, einen Führer, einen Lehrer, einen Meister, ein Genie, einen Künstler, und das ist recht so. Wir wissen, was Verehrung ist, nämlich ein liebendes Aufblicken zu einem hochstehenden Wesen – ein liebendes Aufblicken zu einem hochstehenden Wesen. Und das üben wir mit Recht. Verehrung ist eine Mischung von Ehrfurcht und Zärtlichkeit, eine Mischung von Scheu und Vertraulichkeit. Und das können wir ja nun bei den Heiligen ganz gewiß finden: Ehrfurcht, weil sie über uns stehen, weil Gott sie an sein Herz gezogen hat, weil sie Gott liebende und heiligmäßig lebende Menschen gewesen sind; und Vertraulichkeit, weil sie gut zu uns sind, weil sie es gut mit uns meinen, weil wir auf sie vertrauen können. Verehrung der Heiligen ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber nicht selbstverständlich ist, dass diese Verehrung zugleich Religion ist, ein Dienst, den wir Gott erweisen. Ja, das ist die Heiligenverehrung, sie ist Religion, Verehrung Gottes. Warum? Weil wir in den Heiligen Gott finden, weil wir in den Heiligen erleben, was Gott aus einem Menschen machen kann, der sich ihm überlässt. Da ist geradezu der Sinn des Christentums erfüllt, denn das Wesen des Christentums ist ja die Menschwerdung Gottes. Seitdem es diesen Jesus von Nazareth gab, brauchen wir nur zu einem Menschen zu gehen, um Gott zu finden. Wer Jesus die Hand gibt, der gibt Gott die Hand; wer Jesu Augen sieht, der sieht Gottes Augen.

Nun ist aber der Weg zu Jesus nicht ganz einfach. Das Geheimnis Jesu ist nicht auszuschöpfen. Die großen christologischen Dogmen der Kirche suchen es zu umgrenzen, aber ausschöpfen können auch sie es nicht. Und da gehen wir einen anderen Weg, einen leichteren Weg, einen abgekürzten Weg. Wir gehen zu Maria Magdalena. Den Weg kann jeder gehen zu dieser Frau, die dem Herrn mit ihren Tränen die Füße netzt. Wir gehen den Weg zu Theresia, zu dieser unschuldigen Flamme, die sich verzehrt hat. Wir gehen den ganz kleinen, den ganz kurzen Weg zum Pförtner von Altötting, zu Konrad von Parzham. Den Weg kann jeder gehen. Wahrhaftig, meine lieben Freunde, da ist in der Heiligenverehrung der Sinn des Christentums erfüllt.

Die Heiligen sind uns vorangegangen. Wir brauchen ihnen nur nachzufolgen. Wir wissen ja oft nicht, was ist ein rechter Mensch, wo die Wahrheit ist, wie müssen wir uns verhalten, was müssen wir tun? Tausend Stimmen im Inneren und tausend Stimmen von außen bedrängen uns, wirr durcheinander rufend. Da gibt es eine einfache Lösung: Machen wir es, wie es die Heiligen gemacht haben, dann kommen wir ans Ziel. Gehen wir, wie sie gegangen sind, dann werden wir das Ziel erreichen. Wenn wir es so machen wie sie, wenn wir so denken, so lieben wie sie, wenn wir so wollen und empfinden und beten wie sie, dann werden auch wir gut und erreichen das himmlische Ziel.

Sie waren gut, und deswegen sind sie uns nahe. Wir erfahren ihre Nähe, ihre Hilfe, ihre Fürbitte, ihre Gemeinschaft, ihre Herzensnähe, ihre Seelennähe. Es sind Menschen, denen wir am Herzen liegen, weil Gott uns ihnen ans Herz gelegt hat. Gott hat uns ihnen geschenkt, Gott hat uns ihnen ans Herz gelegt. Aus allen Zeiten, aus allen Ländern, aus allen Nationen gibt es solche Heilige. Wir sind ja oft gegen Menschen misstrauisch und vorsichtig und kritisch, und das ist ja auch berechtigt, denn wir haben zu viele üble Erfahrungen gemacht mit Menschen. Aber hier sind Menschen, bei denen brauchen wir nicht vorsichtig, nicht ängstlich, nicht kritisch zu sein. Das sind Menschen, denen können wir bedingungslos vertrauen, denn sie meinen es nur gut mit uns. Da ist auch die trostlose Unterscheidung zwischen Lebenden und Verstorbenen aufgehoben, denn die Heiligen sind lebendig. Sie sind lebendiger als wir. Sie leben, und sie leben, indem sie für uns eintreten. Das ist Glück, das ist Freude, das ist eine Vorahnung des Himmels.

Amen.

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