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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Abschiedsreden Jesu (Teil 1)

9. Juni 2002

Über Weisungen und Erwartungen des Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Herr hat seinen Jüngern ein Vermächtnis hinterlassen, das in den Abschiedsreden aufbewahrt ist. Da hat er ihnen noch einmal aus seinem Herzen Weisungen und Aufträge gegeben, die aber nicht nur für die Apostel gelten, sondern für alle, die in der Nachfolge der Apostel an ihn glauben werden. Wir wollen heute in dieser Stunde fünf dieser Weisungen uns vor Augen führen. Sie lauten: 1. Bleibet in meiner Liebe! 2. Bringet Frucht! 3. Freuet euch! 4. Glaubet an mich! 5. Liebet einander, wie ich euch geliebt habe! Das sind die fünf Weisungen, die wir aus seinen Abschiedsreden herausnehmen können.

Die erste Weisung lautet: Bleibet in meiner Liebe! Diese Aufforderung kann in zweifacher Hinsicht verstanden werden, nämlich: Bleibet in der Liebe, die ich zu euch habe! Laßt sie nicht zugrunde gehen! Verwerfet sie nicht! Mißachtet sie nicht! Bleibet in der Liebe, die ich zu euch habe! Es kann aber auch bedeuten: Bleibet in der Liebe, die ihr zu mir habt! Bleibet in der Liebe zu mir! Laßt sie nicht versanden! Laßt sie nicht versickern, diese Liebe, sondern bewahrt sie! Haltet sie aufrecht, diese Liebe zu mir! Bleibet in meiner Liebe! Und er hat uns gleich hinzugefügt, wie wir in dieser Liebe bleiben können, nämlich: Ihr bleibt in meiner Liebe, wenn ihr tut, was ich euch aufgetragen habe. Das ist also die Weise, wie wir in der Liebe des Herrn bleiben können: wenn wir seinen Willen tun, wenn wir seine Gebote halten, wenn wir uns mit Herz und Tat ihm übergeben. Das ist ja immer so: Wo man etwas aufwendet, wo man sich Mühe gibt, wo man seine Sorge hat, da ist auch das Herz. Diese psychologische Erfahrung bewährt sich auch in der Liebe zu Jesus. Wenn wir ihm die Treue halten durch das Halten seiner Gebote, dann bleiben wir in seiner Liebe. Es ist eigentlich rührend, wie er das sagt. Es ist eine Bitte, ein Wunsch, eine Einladung: Bleibet in meiner Liebe. Er, dem doch an uns gar nichts liegen könnte, er, dem doch unsere Liebe gleichgültig sein könnte, er fleht, er bettelt gleichsam um unsere Liebe. Bleibet in meiner Liebe!

Die zweite Aufforderung lautet: Bringet Frucht! Ich habe euch dazu bestellt, daß ihr Frucht bringt und daß eure Frucht bleibe. Bringet Frucht! Euer Leben soll nicht verloren, vertrödelt, verschwendet sein. Es soll auf ein großes Ziel ausgerichtet werden. Bringet Frucht! Die Frucht, die wir bringen sollen, beschreibt er, „indem ihr Zeugnis von mir ablegt!“  Das ist die Frucht, die er von uns erwartet, daß wir Zeugnis von ihm ablegen. Wir haben es schon mehrfach betrachtet, daß Gott, daß Christus, daß die Kirche nur so weit kommt, wie wir sie tragen. An uns liegt es, was die Menschheit von Gott, von Christus, von der Kirche denkt. Uns ist es aufgetragen, Gott, Christus, die Kirche den Menschen bekannt zu machen, nicht so sehr durch Reden als vielmehr durch unser Sein. Es müßte so sein, daß wir den Menschen sagen können: Seht, ich habe Christus kennengelernt, ich habe mich zu ihm bekannt, und so hat er mich geformt, so hat er mich gewirkt, so hat er mich geprägt; und daß wir dann sagen können: So müßt ihr jetzt auch zu Christus finden, weil wir ja von ihm Zeugnis ablegen, weil ihr unser Zeugnis seht, und weil ihr durch das Zeugnis für Christus erwärmt werdet. Es kommt also nicht auf den christlichen Zierat an, mit dem man sich behängt, sondern es kommt darauf an, daß unsere Persönlichkeit, unser Sein von Christus Zeugnis gibt, unser Charakter, daß die Menschen sagen: Den Gott, den dieser Mensch verehrt, den will ich kennenlernen. Zu diesem Gott, dem dieser Mensch sich geweiht hat, möchte ich ebenfalls kommen. Bringet Frucht! Das ist die Aufforderung, die der Herr an uns richtet.

Die dritte lautet: Freuet euch! Das habe ich euch gesagt, damit die Freude in euch sei, damit eure Freude vollkommen sei. Euer Herz betrübe und zage nicht. Freuet euch! Wenn er uns auffordert, nicht zu verzagen, dann weiß er offensichtlich, daß das oft so sein wird, daß über uns Stunden kommen, in denen wir verzagen möchten. Er weiß offenbar, wie uns zumute ist in diesen dunklen, in diesen trüben Stunden, und deswegen sagt er: Freuet euch! Der Christ soll und darf sich deswegen freuen, weil das Leben letztlich gut ausgeht. Auf Erden sind Betrübnisse und Bedrängnisse unser Los. Aber es wird nicht so bleiben. Es wird eine Stunde schlagen, wo alle Betrübnisse und Bedrängnisse verschwinden und nur noch die Freude in uns ist. Man kann sich die Freude nicht befehlen, aber man kann sich zwingen, das Lichtvolle in seinem Leben zu erkennen. Man kann sich dazu zwingen, daß man das, was man noch hat trotz aller Verluste, schützt und wertet. In diesem Sinne ist die Aufforderung ein Befehl: Freuet euch! Sucht die Lichtpunkte in eurem Leben auf und danket Gott und freuet euch, daß nicht nur Dunkelheit, daß nicht nur Bedrängnis, daß nicht nur Betrübnis ist.

Die vierte Aufforderung lautet: Glaubet an mich! Er weiß offenbar, daß es nicht leicht sein wird, an ihn zu glauben. Es ist eine gewisse Bangigkeit, eine gewisse Wehmut in dieser Aufforderung: Glaubet an mich! Es wird den Jüngern in ihrem Leben nicht immer leicht sein, an ihn zu glauben. Wenn sie seine Ethik, die Ethik des Altruismus, der Nächstenliebe, des Mitleids üben, dann kommen sie unweigerlich unter die Räder. Hier auf Erden kommt man viel besser voran, wenn man die Ellbogen gebraucht, wenn man sich um die anderen wenig kümmert und nur seinen eigenen Vorteil sucht. Da möchte man die Ethik Christi durch die Ethik des Gewaltmenschen, des Naturmenschen, den Übermenschen ersetzen. Wenn wir an seine Verheißung denken: „Selig die Sanftmütigen; sie werden das Erdreich besitzen“, da kommt uns manchmal ein leiser, ein gelinder Zweifel, ob das tatsächlich so ist, daß die Sanftmütigen das Erdreich besitzen, ob nicht umgekehrt die Gewalttätigen das Erdreich besitzen. Aber das besagt: Glaubet an mich, auch wenn ihr meine Fügungen und Führungen nicht versteht.

Wie kommt es, meine lieben Freunde, daß Gott uns auch bei unserem heiligsten Bemühen, bei der Aufgabe der Christianisierung, so wenig hilft? Da ist ein Missionar. Er hat aus allen Weltteilen Geld zusammengebettelt, um eine Kirche zu bauen. Dann kommt ein Sturm und reißt sie nieder. Im 17. Jahrhundert war Japan nahe daran, ein christliches Land zu werden. Aber dann kamen die Händler aus dem Westen, und es setzte eine Verfolgung ein, und es wurde alles vernichtet bis auf einen winzigen Keim. Warum hat Gott die Händler kommen lassen? Und so ist es auch in unserem Leben. Viele unserer besten Bemühungen, unserer heiligsten Anstrengungen scheitern, gehen zugrunde. Alles gedeiht und alles blüht auf Erden, nur das, was die besten und heiligsten Menschen wollen, das wird zerstört, das ist von Verfolgung betroffen. Und doch sagt Jesus: Glaubet an mich! Wenn ihr es auch nicht begreifen könnt, glaubet an mich! Begreifen kann man es nicht, aber glauben kann man es. „Ich habe die Welt überwunden.“ Das sagt er in der Stunde, als der Verräter schon unterwegs ist. „Ich habe die Welt überwunden.“ Also glauben wir an ihn, wie er uns aufgetragen hat!

Und schließlich das letzte, was er uns befiehlt: Liebet einander, wie ich euch geliebt habe! Das ist mein Gebot, das neue Gebot, das ich euch gebe. Wenn er sagt: Das ist mein Gebot, dann sieht man daraus, daß es sein Herzensanliegen ist, daß ihm alles daran liegt, daß die Jünger einander lieben. Und wenn er sagt: Das ist ein neues Gebot, dann sehen wir, daß ihm eine neue Qualität anhaftet. Früher wurde gesagt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! Er sagt: Ihr sollt einander lieben, wie ich euch geliebt habe. Das ist viel mehr, das ist viel schwerer, die Menschen zu lieben, wie er sie geliebt hat. Wie hat er sie denn geliebt? Er hat seine Apostel, seine Jünger, seine Nachfolger geliebt, indem er sie ertragen hat. Das war nicht leicht – immerfort diese Streitereien, die sie hatten, diese Eifersüchteleien. Aber er hat sie ertragen. Das ist schon viel, meine lieben Freunde, wenn unsere Liebe mächtig ist, die Menschen zu ertragen. Tragkraft beweisen gegenüber den Menschen unserer Umgebung, Ertragen unseren Vater, unsere Mutter, unsere Geschwister, unsere Nachbarn, unseren Besuch – ertragen. Das ist viel und groß und eine Erfüllung des Gebotes des Herrn: Liebet einander, wie ich euch geliebt habe!

Dann hat er ihnen gegeben, mitgeteilt von sich. Er hat sie seine Freunde genannt, hat ihnen sein Inneres eröffnet. Er hat ihnen Anteil gegeben an dem Reichtum seines Herzens. Und so hat er sie geliebt, seine Jünger, seine Apostel, seine Nachfolger.

Er hat auch seine Feinde geliebt. Er wußte, was in dem Judas ist, aber er hat diese widerwärtige Gesinnung in seiner Umgebung ertragen. Er hat ihn nicht fortgewiesen; er hat ihn nicht abgestoßen. Er hat ihn ertragen. Er hat ihm das Freundeswort gegeben noch in der Stunde des Verrates. Da hat er uns gezeigt, wie man die Feinde lieben muß. Er hat auch die Pharisäer, die ja seine Feinde waren, geliebt. Ihre Lehre, ihre falsche Lehre, ihr Verhalten, ihr falsches Verhalten, das hat er abgelehnt, gebrandmarkt. Aber sie selbst hat er geliebt. Er ist ihren Einladungen gefolgt, er war gütig und freundlich zu ihnen.

Wie hat der Herr die Kinder geliebt! Wenn er abends müde war, und die Kinder kamen zu ihm, da hatte er immer noch Zeit, da war die Müdigkeit verflogen. „Laßt die Kinder zu mir kommen!“ Darin liegt auch eine Warnung! Laßt sie kommen! Hindert sie nicht! Stoßt sie nicht ab! Ärgert sie nicht, die Kinder, laßt sie zu mir kommen. Es liegt an den Erwachsenen, wenn die Kinder nicht zu ihm kommen, wenn sie nicht zu ihm finden. Er hat auch das Volk geliebt. „Mich erbarmt des Volkes“, hat er gesagt. Das Volk ist ein großes Kind, naiv, leicht erregt, leicht verhetzt, aufgeregt, den Rattenfängern leicht nachfolgend. Aber der Herr hat das Volk geliebt. „Mich erbarmt des Volkes.“ Erbarmende Liebe ist die Liebe zu den gefallenen, zu den im Elend befindlichen Geschöpfen. Und diese Liebe ist es, die der Herr an uns sehen will. Liebet einander, wie ich euch geliebt habe!

Vor einiger Zeit ging ein Pfarrer in seiner Gemeinde auf und ab, und da traf er ein kleines Mädchen. Dieses Mädchen trug auf seinem Rücken den Bruder, einen Bengel, der schon ziemlich groß war und eigentlich zu schwer für das Mädchen. Der Pfarrer sagte zu dem Kind: „Maria, heute hast du aber eine große, eine schwere Last.“ Da sah ihn das Kind verwundert und leicht vorwurfsvoll an und sagte. „Herr Pfarrer, das ist keine Last, das ist mein Bruder!“ Das Mädchen hat unbewußt eine Weisheit ausgesprochen. Die Liebe macht doch letztlich alles leicht. Es ist der Bruder – keine Last. Es ist der Freund – keine Last. Es ist mein Heiland – keine Last!

Amen.

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