Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Über die Letzten Dinge (Teil 20)

11. Juli 1999

Der Himmel, der ewige Lohn des Menschen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der Litanei von allen Heiligen kommt die Anrufung vor: „Daß du unsere Herzen in Sehnsucht zum Himmel erheben wollest.“ Wir flehen also darum, daß wir sehnsüchtig nach dem himmlischen Zustand ausschauen, der uns verheißen ist. „Daß du unsere Herzen in Sehnsucht zum Himmel erheben wollest.“ Christliche Menschen, katholische Menschen sollen Menschen sein, die Sehnsucht haben nach dem Himmel, denen die Erde nicht genügt, die um die Vorläufigkeit und Begrenztheit der Erde wissen und die deswegen Ausschau halten nach dem Unvergänglichen und Unverderblichen, das wir den Himmel nennen.

In der Lesung und im Evangelium der heutigen heiligen Messe wird aber gleichzeitig gesagt, daß der Himmel nur denen bereitet ist, welche den Willen des himmlischen Vaters tun. Der Himmel ist ein Geschenk, aber dieses Geschenk wird allein denen zuteil, die sich für die Entgegennahme dieses Geschenkes bereitet haben. Man bereitet sich für den Himmel, indem man den Willen des himmlischen Vaters tut. „Nicht wer zu mir sagt: ,Herr, Herr!‘, sondern wer den Willen des himmlischen Vaters tut, der wird in das Himmelreich eingehen.“ Es ist eine katholische Lehre, es ist ein Glaubenssatz, daß der Himmel ein Lohn ist für die Werke auf Erden. Man kann – allem Gerede von gemeinsamer Erklärung über Rechtfertigung zum Trotz –, man kann und muß als katholischer Christ bekennen: Der Christ kann sich den Himmel verdienen! Er kann sich die Himmelsglorie und die Vermehrung der Himmelsglorie verdienen. Der Himmel ist ein Lohn für die Verdienste auf Erden.

Freilich ist der Lohn anders, als die Juden zur Zeit Jesu meinten oder als die Mohammedaner in unserer Gegenwart es annehmen. Der Himmel ist eine Wirklichkeit, die über alle Erfahrung hinausgeht. Uns ist nicht irdische Freude, irdischer Reichtum, irdische Belohnung verheißen, sondern himmlische Belohnung. Und die himmlische Belohnung unterscheidet sich von allen sinnlichen Freuden. Auf Erden ist Drangsal und Leid unser Los; der Himmel ist eine Wirklichkeit, in der Drangsal und Leid aufgehört haben. Der Himmel ist die vollendete Herrschaft Gottes. Darum kann man den Himmel nicht mit irdischen Freuden vergleichen. Wir können versuchen, durch Bilder aus dieser Erde den himmlischen Zustand zu schildern, aber wir wissen, daß die Bilder der himmlischen Wirklichkeit mehr unähnlich als ähnlich sind.

Wir sind zum Himmel berufen aus Gnade. Und aus Gnade vermögen wir die Handlungen zu setzen (die wir Verdienste nennen), die uns den Himmel verdienen. Alles ist Gnade. Die Berufung zum Himmel ist Gnade, und erst recht das Geschenk des Himmels ist Gnade. Gott schenkt uns den Himmel als Gnadenlohn, weil er sich selbst gebunden hat, nicht weil wir Ansprüche geltend machen könnten. Der himmlische Lohn ist nicht ein Rechtsgeschäft zwischen Mensch und Gott, sondern der Himmel ist das Geschenk der freischenkenden Liebe Gottes, der sich durch Selbstbindung dazu verpflichtet hat, die Verdienste auf Erden zu belohnen. „Jeder, der Haus oder Hof oder Vater oder Mutter oder Schwester oder Bruder verläßt um meinetwillen, wird Hundertfältiges dafür erhalten und das ewige Leben erben.“ Oder wenn es im Römerbrief heißt: „Gott wird einem jeden vergelten nach seinen Werken“, dann ist damit ausgesagt, was wir den Gnadenlohn des Himmels nennen. Der Lohn des Himmels ist die vollendete Durchsetzung der Herrschaft Gottes. Schon auf Erden sind wir ja anfanghaft in der heiligmachenden Gnade von Gott durchherrscht; wir leben im Heiligen Geiste. Aber noch ist verborgen, was Gott uns geschenkt hat. Im Himmel wird es enthüllt werden; dann wird die Herrschaft Gottes in vollendeter Gestalt durchgesetzt werden. Das Wesen des himmlischen Lohnes ist also die vollendete Durchsetzung der Gottesherrschaft an uns Menschen. Es ist die Durchsetzung der Herrschaft der Wahrheit und der Liebe, der Heiligkeit und der Gerechtigkeit. Der Himmel ist die höchste, objektive Verherrlichung Gottes. Er ist gleichzeitig die höchste subjektive Verherrlichung Gottes, weil wir nämlich in die Gottesherrschaft einstimmen. Die Gottesherrschaft setzt sich an uns und in uns durch, und eben dadurch wird Gott verherrlicht. Der Himmel ist ein Lohn, daran ist nicht zu rütteln, aber dieser Lohn besteht darin, daß sich die Gottesherrschaft in voller, unverhüllter Gestalt durchsetzt und daß Gott in ungeminderter Weise angebetet wird.

Diese Offenbarung der Herrschaft Gottes ist zugleich unsere Vollendung und Erfüllung. Der Mensch stammt ja von Gott. Er hat deswegen eine Seinsneigung zu Gott. Er kommt erst zur Ruhe, wenn er Gott gefunden hat. Dieses Finden wird in einer endgültigen, nicht mehr zu übertreffenden Weise im Himmel geschehen. Im Himmel wird der Mensch Gott in unverhüllter Weise sehen und lieben. Im Himmel ist wahrhaftig die Sehnsucht des Menschen erfüllt. Das ganze menschliche Wesen kommt dann zur Verwirklichung. Was ist das Wesen des Menschen? Es besteht darin, daß er seine Kräfte entfaltet, vor allen Dingen die Kräfte des Geistes, also seine Liebesfähigkeit und seine Verstandestätigkeit. Beides wird im Himmel in unbegreiflicher Weise erfüllt sein. Wir nehmen ja am Leben Gottes teil, und diese Teilnahme am Leben Gottes ist von höchster Aktivität. Gleichzeitig wird die Kraft des Menschen im Himmel überschritten durch das Licht der Herrlichkeit. Wir lieben dann nicht nur mit unseren Kräften, und wir denken dann nicht nur mit unseren Kräften, nein, wir lieben und denken mit dem lumen gloriae, mit dem von Gott eingesenkten Licht der Herrlichkeit, das uns über unsere menschlichen Möglichkeiten hinaushebt. Das ist eine Überhöhung unserer Kräfte und Fähigkeiten. Der Himmel ist höchste Aktivität, weil wir am dreipersönlichen Leben Gottes teilnehmen.

Die Schriften des Neuen Testamentes sprechen von der Erfüllung und von der Vollendung des Himmels in deutlicher Weise, wenn etwa der Herr in den Seligpreisungen zu den Volksscharen redet.

„Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.

Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.

Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land besitzen.

Selig, die Hunger und Durst haben nach der Gerechtigkeit, sie werden gesättigt werden.

Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen.

Selig die Friedensstifter, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.

Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich.

Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen und alles Böse fälschlich wider euch aussagen um meinetwillen. Freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn iost groß im Himmel.“

Das hat unser Herr Jesus selbst verkündet. Wo er also die Plagen und Drangsale dieses Lebens gegenüberstellt der Freude und der Erfüllung und der Vollendung, die uns im Himmel bereitet sein wird. Im Himmel ist völlige Freiheit von Drangsal und von Betrübnis. Im Himmel ist machtvolle Herrschaft der Wahrheit und der Liebe. Im Himmel ist vollendetes Leben. Unter dem Bild des Lebens schildert vor allem der heilige Johannes die himmlischen Freuden. Als er auf Patmos einen Blick in den Himmel tun konnte, „da fragte ihn einer von den Ältesten: ,Wer sind diese da in den weißen Kleidern, wo kommen sie her?‘ Ich sagte zu ihm: ,Mein Herr, du weißt es.‘ Und er sprach zu mir: ,Die sind es, die aus der großen Trübsal kommen. Sie haben ihre Kleider weiß gewachsen im Blute des Lammes. Darum sind sie vor dem Throne Gottes und dienen ihm in seinem Tempel Tag und Nacht. Und der auf dem Throne sitzt, wird bei ihnen wohnen. Sie werden nicht mehr Hunger und Durst haben. Weder die Sonne noch irgendeine Hitze wird sie drücken, denn das Lamm mitten vor dem Throne wird sie weiden und sie an die Quellen lebendigen Wassers führen. Und Gott wird abwischen jede Träne von ihren Augen.‘“

In ähnlicher Weise schildert auch der Apostel Paulus die himmlische Freude. Er weiß, „daß wir auf Erden das Todesleiden Jesu am Leibe herumtragen, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde. Immerdar werden wir dem Tode preisgegeben um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleische offenbar werde... Die leichte Not des Augenblicks erwirkt uns eine überschwengliche, ewige, alles überwiegende Herrlichkeit. Wenn wir auf das Sichtbare blicken, dann sehen wir nur das Zeitliche, wenn wir dagegen auf das Unsichtbare blicken, dann sehen wir auf das Ewige.“ Und im Römerbrief schreibt der Apostel Paulus: „Der Geist selbst gibt Zeugnis unserem Geiste, daß wir Kinder Gottes sind. Wenn aber Kinder, so auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir nämlich mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden. Ich halte dafür, daß die Leiden dieser Zeit nicht zu vergleichen sind mit der künftigen Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.“

Die irdische Welt ist die Welt der Unruhe; die himmlische Welt ist die Welt der Ruhe. Es ist das keine Ruhe der Untätigkeit. Wenn wir für unsere Verstorbenen bitten: „Gib ihnen die ewige Ruhe!“, dann meinen wir damit nicht ein passives leidentliches Verhalten, sondern es soll damit ausgedrückt werden, daß das ewige Leben von jeder Ermattung, von jeder Mühe frei ist. Es ist das kein Leben mehr, in dem man sich nach Ruhe sehnt, weil man eben müde geworden ist, sondern es ist ein Leben, in dem der Friede herrscht. Es ist die Ruhe des Friedens, die wir dort erwarten. Es wird dort auch keine Langeweile und kein Überdruß auftreten. Langeweile und Überdruß kommen dann über den Menschen, wenn er mit sich allein ist und wenn ihn ein Gut, wenn ihn ein Wert nicht ausfüllt. Gott ist unerschöpflich, und deswegen kann im Zustand des Himmels Langeweile oder Überdruß nicht auftreten. Es wird dort auch keine Furcht sein, daß der Zustand einmal zu Ende ginge, denn der Zustand des Himmels ist ewig. Es ist kein Verlust mehr möglich. Keine Versuchung wird uns mehr bedrohen und keine Sünde mehr uns nahen; denn wir sind der Versuchlichkeit und der Sündhaftigkeit entnommen. Wahrhaftig, meine lieben Freunde, kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben!

Wenn wir uns diese Wirklichkeit des Himmels vor Augen führen, dann haben wir damit eine machtvolle Waffe, um den Gefahren und Versuchungen der Erde zu begegnen. Auf Erden sind wir immer versucht zu verzagen, zu verzweifeln, aufzugeben. Im Himmel werden unsere Anstrengungen und Bemühungen in einer über alles Maß hinausgehenden Weise belohnt werden. Wir müssen durchhalten, und dann werden wir auch den Lohn in Empfang nehmen. Gott wird uns nicht enttäuschen, er läßt sich von uns an Großmut nicht übertreffen. Wenn immer wir auf dieser Erde für ihn gearbeitet, gekämpft und gelitten haben, wird er uns über alle Maßen einen Lohn geben. Er hat es ausgedrückt in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Die werden am Ende des Tagewerkes gerufen, und Gott zahlt ihnen den Lohn aus. Er gibt dem, der in der letzten Stunde gekommen ist, den gleichen Lohn wie denen, die von Anfang an gearbeitet haben, so daß die nur menschlich Denkenden darüber murren. Aber der Herr will damit nur sagen: Der Lohn, der im Himmel auf uns wartet, ist über alles Maß groß. Es ist ein Gnadenlohn, es ist ein Lohn, der nicht zu vergleichen ist mit dem Verhältnis eines Arbeitgebers zu einem Arbeitnehmer, sondern ein Lohn, der alles menschliche Begreifen übersteigt, ein Lohn, der wahrhaft göttlich ist und uns in die Herrlichkeit Gottes hineinzieht.

Amen.

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