Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Pflichten gegen den Nächsten (Teil 12)

20. Dezember 1998

Über berechtigte Eingriffe in das Leben des Nächsten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben die Pflichten bedacht, welche wir gegen das Leibesleben des anderen haben. Es ist unzulässig, aus nichtigen Gründen in das Leibesleben des anderen einzugreifen. Aber es ist zulässig, aus gewichtigen Gründen das Leibesleben des anderen anzutasten. Die schwerwiegendsten Eingriffe in das Leben des anderen nennen wir Todesstrafe und Krieg. Wir haben also diese beiden Gegenstände heute zu bedenken im Lichte des Glaubens und der kirchlichen Lehre. Wie steht die Kirche zur Todesstrafe? Wie steht sie zum Krieg?

Die  Strafe ist ein Leiden, das dem Schuldigen auferlegt wird zum Ausgleich für das Unrecht, das er getan hat. Das Leiden wird dem Täter zugefügt, damit dem sittlichen Unrecht begegnet wird, das von ihm ausgegangen ist. Die Leiden, die ihm zur Strafe zugefügt werden, sind gewöhnlich körperlicher Art; sie betreffen seinen Leib. Man beraubt ihn der Freiheit. er wird eingesperrt. Man fügt ihm Schmerzen zu; früher zumindest war die Prügelstrafe weithin in Gebrauch. Ja, man tastet seine leibliche Unversehrtheit an. In Saudi-Arabien wird noch heute dem Dieb die rechte Hand abgeschlagen. In manchen Ländern ist es üblich, daß Sexualverbrecher entmannt werden.

Aber alle diese Strafen werden übertroffen von der Todesstrafe. Der Mensch hat viele Weisen ausgedacht, wie man einen anderen vom Leben zum Tod befördern kann. Es gibt zahlreiche Arten der Todesstrafe. Man hat zum Tode Verurteilte verbrannt, ertränkt, man hat sie gevierteilt, man hat sie aufgehängt und enthauptet. In jüngerer Zeit tötet man sie mit dem Fallbeil oder bringt sie mit einer Spritze oder mit Gas oder auf dem elektrischen Stuhle um. Die Todesarten haben sich gewandelt, die Todesstrafe ist aber in vielen Ländern geblieben.

Der Zweck der Strafe ist ein vierfacher. Der erste Zweck ist die Vergeltung. Es soll durch Zufügung eines Leides dem Übeltäter zum Bewußtsein gebracht werden, was er angerichtet hat. Die Vergeltung ist der oberste Strafzweck. Es soll dadurch gesühnt werden, was er verbrochen hat. Dazu treten aber weitere Zwecke, so die Sicherung. Man sucht die Volksgemeinschaft vor dem Übeltäter zu schützen. Das ist der Sicherungszweck der Strafe. Dazu kommt die Abschreckung. Wenn andere sehen, wie man für Verbrechen hart bestraft wird, dann, so hofft man, werden sie es bleiben lassen, ähnliche Verbrechen zu begehen. Und schließlich dient die Strafe auch der Besserung. Man hofft, daß sich der Übeltäter durch die Strafe bewegen läßt, in sich zu gehen, Reue zu zeigen und sich in Zukunft den Gesetzen zu fügen.

Die Kirche gedenkt bei der Bestrafung des alttestamentlichen Gesetzes. Das Alte Testament kennt viele Strafen, auch die Todesstrafe. Die Todesstrafe war vorgesehen für Mord, für Abgötterei, für schwere Sexualvergehen. Ganz allgemein wird ausgesprochen: „Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben um Leben.“ Für das Alte Testament ist die Todesstrafe kein Problem. Das Neue Testament hat an der Möglichkeit, die Todesstrafe zu verhängen, und an der Erlaubtheit der Todesstrafe nicht gerüttelt. Es gibt keinen einzigen Text im Neuen Testament, der verbietet, Verbrecher mit dem Tode zu bestrafen. Der heilige Paulus sagt: „Die Obrigkeit führt das Schwert.“ Das Schwert ist das Symbol für die Strafgewalt, aber das Schwert ist auch das Werkzeug zur Hinrichtung. Wir wissen, daß Paulus als römischer Bürger durch das Schwert hingerichtet wurde. Aus dem Neuen Testament ist deswegen ein Argument gegen die Todesstrafe nicht zu entnehmen.

Die Kirche hat in ihren besten Vertretern, also den Kirchenvätern und Kirchenlehrern, immer an der Erlaubtheit der Todesstrafe festgehalten. Die Todesstrafe wird vor allem begründet aus dem Organismuscharakter des Volkes. Das Volk ist ein Leib, und wenn an einem Leibe ein Glied brandig wird, dann kann man es entfernen. Das ist die Argumentation des heiligen Thomas für die Todesstrafe. Wenn ein Mensch das Gemeinwohl gefährdet und andere Abhilfe nicht möglich ist als dadurch, daß er getötet wird, dann besitzt die Gemeinschaft das Recht, die Todesstrafe über ihn zu verhängen und zu vollstrecken. Sie ist eine Art Notwehr der Gemeinschaft.

Freilich ist die Todesstrafe nur dann anzuwenden, wenn die Verbrechen mit Sicherheit bewiesen sind. Also dürfen Verurteilte in Indizienprozessen regelmäßig nicht zum Tode verurteilt werden; denn die Todesstrafe fügt dem anderen etwas zu, was nie mehr gutzumachen ist. Dazu muß völlige Gewißheit über das todeswürdige Vergehen vorliegen. Die Besserung ist freilich mit der Todesstrafe nicht zu erreichen; denn der Tote läßt sich nicht mehr bekehren. Man hofft und wünscht aber, daß der zum Tode Verurteilte sich vor der Hinrichtung bekehrt und bessert.

In unserem Lande ist die Todesstrafe abgeschafft. Aber es gibt Fälle, wo man sagen muß: Hier ist die Todesstrafe die einzige gerechte Sühne. Am Anfang unseres Jahrhunderts lebte in Münsterberg in Schlesien ein Metzgermeister namens Denke. Dieser Metzgermeister lud wandernde Gesellen in sein Haus ein, gab ihnen zu essen, und wenn sie bei einem fröhlichen Schmaus waren, erschlug er sie mit einem Beil. Dann verarbeitete er ihren Körper in seiner Metzgerei. Der Mann wurde, nachdem er viele Morde dieser Art begangen hatte, durch einen Gesellen entdeckt. Der blickte sich nämlich um und sah, wie das Beil gegen ihn geschwungen war, und konnte sich im letzten Augenblick noch erheben und fliehen und diesen Verbrecher der Obrigkeit überliefern. Es gab kaum jemanden, der kein Verständnis dafür gehabt hätte, daß der vielfache Mörder Denke zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Die Todesstrafe ist also grundsätzlich erlaubt, freilich nur als äußerstes Mittel, und man muß versuchen, möglichst andere Strafen zu finden, die den Verbrecher unschädlich machen und die Gemeinschaft schützen. Aber wenn es eben durch das Gemeinwohl gefordert ist, dann besitzt die Obrigkeit das Schwert, d.h. die Möglichkeit, die Todesstrafe zu verhängen und zu vollstrecken.

Der Krieg ist der blutige Machtkampf zwischen zwei Staaten. Man unterscheidet den Angriffskrieg und den Verteidigungskrieg. Der Verteidigungskrieg ist eine Art Notwehr. Man schützt sich gegen den bereits begonnenen oder unmittelbar bevorstehenden Angriff, indem man zu den Waffen greift. Der Angriffskrieg dient zwei Zwecken, einmal, um vorenthaltene Rechte zu erzwingen oder um erlittene Rechtsverletzungen zu bestrafen. Auch der Angriffskrieg kann ein gerechter Krieg sein. Besonders zu erwähnen ist der sogenannte Präventivkrieg. Der Präventivkrieg besteht darin, daß man einem sicheren, unmittelbar bevorstehenden Angriff zuvorkommt und dadurch verhindert, daß man von dem feindlichen Angriff zermalmt wird. Der Präventivkrieg ist unter den gegebenen Umständen, nämlich daß der Angriff sicher bevorstehend und in nächster Zeit beginnend ist, gerechtfertigt.

Im Alten Testament ist oft von heiligen Kriegen die Rede. Das Volk Israel hat auf Weisung Gottes kriegerisch das Land Palästina erobert. Josue, die Richter, Saul, David haben Kriege geführt, und zwar im Auftrage Gottes, um das Land zu erwerben oder zu behaupten. Die Makkabäer sind ins Feld gezogen für ihren Glauben, und sie wußten sich dabei vom Willen Gottes getragen. Das Alte Testament kennt also den erlaubten, ja den gerechten Krieg. Im Neuen Testament ist gegen den gerechten Krieg ein Einwand nicht zu finden. Der Herr weiß, daß am Ende furchtbare Kriege ausbrechen werden. Er kündigt sie an in seinen eschatologischen Reden. Freilich predigt er den Frieden, lobt er die Friedfertigen, lehrt er die Gottes- und Nächstenliebe unter den Menschen zur Verhütung von Streit und Kampf. Die messianische Zeit ist eine Zeit ewigen Friedens. Aber weder Jesus noch Johannes der Täufer haben die Soldaten ihrer Zeit aufgefordert, ihre Waffen niederzulegen. Sie haben sie nur angewiesen, nicht ungerecht und mit dem Sold zufrieden zu sein. Auch die Kirche hat den Kampf, den gerechten Kampf niemals a limine verworfen. Es kann gerechte Kriege geben. Um einen gerechten Krieg zu führen, sind vier Merkmale notwendig.

1. Es muß eine legitima auctoritas Krieg führen, also eine rechtmäßige Autorität. Nicht der Privatmann führt Kriege, auch nicht die Rote Armee-Fraktion führt Kriege, sondern nur die oberste, souveräne Gewalt, also der Staat.

2. Es muß eine  justa et gravis causa vorliegen, eine gerechte und schwerwiegende Ursache. Gerechte und schwerwiegende Ursachen sind also zum Beispiel ein bevorstehender Angriff (Präventivkrieg) oder ein begonnener Angriff (Verteidigungskrieg) oder die Vorenthaltung wesentlicher Rechte, die ein Volk um seiner Existenz willen nicht preisgeben kann und die es sich mit Gewalt zurückholen muß. Solche gerechte Ursachen haben oft bestanden, meine lieben Freunde. Die spanische Bevölkerung hat sechs Jahrhunderte lang gerechten Krieg gegen die Mauren geführt, die das Land besetzt hielten und die Bevölkerung vom christlichen Glauben abzubringen versuchten. Unsere Vorfahren haben sich gegen die Hunnen gewehrt, die plündernd, brandschatzend und vergewaltigend durch das Land zogen. Im 15. Jahrhundert sind die christlichen Heere gegen die Hussiten losgezogen, die Schlesien, Sachsen und Bayern zu überschwemmen drohten. Das waren gerechte und schwerwiegende Gründe, weswegen unsere Vorfahren zu den Waffen gegriffen haben.

3. Es muß eine recta intentio vorhanden sein, eine rechte Absicht, und die Absicht kann nur darin liegen, als letzte Waffe den Kampf einzusetzen, also nicht aus geringfügigen Gründen, sondern nur als letztes Mittel. Zunächst muß versucht werden, mit anderen Mitteln dem Unrecht zu wehren, etwa mit Repressalien, mit Blockaden. Aber wenn diese Mittel nicht ausreichen, dann ist eben auch das Ergreifen der Waffen zulässig.

4. Man muß schließlich den debitus modus beachten, man muß auch im Kriege Maß halten. Es ist nicht alles erlaubt im Kriege. Man muß etwa die Zivilbevölkerung schonen; man darf nicht hilflose Gefangene umbringen oder so schlecht behandeln, daß sie sterben müssen. Es gibt auch im Kriege Gesetze, sittliche Gesetze, die  beachtet werden müssen. Aber, noch einmal, wenn diese vier Momente zusammenkommen, dann spricht man von einem gerechten Krieg. Es ist nicht auszuschließen, daß es auch heute solche gerechte Kriege geben kann. Wenn ein Volk friedlos ist und andere Völker unterdrückt und überfällt, dann ist die Völkergemeinschaft, dann sind die Nachbarn aufgerufen, dieses Volk in seine Schranken zu verweisen. Das ist die Lehre der Kirche vom gerechten Krieg.

Wir müssen, wenn wir die Todesstrafe und den Krieg unter sittlichen Gesichtspunkten betrachten, zwei Grundsätze vereinen, nämlich erstens den Grundsatz, den der Herr ausspricht, wenn er sagt: „Selig die Friedfertigen, sie werden Kinder Gottes heißen.“ Und als zweites den Grundsatz: „Nicht umsonst führt die Obrigkeit das Schwert. Sie ist Gottes Dienerin zur Rächerin für den, der Böses tut.“

Amen.

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