Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Gottes- und Nächstenliebe (Teil 5)

20. März 1988

Die Freundesliebe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Eine ganz hervorragende Stelle in der Nächstenliebe nimmt die Freundesliebe ein. Freunde sind Menschen, welche die gleichen Grundsätze haben und die sich deswegen einander wohlwollend unterstützen und vertrauend miteinander umgehen. „Gleich und gleich gesellt sich gern,“ so sagt der Volksmund schon, und Freundschaft ist im allgemeinen nur möglich zwischen Menschen, welche auf den gleichen Prinzipien des Lebens und der Religion stehen. Freunde wollen einander wohl, sie sind von der Freundesliebe erfüllt. Es ist ihnen daran gelegen, daß es dem anderen gut geht, und ihr Wohlwollen ist ein tätiges Verhalten. Sie bemühen sich darum, dem anderen zur Seite zu stehen. Sie unterstützen einander.

Aus dem Griechentum wird eine wunderbare Geschichte berichtet, wie Freunde sich verhalten. Der eine von den beiden wurde von dem Tyrannen Dionysos zum Tode am Kreuze verurteilt. Er bat den Tyrannen, er möge ihm noch drei Tage Urlaub geben, damit er seine Sachen in Ordnung bringen könne, seine Schwester verheiraten könne; er wolle ihm dafür einen Bürgen als Geisel stellen, nämlich eben seinen Freund. Der König ließ sich darauf ein.

Der Mann eilte nun davon, besorgte seine Geschäfte, aber auf dem Heimwege zur Kreuzigung, auf dem Rückwege, da traten ihm alle möglichen Hindernisse in den Weg. Friedrich Schiller hat sie ja in seiner ergreifenden Ballade „Die Bürgschaft“ beschrieben: Der Regen rauschte hernieder, der Bach schwoll an, aber mit der Liebe, die den Freund auszeichnet, überwand er alle Hindernisse, und im letzten Augenblick, als man schon den Geiselfreund zur Kreuzigung führen wollte, eilte er herbei und stellte sich dem König zur Hinrichtung. Man berichtete dem Tyrannen von dieser ergreifenden Tat der beiden Freunde, und der König schenkte dem Verurteilten das Leben. „Ich sei,“ so schließt ja die Ballade bei Schiller, „ich sei, gewährt mir die Bitte, in euerem Bunde der Dritte!“

Das war Unterstützung, wie Freunde sie sich gewährleisten sollten. Auch aus der Bibel haben wir solche Beispiele der Freundschaft. David und Jonathan waren Freunde, Jonathan, der Sohn des Königs Saul. Sie hatten sich im Kriege kennengelernt und unterstützten einander immer, wenn es möglich war. Jonathan unterrichtete den David von den Anschlägen seines Vaters Saul.

Freunde eröffnen sich gegenseitig auch ihre Herzen. Sie gehen vertraulich miteinander um. Der Freund teilt dem Freunde die Geheimnisse mit. Freunde tadeln auch die Fehler, die sie am anderen sehen, sie sind freimütig miteinander. Das ist nicht der letzte Freundschaftsdienst, den sie sich leisten, daß sie sich gegenseitig aufmerksam machen auf ihre Fehler. Wahre Freunde können nur Menschen sein, deren Grundsätze der Religion sich entsprechen. Die Freundschaft ist ein Gebäude, ein Bau, und das Fundament dieses Baues müssen Gottesfurcht und Gottesliebe sein. Wer ein Feind Gottes ist, der kann nicht ein Freund des Nächsten sein.

Der frühere Minister Speer, der Rüstungsminister im Dritten Reich, hat in seinen Memoiren einmal den Satz geschrieben: „Wenn Hitler einen Freund gehabt hätte, dann wäre ich es gewesen.“ Aber was er sagt, ist ein irrealer Zustand. Wenn er einen Freunde gehabt hätte! Er hatte aber keinen, er konnte keinen haben, weil er an keinen Gott glaubte. Nur wer mit Gott im Frieden ist, kann auch wahre Freundschaft mit dem Nächsten begründen.

Falsche Freundschaft ist freilich nicht selten auf dieser Erde. Sie wird im Wirtshaus geschlossen oder am Spieltisch oder zu schlimmen Unternehmungen. Die Heilige Schrift berichtet uns, wie Judas mit den Führern der Juden ein Abkommen traf, um ihnen Jesus auszuliefern. Und von dem König Herodes und dem Landpfleger Pilatus heißt es: „An diesem Tage wurden sie Freunde.“ Ja, an welchem Tage denn? An dem Tage, als sie beide gegen Jesus vorgingen. Freundschaften, die auf diese Weise zustande kommen,  sind nicht dauerhaft. Wenn die Freunde – die angeblichen Freunde – sich nicht mehr brauchen, dann zerschellt ihre Freundschaft. Sie ist wie ein Schilfrohr, auf das man sich stützen möchte, aber das zerbricht, wenn man es belastet. Und so war es auch bei Judas. Als er, von Verzweiflung erfüllt, den Hohenpriestern das Geld zurückbringen wollte, da riefen sie: „Was geht das uns an?“ Da wollten sie ihn nicht mehr kennen.

Wir dürfen Freunde haben. Wir brauchen nicht alle Menschen in der gleichen Weise zu lieben. Wir dürfen die Freunde mehr lieben. Wir dürfen also Menschen auszeichnen durch eine besondere Liebe. Der Heiland hat es uns vorgemacht. Er, der alle Menschen geliebt und für alle Menschen sein Leben hingegeben hat, er hatte besonders geliebte Freunde. Das waren seine Jünger. Das war vor allem der Lieblingsjünger Johannes, der beim Letzten Abendmahl an seiner Brust ruhen durfte. Das waren auch Petrus und Jakobus, die mit ihm auf den Berg Tabor steigen durften. Das waren auch Lazarus und seine Schwestern. In ihrem Haus kehrte er gern ein, sie waren seine Freunde; und wie sehr er den Lazarus geliebt hat, das sieht man daran, daß er an seinem Grabe weinte.

Wir dürfen also Freunde haben. Das gilt sogar für die Menschen, die im Kloster leben. Auch im Kloster braucht man nicht jeden mit der gleichen Liebe gern zu haben. Freilich darf man sich nicht in eine Partikularfreundschaft verlieren. Eine Partikularfreundschaft ist eine solche, die den Freund nur für sich haben will, die ihm den anderen nicht gönnt. Das ist Eigennutz. Eine solche Freundschaft sollte allerdings mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden.

Freunde zu haben ist ein großes Glück. Die Freundschaft macht uns das Leben angenehm. Durch die Freundschaft wird das Glück größer und das Unglück gemindert. Wer im Unglück einen Freund hat, der ihm beisteht und ihn tröstet, der ist wahrhaft glücklich dran. „Ein treuer Freund liebt mehr als ein Bruder,“ heißt es einmal in der Heiligen Schrift. Darum, meine lieben Christen, sollen wir uns bemühen um wahre Freunde. Wir sollen auch die Dienste leisten, die dazu notwendig sind, denn Freundschaft ist ein kostbares Geschenk, verlangt viel Aufmerksamkeit und große Anstrengung, große Reinheit und Feinheit des Herzens, verlangt Feinfühligkeit und Rücksichtnahme, verlangt Dienstwilligkeit und Hilfsbereitschaft.

Der König Alexander von Griechenland wurde einmal gefragt, wo er seine Schätze habe. Da wies er mit der Hand auf seine Freunde und sagte: „Das sind meine Schätze.“ Wahrhaftig, diese Schätze sind besser und haltbarer als Gold und Silber. Das sind Schätze, die weder Rost noch Motten verzehren – wahre Freunde. Aber wir alle wissen, daß der Volksmund recht hat, wenn er sagt, daß Freunde in der Not tausend auf ein Lot gehen. Das heißt, daß eben viele angebliche Freunde den Menschen verlassen, wenn er sich in Bedrängnis befindet. Deswegen heißt es, nicht zu schnell Freundschaft schließen, sich die Menschen ansehen, die man zum Freunde wählt.

In einem Psalm klagt der Sänger: „Der Freund, der von meinem Brote aß, der Freund, auf den ich mich verließ, hat mich mit Hinterlist umgarnt.“ So soll es nicht sein, meine lieben Freunde. Wir wollen die Freundschaft bewähren, die echt ist und die dauert, die Freundschaft, die auf göttliche Prinzipien gegründet ist und die aus der wahren Freundesliebe quillt.

Die Freundschaft hat auch eine Grenze. Diese Grenze ist das Tun des Bösen. Da, wo die Sünde beginnt, muß die Freundesliebe ein Nein entgegensetzen.

Es wurde einmal ein Freund von einem Freunde gebeten, einen Meineid zu leisten, um ihn vor der Bestrafung für ein Verbrechen zu bewahren. Da antwortete der Freund: „Nein, ich will nicht Gottes Freundschaft wegen der irdischen Freundschaft verlieren.“

Wahrhaftig, es ist gut und heilsam und beglückend, Freunde auf Erden zu haben. Aber niemals darf man irdische Freundchaft mit dem Verlust der Freundschaft Gottes erkaufen. Lieber Gott im Himmel zum Freunde behalten als Freunde auf Erden, die nur um den Preis der Schuld zu bewahren sind.

Amen.

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