Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Gnade Gottes (Teil 6)

5. Juli 1987

Die sieben Gaben des Heiligen Geistes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

An den vergangenen Sonntagen haben wir das Wirken des Heiligen Geistes in der Seele bedacht. Wenn er mit seiner heiligmachenden Gnade kommt, dann bringt er auch das Gefolge der heiligmachenden Gnade mit. Das Gefolge der heiligmachenden Gnade sind die sieben Gaben, die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Die sieben Gaben des Heiligen Geistes sind Tüchtigkeiten der Seele, weil sie die Seele befähigen, die Einwirkungen des Heiligen Geistes leichter aufzunehmen. Sie bewirken, daß der Heilige Geist die Seelenkräfte leichter durchleuchten und stärken kann. Die sieben Gaben des Heiligen Geistes stehen in der Mitte zwischen den sittlichen Tugenden und den göttlichen Tugenden. Die sittlichen Tugenden, also vor allem die vier Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Tapferkeit, die sittlichen Tugenden beseitigen die Hindernisse, die uns auf dem Wege zu Gott begegnen. Sie räumen die Hindernisse weg, indem sie den Willen geneigt machen, den Geboten Gottes zu gehorchen.

Die sieben Gaben des Heiligen Geistes bewegen die Seele hin zu Gott. Sie bewirken, daß der Mensch die Richtung zu Gottes Willen einschlägt. Und die drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe, die ja, weil sie sich unmittelbar auf Gott richten, auch theologische Tugenden heißen, diese drei göttlichen Tugenden vereinigen uns mit Gott. Die sieben Gaben des Heiligen Geistes werden im 11. Kapitel des prophetischen Buches des Isaias beschrieben. Es sind Weisheit, Wissenschaft, Verstand, Rat, Stärke, Frömmigkeit, Furcht des Herrn. Nach Isaias wird der Messias diese sieben Gaben in reicher Fülle besitzen.

Diese sieben Gaben waren also unserem Herrn und Heiland Jesus Christus in besonderem, ja einzigartigem Maße zu eigen. Aber auch jeder andere, der ein Adoptivsohn des ewigen Vaters wird durch die Gnade, also wir Begnadeten, wir dürfen zuversichtlich darauf bauen, daß auch uns die sieben Gaben geschenkt werden.

Die Gabe der Weisheit bewirkt, daß der Mensch das letzte Ziel erkennt, daß er den Wert des Himmels abschätzt und daß ihm vor diesem Ziele alles andere gering und klein erscheint. Wegen der Weisheit, die Paulus zu eigen war, konnte er schreiben, er erachte alles für töricht, um Christus zu gewinnen. Salomon, der weise Salomon, der das Leben genossen hatte, bezeichnete alles andere außer Gott als Eitelkeit. Und Ignatius von Loyola erklärte oft: „Wie ekelt mich die Erde, wenn ich an den Himmel denke!“ Das sind Wirkungen der Gabe der Weisheit. Wenn die Sonne untergeht, wirft sie einen langen Schatten. Wenn sie im Mittag steht, ist der Schatten klein. Ähnlich ist es auch mit dem Menschen, in dem der Heilige Geist ist. Wo der Heilige Geist in der Mitte des Herzens steht, da scheinen die irdischen Dinge geringfügig, aber wo der Heilige Geist untergegangen ist, da werden die irdischen Dinge riesig groß und einzig begehrenswert.

Die Gabe der Wissenschaft bewirkt, daß wir auch ohne besonderes Studium die Lehre der katholischen Kirche leicht verstehen. Die Gabe der Wissenschaft besaß der heilige Pfarrer von Ars. Er war beschwerten Geistes, aber Gott gab ihm ein, was er sich durch das Studium nicht anzueignen vermochte. Und wie sagte sein Bischof: „Er ist nicht gelehrt, aber er ist erleuchtet.“ Die Gabe der Wissenschaft war dem greisen Simeon eigen. Er erkannte aufgrund dieser Gabe, daß das Kind, dieses arme Kindlein, das er in den Händen hielt, der Sohn Gottes war. Die Gabe der Wissenschaft war dem heiligen Clemens Hofbauer eigen. Er hatte ja erst mit 21 Jahren, nachdem er Bäckergeselle gewesen war, nur das Notwendigste gelernt, aber die Gabe der Wissenschaft war ihm so zu eigen, daß er Bischöfe zu seinen Füßen sah, die sich von ihm belehren lassen wollten.

Die Gabe des Verstandes bewirkt, daß wir die Lehren unserer Kirche richtig auffassen, tief begründen und gegen Einwände verteidigen können. Der selige Clemens Hofbauer wurde oft von Bischöfen angegangen, um sein Urteil abzugeben über neu aufgetretene Lehren oder Bücher. Um zu verbergen, daß ihm die Gabe des Verstandes eigen war, sagte er: „Ich habe eine katholische Nase.“ Die Gabe des Verstandes war auch der heiligen Katharina von Alexandrien eigen. Ihr gelang es, fünfzig Weltweise, die sie überführen wollten, zum katholischen Glauben zu bekehren. Die Überzeugung von der Wahrheit dieses Glaubens und die Kraft, ihn zu vertreten, und die klare Unterscheidung dieses Glaubens von Irrlehren, das sind Wirkungen der Gabe des Verstandes.

Die Gabe des Rates bewirkt, daß wir in schwierigen Fällen wissen, was nach Gottes Willen zu tun ist. Als dem Heiland die Frage gestellt wurde, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Steuern zu zahlen, da gab er eine Antwort, die seine Frager entwaffnete: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, gebt Gott, was Gottes ist!“ Die Gabe des Rates war es, die den Salomon bei seinem weisen Urteilsspruch beriet. Die Gabe des Rates hat an allen Wegkreuzungen den Menschen beigestanden, die den Heiligen Geist um seine Beratung angefleht haben. Die Gabe des Rates ist das köstliche Mittel, um in den Fragen und in den Ausweglosigkeiten unseres Lebens einen Weg zu finden.

Die Gabe der Stärke bewirkt, daß wir mutig den Glauben vertreten, allen Gefahren zum Trotz. Die Gabe der Stärke war allen heiligen Martyrern und Duldern zu eigen. Der heilige Johannes Nepomuk ließ sich eher einsperren, mit glühendem Eisen behandeln, ja in die Moldau werfen in der Kraft dieser Gabe, als daß er das Beichtsiegel gebrochen hätte. Und so haben es ihm viele nachgemacht. Die Gabe der Stärke hat sie befähigt, den Drohungen ihrer Peiniger zu widerstehen.

Die Gabe der Frömmigkeit bewirkt, daß wir uns immer mehr bemühen, innig mit Gott vereint zu werden und genau seinen Willen zu erfüllen. Frömmigkeit ist nicht nur eigenes Bemühen, sondern Frömmigkeit ist auch Geschenk des Heiligen Geistes.

Wir sprechen hier von besonderen Gaben. Es gab heilige Menschen, heiligmäßige Menschen, die das donum lacrimarum besaßen, die Gabe der Tränen, die weinten, wenn sie an ihre eigenen Sünden oder an die Sünden der anderen Menschen dachten. So lieb hatten sie Gott, so stark war ihre Frömmigkeit, daß diese Haltung ihnen die Tränen auspreßte, wenn sie sahen, daß Gott beleidigt wird. Vom heiligen Aloysius wird berichtet, daß er so lange vor dem Tabernakel ausharrte, daß ihm der Beichtvater befehlen mußte, seine Andacht abzukürzen.

Die Gabe der Gottesfurcht endlich bewirkt, daß wir alles lieber leiden, jedes Übel auf uns nehmen, als Gott zu beleidigen. Wer Gottesfurcht hat, fürchtet die Beleidigung Gottes mehr als alle anderen Mühen. Das Alte Testament bietet viele Beispiele dieser Gabe der Gottesfurcht. Ich erinnere etwa an die drei Jünglinge, die in den Feuerofen geworfen wurden, weil sie die Statue, die der König von Persien aufgerichtet hatte, nicht anbeten wollten. Der heilige Ignatius von Loyola sagte einmal: „Fürchte nichts als Gott zu beleidigen!“ Das ist die Gabe der Gottesfurcht, die sich davor scheut, den geliebten Vater zu kränken, nicht die knechtische Furcht, die nur vor der Strafe Angst hat, nein, die kindliche Furcht, der timor filialis, die kindliche Furcht, die sich in heiliger Scheu, in heiliger Ehrfurcht weigert, etwas zu tun, was den himmlischen Vater kränken, was den Heiligen Geist in uns betrüben könnte.

Meine lieben Freunde, das sind die sieben Gaben des Heiligen Geistes: Weisheit, Wissenschaft, Verstand, Rat, Stärke, Frömmigkeit, Furcht des Herrn. Die ersten vier wirken auf den Verstand, die letzten drei wirken auf den Willen. Bei jeder Litanei zu Ehren der Muttergottes flehen wir: „Bitte für uns, o heilige Gottesgebärerin, auf daß wir würdig werden der Verheißungen Christi!“ Ja, das ist es, meine lieben Freunde: Die Verheißungen Christi stehen in Kraft, die Verheißungen auch seines Geistes und seiner Gaben stehen in Kraft, aber wir müssen ihrer würdig werden. Es liegt nicht an Gott, wenn wir nichts verspüren von dieser Kraft, von diesen Gaben des Heiligen Geistes. Es liegt nicht an Gott, es liegt an uns, daß wir uns nicht tauglich machen, daß wir uns nicht würdig machen, die Verheißungen Gottes an uns erfüllt zu sehen. Darauf müssen wir unser Augenmerk richten, daß wir unsere Herzen bereit machen, durch Demut, durch Arbeit an uns, durch Beherrschung, durch alle Tugenden, die wir erwerben können, daß wir uns geeignet machen, daß wir uns wert machen, die Verheißungen Gottes an uns erfüllt zu sehen.

Amen.

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