Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das Walten des Heiligen Geistes (Teil 3)

9. Juni 2025

Die Gleichnisse des Heiligen Geistes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gott, der Unendliche, der Unsichtbare, der Verborgene ist ein Geheimnis. Gott versteht es, das Geheimnis seiner Göttlichkeit uns nahe zu bringen. Er hat uns das Geheimnis der zweiten Person in seinem inneren Leben deutlich gemacht in dem wunderbaren Symbol des Kindes, das er in unsere Mitte gestellt hat. Auch für die dritte Person in Gott hat der Unendliche naturhafte und menschliche Dinge gefunden, die dieses innerste Geheimnis ausdrücken können. An drei Gleichnissen können wir erkennen, wie der Geist Gottes ist und wie die Menschen sind, die diesen Geist empfangen haben. Diese drei Gleichnisse sind der Sturm, das Feuer und die Sprache.

Erstens der Sturm. Als der Geist am Pfingstmorgen über die Jünger Jesu kam, da war es wie das Brausen eines gewaltigen Sturmes vom Himmel her. Mit dem Geistsymbol des Sturmes soll gesagt werden, dass der Geist Gottes zu denken ist in der Richtung des Geheimnisses, der Freiheit und der Unwiderstehlichkeit. Denn so ist der Sturm: geheimnisvoll, frei und unwiderstehlich. Ein Geheimnis ist der Heilige Geist, weil er die Person der göttlichen Liebe ist, weil in ihm das Herzensleben Gottes zu einer eigenen Persönlichkeit emporsteigt. Der Abgrund seines Herzens und der Gipfel seines Lebens, das ist die Person des göttlichen Geistes, der innerste Bezirk in der göttlichen Unendlichkeit, die letzte Kammer des göttlichen Denkens und Wollens. Wenn gesagt wird, dass Gott in unzugänglichem Lichte wohne, dann gilt das vor allem um dieses Geheimnisses willen. Weil der göttliche Geist die Person der Liebe ist, darum ist er auch die Person der Freiheit und kann wirklich symbolisiert werden durch die Freiheit des Sturmes, der über die Erde fegt. Keine menschliche Macht kann ihm seinen Weg vorschreiben; er folgt nur seinem eigenen Gesetz. So ist die Liebe, die echte und wahre, und erst recht die göttliche Liebe. Weil sie die Erfüllung alles Gesetzes ist, darum trägt sie ihr Gesetz allein in sich selbst; darum ist sie so völlig frei von allem, was außer ihr liegt. So ist der Pfingstgeist über die Jünger gekommen als etwas Neues. Eine ganze Welt von alten Gesetzen, Zeremonien, Gewohnheiten und Meinungen ist in jenen Morgenstunden von Pfingsten zusammengestürzt unter dem Brausen des Sturmwindes von oben. Neue Menschen, neue Ideale, neue Gesinnungen, eine neue Liebe und eine neue Welt begann da emporzusteigen. So war es immer im Laufe der Kirchengeschichte. Das erste Pfingstfest war nicht das letzte. Immer gab es Menschen, in denen Gottes Geist durchbrach und Neues erschuf: Heilige, die kühn wie Propheten oder auch einfältig wie Kinder, aber jedes Mal frei wie ein Sturmwind über das Bisherige hinausschritten und der Welt einen neuen Weg, ein neues Leben und eine neue Kraft schenkten. Darum waren diese Menschen auch unwiderstehlich wie der Sturmwind. Denn so ist der Geist Gottes. Diese paar galiläischen Männer, die am Pfingsttag zum ersten Mal vor die Welt hintraten, waren gering an Zahl, an Wissen, an Einfluss, an Macht und Besitz. Armseliger kann man nicht anfangen, als sie es taten. Und doch waren sie unwiderstehlich. Sie haben eine Bewegung hervorgerufen, die im Laufe von wenigen Jahrhunderten zu einer neuen Kultur, zu neuen Idealen und Maßstäben, zu neuen und ewig gültigen Erkenntnissen des Geistes und des Herzens führte. So ist es immer: Wo wirklich der Geist Gottes eintritt und wirkt, da ist er auch siegreich, da setzt er sich durch und kann durch keine Gewalt, keine Verfolgung, keinen Terror ausgelöscht werden. Im Gegenteil, er wächst an dem Widerstand, den die Unvernunft oder die Bosheit oder die Kleinheit der Menschen ihm entgegensetzt. Daher kommt es, dass die wirklich von Gottes Geist ergriffenen Menschen so seelenruhig und so gelassen sind. Dadurch unterscheiden sie sich von allen, die nur den eigenen Geist oder Ungeist verkünden oder bringen wollen. Diese erliegen über kurz oder lang der Aufregung, der Hast, der Geschäftigkeit, der Angst und dem Kleinmut. Wer aber den Geist Gottes besitzt, der braucht nicht zu rennen und nicht zu schelten und nicht zu toben; der kann allezeit so geruhsam seinen Weg gehen und sein Wort sprechen, wie es die Apostel getan haben. Es ist eine seltsame Beredsamkeit, von der uns in der Apostelgeschichte noch ein Nachklang überliefert ist. Sie traten vor das Volk und sprachen ganz einfach und ruhig: Männer, Brüder! Ihre Auseinandersetzung war wie eine ruhige sachliche Darlegung vor Freunden. Da war keine Wirkung auf Masse und keine Berechnung auf die Masse, da war keine Reklame, kein Geklirre von Worten oder Waffen. Wer mit dem Geist Gottes verbündet ist, der trägt den Sturmwind in seinen Händen, den Sturm, der die Tennen reinfegt und die Fruchtkeime über die Frühlingsfelder trägt.

Zweitens. Unter dem Gleichnis von Feuerzungen kam sodann der Geist Gottes über die Jünger. Das Feuer ist hier nicht gemeint als verzehrende, zerstörerische Kraft, sondern als größter Wohltäter der Menschheit, als die segenbringende Kraft, die uns aus Kälte und Finsternis und Erstarrung hinausführt in eine Welt der Wärme, des Lichtes und der Bewegung. Es gibt kein Gleichnis in der geschaffenen Welt, das die Liebe und auch die Liebe Gottes mit ihrer Wärme, mit ihrer alles verklärenden Helle und mit ihrer alles überwindenden Kraft besser darstellen könnte als das Feuer. Der Geist des Pfingstfestes ist ja die persönliche Liebe Gottes, ist der flammende Lichtbogen, der sich vom Vater zum Sohn und vom Sohn zum Vater schwingt. Er ist die unendlich zarte und unendlich starke Neigung, die den Vater und den Sohn verbindet. Damit ist er auch das Urbild und die Urquelle aller Liebe. Was irgendwie in die geschaffene Welt gefallen ist an Liebe, das ist ein Tropfen aus diesem ewigen Meer, das ist eine verwehte Flocke aus diesem ewig lodernden Feuer, das ist ein warmer Hauch, der aus diesem Himmel der Liebe ausgeströmt ist in eine Welt, die ohne diese Liebe kalt, starr und tot wäre. In dieser Liebe ist die Welt geschaffen worden. Sie ist das alles belebende Element, sie bringt alles Dunkle in helle Glut und in lichten Schimmer. Darum heißt es von diesem Geist Gottes, dass er die Himmel ausgeziert habe. Was in der Welt ist an Schönheit und Freude, an Lieblichkeit und Helligkeit, das kommt von diesem verklärenden Schimmer, der durch die Liebe Gottes auf sie gefallen ist. Um seiner Liebe willen ist Gott schöpferisch geworden. Nur in Liebe und aus Liebe kann er schaffen. Selbst seine Allmacht bliebe ewig wirkungslos, wenn nicht die Liebe sie auf ihre Fittiche nähme; Gottes Weisheitswort bliebe in ihm selbst verschlossen, wenn nicht der Hauch der Liebe es hinaustrüge, so dass es das Nichts aufwachen und aufmerken lässt unter dem wundersamen Klang des göttlichen Schöpfungsbefehls. Es gibt in dieser ganzen Welt nichts Schöpferisches als eben die Liebe, die ein Funke des göttlichen Liebesgeistes ist. Dem schöpferischen Gottesgeist ist es eigen, überfließend und überströmend und um sich greifend zu wirken, wie es die Natur des Feuers ist. Er ist der Geist der Verschwendung, wie es eben nur die Liebe sein kann. Es ist dem göttlichen Geist eigen, über alles karge und knauserige und ängstliche Ansichhalten hinauszuführen und hinauszureißen. Es ist ein sicheres Zeichen, dass eine Seele den Geist Gottes empfangen hat und in diesem Geist wirkt, wenn sie über das bloße Müssen, über die Sparsamkeit des Mindestmaßes und der Mindestgebete hinausgekommen ist; wenn sie nicht mehr fragt: was muss ich gerade noch tun, um ins Leben einzugehen, um in der Kirche zu bleiben, um eben noch absolviert zu werden, um gerade noch ein kirchliches Begräbnis zu bekommen; sondern wenn sie fragt, wie der großzügige Jüngling fragte: Herr, all das habe ich getan, die Gebote habe ich gehalten, aber was bleibt mir noch zu tun? Was darf ich noch tun, um Vollkommenes zu leisten? Darum ist es auch die Eigenart des Gottesgeistes, dass er immer wieder Seelen hinausführt in die freie, weite Welt des Rates, der Räte des Evangeliums, dass er immer wieder Menschen dazu verlockt, freiwillig arm, keusch und gehorsam zu werden; freiwillig ein Kreuz zu tragen, das sonst ein anderer tragen müsste; freiwillig ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Kraft und ihren Fleiß einzusetzen für Werke, die ihnen niemand anschafft als eben die allbewegende, großherzige und unersättliche Liebe. So sind denn auch die sieben Gaben des Heiligen Geistes zu verstehen, die wir an Pfingsten einander wünschen. Denn diese sieben Gaben gehen nicht auf Alltägliches, sondern auf Außerordentliches, auf Heldisches und Heroisches, für das dem rechnenden Denken keine Fassungskraft zusteht, das eben nur die alles übersteigende Liebe fassen kann; das nur ein Mensch begreift, der in Glut steht und in inwendigen Flammen, die ihn verzehren müssten, wenn er sie nicht auswirken könnte; der die Feuerflocken, die ihn getroffen haben, auch wieder ausstrahlen und ausströmen lassen muss in einem frohen Überschwang des Betens, des Arbeitens, des Leidens und des Freuens.

Drittens. Noch ein drittes Symbol des Gottesgeistes ist uns geschenkt; es ist das Symbol der Sprachengabe. In der Kraft des empfangenen Geistes konnten all die Tausende aus verschiedenen Ländern und Nationen, die den heiligen Petrus am Pfingstfest hörten, verstehen, und sie wunderten sich sehr, dass jeder ihn in seiner Sprache reden hörte. Und wie sie in verstehender Sprache eins wurden an jenem Tage, so wurden sie eins in verstehender Liebe, sie wurden ein Herz und eine Seele, wie der Berichterstatter schreibt. Das ist der Geist der göttlichen Liebe. Er macht alles eins in gegenseitigem Verstehen; er lehrt uns, einander zu verstehen, wenn wir zueinander sprechen. Die Sprache ist eines der wundersamsten Instrumente des Menschengeistes. Es ist recht und billig, dass wir unsere Sprache lieben, jeder die seine und gar die Sprache, die er von seiner Mutter gelernt hat. Unglückseligerweise haben die Menschen viele Sprachen, und nur schwer verständigen sie sich mit ihren vielen Sprachen und Mundarten. Aber selbst wenn es nur eine Sprache gäbe, ich fürchte, dass wir auch dann noch uns nur schlecht verstehen würden; denn die Sprache allein tut es nicht, sie muss auch belebt und beseelt und durchwärmt und durchströmt sein vom Geist, vom Geist des Verstehens, vom Willen zur Verständigung. Das ist eben nur der Geist der Liebe, der Gottesgeist. Die Menschen, die ihn haben, verstehen einander, auch wenn sie eine andere Mundart sprechen; die ihn aber nicht haben, die verstehen einander nicht, auch wenn sie die Muttersprache reden. Aber auch auf den Inhalt des Gesprochenen kommt es an. Von den Jüngern, von den Menschen des Pfingstfestes heißt es: „Sie verkündeten die Großtaten Gottes.“ Das war es. Darum verstanden sie einander. Solange die Menschen immer nur von den eigenen vermeintlichen Großtaten reden, kann es nicht ausbleiben, dass ihre Meinungen geteilt sind und sie einander nicht verstehen. Das ist der tiefste Grund, warum wir mit all unserem vielen Reden vergeblich sprechen. Niemand versteht uns, denn wir reden immerzu nur von uns selber, jeder von sich. Lasst uns einmal von Gott reden und seinen Großtaten. Von den Interessen Gottes, von dem Willen Gottes, von den Geboten Gottes, von den Geheimnissen Gottes, von den Liebeserweisen Gottes lasst uns reden!

Wo ist nun heute der Geist Gottes? Es ist lange her seit jenem ersten Pfingstfest. Aber das Kommen des Geistes ist noch nicht zu Ende, ist noch nicht verströmt. Immer noch rauschen Gottes Sturmwinde über uns. Immer noch senken sich Gottes Feuer auf uns herab. Aber nicht alle sind bereit, sie aufzunehmen. An jenem ersten Pfingstfest waren es auch nur wenige, die Gottes Geist aufnahmen. Die große Masse der Hauptstadt und des Volkes blieb verschlossen. Für alle ist der Geist gekommen, aber nicht alle haben ihn verstanden. Die Sonne scheint auf öde Felsen, aber sie werden nur zerrissen von ihrer Glut. Der Geist Gottes schwebt auch über harte Herzen, aber sie werden nur noch härter, wenn sie ihn nicht einlassen. Darum ist das Pfingstgeheimnis auch eine ernste Mahnung, ernst, wie ein gewaltiges Rauschen. Heute, wenn ihr die Stimme des göttlichen Geistes höret, verhärtet eure Herzen nicht. Wenn ihr die Stimme des Sturmes höret, die neue Herzen, einen neuen Willen, ein neues Leben, eine neue Tat, ein neues Opfer verlangt, verhärtet eure Herzen nicht. Wenn ihr die Stimme der Freude, des Friedens, der Gnade, der Einheit, des Verstehens und des Einverständnisses höret, verhärtet eure Herzen nicht. Wenn ihr sein Licht, seine Wahrheit, seine Erleuchtungen seht, verblendet eure Augen nicht. Wenn ihr seine Berührung verspürt, seinen Anhauch von Mahnungen und Warnungen in der Tiefe eures Gewissens, verschließet euch nicht.

Amen.

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