Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Der Beginn des Wirkens Jesu (Teil 4)

1. Januar 2019

Jesus der Galiläer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am ersten Tag des neuen bürgerlichen Jahres ist es für uns Christen angebracht, den Blick auf unseren Herrn und König, Christus, den Herrscher aller Zeiten zu richten. Und zwar wollte ich mit Ihnen heute mich auf das Umfeld seines Wirkens begeben, auf das Heilige Land, das danach benannt ist, weil der Heilige, Jesus Christus, es betreten hat. Seine öffentliche Tätigkeit war ebenso wie sein verborgenes Leben im Wesentlichen beschränkt auf ein Gebiet, nämlich Galiläa. Galiläa ist die nördlichste der drei Landschaften, aus denen Palästina besteht: Galiläa, Samaria, Judäa. Als die Israeliten in Palästina eintraten, waren es die Stämme Aser, Issachar, Zabulon und Nephtali, welche das Land zu erobern und zu besiedeln hatten. Beides gelang nur langsam und mühsam. Dieses Gebiet hatte von Anfang an eine viel stärkere Beimischung nichtjüdischer Bevölkerung als die anderen Landschaften. Man sprach vom Galiläa der Heiden. Im alten Reich Israel hatte Galiläa nur die Funktion eines Außengebietes. Als die Assyrer 734 das Land eroberten, deportierten sie einen Teil der Bewohner. Und als die Juden 536 aus der Gefangenschaft in Babylon zurückkehrten, wurde Galiläa in das wieder zu besiedelnde Gebiet nicht eingeschlossen. Erst der Hasmonäerfürst Aristobul I. hat Galiläa erobert und den heidnischen Teil zwangsweise zum jüdischen Glauben geführt. Man hat darum bisher allgemein angenommen, Galiläa sei seit der Eroberung durch die Assyrer ein überwiegend von Heiden bewohntes Land gewesen. Die Assyrer hätten die jüdische Bevölkerung weggeschleppt und durch eine andere ersetzt, deren Nachkommen dann durch Aristobul zur Annahme der jüdischen Religion gezwungen wurden. Die Bewohner Galiläas seien zur Zeit Jesu der Rasse nach überwiegend nichtjüdisch gewesen, ein Volk von Zwangsproselyten. Diese Forschermeinung hat sich – so scheint es – überlebt. Andere Forscher sagen: Nein, deportiert worden seien nur wenige, nämlich die soziale Oberschicht. Die Masse des Volkes habe im Lande bleiben dürfen. Und von der Ansiedlung fremder Kolonisten lesen wir nirgends etwas. Die Bevölkerung der Dörfer im Innern des Landes habe aus echten Juden bestanden. Das ist wohl die richtige Meinung. Galiläa ist zu keiner Zeit, seit der Einwanderung Israels, ein überwiegend heidnisches Land gewesen. Allerdings war es mehr als die anderen Teile Israels dem hellenistischen Einfluss, also dem griechischen, heidnischen, dem hellenistischen Einfluss ausgesetzt. Vergessen Sie nicht, dass zwei Apostel Jesu griechische Namen haben: Andreas und Philippus. Für die Verbreitung der hellenistischen Kultur waren besonders der landfremde Großgrundbesitz, die hellenistischen Städte, die Nähe der heidnischen Länder rings um das Land maßgebend. Auch die Hellenisierungspolitik Herodes des Großen war verantwortlich dafür. Sein Sohn, Herodes Antipas, gründete Tiberias und erhob es zur Residenzstadt. Die Landbevölkerung dürfte von der Hellenisierung, also von der Überführung in griechisches Denken und in die griechische Kultur, kaum beeinflusst worden sein.

Galiläa war von Jerusalem weit entfernt, und es war durch das dazwischen liegende halbheidnische Samaria von Jerusalem abgetrennt. Seit dem Tode Herodes des Großen war Galiläa von Judäa auch politisch geschieden. Aus diesen Gründen war der Einfluss der Schriftgelehrten und des von ihnen vertretenen Frömmigkeitsideals dort gering. Synagogen gab es selbstverständlich wie überall, wo Juden lebten, auch in Galiläa, und auch Pharisäer fehlten dort nicht. An den großen Festen wallfahrteten die Galiläer in erheblicher Zahl zum Tempel in Jerusalem. Wirtschaftlich war Galiläa das reichste und fruchtbarste Land Palästinas; dort gab es keinen unbebauten Boden. Die Landwirtschaft blühte. Allerdings lag ein großer Teil des Bodens in den Händen landfremder Großgrundbesitzer. Die Galiläer waren ein hartes Volk. Der jüdische Schriftsteller Josephus Flavius schreibt: Sie sind kampfeslustig, von Kindesbeinen an; sie kennen keine Furcht; sie haben eine Leidenschaft für Freiheit, Umsturz und Rebellion. Auch die Fischer von Kapharnaum waren harte Leute, denn der See Genezareth war ein stürmisches, ein sturmreiches Gewässer.

Galiläa ist nun der eigentliche Schauplatz des Lebens und des Wirkens Jesu gewesen. Er wird mit Recht ein Galiläer genannt. In Nazareth lebte seine Mutter, als der Engel Gabriel zu ihr kam. Von Galiläa zog Josef, nachdem er Maria heimgeführt hatte, nach Bethlehem, und dort kam das Kind zur Welt. Matthäus und Lukas betrachten mit Recht Bethlehem als Geburtsort, Nazareth als Wohnort Jesu – im Unterschied zu unseren Irrlehrern, die behaupten, Nazareth wäre der Geburtsort Jesu. Die jüdische Polemik, die ja so viel an Jesus auszusetzen hat, behauptet nie, dass Jesus in Nazareth geboren sei, bestreitet nirgends den Geburtsort Bethlehem. Von Bethlehem floh Josef mit Maria und dem Kind nach Ägypten. Das Land war seit alter Zeit eine Zufluchtsstätte für die Verfolgten in Palästina. Alsbald nach dem Tode des Königs Herodes des Großen, wohl noch im Frühsommer des Jahres 4 v. Chr., kehrte Josef aus Ägypten nach Palästina zurück und nahm wieder Wohnsitz in Nazareth. Hier verlebte Jesus den größten Teil seines Lebens. Erst das Auftreten Johannes des Täufers veranlasste ihn, in das südliche Judäa, an den Jordan zu gehen. Dort ließ er sich taufen. Nachdem der Täufer seinen Lauf genommen hatte, also eingekastelt und hingerichtet worden war, kehrte Jesus nach Galiläa zurück und begann hier sein öffentliches Wirken. „Erfüllt ist der Tag, und genaht ist Gottes Königsherrschaft.“ Dieses Kommen Jesu nach Galiläa war von Gott bestimmt, war von Gott verfügt, hatte eine religiöse Bedeutung. Als Mittelpunkt seiner Predigt und Wundertätigkeit wählt Jesus Kapharnaum, ein Ort, der am See Genezareth gelegen war. Kapharnaum ist der Wohnsitz, und die Synagoge von Kapharnaum ist die Stätte seines Wirkens für viele Monate. Von dort aus verbreitet sich die Kunde von ihm in ganz Galiläa. Er durchzieht die Dörfer, das Volk strömt ihm in hellen Scharen zu, und dort gewinnt er seine ersten Jünger. Alle Jünger stammen aus Galiläa, mit einer Ausnahme: Judas Iskariot. Der Verräter war kein Galiläer. Auch galiläische Frauen schließen sich ihm an und dienen ihm. Galiläische Festpilger sind es, die ihm vor Jerusalem einen triumphalen Einzug bereiten. Hier in Galiläa hat er am längsten gewirkt. Aber der Hauptteil seiner Wirksamkeit betrifft den Ostteil von Galiläa, das Gebiet um den See Genezareth; das ist die eigentliche Urheimat des Evangeliums. Von den Orten, die Jesus betreten hat, lehrend und heilend, werden in den Evangelien nur wenige Namen genannt: Kapharnaum, Chorazin, Bethsaida, die Ebene Genezar (westlich des Sees Genezareth), wahrscheinlich auch das Gebiet von Magdala und bei Johannes noch Kana. Auffallend und kaum ein bloßer Zufall ist es, dass Jesus die bedeutenden galiläischen Städte wie Sepphoris und Tiberias gemieden hat. Warum hat er sie gemieden? Weil dort eine große Zahl nichtjüdischer Bevölkerung lebte. Er hat sich aber nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt verstanden. Andere Gebiete Palästinas wie das ketzerische Samaria hat er nur durchzogen. In einem Dorf der Samaritaner, in dem er über Nacht bleiben wollte, wurde er nicht aufgenommen, denn die Samaritaner waren feindselig mit den Juden. Jakobus und Johannes waren über diese Nichtaufnahme so erzürnt, dass sie Jesus fragten: „Herr, sollen wir Feuer vom Himmel fallen lassen, damit diese Bewohner verderbt werden?“ Jesus antwortete: „Ihr wisst nicht, wovon ihr redet. Der Menschensohn ist nicht gekommen, Seelen zu verderben, sondern zu retten.“ Und wir erinnern uns an das lange Gespräch, das er am Jakobsbrunnen mit der Samariterin führte, wo er sie aufklärte über den Messias und wo er sagte: „Ihr betet auf dem Berge Garizim, wir beten auf dem Berge Sion, aber es kommt die Zeit, wo man weder hier noch da betet, sondern wo man Gott im Geist und in der Wahrheit anbetet.“ Auch von einer Predigttätigkeit in Judäa hören wir nirgends etwas, außer von Jerusalem. Jesus hat sich ganz überwiegend auf Galiläa beschränkt. Johannes dagegen berichtet von einem mehrmaligen Aufenthalt Jesu in Jerusalem und dass er dort auch öffentlich gewirkt hat; denken Sie an die Heilung des Blindgeborenen. Aber auch nach ihm verließ er die Stadt jedes Mal bald wieder, die Stadt, in der der Einfluss seiner größten Widersacher am stärksten war.

Die Herkunft Jesu aus Galiläa und die Anhängerschaft, die er hier gewonnen hatte, sollten in dem Vorgehen seiner Feinde eine nicht zu übersehende Rolle spielen. Als Nikodemus, ein Mitglied des Hohen Rates, auf dem Laubhüttenfest in Jerusalem in ein Streitgespräch mit den Gegnern Jesu verwickelt wurde, und als er es wagte, für dessen gerechte Anhörung und Beurteilung einzutreten, da fuhren ihn diese an: „Du bist wohl auch ein Galiläer? Forsche nach, dann wirst du sehen, dass aus Galiläa kein Prophet aufsteht.“ Im jüdischen Prozess gegen Jesus wurden fast ausschließlich Galiläer als seine Anhänger ausgemacht. Als Petrus am Feuer saß, sagte einer der Umstehenden zu ihm: „Du bist einer von ihnen, denn du bist ein Galiläer.“ Als Petrus leugnete, zu Jesus zu gehören, setzten die Umstehenden noch eins drauf und sagten: „Deine Sprache verrät dich ja“, also der galiläische Dialekt. Als Pilatus während des Prozesses gegen Jesus hörte, dass er aus Galiläa stamme, schickte er ihn zu dem Fürsten dieses Landstriches, zu Herodes Antipas. Vermutlich hoffte er auf diese Weise, den lästigen Fall loszuwerden. Herodes Antipas hatte schon viel von Jesus gehört und schon lange gewünscht, ihn zu sehen. Er freute sich deswegen, als er ihm vorgeführt wurde. Doch Jesus ließ sich weder herbei, ein von Antipas gefordertes Wunder zu wirken, noch war er bereit, mit ihm in ein Gespräch einzusteigen; er schwieg. Der offensichtlich verärgerte Antipas erblickte in Jesus einen Narren – er zog ihm ein weißes Spottkleid an –, einen Narren, den er nicht für voll nahm und den er auch nicht mit einem Prozess überziehen wollte. Er sah keinen Grund, gegen ihn gerichtlich vorzugehen.

Das Todesschicksal des Herrn vollendete sich nicht in Galiläa, sondern in Jerusalem. Ihm freundlich gesinnte Pharisäer brachten Jesus die Nachricht, sein Landesherr wolle ihn töten und empfahlen ihm, dessen Herrschaftsbereich (also Galiläa) zu verlassen. Jesus lehnte ab. Er verwies auf den vom Vater erhaltenen Auftrag: „Heute, morgen und übermorgen muss ich noch wandern; denn es darf kein Prophet außerhalb Jerusalems umkommen.“ Sein Schicksal bestimmte der himmlische Vater. Es wird sich nicht in Galiläa, sondern in Jerusalem vollenden. Dort wird Jesus dem doppelten Prozess, der Juden und der Heiden, unterworfen. Dort wird er zum Tode verurteilt und ans Kreuz geschlagen. Aber unter dem Kreuz stehen die treuen Galiläer. Wider alles Erwarten war mit der Hinrichtung des Galiläers die Sache Jesu nicht beendet. Der himmlische Vater beließ ihn nicht im Tode. Er entriss ihn dem Grabe und zeigte ihn seinen verstörten Anhängern. Galiläische Frauen waren die ersten Zeugen seiner Auferstehung. Jesus erschien den Seinen sowohl in Jerusalem als auch in Galiläa. Und dahin befahl er seine Jünger, da wollte er sie wiedersehen, wie er es vorausgesagt hatte: „Wenn ich auferstanden bin, gehe ich euch voraus nach Galiläa.“ Und auch der Engel sagte es: „Er geht euch voraus nach Galiläa.“ Es handelt sich um etwas, was nur in Galiläa stattfinden konnte. Galiläa ist das Land, in dem sich vollendet, was mit der Auferstehung begonnen hat. Galiläa ist das Land der eschatologischen Zukunft. In Galiläa hat der auferstandene Herr die Jünger, die in seinem Leiden schwach geworden waren, zu der festen Gemeinschaft der Apostel geführt, er hat sie wieder als Apostel angenommen. Galiläa ist wie die Stätte der Vergangenheit so auch die der Zukunft, an sie ist der Auferstandene und sind die Elf durch die Notwendigkeit göttlicher Erwählung gebunden. Erst nach dem Pfingsttag tritt Galiläa zurück. Wohl waren die Apostel selbst Galiläer, und es wird auch einmal von Christen in Galiläa gesprochen, aber Jerusalem tritt jetzt als der Sitz der Urgemeinde und als Ausgangspunkt der christlichen Mission beherrschend in den Vordergrund. Es musste ja wohl so sein, denn hier hat der Herr sein Lebensopfer für das Heil der Menschen vollendet. Hier ist er durch Auferstehung und Himmelfahrt vom Vater beglaubigt und bestätigt worden.

Den Christen, meine lieben Freunde, muss jeder Ort, an dem unser Heiland gewirkt hat, heilig sein. Es gibt wahrhaft ein heiliges Land. Aber mit besonderer Zärtlichkeit wird der Christ an Galiläa denken, wo der Herr die längste Zeit seines irdischen Lebens vollbracht hat. Hier hat er seine Wahrheit verkündet, hier hat er seine Wunder gewirkt, hier hat er seine Jünger gewonnen. Jesus hat sein Land und sein Volk geliebt. Er hat es geliebt mit der Liebe Gottes, der Israel geliebt hat, und zu seinem heiligen Land gemacht hat.

Amen.       

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