Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Evangelien – das Wort Gottes (Teil 3)

11. Juli 2004

Die Bibelforschung der Modernisten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es ist die Aufgabe von Kriminalbeamten, dem Verdacht einer Straftat nachzugehen. Für die Straftat kommen alle Personen in Frage, die sich irgendwie in der Umgebung des Tatortes befunden haben. Sie stehen unter Verdacht, bis sie sich durch ein Alibi von dem Verdacht befreien können.

Die modernistischen Theologen stellen die Evangelisten unter Verdacht. Sie stellen sie unter den Verdacht, erfunden zu haben, gefälscht zu haben und betrogen zu haben. Es ist ein erschreckendes Zeichen, wohin es in der theologischen Zunft gekommen ist, daß die Schriften des Neuen Testamentes nicht mehr als Offenbarungsurkunde und Zeugnis der Augenzeugen begriffen werden, sondern als schriftstellerisches Werk, das man nach allen Seiten abklopfen und abhören muß, wo es Unschärfen, Unstimmigkeiten und Widersprüche enthält. Widersprüche – das ist es, was man vor allem in den Evangelien aufspüren will. Wenn man Widersprüche nachweist, so meinen diese modernistischen Theologen, dann kann man die Glaubwürdigkeit der Evangelien erschüttern. Und daran ist ihnen offenbar gelegen.

 Ich würde, meine lieben Freunde, nicht davon sprechen, wenn nicht Ihre Kinder und Enkel im Religionsunterricht weithin von diesen modernistischen Theologen bzw. deren Büchern vergiftet würden. Sie suchen Widersprüche in den Evangelien aufzufinden, und durch diese Widersprüche die Glaubwürdigkeit der Evangelisten zu erschüttern.

Es mag tatsächlich Berichte in den Evangelien geben, die widersprüchlich erscheinen. Aber diese Widersprüche lassen sich auflösen. Wenn man genauer zusieht und wenn man den Evangelisten mit dem Vertrauen begegnet, das sie verdienen, dann lässt sich zeigen, dass die Widersprüche, die scheinbaren Widersprüche, darin gelegen sind, dass jeder Evangelist eine verschiedene Sichtweise hatte, und die verschiedene Sichtweise bedingt eben eine andere Darstellung und auch eine andere Auswahl. Wer ein verschiedenes Ziel der Darstellung hat, wird seine Darstellung nach diesem Ziel ausrichten. Er wird das aufnehmen, was diesem Ziel dient, und weglassen, was ihm nicht dient. Ich kann Otto von Bismarck in verschiedener Weise schildern. Ich kann ihn darstellen als Menschen, als Familienvater, als Christen, ich kann ihn auch schildern als Beamten, als Politiker, als Reichskanzler, als Kulturkämpfer. Jeweils die verschiedene Sicht wird das Material bestimmen, das ich für diese Darstellung beibringe. Ich werde also, wenn ich von Bismarck als dem Familienvater spreche, nicht von seinen kulturkämpferischen Eskapaden reden.

Ähnlich machen es die Evangelisten. Sie haben ihre jeweilige Sichtweise. Wenn die Evangelisten alle dieselbe Sichtweise hätten, dann bräuchte man nicht vier Evangelien. Aber weil sie sich eben unterscheiden, deswegen hat die Kirche vier kanonische Evangelien als echt und unverbrüchlich anerkannt. Matthäus ist vor allem daran gelegen, den Weissagungsbeweis anzutreten. Er will nachweisen, dass Jesus in seinem Handeln und Reden der verheißene Messias ist. Das ist seine Sichtweise. Lukas kommt es vor allem darauf an, Jesus als den Heiland der Sünder, der Verachteten, der Frauen darzustellen, und diese Sichtweise bedingt die Auswahl seines Materials. Johannes wiederum schreibt sein Evangelium für die Welt des Griechentums, für die Welt des Hellenismus, und so zeigt sich zum Beispiel bei ihm ein besonderes Interesse an den beiden Aposteln, die griechische Namen tragen, nämlich Andreas und Philippus. Jeweils eine verschiedene Sichtweise, ein verschiedener Gesichtspunkt, ein verschiedenes Ziel prägt die Darstellung. Aber das sind keine Widersprüche, sondern diese Sichtweisen ergänzen sich. Jesus war alles das, was die Evangelisten schildern, er war es insgesamt, aber jeder greift eben, vom Heiligen Geist bewegt und nach seiner eigenen schriftstellerischen Eigenart, bestimmte Züge aus diesem Bilde heraus.

Ganz falsch ist es, wenn man wirkliche oder vermeintliche Lücken im Evangelium finden will und daraus Widersprüche konstruieren will. Denn es fehlt den Evangelisten die Absicht, eine lückenlose Darstellung der Ereignisse zu geben, eine Schilderung der Motive zu bieten, die handelnden Personen nach ihren Beweggründen darzustellen. Das Stillschweigen eines Evangelisten über eine Begebenheit, die ein anderer erzählt, bedeutet nicht, dass er diese Begebenheit leugnet. Keinem Evangelisten lag das gesamte Material vor; jeder musste auswählen, und die Auswahl ist verschieden getroffen worden. Jeder Evangelist musste sich mit Teilen des Materials über Jesus zufrieden geben. Es ist zum Beispiel sehr unwahrscheinlich, dass der Evangelist Lukas das Wort, das bei Matthäus steht: „Kommet zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“, dieses Wort ausgelassen hätte, wenn er es gekannt hätte.

Die Evangelisten berichten regelmäßig nur das, worauf es ihnen ankommt. Sie lassen die Zwischenglieder weg, unwichtige Einzelheiten, Übergänge, auch Personen und die Entwicklung. Matthäus berichtet zum Beispiel, dass Jesus in Jericho einen Blinden heilte, indem er seine Augen berührte. Markus und Lukas erwähnen die Berührung nicht. Das ist kein Widerspruch. Es kam ihnen nicht darauf an; es war ihnen nicht wichtig genug, dass sie die Berührung erwähnten. Es kam ihnen allein auf den Erfolg an, nämlich er hat den Blinden geheilt. Der Weg dazu, die Methode war ihnen nicht des Berichtens wert. Oder ein anderes Beispiel. Matthäus berichtet, wie Jesus den Andreas und dessen Bruder Simon Petrus berief. Er berief sie, und sie folgten ihm. Johannes schildert die Sache genauer. Er berichtet, wie Jesus zuerst den Andreas ansprach und Andreas dann den Petrus zu Jesus führte. Aber das ist kein Widerspruch. Das ist nur eine genauere Erklärung desselben Vorgangs. Der Apostel Matthäus hat eben diese Zwischenstation nicht erwähnt, weil sie ihm nicht der Erwähnung wert war.

Man behauptet dann weiter, Jesus habe sich widersprüchlich zu den Samaritern verhalten. Bei der Aussendung der Apostel gibt er ihnen den Befehl: „Geht nicht in die Städte der Samariter!“ Er selber aber geht dann zu den Samaritern. Er spricht ja mit der Frau am Jakobsbrunnen, und die Samariter glauben, was die Frau ihnen berichtet, sie glauben sogar an Jesus. Ist das ein Widerspruch? Mitnichten. Jesus hat eben die erste Aussendung, die erste Mission seiner Jünger auf Israel beschränken wollen. Er selbst sagte, dass er sich nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt weiß. Erst wenn das Erlösunsgwerk vollbracht war, sollte die Mission weitergehen nach Samaria, nach Tyrus und Sidon, zu den Heiden und bis an die Grenzen der Erde. Das ist kein Widerspruch. Jesus hat die Samariter geliebt und sie mehrfach hervorgehoben. In seinem Gleichnis von dem barmherzigen Samariter schildert er einen vorbildlichen Samariter, der den unter die Räuber Gefallenen pflegte und in die Herberge brachte. Und bei den zehn Aussätzigen kam ein einziger zurück, um sich zu bedanken, und das war ein Samariter. Kein Widerspruch, sondern verschiedene Begebenheiten, die sich nahtlos miteinander verbinden lassen, wenn man nur den Willen hat, nicht angebliche Widersprüche aufzudecken.

Jesus heilte den Besessenen von Gadara, der in den Gräbern hauste und der gefesselt wurde, wie es Markus ergreifend schildert. Nach Matthäus waren es zwei Männer. Schon der heilige Augustinus hat sich mit diesem angeblichen Widerspruch befasst. Markus erwähnt nur einen Mann, Matthäus erwähnt zwei Männer. Ja, sagt er, es kam eben dem Markus nur auf den an, der die Hauptrolle spielte. Das ist eine übliche Weise einer Darstellung. Wenn man mit mehreren Leuten zu tun hat, hält man sich an den, der als Sprecher auftritt. So ist es auch offensichtlich bei dem Besessenen von Gadara geschehen.

Die Tempelreinigung ist Ihnen bekannt. Jesus kam in den Tempel und vertrieb die Käufer und Verkäufer, stieß die Tische der Geldwechsler um und die Gebauer der Taubenhändler. Er ließ niemanden etwas durch den Tempel tragen. Was ist da an Widerspruch anzumelden? Nach den Kritikern stimmt die Zeitangabe nicht. Nach den drei Synoptikern Matthäus, Markus und Lukas geschah dieses Ereignis in der Leidenswoche, also bevor Jesus hinging, um zu sterben. Nach Johannes geschah diese Begebenheit schon viel früher. Ist das ein Widerspruch? Meine lieben Freunde, die Evangelisten legen auf die genaue Chronologie, also die zeitliche Abfolge, keinen Wert. Sie haben die umlaufenden Geschichten über Jesus gesammelt und zusammengestellt, und sie haben sie dort eingeordnet, wo es ihnen am passendsten schien. Den drei ersten Evangelisten erschien es passend, die Geschichte von der Tempelreinigung dort zu berichten, wo sie das erste und einzige Mal erzählen, dass Jesus den Tempel besuchte. Johannes dagegen berichtet von mehreren Tempelbesuchen, und deswegen sind wir geneigt, was die Chronologie angeht, bei ihm die zeitlich richtige Einordnung zu finden. Die anderen Evangelisten haben diese Tat dort eingereiht, wo Jesus zum ersten und einzigen Mal den Tempel betritt, und das war nach ihrer Darstellung in der Leidenswoche.

Bei den Salbungen, die an Jesus vorgenommen sind, hat man ebenfalls Widersprüche entdecken wollen. Es gibt die Erzählung von der Frau, die bei dem Gastmahl Jesus salbte im Hause Simons des Aussätzigen, und es wird dann erzählt von der Frau, die Jesus salbte in Bethanien. Die modernistischen Theologen sagen, das ist ein und dieselbe Geschichte. Wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass sich erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Begebenheiten finden. Die Salbung im Hause Simons des Aussätzigen erfolgte durch eine Sünderin, eine sündige Frau, und sie war ein Ausdruck ihrer Reue und ihrer Liebe. Die Salbung in Bethanien erfolgte nicht durch eine Sünderin, sondern durch eine Schwester des Lazarus, und diese Salbung ist nach Jesu Wort zielgerichtet: „Sie hat mich für mein Begräbnis gesalbt.“ Also nicht eine Verwirrung in den Evangelien, sondern eher eine Verwirrung in den Köpfen der modernistischen Theologen. Die Salbungen sind verschieden, und warum soll nicht eine Salbung sich mehrfach wiederholt haben, wenn sie eben ein Ausdruck der Ehrerbietung, der Liebe und der Zuneigung zum Herrn ist?

Die drei ersten Evangelisten berichten die Einsetzung der Eucharistie. In der Nacht, bevor der Herr verraten wurde, hielt er das Letzte Abendmahl ab und setzte das eucharistische Opfersakrament ein. Johannes erwähnt davon kein Wort. Die Einsetzung der Eucharistie fehlt bei Johannes. Da geht einer dieser Modernisten hin – ich habe es selber gelesen – und sagt: Er wusste nichts davon, dass Jesus die Eucharistie eingesetzt hat. Dieser Einwand ist natürlich lächerlich. Johannes, der letzte Evangelist, der Lieblingsjünger, der an der Brust des Herrn geruht hatte, der im 6. Kapitel seines Evangeliums die Eucharistie so eingehend beschreibt wie kein anderer Evangelist, soll nicht gewusst haben, dass Jesus die Eucharistie eingesetzt hat, die doch zu seiner Zeit in allen christlichen Gemeinden gehalten wurde? Einen solchen Unsinn kann man nur behaupten, wenn man ein modernistischer Theologe ist. Man will um jeden Preis einen Widerspruch zwischen den Evangelisten konstruieren, nicht auffinden, sondern konstruieren.

Der Leidenskampf Jesu am Ölberg wird von den drei ersten Evangelisten eingehend beschrieben. „Er fing an zu zittern und zu zagen…“ Der Schweiß rann ihm wie Blutstropfen vom Leibe, und er bat den Vater, er möge doch den Kelch vorübergehen lassen. Diese Szene fehlt wiederum im Johannesevangelium. Aber es gibt eine Stelle bei Johannes, die zeigt, dass er diese Szene kennt. In Joh 12,27 heißt es: „Nun ist meine Seele erschüttert, und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde? Doch deshalb bin ich in diese Stunde eingetreten.“ Das ist genau der Inhalt dessen, was die drei anderen Evangelisten vom Ölgarten berichten, nämlich das anfängliche Zittern und Beben und dann die Ergebenheit in den Willen des Vaters: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ Also kein Widerspruch, sondern eine geraffte Darstellung, eine zusammengefasste Darstellung, die Johannes bietet. Dafür hat er anderes Material, das bei den Synoptikern fehlt.

Jesus wurde verhaftet. Markus berichtet: Alle Jünger flohen. Wenige Zeilen später bemerkt er aber: Petrus folgte dem Herrn von ferne. Also ein Widerspruch, sagen die modernistischen Theologen. Ja, wieso denn? Sie sind anfänglich selbstverständlich abgehauen; sie sind geflohen aus Angst. Als sie sahen, dass es nur um Jesus ging, dass sie selbst unbehelligt blieben, dass sie selbst nicht verhaftet würden, da hat Petrus wieder etwas Mut gefasst und ist ihm gefolgt. Apomakrothen heißt es im griechischen Text, von ferne. Also nicht aus der Nähe, sondern von ferne folgte er ihm. Er wollte doch sehen, wie es ausging, aber möglichst nichts riskieren. Kein Widerspruch, meine lieben Freunde, sondern eine durchaus verständliche Reaktion des Simon Petrus.

Im Markusevangelium wird berichtet, wie Petrus Jesus nachgeht in den Palast des Hohenpriesters. Johannes berichtet genauer. Er wird von einem anderen Jünger hineingeführt, und der andere Jünger war mit dem Hohenpriester bekannt, und deswegen hatte er Zutritt. Ein Widerspruch? Keineswegs, nur eine genauere Darstellung. Ein Zug, der bei Markus fehlt, wird bei Johannes nachgeliefert, nämlich dass in dieser Nacht des Verrates und der Verleugnung Petrus Jesus gefolgt ist, und zwar unter Führung des anderen Jüngers, wahrscheinlich Johannes selbst, der mit dem Hohenpriester bekannt war. Die Darstellung des einen schließt die des anderen nicht aus.

Die Misshandlung Jesu wird mehrfach geschildert, einmal geschah sie von den Juden, dann von den Heiden, einmal also von den Mitgliedern des Hohen Rates und deren Dienern und dann von den römischen Soldaten. Eine Dublette? Ein Widerspruch? O nein. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die Verspottung jeweils eine ganz verschiedene Zielrichtung hatte. Die Juden verspotten Jesus als Propheten: „Weissage uns, wer dich geschlagen hat!“ Das appelliert an seine Propheteneigenschaft. Die römischen Soldaten verspotten Jesus wegen seiner politischen Dimension: „Sei gegrüßt, König der Juden!“ So, wie es den Römern eben nahe lag. Also eine ganz verschiedene Zielrichtung. Die beiden Verspottungsszenen ergänzen sich. Ja, sagt man, warum hat denn Lukas die Szene vor den römischen Soldaten nicht berichtet? Er lässt sie nämlich aus. Der Grund ist sehr einfach: Er berichtet eine weitere Verspottung, nämlich vor Herodes. Kein anderer Evangelist berichtet, dass Pilatus versuchte, Jesus loszuwerden. Er übergab ihn dem Herodes, dem Landesfürsten, und dort wurde Jesus wiederum verspottet, mit einem weißen Spottkleid bekleidet. Das war dem Evangelisten Lukas offensichtlich genug; zwei Verspottungen reichten, die dritte, vor den Römern, hat er deswegen ausgelassen.

Als Jesus ins Grab gelegt wurde, begann der Sabbat, und am Sabbat hielt man im Judenlande Ruhe. Erst am Sonntag gingen Frauen zum Grabe. Aber, sagt man, das ist ja ganz widersprüchlich. Nach Lukas gingen Maria Magdalena, Johanna, Maria, die Mutter des Jakobus und andere, also eine unbestimmte Zahl von Frauen, drei genannte. Markus erwähnt drei Frauen: Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus und Salome. Matthäus berichtet von zwei Frauen: Maria Magdalena und die andere Maria. Und Johannes erzählt gar nur von einer Frau, nämlich Maria Magdalena. Ein Widerspruch? Meine lieben Freunde, diese Verschiedenheit lässt sich sehr gut erklären. Kein Evangelist musste alles berichten, was er wusste; jeder konnte auswählen. Und bezeichnend ist: Bei allen vier Evangelisten ist die Frau erwähnt, die in der Urgemeinde die größte Rolle spielte, Maria Magdalena. Sie hatte den Herrn begleitet, sie hatte unter dem Kreuze gestanden, ihr war der Herr erschienen, und so ist sie die Frau, die alle vier Evangelisten aufzählen, wenn von den Frauen am Grabe Jesu die Rede ist. Es liegt das ganze Gewicht auf Maria Magdalena. Wer kennt schon Johanna? Wer kennt schon Salome? Das waren Frauen, die in der Urgemeinde offensichtlich keine große Rolle gespielt haben. So lassen sie die anderen Evangelisten weg. Das ist ein übliches Verfahren. Vor vierzehn Tagen strahlte das Fernsehen einen Film aus über den 20. Juli 1944, also über das Attentat gegen Hitler. Der Film folgte im wesentlichen dem historischen Ablauf. Aber in dem Film fehlten mehrere Personen, die nachweislich an dem Attentat bzw. an dem Aufstandsversuch beteiligt waren. Es fehlte in dem Film der Generalfeldmarschall Witzleben, es fehlte der General Fellgiebel, der Chef des Nachrichtenwesens, es fehlte der spätere Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, der in der Bendlerstraße verhaftet wurde. Die Autoren des Films haben selbstverständlich nicht geleugnet, dass Witzleben an dem Ort erschienen ist. Sie haben auch nicht geleugnet, dass Fellgiebel an dem Attentat beteiligt war, und noch viel weniger, dass Gerstenmaier verhaftet wurde. Aber es kam ihnen nicht darauf an. Sie ließen Personen weg, die für den Zweck ihres Filmes – und der muß ja auch eine bestimmte Zeitspanne einhalten – nicht interessant waren. Das ist allgemein üblich. Ein anderes Beispiel. 1938 wurde bekanntlich Österreich an Deutschland angeschlossen. Der damalige Reichskanzler Hitler reiste nach Österreich und hielt Ansprachen in Linz und in Wien. Die Presse zählte die Männer auf, die neben ihm und hinter ihm auf der Bühne standen. Aber einen zählte sie nicht auf, der mit Sicherheit dabeigestanden ist, nämlich Martin Bormann. Das war damals ein unbekannter Parteisoldat, der war ihnen nicht wichtig, den haben sie weggelassen. Aber selbstverständlich ist dadurch das historische Faktum, dass Bormann beteiligt war und teilgenommen hat an diesen Auftritten, nicht geleugnet.

Ich muß an dieser Stelle, meine lieben Freunde, abbrechen. Es war mein Ziel, Ihnen zu zeigen, dass die scheinbaren Widersprüche in den Evangelien sich beheben lassen. Es ist auch heute üblich, bei Berichten verschiedene Gesichtspunkte geltend zu machen, ohne dass man deswegen auf einen Widerspruch schließen muß. Vor einer Reihe von Jahren starb die Ihnen bekannte Schauspielerin Romy Schneider. Sie starb in Paris. Die französische Polizei gab als erstes ein Bulletin heraus: „Sie hat Selbstmord begangen.“ Kurz darauf hieß es: Nein, sie ist einem Herzversagen erlegen. Ja, meine lieben Freunde, das schließt sich nicht aus. Wenn das Herzversagen auf die Einnahme einer Überdosis von Schlaftabletten zurückzuführen ist, kann das sehr wohl ein Selbstmord gewesen sein. Es ist eben eine verschiedene Sichtweise, nur muß man erkennen, dass eine verschiedene Sichtweise nicht etwas gegen die Historizität eines Geschehnisses aussagt.

Wir wollen an der Geschichtlichkeit, an der Wahrheit, an der Redlichkeit und Aufrichtigkeit der Zeugen des Jesusgeschehens festhalten. Kein Geringerer als Jean Jacques Rousseau, der französische Philosoph, hat einmal geschrieben: „Das Siegel der Wahrheit, welches das Evangelium trägt, ist so groß, so überragend, so unnachahmlich, dass der Erfinder größer wäre als der Held.“

Amen.

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