Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Über die Letzten Dinge (Teil 1)

7. Februar 1999

Die Wiederkunft des Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

 „Unsere Verkündigung des ewigen Lebens ist schwach geworden“, hat vor einiger Zeit Kardinal Ratzinger bemerkt. In der Tat, das ewige Leben spielt in der Verkündigung vieler Prediger kaum eine Rolle. Und doch ist die Frage: Was kommt danach? für alle Menschen von brennender Aktualität. Wenn wir das Sterben erleben rings um uns und vielleicht bald selbst auf dem Todeslager liegen, dann erhebt sich unausweichlich die Frage: Was kommt danach? „Ich glaube, daß eine Spur von meinem Leben zurückbleibt“, sagt Helmut Schmid, der ehemalige Bundeskanzler. Ja, natürlich, ein paar Zeilen in den Geschichtsbüchern bleiben zurück; das könnte die Spur sein, die er meint. Aber ist das alles? Und wie steht es mit den Völkern und Staaten? Wir erleben ihre Kämpfe und ihren Untergang, ihr Werden und ihr Vergehen. Was ist der Sinn dieses Geschehens? Was ist der Sinn der Geschichte? Die Fragen harren der Antwort, und sie finden eine Antwort. Es gibt eine Eschatologie des Einzelmenschen und eine Eschatologie der Gemeinschaften und der Staaten.

Die menschlichen Bemühungen, hinter den Sinn des Einzellebens und der Geschichte zu kommen, lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen. Die einen sprechen davon, daß sich ein unaufhörlicher Kreislauf vollzieht, ein ständiges Werden und Vergehen. Dieser Kreislauf reiht den Menschen und die menschlichen Gemeinschaften ein in die kosmischen Lebensbewegungen; da erleben wir tatsächlich ein ständiges Wachsen und Vergehen. Im Frühjahr sprießen die Pflanzen empor, im Herbst verwelken sie, und solches wiederholt sich Jahr um Jahr. So ist es verständlich, daß die Menschen, die sich von Gott nicht belehren lassen, einen immerwährenden Kreislauf des Einzellebens und der menschlichen Gemeinschaften annehmen. Friedrich Nietzsche etwa hat diese Lehre vom ständigen Kreislauf vertreten. Ebenso der Monismus in seiner mechanistischen und in seiner biologistischen Ausformung. Der heilige Augustinus hat schon auf diese Lehre vom ewigen Kreislauf die Antwort gegeben, daß es etwas ganz Schreckliches sei, so etwas auch nur zu denken. Und Maximus von Tours hat die entsprechenden philosophischen Ansätze der Griechen rücksichtslos und schneidend einer Kritik unterworfen.

Eine zweite Meinung geht von einem ständigen Fortschritt aus. Sie meint, daß sich Menschen und menschliche Gemeinschaften immerfort aufwärts bewegen. Ein großer Optimismus ist seit der Renaissance in der abendländischen Welt entstanden, der meint, es würden eines Tages alle Bedürfnisse des Menschen erfüllt sein und die Vernunft würde herrschen; es würde ein ewiger Friede einziehen, und die Staaten würden sich zur Idealform einer Republik der Weisen entwickeln. Etwa Immanuel Kant und Gottfried Herder haben diese Ansicht vertreten. Sie ist auch von Hegel vorgetragen worden in seiner „Theorie der Dialektik“: Aus These und Antithese entwickelt sich die Synthese, und die Synthese ist wieder die These für die nächste Antithese, und so geht es weiter. Karl Marx hat dann den (seiner Meinung nach) auf dem Kopf stehenden Hegel auf die Füße gestellt, indem er sagte: Jawohl, die Menschheit entwickelt sich, indem sie sich befreit von der Sklaverei der Produktionsmittel, der Maschine; sie entwickelt sich zu einem Paradies auf Erden. Die Geschichte widerlegt diese Konzeption so deutlich, daß eigentlich nicht mehr viel darüber gesagt zu werden braucht. Die Meinung, es gäbe einen ständigen Fortschritt, wird schon widerlegt durch die Anthropologie, also durch die Lehre vom Menschen, die uns eben sagt: Der Mensch ist anfällig für das Böse und bleibt anfällig. Er trägt die Last der Erbsünde in sich, und niemals wird es auf Erden ein Paradies geben.

Die dritte Meinung ist der radikale Nihilismus. Er geht davon aus, daß alles sinnlos und ziellos dahinwankt, der Einzelmensch und die menschlichen Gemeinschaften. Es gibt kein Ziel der Geschichte, es gibt nur die absolute Sinnlosigkeit, eventuell den Verfall in das Nichts, in das der Einzelmensch hineingeht und in das die menschlichen Schöpfungen wie Staat, Kultur, Wissenschaft hineingehen.

Angesichts dieser irrigen Meinungen über das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaften wollen wir heute beginnen, die Letzten Dinge des Einzelmenschen und die Letzten Dinge der menschlichen Gemeinschaften zu betrachten. Dabei wollen wir unseren Ausgang nehmen von der eschata, von den Letzten Dingen der Geschichte und wollen, nachdem wir hier die Offenbarung unseres Herrn gehört haben, zu den Letzten Dingen des Einzelmenschen übergehen.

Christus ist erschienen und hat sein Werk vollbracht. Aber dieses Werk ist noch nicht vollendet. Er hat seine Aufgabe so erfüllt, daß die Vollendung noch aussteht. Derselbe Jesus, der auch hier auf Erden eine Wirksamkeit entfaltet hat, wird noch einmal erscheinen. Es gibt eine Wiederkunft Christi. In allen Glaubensbekenntnissen bekennt sich die Kirche dazu: „Ich glaube an die Wiederkunft Christi. Ich glaube daran, daß er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten, und seines Reiches wird kein Ende sein.“ Diese Gewißheit hat Gott selbst uns vermittelt. Als die Jünger auf dem Ölberg waren, und Jesus gen Himmel fuhr, da traten Engel, die Boten der jenseitigen Welt, auf und verkündeten: „Dieser Jesus, den ihr habt in den Himmel auffahren sehen, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen.“ Das war nichts Neues für die Jünger. Sie waren zwar bis in die letzten Stunden mit irdischen Hoffnungen erfüllt. Sie wollten die ersten Plätze haben in dem Reich, das der Herr ihnen verheißen hatte. Aber er hat sie ernüchtert und ihre Illusionen als solche entlarvt und gesagt, daß das Reich, das er bringen wird, ganz anderer Art ist als alle irdischen Mächte. Der Herr wird wiederkommen, und diese Wiederkunft wird das Schicksal der Menschen besiegeln. Er selbst nämlich ist dieses Schicksal. So hat er erklärt: „Wenn jemand mir nachfolgen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach! Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um der Heilsbotschaft willen, der wird es retten. Denn was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber seine Seele verliert? Oder was kann der Mensch wohl geben als Entgelt für seine Seele? Denn wer sich meiner und meiner Worte schämt vor diesem ehebrecherischen und sündhaften Geschlecht, dessen wird auch der Menschensohn sich schämen, wenn er kommt in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.“ Er ist derjenige, welcher das endgültige Schicksal der Menschen festlegt. Und er legt es fest nach dem Verhältnis, das der Mensch zu ihm gewonnen oder nicht gewonnen hat. Indem der Herr den Jüngern diese Verheißung gab, rüstete er sie mit Widerstandskraft aus, denn auf dieser Erde sind ja die Anhänger Jesu immer gefährdet, so wie er es auch war. Er ist den Todesweg gegangen; er mußte verspottet und gegeißelt werden und am Kreuze verbluten. Aber einmal wird sich das Blatt wenden. In der feierlichen Stunde vor dem Hohenpriester hat unser Herr und Heiland erklärt, als der Hohepriester ihn fragte: „Bist du Christus, der Sohn Gottes?“: „Ja, ich bin es! Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Allmacht Gottes sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen.“ Was die Menschen, was die Christen erwarten, ist also die Wiederkunft des Herrn in Herrlichkeit und Macht. Er kommt aus der Welt Gottes, um die Seinen zu erlösen. Das ist ein Ansporn zum Ausharren in dieser Weltzeit. „Er wird euch befestigen bis ans Ende, auf daß ihr am Tage der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus untadelig seid.“

Diese Ankunft des Herrn wird sich plötzlich vollziehen, in einem Nu, in der Spitze eines Augenblicks, plötzlich, auf den Schall der letzten Posaune. Diese wird ertönen, und dann werden die Toten unverweslich auferstehen, und wir werden verwandelt werden. Dann kommt der Herr als Retter. Er kommt als Retter für die Seinen, die hier auf Erden in der Verfolgung und in der Not gelebt haben. „Unsere Heimstätte ist im Himmel, woher wir auch den Heiland erwarten, unseren Herrn Jesus Christus. Er wird unseren armseligen Leib umgestalten und ihn ähnlich machen seinem verklärten Leibe durch die Kraft, mit der er sich auch alles unterwerfen kann.“ Er bringt den Seinen die Erlösung, und er bringt seinen Feinden die Vergeltung. „Wir dürfen uns rühmen“, schreibt Paulus an die Thessalonicher, „wegen eurer Ausdauer und eures Glaubens in allen Verfolgungen und Trübsalen. Sehet darin einen Erweis des gerechten Gerichtes Gottes, daß ihr würdig erachtet werdet des Reiches Gottes, für welches ihr ja leidet. Den Bedrängern aber wird er vergelten, wenn er kommt und sich offenbart mit seinen Engelheeren in Feuerflammen, wenn er Rache nimmt an denen, die Gott nicht kennen wollen und nicht gehorchen der Heilsbotschaft unseres Herrn Jesus. Diese werden mit ewigem Verderben büßen, getrennt vom Herrn und von seiner überwältigenden Herrlichkeit, wenn er kommen wird an jenem Tage, um verherrlicht zu werden in seinen Heiligen.“

Der Ausgleich, auf den wir auf Erden so lange gewartet und vergeblich gehofft haben, dieser Ausgleich wird kommen, wenn der Herr aufs neue auf dieser Erde erscheint. Der Apostel Paulus verwendet für dieses Kommen des Herrn den Ausdruck Parusie. Das Wort Parusie ist aus der byzantinischen Hofterminologie entnommen und besagt den Einzug eines Königs in eine Stadt. Das war natürlich ein festliches Ereignis. Bei dem Einzug eines Königs wurde alles aufgeboten an Glanz, was möglich war. Manche Städte begannen ihre Zeitrechnung mit dem Tage des Einzugs, der Parusie eines Königs; und diesen Ausdruck wendet Paulus auf die Ankunft, auf die zweite Ankunft des Herrn Jesus an. Er will damit sagen: Es ist eine Ankunft in Glanz und Herrlichkeit. Es ist eine Ankunft, die nicht übersehen werden kann. Es ist eine Ankunft, der sich alle, ob sie wollen oder nicht, unterwerfen müssen. Die ihn kennen und die ihn nicht kennen wollten: Alle müssen sich vor dieser Ankunft beugen.

Freilich sind schon damals, also in der Zeit, in der das Neue Testament entstand, Zweifel aufgekommen. „Ihr Apostel predigt uns von der Ankunft des Herrn. Aber er kommt ja nicht. Es sind schon ganze Generationen entschlafen; der Herr ist immer noch nicht erschienen. Wie ist das zu erklären?“ Und so haben die Apostel schon damals zu dieser Frage der Verzögerung der Ankunft des Herrn Stellung nehmen müssen. „Vor allem sollt ihr wissen, daß in den Letzten Tagen Spötter mit frechen Reden auftreten werden, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln und sagen: Wo bleibt denn seine verheißene Ankunft? Seitdem die Väter heimgegangen sind, bleibt alles so, wie es vom Anfang der Schöpfung an war.“ Welche Antwort gibt der Apostel darauf? Er verweist auf die Ewigkeit Gottes: „Das eine soll euch nicht entgehen, Geliebte, daß ein Tag vor dem Herrn ist wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag. Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie einige es für Verzögerung halten; er übt Langmut um euretwillen, da er nicht will, daß jemand verlorengeht, sondern alle sich zur Buße wenden.“ Es ist also die Güte Gottes, die der Menschheit Zeit gibt, um sich zu bekehren, damit bei seiner Ankunft ein bereites Volk ihn erwarten möge. Wir dürfen also nicht, indem wir hinweisen auf diese oft enttäuschte Erwartung, meinen, die Parusie sei eine Illusion. Gewiß, meine lieben Freunde, die Leute des Jahres 100, die Menschen von 500, die Christen um das Jahr 1000 haben die Ankunft des Herrn erwartet, und zu Recht. Warum zu Recht? Weil, was jederzeit eintreten kann, immer nahe ist. Es ist das keine falsche Hoffnung gewesen; es war das keine Illusion; es war die berechtigte Hoffnung auf das Kommen des Herrn, die berechtigte Erwartung. Denn zu dem, was jederzeit eintreten kann, muß man auch immer bereit sein. Und deswegen ist es keine illusionäre Erwartung, keine enttäuschte Hoffnung, nein, eine berechtigte Erwartung und eine berechtigte Hoffnung, die auch wir teilen sollen und zu der auch wir gehalten sind. Im 1. Brief an Timotheus bezeichnet der Apostel Paulus die Christen als diejenigen, die die Ankunft des Herrn lieben. Man kann die Christen also geradezu bestimmen als Menschen, die die Ankunft des Herrn hoffend und liebend erwarten. Und so erklärt sich auch der Ruf, den wir jeden Tag im Vaterunser an Gott richten: „Dein Reich komme!“ Ja, damit ist nichts anderes gemeint als das Reich unseres Christus. Damit ist nichts anderes gemeint als die Wiederkunft Christi, die Parusie. Dein Reich komme! Und im Neuen Testament und in der Zwölf Apostel-Lehre wird uns der Ruf überliefert: „Komm, Herr Jesus!“ Das ist die Bitte und die Aufforderung und der Anruf an Christus, er möge doch seine Ankunft beschleunigen. Diese Bitte an Jesus wird auch von den Himmelsbewohnern erhoben. Selbst sie harren noch auf die letzte Vollendung. Sie warten noch auf die ganze Vollendung des Werkes Jesu. Auch in ihnen ist noch ein gespanntes Warten, nicht ein unruhiges und ungewisses Warten, sondern ein ruhiges und gewisses Harren der Liebe. Deswegen sprechen auch die Himmelsbewohner noch, wie uns der Apokalyptiker Johannes versichert: „Der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm! Und wen dürstet, der komme, und wer will, der empfange lebendiges Wasser umsonst.“ Und in diese Rufe der Himmelsbewohner stimmen die irdischen Bewohner ein: „Der hiervon Zeugnis gibt, spricht: Ja, ich komme bald. Amen. Komm, Herr Jesus! Amen. Amen. Amen.“

 

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