Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Heilsbedeutung Mariens (Teil 10)

21. April 1996

Falschlehren gegen die jungfräuliche Empfängnis

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gegen die Tatsache und die Lehre der jungfräulichen Empfängnis und Geburt Mariens läuft der Unglaube Sturm. Die Zahl der Bücher und Aufsätze, die gegen diese Wahrheit geschrieben wurden und werden, ist kaum zu zählen. Um ein Beispiel zu erwähnen: Der vom katholischen Glauben abgefallene Theologe Hugo Koch hat zwei Bücher diesem Gegenstand gewidmet, in denen er die Behauptung aufstellt, Jesus stamme aus einer kinderreichen Handwerkerfamilie, diese Tatsache sei aber von den Kirchenvätern allmählich verdeckt worden, und schließlich habe man den weltlichen Arm gegen die, die diese Ansicht vertraten, mobil gemacht, und so sei sie untergegangen. Wer aber die jungfräuliche Empfängnis und Geburt Jesu leugnet, muß erklären, wie sie in das Neue Testament hineinkommt. Denn daß sie im Neuen Testament bezeugt wird, daran ist kein Zweifel. Sie wird sowohl von Matthäus als auch von Lukas eindeutig ausgesagt.

Zur Erklärung führen die Gegner zwei Instanzen an. Die einen berufen sich auf die Herkunft aus dem Judentum, die anderen auf den Ursprung im Heidentum. Die erste Meinung geht davon aus, daß sie den Text beim Propheten Isaias (7,14) hernimmt und sagt: Von dieser Stelle aus ist die Jungfrauengeburt behauptet worden. Der Text bei Isaias lautet: „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Emanuel geben.“ Tatsächlich wird diese Stelle vom Evangelisten Matthäus benutzt, um die Erfüllung der Weissagung darzutun. „Dies alles ist geschehen, damit in Erfüllung gehe, was vom Herrn durch den Propheten gesagt worden: 'Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und man wird ihm den Namen Emanuel geben.'„ Diese Erklärung meint also, aus der Weissagung sei die Geschichte hervorgetrieben worden. Oder besser noch: Man habe die Weissagung gelesen und daraufhin angenommen, so müsse es auch in der Geschichte geschehen sein. Es ist aber in Wirklichkeit nicht so geschehen.

Was ist zu dieser Behauptung, die vor allem im protestantischen Bereich viele Nachsprecher findet, zu sagen? Zuerst muß man hervorheben, daß die Isaiasstelle (Is 7,14) vom gesamten Judentum niemals im Sinne einer jungfräulichen Empfängnis und Geburt verstanden worden ist. Die jüdische rabbinische Exegese erklärte diese Stelle (Is 7,14) so: Es handelt sich hier um den König Achaz; ihm wird die Geburt seines Sohnes Ezechias verheißen; die Alma ist die Königin, die junge Frau. Diese Erklärung hat sich bis heute im Judentum durchgehalten. Der christliche Apologet Justinus, der im 2. Jahrhundert n. Chr. gelebt hat, berichtet in seinem Dialog mit Tryphon, einem Juden, daß Tryphon die ebengenannte Erklärung der Isaiasstelle vortrug. Wenn nun aber die gesamte vorchristliche Judenheit die Isaiasstelle niemals im Sinne einer jungfräulichen Empfängnis und Geburt verstanden hat, wie sollen dann die Christen sie aus dem Judentum bezogen haben? Das Judentum konnte sie ihnen nicht liefern, weil es die Stelle niemals als Jungfrauengeburt gedeutet hatte.

Der zweite Einwand gegen die genannte falsche Lehre leitet sich davon her, daß das Verhältnis zwischen Weissagung und Erfüllung gerade umgekehrt ist, wie es die genannten Irrlehrer behaupten. Die Jungfrauengeburt ist für Matthäus eine Tatsache. Und von dieser Tatsache aus liest und deutet er die Heilige Schrift. Nicht die Weissagung hat eine angebliche Tatsache hervorgetrieben, sondern das, was geschehen ist, die Tatsache, hat die Christen veranlaßt, im Alten Testament zu lesen; dabei stießen sie auf die Stelle Isaias 7,14: „Siehe, die Jungfrau wird empfangen...“ und fanden beglückt: Jetzt endlich ist diese Stelle richtig verstanden, denn jetzt ist sie erfüllt. Jetzt endlich wissen wir, was der Heilige Geist gemeint hat, als er den Propheten inspirierte zu schreiben: „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären.“ Die Sache ist also gerade umgekehrt, als die Irrlehrer meinen. Nicht die Weissagung ist das Leitmotiv für das Verständnis der Tatsache, sondern die Tatsache ist das Leitmotiv für das Verständnis der Weissagung. Zukunft und die Vergangenheit sind nicht in dem Sinne verbunden, daß aus der Vergangenheit die Zukunft hervorgetrieben wird, sondern die Zukunft lehrt uns die Vergangenheit zu verstehen.

Natürlich stellt sich die Frage: Woher hat denn der Prophet Isaias diese Ankündigung? Die Antwort lautet: Er hat sie von Gott; er ist inspiriert worden. Gott hat ihm diese Weissagung eingegeben. Die Versuche, die Weissagung des Isaias aus orientalischen Mythen abzuleiten, sind gescheitert, denn Isaias ist die älteste Stelle, die von einem solchen Wunderkind berichtet, welches das Heil heraufführt. Alle anderen uns bekannten Texte, die von einem Jungfrauensohn berichten, der ein goldenes Zeitalter herbeiführt, sind jünger.

Der dritte Einwand gegen die genannte Ableitung der Jungfrauengeburt aus dem Judentum muß davon ausgehen, daß Matthäus nicht der Erfinder der Jungfrauengeburt ist. Denn Lukas berichtet ebenfalls die Jungfrauengeburt, und beide sind voneinander unabhängig. Die Tatsache der Jungfrauengeburt ist ihnen durch zwei voneinander unabhängige Überlieferungsströme zugetragen worden. Und hinter dem heutigen griechischen Text des Neuen Testamentes ist die hebräische bzw. aramäische Vorlage noch deutlich erkennbar. Das heißt, wir werden durch die beiden Textstellen bei Matthäus und Lukas nach Galiläa geführt, und da zu niemand anderem als zu der Mutter des Herrn selbst, an der dieses Wunder geschehen ist. Die letzte Quelle für Matthäus und Lukas ist Maria.

Die zweite versuchte Einwendung gegen die Jungfrauengeburt beruft sich auf das Heidentum, auf den Hellenismus, also auf jene griechische Welt, die viele orientalische Elemente in sich aufgenommen hatte und die damals die Geistigkeit und die Kultur der Zeit beherrschte. Man verweist auf die sogenannte „heilige Hochzeit“. In den Mythen der Griechen, der Ägypter, der Babylonier, der Perser, der Inder ist oft die Rede von einer „heiligen Hochzeit“. Das bedeutet, ein Gott naht sich einer irdischen Frau und schwängert sie. Und was nun aus dieser „heiligen Hochzeit“ geboren wird, das sind bedeutende Männer, Kaiser und Könige. Im griechischen Bereich ist es Zeus; er naht sich als Mensch oder als Wind oder als Goldregen einer irdischen Frau und begattet sie. Was aus dieser Verbindung hervorgeht, das sind Gestalten wie Pythagoras, Alexander, Augustus, Plato. Diese Männer seien aus einer solchen „heiligen Hochzeit“ entstanden, und – jetzt kommt der Schluß, den die Irrlehrer ziehen – was die Christen bei den Mythen gelesen haben, das haben sie auf Christus übertragen. Wenn in Ägypten der Gott Amon Re die Königin begattet, dann entsteht ein neuer König. Und ähnlich sei es auch im Christentum geschehen; dort habe man eine heilige Hochzeit für das Entstehen des Christus angenommen. Was ist zu dieser Aufstellung zu sagen?

Die Mythen von der „heiligen Hochzeit“ haben niemals als Geschichte gegolten. Sie wurden auch von denen, die sie vertraten, als ungeschichtliche Spekulationen angesehen. Die Herkunft bedeutender Männer, vor allem der Könige und Kaiser aus einer „heiligen Hochzeit“, also der geschlechtlichen Verbindung eines Gottes mit einer irdischen Frau, war nichts anderes als der Ausdruck des Servilismus der östlichen Provinzen und der Schmeichelei der höfischen Rhetoren. Man wollte diesen bedeutenden Persönlichkeiten huldigen, ihnen Anerkennung und Lob zollen, und so hat man sie als Söhne eines Gottes ausgegeben. Aber niemand, der das tat, war persönlich davon überzeugt, daß das wirklich so sei, sondern das waren eben höfische Floskeln, die im Umkreis der Verehrung von Kaisern und Königen, aber auch von anderen bedeutenden Männern üblich waren.

Ganz anders das Neue Testament. Der biblische Bericht geht von einem geschichtlichen Ereignis aus. Für die Bibel ist die Jungfrauengeburt kein Mythos, keine Spekulation, keine phantastische Aufstellung zum Zwecke der Schmeichelei, sondern in der Bibel ist die Jungfrauengeburt eine Tatsache, die Erfüllung einer Verheißung. Es war deswegen unmöglich, daß die Christen bei Christus für Geschichte gehalten hätten, was in den Mythen ungeschichtliche Erfindung war; wenn sie diese Mythen auf Christus übertragen hätten, dann hätten sie auch bei Christus diese Behauptung als eine mythische Schmeichelei betrachten müssen. Aber das haben sie gerade nicht getan. Sie haben das, was an Maria geschehen ist, als Tatsache der Geschichte angesehen.

Eine zweite argumentative Linie muß davon ausgehen, daß die Vereinigung eines Gottes mit einer irdischen Frau in den Mythen immer eine geschlechtliche ist. Die Götter, in welcher Gestalt auch immer sie sich der irdischen Frau nahen mögen, verkehren mit der irdischen Frau auf geschlechtliche Weise. Völlig davon verschieden ist die Entstehung des Christus im Leibe der Jungfrau Maria. Da ist nichts von Geschlechtlichkeit, denn der Gott des Alten Testamentes ist über jede Geschlechtlichkeit total erhaben. Das ist ja eben der Unterschied des alttestamentlichen Gottesbildes von den mythologischen Gottesvorstellungen. Der Gott des Alten Testamentes hat nichts mit Geschlechtlichkeit zu tun. Wenn die Rede davon ist, daß Maria von der Kraft Gottes überschattet werden sollte, dann ist damit nicht eine geschlechtliche Vereinigung gemeint, sondern damit ist nichts anderes als die schöpferische Gewalt Gottes ausgesagt, die in Maria wirkt. Die Rede von der Überschattung greift zurück auf das Bild von der Wolke, die im Alten und im Neuen Testament mehrfach vorkommt. Die Wolke ist ein Symbol der Gegenwart und der schöpferischen Macht Gottes. Wenn es also heißt, daß das Kind in Maria durch Überschattung entstehen solle, dann bedeutet das: Es entsteht durch die schöpferische Kraft des über jedes Geschlechtliche erhabenen Gottes.

Die Atmosphäre, das ist der dritte Einwand, in der sich „heilige Hochzeit“ und jungfräuliche Empfängnis abspielen, ist in den Mythen und im Neuen Testament völlig verschieden. Die Göttermütter in den Mythologien leben in schwüler Sinnlichkeit, und ihre Vereinigung mit dem Gotte vollzieht sich in geschlechtlicher Leidenschaft. Sie werden deswegen regelmäßig auch nicht als Jungfrau bezeichnet. Wenn es doch einmal vorkommt, z.B. bei Ischtar und Aphrodite, daß sie als Jungfrau bezeichnet werden, dann will das nicht besagen, daß sie Jungfrauen in dem Sinne sind, wie wir es von Maria aussagen, sondern daß sie zu „heiliger Hochzeit“ mit vielen Göttern zur Verfügung stehen, daß sie nicht einem Gotte ausschließlich verbunden sind, sondern zahlreichen Göttern in dieser Funktion dienen. Ganz anders Maria. In ungetrübter, leuchtender, strahlender Reinheit steht sie vor uns. Nichts von schwüler Sinnlichkeit und nichts von geschlechtlicher Leidenschaft ist an ihr zu entdecken. Das Geheimnis, das unsagbare Geheimnis wird nur andeutend erwähnt, genug für die Wissenden und ausreichend für die Glaubenden.

Das ist also der Unterschied zwischen den Mythen und dem Neuen Testament. Was den einen phantastische Spekulation war, das ist im Neuen Testament Wirklichkeit geworden. Man kann vielleicht diese Mythen als eine Ahnung, eine ferne Ahnung dessen bezeichnen, was einmal wirklich geschehen sollte. Aber mehr ist es nicht; eine ferne Ahnung dessen, was Gott in Maria gewirkt hat.

Meine lieben Freunde, wenn wir uns so lange und ausgiebig mit der Jungfräulichkeit, mit der Jungfrauengeburt Mariens befassen, dann hat das einen guten Sinn. Denn die Wahrheit von der Jungfräulichkeit Mariens ist keine Nebensache. Sie ist eine unlöslich mit dem Erlöser verknüpfte Tatsache. Wer an der Jungfräulichkeit Mariens rüttelt, der kratzt an der Vollgestalt des Erlösers. In der Regel gehen nämlich die Leugnung der Jungfrauengeburt und die Leugnung der Gottessohnschaft Jesu Hand in Hand. Wer die Jungfrauengeburt bestreitet, der bestreitet gewöhnlich auch die Gottessohnschaft Jesu. Jesus ist der Eckstein, und von diesem Eckstein wird das ganze Gebäude getragen. Wer an diesem Eckstein rüttelt, indem er die jungfräuliche Geburt bestreitet, leugnet oder in Zweifel zieht, der rüttelt an dem ganzen Gebäude. Und der Fall, der dann entsteht, der ist gewaltig.

Amen.

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