Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Wiederkunft des Herrn (Teil 1)

13. Januar 1991

Das Warten der Schöpfung auf die Wiederkunft Christi

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben die Epiphanie unseres Herrn und Heilandes gefeiert. Epiphanie heißt „Erscheinung“, „Sichtbarwerden“, „Offenbarung“. Diese Erscheinung unseres Herrn und Heilandes zeigte sich durch den Besuch der Magier aus dem Osten, bei der Taufe im Jordan, als der Himmel zerriß und eine himmlische Stimme ihn als den Sohn des Vaters deklarierte, und bei der Hochzeit zu Kana, wo er Wasser in Wein verwandelte. Zu der Epiphanie tritt aber Parusie. Die Epiphanie war das erste Erscheinen unseres Herrn und Heilandes, aber wir warten auf sein zweites Erscheinen. Und dieses zweite Erscheinen trägt den Namen Parusie – Sichtbarwerden, Wiederkommen. Wir werden gleich sehen, wie dieses Wort zu erklären ist.

In den Glaubensbekenntnisses bekennt sich die Kirche zu der Wiederkunft des Herrn: „...von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Als die Jünger auf dem Ölberg sich von ihrem Herrn trennen mußten, weil der Herr in die Herrlichkeit des Vaters aufgenommen wurde, da erhielten sie von den Engeln, den Boten des himmlischen Reiches, eine Aufklärung. „Als sie unverwandt gen Himmel schauten, während er hinging, siehe da standen zwei Männer in weißen Gewändern bei ihnen, die sprachen: 'Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel hinauf? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen in den Himmel.“ Die Jünger meinten zwar, als der Herr auferstanden war, er würde jetzt das irdische Reich Israel wieder aufrichten. Aber weit gefehlt, das war ein Trugschluß und eine irrige Meinung. Nein, der Herr wird sein Reich, aber ein Reich ganz anderer Art, aufrichten, wenn er wiederkommt. Diese Erklärung der Engel auf dem Berge Sinai war nichts unbedingt Neues für die Jünger. Der Herr selbst hatte zu seinen Lebzeiten schon davon gesprochen, daß er wiederkommen werde, und zwar wiederkommen in Herrlichkeit und als Richter. Die Menschen, die auf Erden aufgefordert sind, sich zu Jesus zu bekennen, können sich dieser Aufforderung anschließen oder ihr widersprechen. In jedem Falle ist der Herr das Schicksal beider Gruppen. „Wer mir nachfolgen will“, so heißt es im Markusevangelium, „der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach! Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es retten. Denn was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber seine Seele verliert, oder was kann der Mensch geben als Entgelt für seine Seele?“ Und jetzt die entscheidenden Worte: „Denn wer sich meiner und meiner Worte schämt vor diesem ehebrecherischen und sündhaften Geschlecht, dessen wird auch der Menschensohn sich schämen, wenn er kommt in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.“

Der Herr ist das Schicksal eines jeden Menschen, und er wird den einen, die seine Worte aufgenommen, sich zu eigen gemacht und nach ihnen gelebt und sie verkündet haben, Retter und Heiland sein. Aber er wird den anderen, die sich diesen Worten verschlossen, die sie abgelehnt, verhöhnt und verspottet haben, Rächer und Richter sein. Er selbst war ja auf Erden ein Mensch, der dem Todesschicksal ausgeliefert war. Er war ein Verurteilter, ein Gehenkter, ein Geschmähter, ein Ausgestoßener. Aber selbst in diesen Augenblicken der Demütigung und der Niederlage hat den Herrn das Bewußtsein nicht verlassen, daß er der kommende Richter der Lebenden und der Toten ist. Das zeigte sich, als er vor dem Hohenpriester stand, der über ihn Gericht hielt. Der Hohepriester fragte ihn: „Bist du der Christus“, also der Messias, „der Sohn des Hochgelobten?“ Jesus sprach zu ihm: „Ich bin es! Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Allmacht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen.“ Also der jetzt in Niedrigkeit vor dem Hohen Rate steht, der jetzt verurteilt wird als Gotteslästerer, der wird, wenn seine Zeit gekommen ist, mit der Herrlichkeit des Vaters ausgerüstet, zurückkehren und Gericht halten über diejenigen, die jetzt über ihn zu Gericht sitzen.

Diese Erwartung ist nun von ungeheurer Bedeutung für seine Anhänger auf Erden. Sie rüstet nämlich die Jünger Jesu mit Widerstandskraft aus in den Drangsalen. Sie wissen: Äußerlich gesehen und für diese irdische Zeit mag ihre Situation verzweifelt sein, aber es wird ein Zeitpunkt kommen, die Spitze eines Augenblickes, wo sich das Blatt wenden wird. Das wird sein, wenn der Herr wiederkommt in Herrlichkeit, wenn seine Parusie einsetzt. Parusie, das ist das Wort, das die Heilige Schrift für die Wiederkunft des Herrn gewählt hat. Dieses Wort hat natürlich vorher einen anderen Sinn gehabt. Bevor es im Neuen Testament für die Wiederkunft Christi verwandt wurde, besagte es den Einzug eines Kaisers in eine Stadt oder in eine Provinz. Wenn der Kaiser mit seinem Gefolge, mit seiner Garde eine Stadt betrat, wenn er eine Provinz besuchte, dann nannte man das Parusie. Das war ein herrliches, ein seltenes und ein bewegendes Ereignis. Da wurde alles aufgeboten, was überhaupt an Pracht den Menschen zur Verfügung stand. Nach diesem Besuch hat man manchmal die Zeitrechnung, die Ära, datiert. Dieses Wort Parusie nun haben die neutestamentlichen Schriftsteller auf die Wiederkunft unseres Herrn und Heilandes angewandt; natürlich nicht im selben Sinne. Die Verwendung im religiösen Bereich ist jener im profanen Bereich ähnlich. Sie wollen damit sagen: Wenn der Herr kommt, dann wird es mit Macht und Herrlichkeit in aller Öffentlichkeit geschehen, dann wird jeder ihn sehen, sehen müssen, auch die ihn bei der ersten Ankunft nicht sehen wollten.

Es wird ihn auch der Mann sehen, meine lieben Freunde, der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor zwei Tagen geschrieben hat, der verächtlichste aller Menschen sei ihm Jesus Christus. Auch der wird ihn sehen. Denn dann, wenn seine zweite Ankunft geschieht, ist er unübersehbar. Er bringt dann Bestrafung für die einen und Rettung für die anderen. Wie heißt es im 2. Thessalonicherbrief: „Denn es entspricht der Gerechtigkeit Gottes, daß er euren Bedrängern mit Bedrängnis vergelte, euch aber, den Bedrängten, samt uns mit Erquickung, wenn der Herr Jesus vom Himmel her sich offenbaren wird mit seinem Engelheere in Feuerflammen, wenn er Rache nimmt an denen, die Gott nicht kennen wollen, und die nicht gehorchen der Heilsbotschaft unseres Herrn Jesus. Diese werden mit ewigem Verderben büßen, getrennt vom Herrn und von seiner überwältigenden Herrlichkeit, wenn er kommen wird an jenem Tage, um verherrlicht zu werden in seinen Heiligen und gefeiert unter allen Gläubigen, weil bei euch unser Glaube angenommen worden ist.“

In der Hoffnung auf diese Ankunft vermögen die Christusgläubigen sogar in den Drangsalen selig zu sein. In einer Lesung, die wir gerade in den Weihnachtstagen immer wieder hören, nämlich aus dem Brief an Titus, heißt es: „Erschienen ist die Gnade Gottes, die allen Menschen das Heil bringt. Sie erzieht uns dazu, daß wir der Gottlosigkeit und den weltlichen Gelüsten entsagen und nüchtern, gerecht und fromm leben in dieser Welt. Und so erwarten wir die selige Hoffnung und die herrliche Erscheinung des großen Gottes, unseres Heilandes Jesus Christus, der sich selbst für uns dahingegeben hat.“ Wenn also die Menschen uns wegen unserer Hoffnung höhnen, wenn sie uns wegen unseres Glaubens verspotten, wenn sie uns wegen unserer Religion schlechtmachen, dann erinnern wir uns, daß der Herr einmal unserem Glauben Gerechtigkeit widerfahren lassen wird. Einmal wird unsere Hoffnung bestätigt werden. Einmal wird der Herr unsere Treue und unsere Geduld und unser Aushalten belohnen. Es gibt keinen gerechten Grund, an der Zusage des Herrn zu zweifeln, weil die Ankunft noch aussteht. Man muß eben warten. Im Jakobusbrief wird die Gemeinde aufgefordert: „So harret denn aus, meine Brüder, bis zur Ankunft des Herrn! Auf Erden muß man auch warten. Siehe, der Landmann wartet auf die köstliche Frucht der Erde. Er harrt in Geduld, bis sie Frühregen oder Spätregen bekommt. So seid auch ihr geduldig, stärkt eure Herzen, denn die Ankunft des Herrn ist nahe!“

Die Ankunft des Herrn ist deswegen nahe, meine lieben Christen, weil sie jederzeit erfolgen kann. Wir sind tatsächlich in Ungewißheit; wir werden diesen Punkt am nächsten Sonntag noch bedenken. Wir sind in Ungewißheit, wann die Ankunft des Herrn eintritt. Aber was jederzeit eintreten kann, ist eben immer nahe. Und deswegen sagt Jakobus mit Recht: „Die Ankunft des Herrn ist nahe.“ Schon in der Urkirche mußten sich die Christen verspotten lassen von solchen, die sagten: „Wo ist denn die Ankunft des Herrn? Wo ist denn seine Parusie?“ Im 2. Petrusbrief ist darüber berichtet: „Vor allem sollt ihr wissen, daß in den letzten Tagen Spötter mit frechen Reden auftreten, die nach ihren eigenen Lüsten handeln und sagen: 'Wo bleibt denn seine verheißene Ankunft?'„ Seitdem die Väter heimgegangen sind, bleibt alles so, wie es vom Anfang der Schöpfung an war. Darauf gibt der 2. Petrusbrief die Antwort: „Das eine aber soll euch nicht entgehen, Geliebte, daß ein Tag beim Herrn ist wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag.“ Gott rechnet mit anderen Zeiträumen als die Menschen. Er ist der Ewige, der Unvergängliche. Deswegen ist ein Jahrtausend vor ihm nicht mehr als für uns ein Tag. „Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie einige es für Verzögerung halten. Er übt Langmut um euretwillen, da er nicht will, daß jemand verlorengehe, sondern alle sich zur Buße wenden. Der Tag des Herrn wird aber kommen wie ein Dieb.“ Wie ein Dieb, das heißt eben unerwartet. Wenn die Menschen kaufen und verkaufen, wenn sie mitten im Genuß sind, wenn sie meinen, sie könnten sich häuslich einrichten auf dieser Erde für immer und alle Zeit, dann wird er kommen. Er wird kommen wie ein Dieb.

So haben wir also, meine lieben Freunde, das entscheidende Ereignis noch vor uns. Der Herr ist schon einmal gekommen. Er hat sein Werk vollbracht, wie er ja am Kreuze bekannt hat: „Es ist vollbracht“, das Werk, das der Vater ihm anvertraut, die Aufgabe, die er ihm übertragen hat. Aber noch nicht vollendet ist seine letzte große Tat, nämlich die Hervorbringung des neuen Himmels und der neuen Erde. Das wird geschehen, wenn er wiederkommt, zu richten die Lebendigen und die Toten. Darauf richtet sich die Sehnsucht der Christgläubigen.

Im 2. Timotheusbrief werden die Gläubigen bezeichnet als diejenigen, welche „die Ankunft unseres Herrn Jesus lieben“. Das ist eine Selbstbezeichnung von uns. Wir sind diejenigen, welche die Ankunft unseres Herrn – nämlich die zweite Ankunft – lieben. Und wir flehen um diese Ankunft jeden Tag, wenn wir im Vaterunser beten: „Dein Reich komme!“ Das ist das Reich, das wir erwarten, das ist das Reich, das er mit seiner Wiederkunft aufrichten wird. Das ist ein Parusiegebet. Dein Reich komme! Deine Herrlichkeit nahe sich uns, und deine endgültige Offenbarung vollziehe sich vor unseren Augen!

Im Neuen Testament ist als einer der schönsten und ältesten Gebetsrufe aufbewahrt das Gebet: „Maranatha“ – Unser Herr, komm! Im letzten Buch des Neuen Testamentes, auf der letzten Seite dieses letzten Buches, heißt es: „Der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm! Und wen dürstet, der komme, und wer will, der empfange lebendiges Wasser umsonst.“ Also auch die Himmlischen, also auch die seligen Geister haben noch eine Erwartung; nicht eine bange und ungewisse Erwartung, sondern eine sichere Hoffnung, nämlich daß der Herr wiederkommt, um Himmel und Erde zu verwandeln. „Wer hiervon Zeugnis gibt, spricht: Ja, ich komme bald! Amen, komm, Herr Jesus! Amen, Amen.“

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