Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. Dezember 2022

Die Mächtigen zur Zeit Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Evangelium nach Lukas des heutigen vierten Sonntags im Advent hebt an mit der Aufzählung einer Reihe von Mächtigen, die zur Zeit des Auftretens Johannes des Täufers, das auch der Beginn der Lehrtätigkeit Jesu war, die Erde regierten. Das dritte Evangelium ist von einem heidenchristlichen Verfasser für heidenchristliche Leser geschrieben. Lukas war literarisch gebildet und schreibt das beste Griechisch aller Evangelisten. Er stammte aus Antiochien, war also Syrer. Von Beruf war er Arzt. Er lernte Paulus um das Jahr 49 nach Christus in Troas, einer Hafenstadt Kleinasiens, kennen. Diese Begegnung entschied seinen weiteren Lebensweg. Er wurde der Begleiter und Mitarbeiter des Paulus. Im Eingang seines Evangeliums weist er darauf hin, dass schon viele es unternommen haben, eine Darstellung der Begebenheiten zu verfassen, „welche in unserer Mitte zum Abschluss gekommen sind“. „Dabei hielten sie sich an die Überlieferungen derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind.“ Lukas war nicht Augen- und Ohrenzeuge der Taten und Reden Jesu, die er in seinem Evangelium berichtet. So musste er sich auf die Berichte anderer stützen. Seine Absicht bringt er im Vorwort seines Evangeliums klar zum Ausdruck. Die historisch feststellbaren und durch die sorgfältigen Nachforschungen geschichtlich verbürgten Tatsachen sollen dem gläubig gewordenen Theophilus als Beweis der Zuverlässigkeit der christlichen Heilsverkündigung dienen. Sein Evangelium soll den Lesern „Gewissheit über die Dinge geben, in denen sie unterwiesen worden waren“ (1,4). Er will seine Leser in dem Glauben bestärken, dass in Jesus Christus wirklich der Heiland der Welt, der Erlöser für Juden und Heiden erschienen ist. Nach der Sitte seiner Zeit widmete er sein Werk einer hochgestellten Persönlichkeit, dem edlen Theophilus. Lukas ist ein zuverlässiger Chronist. Er erweist sich an vielen Stellen seines Evangeliums mit präzisen Angaben als exakter Historiker. Er sagt von sich selbst, dass er „allen Ereignissen von Anfang an sorgfältig nachgegangen“ sei (Lk 1,3).

Als gebildeter Mann kannte er die Mythen der Griechen, Römer und Syrer. Er wusste, dass diesen phantastischen Erzählungen keine Wirklichkeit zukam. Es musste ihm daran gelegen sein, die Geschichte des Jesus von Nazaret von den Fabeln und Legenden der Umwelt abzusetzen. Als geeignetes Mittel dazu erschien ihm die Verzahnung der in Palästina vorgefallenen Begebenheiten mit unzweifelhaft geschichtlichen Persönlichkeiten, die jeder kannte oder von denen alle gehört hatten. Lukas will die Ereignisse der Heilsgeschichte gewissermaßen kritikfest machen, indem er sie mit den Geschehnissen der Weltgeschichte synchronisiert. Was in Palästina geschehen ist, das ist genauso wirklich und unbezweifelbar wie die Regierungsdaten von Königen und Priestern. Rund 30 Jahre hat Jesus in Nazaret gelebt, das gewöhnliche und alltägliche Leben zwischen Verwandten und Handwerksgenossen. Was einst um dieses Kind geschehen war, ist den Bewohnern von Nazaret verborgen geblieben. Nur die Mutter wusste um das Geheimnis seiner Geburt. Aber Maria bewahrte diese Dinge in ihrem Herzen. Auch Jesus schwieg. Er konnte warten auf die Stunde seines Vaters, und sie kam. Im erhabenen Stil der alttestamentlichen Prophetensprache kündigt Lukas diese weltgeschichtliche Stunde an. Er lässt sieben Zeugen aus der Politik jener Tage auftreten, um den Beginn jener welthistorischen Stunde zu kennzeichnen.

Als erster kommt der Kaiser Tiberius. Der Kaiser Augustus heiratete seine Mutter Livia, als er vier Jahre alt war. Tiberius wurde vom Kaiser adoptiert. Doch Augustus hatte eine Abneigung gegen ihn. Schweren Herzens bestimmte er ihn in seinem Testament zum Nachfolger. Als Tiberius mit 56 Jahren den Thron bestieg (14 n. Chr.), war er verbittert und ein Menschenfeind. Er zog sich (26 n. Chr.) auf die Insel Capri zurück und überließ die Regierung dem Gardepräfekten Seianus, der ein Schreckensregiment aufrichtete, für das Tiberius den Hass erntete. Bei seinem Tode (37 n. Chr.) rief das Volk: „In den Tiber mit Tiberius!“ Das von Lukas genannte 15. Regierungsjahr des Tiberius reichte nach der syrischen Zählung vom 1. Oktober 27 bis zum 30. September 28 nach Christus. Das 15. Jahr des Kaisers Tiberius ist das einzige genaue Datum in den Evangelien und darum für die Bestimmung des Jahres des öffentlichen Auftretens und des Todes Jesu von größter Wichtigkeit.

An zweiter Stelle nennt Lukas den Vertreter des Kaisers: Pontius Pilatus, Prokurator, Landpfleger von Judäa. Er kam als fünfter Prokurator nach Judäa und amtierte von 26 bis 36/37 nach Christus. Als Vertreter des Kaisers besaß Pilatus in Judäa und Samaria die oberste Gerichtsbarkeit und Verwaltung. Er residierte in Cäsarea Maritima, etwa 100 km von Jerusalem entfernt. Die Evangelien beurteilen ihn nicht ungünstig. Pilatus war gewillt, Jesus freizugeben. Aber der Druck der aufgehetzten Masse erzwang sein Todesurteil. Andere sprechen frostig über ihn. König Herodes Agrippa I., der das ganze Reich seines Großvaters Herodes vereinigte, nennt ihn in einem Brief an Kaiser Caligula „von Charakter unbeugsam und rücksichtslos“ und wirft ihm „Bestechlichkeit, Gewalttaten, Räubereien, Misshandlungen, Kränkungen, fortwährende Hinrichtungen ohne Urteilsspruch, endlose und unerträgliche Grausamkeiten“ vor.

Es folgen im Bericht des Evangelisten die Namen der drei Landesfürsten der übrigen Teile Palästinas. Ihr offizieller Titel war Tetrach, Vierfürst. Sie übten eine Herrschaft von Roms Gnaden aus. Herodes Antipas, der Landesvater Jesu, war Vierfürst von Galiläa und Peräa. Er regierte von 4 vor Christus bis zu seiner Absetzung im Jahre 39 nach Christus. Das Neue Testament gebraucht nur den offiziellen Herrschernamen Herodes; der Name Antipas kommt nicht vor. Unter den Söhnen Herodes des Großen (40-4 vor Christus) glich er, was Herrschgier und Prunksucht anging, am meisten seinem Vater, ohne jedoch dessen Tatkraft und Unternehmungsgeist zu besitzen. Wie sein Vater suchte Antipas die Gunst des Kaisers durch Schmeicheleien zu gewinnen. Er gründete in den Jahren 17 bis 20 nach Christus am Westufer des Sees Genesareth eine neue Stadt, die er nach seinem Gönner, dem Kaiser Tiberius, Tiberias nannte. Die römischen Legaten hassten ihn. Im Jahre 39 nach Christus wurde Antipas von dem Kaiser Caligula, dem Nachfolger des Tiberius, abgesetzt und verbannt. Auch Jesus durchschaute seinen Landesvater. Er nannte den Herodes Antipas öffentlich einen Fuchs (Lk 13,32) und warnte vor dem Sauerteig des Herodes (Mk 8,15). Herodes Antipas war neugierig, Jesus kennenzulernen. Als der Herr ihm das verlangte Wunder versagte, schickte er ihn verärgert zu Pilatus zurück.

Philippus ist der zweite Vierfürst, den Lukas nennt. Sein Name bleibt für alle Zeiten mit dem Messiasbekenntnis des Petrus zu Cäsarea Philippi verbunden. Der Kaiser Augustus teilte im Jahre 4 vor Christus die ehemaligen Gebiete von Ituräa (Trachonitis, Gaulanitis, Auranitis, Batanäa) dem Vierfürsten Philippus zu. Die Brüder Simon (Petrus) und Andreas sowie der Apostel Philippus waren seine Untertanen. Jesus betrat sein Gebiet, sooft er sich an das Nordufer des Sees Genesareth begab. In seinem Herrschaftsbereich geschah das Wunder der Brotvermehrung. Er starb nach 37 jähriger Regierung im 20. Jahr des Tiberius (33/34 n. Chr.). Der dritte Vierfürst war Lysanias; er gehörte nicht zu der Familie des Herodes. Lysanias herrschte über ein kleines Gebiet Abilene, nach der Stadt Abila genannt, 25 km nordwestlich von Damaskus. Er starb im Jahre 37 nach Christus. Lukas erwähnt den Vierfürsten von Abilene, weil man sein Gebiet im Jahrhundert Jesu im weiteren Sinne zu dem „Land Israel“ rechnete.

Mit den weltlichen Herrschern nennt Lukas zwei geistliche Würdenträger: Annas (Hannas) und Kaiphas (Kafajas). Die gleichzeitige Nennung zweier Hohenpriester ist auffallend, da es gesetzlich nur einen Hohenpriester gab. Lukas schließt sich dem Sprachgebrauch jener Zeit an, nach dem ein aus dem Amt geschiedener Hoherpriester den Titel weiterführen durfte. Der römische Prokurator Quirinius übertrug im Jahre 6 nach Christus die Würde des Hohenpriesters an Annas (Hannas) aus der Familie der Seti. Er war neun Jahre Hohepriester und sah seine fünf Söhne im Besitz dieses hohen Amtes. Er war gewissenmaßen der Seniorchef der hohepriesterlichen Familie. Jesus wurde nach seiner Verhaftung in das Haus des Annas in Jerusalem gebracht. Dort fand sein Vorverhör statt. Es hatte keinen offiziellen Charakter. Doch Kaiphas wusste, welchen Respekt er dem Haupt der hohepriesterlichen Familie entgegenzubringen hatte. Annas war der eigentliche Gegenspieler Jesu. Der Messiasanspruch des Nazoräers schien ihm gefährlich für Religion und Volk. War Jesus der Messias, so bedeutete dies das Ende von Tempel, Kult und Hierarchie. Wer aber die Existenz des Tempels bedrohte, gefährdete auch die Existenz des Annas, seine Macht, seine soziale und finanzielle Position. Seine Existenz war erst dann gesichert, wenn der Gegner nicht mehr lebte. Während des Verhörs kam es zu einer kurzen, aber harten Auseinandersetzung. Annas fragte Jesus nach seinen Jüngern und seiner Lehre. Jesus blieb ihm die Antwort nicht schuldig. „Öffentlich habe ich zur Welt gesprochen. Ich habe allezeit gelehrt in der Synagoge und im Tempel, wo alle Juden sich einfinden. Im Verborgenen habe ich nichts gesagt“ (Joh 18,20). „Was fragst du mich? Frage die, die gehört haben, was ich gesprochen habe“ (Joh 18,21). Ein für die devote Umgebung des Hohenpriesters beispielloser Freimut. Mit einem rohen Schlag auf die Wange meint ein Diener des Annas das verletzte Ansehen seines Herrn wiederherstellen zu müssen: „Antwortest du so dem Hohenpriester?“ (Joh 18,22). Jesus nimmt die Misshandlung nicht unwidersprochen hin: „Habe ich unrecht geredet, so gib Zeugnis von dem Unrecht; wenn aber nicht, was schlägst du mich“ (Joh 18,23).

Von Annas wird Jesus zu Kaiphas, dem amtierenden Hohenpriester geführt. Hier beginnt der religionsgesetzliche Prozess Jesu vor dem Hohen Rat (Synedrium). Der erste Mann in diesem Gremium, zugleich Gerichtspräsident, war Josef Kaiphas. Ein kluger Jurist und gewiefter Diplomat. Er brachte es fertig, sich 19 Jahre an der Macht zu halten. Als sich der Prozess wegen Unstimmigkeit der Zeugen einem toten Punkt näherte, übernahm Kaiphas persönlich die Vernehmung. Er hatte den Beinamen „der Untersucher“, was für seine Qualität als Untersuchungsrichter bürgte. Er sah sich gezwungen, um jeden Preis eine Entscheidung herbeizuführen. „Jesus von Nazaret, ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst: Bist du der Messias, der Sohn des Hochgebenedeiten?“ Totenstille herrschte nach dieser Frage des Hohenpriesters. Ohne Zögern erfolgte die Antwort: „Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Kraft sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen“ (Mk 14,61f.). Damit meinte Kaiphas das entscheidende Argument zu haben, Jesus als Gotteslästerer verurteilen zu können; der Hohe Rat war ihm zu Willen: „Alle urteilten, dass er des Todes schuldig sei“ (Mk 14,24). Das sind die herrschenden Personen die zur Zeit Jesu in Palästina die Macht ausübten. Ihre Namen bürgen für die geschichtliche Treue des Neuen Testamentes.

Wir dürfen uns auf die Echtheit, die Wahrheit und die Zuverlässigkeit der Evangelien und besonders des Evangeliums nach Lukas verlassen. Jedes Wort, ja jeder Buchstabe des Neuen Testamentes ist hundertfach, tausendfach erforscht, geprüft, untersucht worden. Das Ergebnis dieser Untersuchungen bezeugt die Redlichkeit der Überlieferung des Textes. Ebenso und erst recht ist es mit dem Inhalt, dem Text des neuen Testamentes bestellt. Der Unglaube hat mit Leidenschaft und Scharfsinn versucht, die Wahrheit und Wirklichkeit des darin Berichteten zu bezweifeln. Auch hier lautet das Ergebnis: Das Neue Testament hat Bestand vor dem prüfenden Blick des Historikers. Als Resultat bleibt festzustellen, was im zweiten Petrusbrief steht: „Wir haben euch nicht als Anhänger ausgeklügelter Fabeln die Macht und die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus kundgemacht, sondern weil wir Augenzeugen seiner Größe waren“ (2 Petr 1,16).

Amen.

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