Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. April 2022

Das Grab ist leer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Da entstand plötzlich ein starkes Erdbeben. Ein Engel des Herrn stieg nämlich vom Himmel herab, trat hinzu, wälzte den Stein fort und setzte sich darauf. Sein Aussehen glich dem Blitz, und sein Gewand war weiß wie der Schnee“ (Mt 28,2f.). Hinter diesen Worten des Evangelisten verbirgt sich ein Geheimnis: das Wunder der Auferstehung Christi. Paulus war sich der Bedeutung dieses Ereignisses bewusst. An die Gemeinde in Korinth schrieb er: „Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist unsere Predigt leer, leer auch euer Glaube“ (1 Kor 15,14). Unser ganzer Heilsglaube und unsere Erlösungszuversicht beruhen auf der Tatsächlichkeit der Auferstehung Jesu. Das Wunder der Auferstehung ist auch die entscheidende Tatsache zur Beglaubigung von Person und Werk Jesu. Die Auferstehung Jesu ist das große Siegel Gottes, das ihn als den gottgesandten Heiland ausweist. Ohne die Überzeugung, dass Jesus nicht im Tode geblieben ist, wäre das Zusammenkommen und Bleiben der ortfremden Jünger in der Hauptstadt Israels, wäre der Entschluss zur christlichen Predigt in der heiligen Stadt des Judentums schlechthin unverständlich. Es muss etwas eingetreten sein, was binnen kurzem nicht nur einen völligen Umschlag ihrer Stimmung hervorrief, sondern sie auch zu einer beispiellosen Aktivität und zur Gründung der Gemeinde befähigte. Dieses Etwas ist der historische Kern des Osterglaubens. Während der Französischen Revolution wurde eine neue Religionsgemeinschaft gegründet, die Theophilanthropen. Als ihr Gründer sich bei Barras beklagte über den Misserfolg derselben, meinte dieser trocken: „Das ist sehr einfach. Wenn Sie denselben Erfolg haben wollen wie Jesus von Nazareth, lassen Sie sich am Freitag ans Kreuz schlagen und schauen Sie, dass Sie am Sonntag wieder auferstehen.“

Zum richtigen Verständnis der Auferstehung Jesu sind darum zwei Feststellungen wichtig: Erstens: Die Auferstehung ist in ihrem Wesen und Inhalt ein Geheimnis des Glaubens. Wir können um die Auferstehung nur wissen, soweit sie uns von Gott erschlossen und geoffenbart worden ist. Die Auferstehung gehört zum Leben Jesu. Aber sie steht jenseits der irdischen Welt. Denn Jesus ist nicht in seine frühere Daseinsweise zurückgekehrt wie der tote Lazarus oder der verstorbene Jüngling von Naim. Wäre dies der Fall, hätten ihn nicht nur seine Jünger, sondern auch seine Feinde sehen können. Die neue Existenzweise des Auferstandenen ist nur für den sichtbar, den das Licht der Gnade traf. Die Auferstehung ist der Beginn einer neuen, verklärten, himmlischen Seinsweise. Sie ist nur im Glauben erfassbar. Dieser Glaube ist Tat Gottes, übernatürlich nach seinem Ursprung und nach seinem Gegenstand, ein Geschenk Gottes. Zweitens: Die Tatsache der Auferstehung Jesu ist ein geschichtlich erweisbares Geschehen. Sie steht mit einer Reihe von Gegebenheiten und Ereignissen in einem unlösbaren Zusammenhang, so dass wir von ihnen aus zu einer Gewissheit über die Tatsache der Auferstehung gelangen können. Christus selbst hat sich um diese Gewissheit seiner Apostel bemüht. Wenn wir seinen Umgang mit den Aposteln nach seiner Auferstehung betrachten, dann stellen wir fest: Jesus behandelt sie als freie Menschen. Er versetzt sie nicht in Begeisterung, er rührt nicht an ihr Gemüt, sondern lässt sie in der Klarheit des Verstandes erfassen, dass er, der am Kreuze gestorben war, jetzt lebendig vor ihnen steht. Die Ereignisse am Ostermorgen stehen im Raum und in der Zeit menschlicher Geschichte. Freunde und Feinde Jesu sind sich einig: Das Grab ist leer, der Tote ist spurlos verschwunden. Etwas Unglaubliches ist geschehen.

„In der Frühe am ersten Wochentag“, schreibt Markus, „als die Sonne eben aufging, kamen die Frauen zum Grabe“ (Mk 16,2). Es sind dieselben, die am Freitagnachmittag unter dem Kreuze den Tod Jesu erlebt hatten: Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus und des Joses, und Salome. Diese Frauen haben auch an der Beisetzung Jesu teilgenommen; sie haben mit eigenen Augen gesehen, wo der Leichnam Jesu bestattet worden war. Die Sabbatruhe war für sie eine schwere Belastung. Den ganzen Tag mussten sie untätig warten. Nach einer kurzen Nacht standen sie vor Sonnenaufgang am Stadttor. Unterwegs hatten sie nur die große Sorge: „Wer wird uns den Stein vom Grabe wälzen?“ (Mk 16,3). Maria aus Magdala hatte sich bereits im Dunkeln allein auf den Weg gemacht. Zu ihrer Überraschung fand sie den Stein vom Eingang weggenommen und das Grab leer. Sofort lief sie in die Stadt zurück. Inzwischen kamen die anderen Frauen zum Grabe. Sie wagten es, die Grabkammer zu betreten. Nun folgte eine Überraschung auf die andere. Der Leichnam Jesu war nicht mehr da. Die Frauen waren ratlos. Da wurde plötzlich, am Grabe sitzend, eine strahlend weiße Gestalt sichtbar: ein Engel. Er beruhigte die Frauen, und dann folgte die nüchterne Feststellung des Sachverhaltes: „Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“ Der Engel gab den Frauen den Auftrag, den Aposteln diese Nachricht zu überbringen. Freudig überrascht, aber auch voll Schrecken über dieses unerhörte Erlebnis verließen sie das Grab und eilten zu den Jüngern in die Stadt.

In der Zwischenzeit war Maria Magdalena in die Stadt zurückgelaufen und hatte dem Simon Petrus Bericht erstattet: „Sie haben den Herrn aus dem Grabe fortgenommen, und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben“ (Joh 20,2). Wer sind die „Sie“? Wen hatte Magdalena im Verdacht? Sie vermutete die Grabräuber wohl unter den Gegnern Jesu. Sie ließen, so meinte sie, dem auch im Tode keine Ruhe, den sie im Leben erbittert verfolgt hatten. Eine verständliche Vermutung. Kein Gedanke an eine Auferstehung! Warum nicht? Weil die Auferstehung aus der menschlichen Erfahrung nicht abgeleitet werden kann. Nur Gott kann sagen, wo der Tote ist. Petrus und Johannes machten sich sofort auf den Weg zum Grabe, eilends, „sie liefen“. Johannes, der jüngere der beiden Apostel, kam als erster am Grabe an. „Er beugte sich vor und sah die Binden daliegen, ging aber nicht hinein“ (Joh 20,5). Er wartete bis Petrus kam, ließ ihm den Vortritt, weil es Petrus zustand, zu sehen und zu handeln. „Petrus ging in das Grab hinein und sah die Binden und das Schweißtuch, das auf seinem Haupte war, daliegen. Es lag aber nicht mit den Binden zusammen, sondern abseits an einer Stelle zusammengewickelt“ (Joh 20,6f.). Gleichsam protokollartig wird der Befund festgestellt. Warum beschreibt der Evangelist diese Nebensächlichkeiten so genau? Er will den folgenden Sachverhalt sicherstellen: Das Grab war leer, der Tote war nicht da. Johannes fügt noch hinzu: „Er sah und glaubte.“ Johannes bekennt von sich, dass er in diesem Augenblick den Glauben gefunden hat. Aber sein Bekenntnis enthüllt uns noch mehr: Dieser Glaube war keine menschliche Gewissheit, die auf rein irdischer Einsicht beruht. Diese war auch notwendig, aber sie genügte nicht. Johannes lässt erkennen, dass ihm der Glaube geschenkt wurde. Die menschliche Gewissheit wird zum göttlichen Glauben, der absolut und untrüglich ist, der nicht auf menschlichen Schlussfolgerungen gründet, sondern auf dem Zeugnis Gottes.

Inzwischen waren auch die anderen Frauen in die Stadt zu den Aposteln zurückgelaufen und berichteten alles, was sie erlebt hatten. Lukas beschreibt die Reaktion der Apostel mit einem Satz: „Diese Mitteilung (… der Frauen) erschien ihnen wie leeres Gerede, und sie glaubten den Frauen nicht“ (Luk 24,11). Dieser Satz des Evangelisten Lukas ist von fundamentaler Bedeutung. Es zeigt einmal die Redlichkeit, mit der die Evangelisten das Jesusereignis beschreiben. Sie scheuen sich nicht, die Meldung von der grundlegenden Heilstatsache des Christentums durch den Mund der Apostel als Geschwätz, also als Geschwafel, Quatscherei zu bezeichnen. Es zeigt zum anderen, wie wenig die Jünger bereit, geneigt oder fähig waren, aus Phantasie oder Zuneigung aus dem zu Tode gebrachten Nazarener einen Auferstandenen zu machen. Es fehlte ihnen jede Begabung, so etwas zu erfinden und es dann als Tatsache auszugeben.

Die gleiche Aufregung und Ratlosigkeit finden wir auch im anderen Lager. „Die Soldaten liefen in die Stadt und meldeten den Hohepriestern alles, was geschehen war“ (Mt 28,11). Sie gingen nicht zu ihrem Kommandeur, der ihnen die Bewachung aufgetragen hatte, sondern zu den Hintermännern, die auf der Abstellung einer Wache bestanden hatten. Sie suchten Deckung bei ihnen. Das Peinlichste, was geschehen konnte, was geschehen: Der Leichnam war trotz strengster Bewachung verschwunden. Wo aber war der Tote? Sollte er wirklich auferstanden sein? Das auf keinen Fall. Dieser Erklärung musste vorgebeugt werden. Was also tun? Es wurde eine Propagandalüge in Umlauf gesetzt. Matthäus hat sie der Nachwelt erhalten: „Die Hohenpriester versammelten sich mit den Ältesten zur Beratung. Dann nahmen sie reichlich Geld und gaben es den Soldaten mit den Worten: Sagt: Seine Jünger sind nachts gekommen und haben ihn, während wir schliefen, gestohlen. Und wenn das dem Statthalter zu Ohren kommt, werden wir ihn bereden und sorgen, dass ihr unbekümmert sein könnt. – Sie nahmen das Geld und taten so, wie sie belehrt worden waren. Und dies Gerede geht bis heute bei den Juden um“ (Mt 28,12-15). Und das nicht bloß bis zu der Zeit, als die Evangelien geschrieben wurden. So ist es geblieben bis heute: Wer nicht die Auferstehung Christi glauben will, muss Täuschung und Betrug zu Hilfe rufen, um eine scheinbare Erklärung zu finden. Nach dem Talmud gibt es keine Auferstehung Jesu. Er muss ewig in der Hölle büßen. „Sagt, die Jünger seien gekommen, während ihr schliefet.“ Was sagst du da, arme Menschheit? Schlafende Zeugen führst du an. Wenn sie schliefen, die Wächter, wie konnten sie etwas sehen? Wenn sie nichts sahen, wie können sie Zeugen sein? Der Schwindel der Feinde Jesu verfängt nicht. Betrüger, die mit klarem Bewusstsein betrügen, dass ihr Betrug nicht den geringsten Gewinn, sondern nur Schmach, Armut, Not und Tod einbringen werde, Betrüger, die fortan aufgrund ihres Betruges ein Leben der Entsagung und der Hingabe führen, hat die Weltgeschichte noch nicht gesehen.

Der nachdenkliche Christ gerät nicht in Verlegenheit. Er weiß, dass Ereignisse der Vergangenheit immer und nur durch Zeugen überliefert werden. Sie sind darüber zu prüfen, ob sie die Wahrheit sagen können und wollen. Sie vermögen vergangene Geschehnisse zu bezeugen, wenn sie diese erlebt und in Augenschein genommen haben. Sie wollen sie bezeugen, wenn sie redlich und unvoreingenommen sind. Beide Erfordernisse treffen auf die Jünger und Jüngerinnen Jesu zu. Sie können und wollen Erlebtes berichten. Sie bezeugen Erfahrungen. In diesem Zeugnis gibt es keine Unsicherheit und kein Schwanken. Keiner der Jünger Jesu hat es jemals zurückgenommen oder verworfen. Wenn sich einer davon distanziert hätte, wäre es den Feinden Jesu hochwillkommen gewesen und sorgfältig bewahrt und in die jüdischen Schriften aufgenommen worden. Es waren der Zeugen viele, Männer und Frauen. Hätten sie sich nicht widersprechen können? An Verrätern hat es in der Geschichte noch nie gefehlt. Die Bestechung mit Geld und durch Verschaffung von Vorteilen war allezeit ein wirksames Mittel, um unbequeme Zeugen zum Schweigen zu bringen. Bei keinem der Jünger Jesu verfing es. Es fand sich kein Judas. Die Jünger Jesu hätten es leicht gehabt, sich der Verachtung und Verfolgung, dem Gefängnis und der Todesstrafe zu entziehen, wenn sie erklärt hätten, sie hielten die Auferstehung Jesu für eine Legende. Keinem von ihnen ist es in den Sinn gekommen. Es ist kein Wagnis, an die leibhaftige Auferstehung des gekreuzigten Nazareners zu glauben. Es ist eine Forderung der Vernunft, das Osterlied der Kirche anzustimmen: „Jesus lebt, mit ihm auch ich. Tod, wo sind deine Schrecken? Jesus lebt, und wird auch mich von dem Tode auferwecken. Er verklärt mich in sein Licht; dies ist meine Zuversicht.“

Amen.

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